Prof. Dr. René Paasch: Trainerpersönlichkeiten machen Karriere (Teil 3)

Nicht erst seit der Deutsche Fußballbund (DFB) und andere größere Verbände ihre Trainerlizenzen und Leitlinien zuletzt reformiert haben, spielen die Trainerperönlichkeiten im Leistungssport eine zentrale Rolle. Seit 2014 weisen wir vom Netzwerk „Die Sportpsychologen“ umfangreich in unseren Beiträgen darauf hin, wie wichtig soziale Kompetenzen in der Begleitung und Entwicklung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sind. Damals wurden wir für diese Themen belächelt und heute finden wir diese Inhalte in jeder Fort- und Weiterbildung oder im Studium wieder. Die Zeiten von „Drill Instructors”, Fremdsteuerung und von oben herab geführte Führungsstile sind nicht mehr zielführend. Bis weit in die Mitte der Gesellschaft sowie im Sport hinein wird heute mehr auf Eigenverantwortung gesetzt. Das heißt aber auch: Viele Trainer*innen stehen vor der Aufgabe, nicht mehr nur für ihren kleinen Teil, sondern für das große Ganze verantwortlich zu sein. Diese Entwicklung bietet Chancen. Was es dafür braucht, ist der Blick nach innen und das gesteigerte Interesse an erlernbaren Eigenschaften und Kompetenzen. Mit dieser Überzeugung und jahrelanger Erfahrung im Leistungssport sowie im Business möchte ich Sie anregen, an Ihren sichtbaren oder verborgenen Möglichkeiten zu arbeiten. Darunter fallen zeitlose Werte wie Empathie, Volition und Selbstreflexion. Gleichzeitig sind auch Fähigkeiten wie Offenheit, Schlaf und soziale Kompetenzen heute sehr wichtig geworden.  

Zum Thema: Eigenschaften und Kompetenzen als Trainer*innen erkennen und entwickeln 

Starten möchte ich mit der Offenheit. Wir alle sind wahnsinnig aufgeschlossen, oder? Nun, zumindest würden das die meisten von uns wohl über sich selbst sagen. In zwischenmenschlichen Beziehungen oder in leistungsorientierten Vereinen stellt sich das oft ganz anders dar. Der Schweizer Psychologe Jean Piaget hat eine Erklärung dafür: Je weniger eine Information mit unserer Einstellung übereinstimmt, desto schwerer fällt es uns, sie zu verarbeiten. Meinungen, Ideen oder Lebensstile, die wir nicht kennen, empfinden wir daher oft sogar als Bedrohung. Dabei ist Offenheit heute eine wichtige Voraussetzung, um Karriere zu machen. Entwicklung lebt schließlich von Neugier. Die gute Nachricht: Offen zu sein, ist erlernbar. Die Stanford-Professorin Carol Dweck (2006) fand heraus, dass es zwei verschiedene Arten von Gedanken gibt: das fixed Mindset (starres Selbstbild) und das growth Mindset (dynamisches Selbstbild). Wir können und sollten uns darin üben, ein solches dynamischen Mindset zu entwickeln. Denn während Menschen mit flexiblem Mindset Krisen als Chance für Neues begreifen, sehen Menschen mit starrem Denken nur ein Problem, welches sie sofort lösen müssen, damit sie schnellstmöglich zum Status quo zurückkehren können. Verbände und Vereine suchen daher explizit nach Menschen mit hohen Offenheitswerten. Bei einigen ist Aufgeschlossenheit für neues Denken etwa das Einstellungskriterium Nummer eins. Denn offene Menschen mit einem flexiblen Mindset kommen in unserer heutigen Zeit besser zurecht als solche mit einer geistig starren Einstellung. 

Was ist aber das Gute an dem dynamischen Selbstbild? Man kann es lernen! Die einfachste Art und Weise dafür ist das Lesen. Ich lese durchschnittlich zwei Bücher im Monat. Wohin ich auch gehe (beim Fahrradfahren im Sportstudio, in der Bahn, in der Mittagspause, wenn meine Kids im Bett sind u.v.m.) – immer verbinde ich dies mit dem Lesen. Besonders wichtig ist mir dabei, dass das Lesen keine Grenzen hat und dass ich mich dabei durch alle möglichen Themen und Genres durcharbeite. Ein solches Lesen zeigt nicht nur von großer Offenheit, es macht auch offener und kreativer. Aber wem sagen wir das, Sie nutzen ja schließlich unser Netzwerk und die damit verbundenen Blogbeiträge für Ihre persönliche Weiterentwicklung. 

