Die eigenen hohen Ansprüche an sich und die vermuteten Erwartungen anderer führen bei vielen Kindern und Jugendlichen dazu, dass die Aufregung beim Wettkampf überhand nimmt. So kann es sein, dass eine Athletin vor dem 100m-Lauf ihre Beine nicht mehr richtig spürt und das Gefühl hat, nicht mehr richtig laufen zu können. Bei einem anderen Athleten äußert sich die Aufregung vor dem Hochsprung dagegen in wütendem Weinen und lautem Schimpfen. Egal auf welche Art und Weise sich der Druck den Weg bahnt, es leidet die Freude am Sport und die Sportler*innen bleiben meist weit hinter ihren Trainingsleistungen zurück.
Zum Thema: Umgang mit Druck im Nachwuchsleistungssport
Die Athlet*innen machen sich den Druck oft selbst – sie wollen ihre Konkurrentin hinter sich lassen, wollen gewinnen, wollen sich für die nächste Meisterschaft qualifizieren, wollen in den Kader berufen werden. Sicher kann jeder Betroffene die Auflistung fortsetzen…
Aber nicht nur die eigenen Ansprüche, auch die spürbaren oder vermuteten Erwartungen anderer spielen eine Rolle. Die Kinder und Jugendlichen merken, wie die Eltern mitfiebern und sich über Erfolge mitfreuen. Diese positive Anteilnahme kann ungewollt die Sorge auslösen, mit einer nicht so guten Leistung die Eltern und /oder die Trainer*innen zu enttäuschen. Das muss gar nicht der Realität entsprechen (oder den Eltern bzw. den Trainer*innen bewusst sein) – allein das Gefühl des Sportlers bzw. der Sportlerin ist ausschlaggebend. Erwartungsdruck kann auch dadurch entstehen, dass die Sportler*innen zeigen möchten, dass die Unterstützung, die ihre Eltern leisten (Fahrten zu Trainings oder Wettkämpfen, finanzieller Aufwand etc.) sich „lohnt“ bzw. nicht vergebens ist. Die Sportler*innen wollen häufig etwas zurückgeben, wollen sich der Unterstützung würdig erweisen.
Druck rausnehmen – Eltern
Die Eltern können ganz grundlegend dazu beitragen, den Druck herauszunehmen, indem sie ihrem Kind immer vermitteln und ihm deutlich zeigen, dass es als Mensch wertvoll ist und geliebt wird – ganz unabhängig von der sportlichen Leistung. Auf diesem sicheren Fundament kann der Sportler bzw. die Sportlerin lockerer bei Wettkämpfen agieren und eher die Trainingsleistung abrufen. Gleichzeitig beeinträchtigen Misserfolge nicht so sehr das Selbstwertgefühl.
Darüber hinaus sollten keine Belohnungen für gutes Abschneiden in Aussicht gestellt werden, da dies ebenfalls den Druck erhöht. Belohnungen können zudem die innere Motivation der Sportler*innen schwächen. Das innere Streben danach, kompetent und erfolgreich zu sein sowie die Freude an der Bewegung verbunden mit dem Stolz über eine gute Leistung motivieren langfristig viel stärker als es äußere Belohnungen können.
In Phasen der Verunsicherung ist es auch sinnvoll, keine persönlich wichtigen Zuschauer*innen (wie bspw. die Oma) zum Wettkampf einzuladen. Der Wunsch, nun eine besonders gute Leistung zeigen zu wollen, befeuert die ohnehin zu große Aufregung noch weiter.
Druck rausnehmen – Sportler*innen
Mit Unterstützung der Eltern und Trainer*innen sowie, wenn möglich, eines Sportpsychologen oder einer Sportpsychologin können Sportler*innen lernen, ihre Anspannung nicht zu groß werden zu lassen. So sollten sie sich im Wettbewerb nur auf das konzentrieren, was sie selbst kontrollieren können. Eine gute Zielsetzungsstrategie (siehe unten) ist dabei sehr hilfreich. Wenn es den Athlet*innen gelingt, mit der Konzentration im Hier und Jetzt zu bleiben und sich auf ihre Aufgabe zu fokussieren (anstatt darüber zu grübeln, was passiert, wenn sie hier gewinnen oder sich darum zu sorgen, dass sie einen Fehler machen könnten), haben sie die beste Chance, eine gute Leistung zu bringen. Das ist leichter gesagt als getan und braucht einiges an Übung.