Selbstwahrnehmung

Potenzialentfaltung geht von denen aus, die selbst denken. Doch viele Trainer*innen sind daran gewöhnt, sich an anderen und deren Meinungen zu orientieren. Sie sollen also lernen, selbst nachzudenken. Aber worüber eigentlich? Zunächst einmal über sich selbst. Fragen, die Sie sich stellen können: 

  • Wer will ich sein und wie wirke ich auf andere? 
  • Welche Gewohnheiten finde ich gut an mir? 
  • Und welche Gewohnheiten halten mich von meiner persönlichen Entfaltung ab? 
  • Was kann ich richtig gut, was nicht?
  • Warum verhalte ich mich so?
  • Wo besteht Verbesserungspotenzial?
  • Was kann ich heute tun, um meine Ziele schrittweise zu erreichen?
  • Welche Personen können mich dabei unterstützen?

Eine gute Übung ist es, sich vorzustellen, was Sie Ihrem fünf Jahre älteren „Ich“ sagen würden, wenn es Sie besuchen käme und Ihr aktuelles Leben betrachten würde. Dieses Gedankenspiel kann Ihnen dabei helfen, negative Gewohnheiten zu erkennen, die Sie dann umgehend ablegen sollten. Denken ist aber nicht gleich Denken. Es besteht auch die Gefahr, zu viel über sich nachzudenken. Es ist nur ein schmaler Grat zwischen der sinnvollen Selbstwahrnehmung und destruktiver Grübelei. Denn wer grübelt, denkt nicht lösungsorientiert nach. Damit Sie nicht Tag für Tag in solch ein unproduktives Gedankenkarussel verfallen, sollten Sie zu festen Zeiten reflektieren (Michaelis, Nohe, Sonntag, 2012). In diesem Zusammenhang kann Ihnen auch die Meditation (Grossman et al., 2004) behilflich sein. Sie finden zur inneren Ruhe und gewinnen Klarheit im Geist. Mit ein wenig Übung können Sie dabei Antworten auf brennende Fragen finden sowie innere Stärke gewinnen. Ich reflektiere am liebsten mit einem guten Freund beim „Walk and Talk“ im Wald. Viele Menschen wählen den Morgen. Zentral ist, dass Sie die Zeit begrenzen, damit das Ganze nicht ausartet. Ihre Gedanken sollten unbedingt auch schriftlich in einem Tagebuch festgehalten werden, damit Sie später wieder auf diese zurückgreifen können. Wir neigen häufig dazu, negative Erfahrungen in den Fokus unseres Denkens zu rücken und positive Erlebnisse leichter zu vergessen. Diesem Verhalten kann eine Verschriftlichung entgegenwirken. Parallel dazu sollten Sie täglich drei Erfolgserlebnisse und kleine Momente des Glücks aufschreiben. Das Ganze hat den positiven Nebeneffekt, dass Sie ausgeglichener wirken, denn es wird Ihnen leichter gelingen, auch in stressigen Situationen den Blick für das Positive zu bewahren. Kommen wir zur nächsten wichtigen Kompetenz.

Volition 

Wie schauen Sie auf erfolgreiche Trainer*innen? Die meisten von uns neigen zu dem Glauben, Erfolg sei das, was nur einigen wenigen, besonders talentierten Menschen vorbehalten wäre. Ganz grundlos entsteht dieser Eindruck nicht. Nur selten sprechen derart erfolgreiche Trainer*innen  darüber, wie viel harte Arbeit, wie viele schlaflose Nächte sie gebraucht haben, um dahin zu kommen, wo sie jetzt sind.  Harte Arbeit gilt im Gegensatz zu Talent nämlich als wenig betrachtet. Doch genau diese Willenskraft, diesen Biss, braucht es. Ohne diesen hilft Talent rein gar nichts. Die Professorin in Psychologie und Autorin des Buches Grit, Angela Lee Duckworth (2018), fand heraus: Biss ist unter allen Erfolgsfaktoren der Entscheidende. Wichtiger als Intelligenz, Beziehungen oder Talent. Zu Beginn steht der unbedingte Wille, sein Ziel gegen alle Widerstände zu erreichen. Nur wer mit viel Biss und Ausdauer an seinen langfristigen Zielen arbeitet – und zwar nicht nur für Wochen und Monate, sondern für Jahre – wird am Ende mit Erfolg belohnt. Dies gilt für alle Berufe und Sparten – ob im Leistungssport, Forschung oder im Unternehmertum. Bitte nicht falsch verstehen. Das Talent spielt auch eine Rolle, ist aber dennoch ganz und gar überbewertet. So zeigen Duckworths (2018) Forschungsergebnisse, dass Talent überhaupt nur für diejenigen eine Rolle spielt, die genügend Willenskraft aufbringen können. 