Auch die Fähigkeit, die eigene Anspannung zu regulieren, ist wichtig, um mit Druck umgehen zu können. Verschiedene Entspannungsverfahren haben sich dafür bewährt, wie bspw. die tiefe Bauchatmung, die Progressive Muskelentspannung oder Autogenes Training, aber auch Yoga oder Meditation. Durch regelmäßiges Üben können sich die Sportler*innen so regulieren, dass sie den Grad an Anspannung bzw. Entspannung erreichen, bei dem sie ihre beste Leistung abrufen können.
Darüber hinaus ist es für das Druckerleben von Bedeutung, wie die Athlet*innen mit sich reden. Schaffen sie es, ihre Selbstgespräche positiv und motivierend zu halten, so können sie ihre Leistung damit maßgeblich unterstützen. Wenn im anderen Falle Angstgedanken nicht kontrolliert werden können, tendieren diese dazu, sich aufzuschaukeln. Dies kann sich u. a. negativ auf die Muskelspannung, auf die Atmung und auf die Konzentration wirken, so dass die Leistung beeinträchtigt wird. Die Selbstgesprächsregulation ist unter Anleitung sehr gut trainierbar und ein wertvolles Tool für die Sportler*innen.
Druck rausnehmen – Trainer*innen
Auch die Trainer*innen haben die Möglichkeit, die Entstehung von Druckerleben positiv zu beeinflussen. Ein wesentlicher Faktor dabei ist, dass sie – ebenso wie die Eltern – die Kids und Jugendlichen spüren lassen, dass sie sie unabhängig von ihrer Leistung als Mensch achten und schätzen. Und wenn die Sportler*innen merken, dass es den Trainer*innen nicht nur um das Gewinnen geht, sondern auch darum, dass sie die Sportler*innen bei ihrer persönlichen Entwicklung unterstützen wollen. Zu den Entwicklungsaufgaben – als Sportler*innen und als Mensch – zählen hierbei u. a. das Erlernen von Selbstdisziplin, Autonomie und Selbstverantwortlichkeit. Mit der unbedingten Gunst der Trainer*innen im Rücken können die Athlet*innen selbstbewusster und freier ihr Potential ausschöpfen.
Gleichzeitig ist es hilfreich, konkrete Leistungsziele mit in den Wettkampf zu geben. Bei Leistungszielen handelt es sich um spezifische leistungsangepasste Ziele, deren Umsetzung die Athlet*innen selbst kontrollieren können. Das kann bspw. die korrekte Ausführung eines Technikdetails beim Speerwurf sein, der korrekte Wechsel der Aufmerksamkeit beim Hürdenlauf oder das Erreichen der individuellen optimalen Anlaufgeschwindigkeit beim Weitsprung. Der Fokus auf die Leistungsziele beim Wettkampf ermöglicht es den Sportler*innen, mit der Konzentration im Hier und Jetzt zu sein und ihre Trainingsleistung abzurufen. Im Gegensatz zu diesen Leistungszielen stehen die Ergebnisziele, wie das Erreichen eines bestimmten Platzes oder das Schlagen einer bestimmten Konkurrentin. Diese Ergebnisziele sind von den Sportler*innen nicht allein kontrollierbar, sondern hängen immer auch von äußeren Faktoren ab (wie der Leistung der Konkurrenten etc.) und können dadurch schnell Stress auslösen.
Schließlich kann von Seiten der Trainer*innen auch viel Druck herausgenommen werden, indem eine Trainingskultur etabliert wird, in der Fehler gemacht werden dürfen. Wenn Situationen, in denen es nicht gut läuft, als Lernchance gesehen werden und dies den Sportler*innen entsprechend vermittelt wird, trauen sich die Athlet*innen viel eher etwas auszuprobieren und können selbstbewusster in den Wettkampf gehen.
Fazit
Insgesamt können also verschiedene Seiten dazu beitragen, den Druck nicht zu groß werden zu lassen. Es gibt allerdings Situationen, in denen sich das Selbstbewusstsein und die Lockerheit dennoch nicht so leicht abrufen lassen. Für diesen Fall sind meine Kollegen von Die Sportpsychologen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Dr. Julia Boie) gerne für Sie da, falls Sie Beratung wünschen.
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