Wie aber kommen wir zu mehr Volition? Aus meinen Erfahrungen heraus, indem wir daraus eine Gewohnheit machen. So wusste schon Aristoteles, dass besondere Fähigkeiten nicht von einzelnen Handlungen, sondern von Gewohnheiten abhängen. Und genau solche guten Gewohnheiten können wir uns aneignen, indem wir nach und nach winzige Verhaltensänderungen einführen. Wenn wir kleine Anstrengungen nur oft genug wiederholen, addieren sie sich auf. Harte Arbeit ist sehr wichtig, doch ohne den entsprechenden Schlaf nur schwer durchzuhalten. (Fogg, 2021).

Schlaf

Es ist ein ziemlich verbreiteter Glaube: Nur wer mehr arbeitet und weniger schläft und das sieben Tage die Woche, wer sich durchbeißt und immer dran bleibt, der wird es auch zu etwas bringen. Diese Konditionierung saß auch bei mir tief. Wann immer ich von anderen Kollegen*innen hörte, die tagsüber in der Lehre unterwegs waren, als Sportpsychologe*innen nebenbei praktizierten und nachts an ihrem Forschungsvorhaben schrieben, fühlte ich mich nicht gut dabei. Und manchmal sogar minderwertig. Um erfolgreich zu sein, hilft schließlich nur eins: Harte Arbeit und viele Entbehrungen! Viele von uns kennen solche Gedanken. Wir bekommen ein schlechtes Gewissen, wenn wir das Gefühl haben, dass andere mehr leisten. Ein gewisser Biss gehört zur Entwicklung dazu. Doch es ist ein schmaler Grat zwischen gesundem Ehrgeiz und Überlastung. Schlaf ist dabei unfassbar wichtig (Schlafstudie TK, 2017). Viele Menschen missachten dies aber dennoch. Was viele Menschen dabei jedoch außer Acht lassen: Wenn wir uns zu wenig ausruhen, dann schaden wir mit diesem Verhalten nicht nur unserer Gesundheit, sondern auch unserer Entwicklung. Das fand eine Studie der University of California, Berkeley heraus (Ben Simon et. al., 2022). Ihr Ergebnis: Sind wir ausgeschlafen, verhalten wir uns sozial verträglicher als unausgeschlafen. Und das fällt auch anderen auf. Die Studie förderte auch folgende Erkenntnis zutage: Andere nehmen uns als erfolgreicher wahr, wenn wir ausreichend geschlafen haben. Neben dem Schlaf spielt auch unser generelles Wohlbefinden eine entscheidende Rolle in Sachen Entwicklung. Wenn Sie sich stark mit Ihrer Arbeit identifizieren, kann das schnell zur Erschöpfung führen. Was dagegen hilft, sind soziale Beziehungen, und die wollen gepflegt werden. Berufliche Entwicklung hat auch etwas mit genügend erfülltem Ausgleich (Freunde, Familie, Freizeitaktivitäten) zu tun. Mehr dazu: 

  • https://www.die-sportpsychologen.de/2017/10/dr-rene-paasch-schlafqualitaet-im-fussball/ 
  • https://www.die-sportpsychologen.de/2020/03/dr-rene-paasch-warum-sich-trainer-gerade-jetzt-um-ihre-gesundheit-kuemmern-sollten/ 

Nun zu einem Thema, was mir persönlich eine Herzensangelegenheit ist: Empathie. Sie ist gerade im Leistungssport & in der Geschäftswelt eine sehr wichtige Größe geworden – besonders die soziale Empathie. Weiterführende Inhalte finden Sie hier:   

Soziale Kompetenzen 

Fazit

In den letzten Blogbeiträgen „Trainerpersönlichkeiten machen Karriere I – III“ habe ich Ihnen aus meiner Sicht die wichtigsten Trainer*innen-Kompetenzen vorgestellt. Diese können Ihnen zu mehr Potenzialentfaltung als Führungskraft, Trainer*innen oder als interessierter Mensch weiterhelfen. Am Ende kommt es darauf an, wie sehr Sie bereit sind, wachsen zu wollen. Egal in welchem Bereich. Wenn Ihr persönlicher Kurs auf stetige Weiterentwicklung ausgerichtet ist, dann können Sie auf Entwicklungsschübe und Veränderungen in Ihrem Leben hoffen. Denn ganz gleich, was Sie erreichen, geschafft oder verwirklicht haben, es steckt immer noch mehr in Ihnen. 

Mehr zum Thema:

Literatur 

  1. Dweck, C.S. (2006). Mindset: The New Psychology of Success. New York, NY: Random House Publishing Group
  2. Duckworth, A. L. (2018): Grit – The Power of Passion and Perseverance. ISBN: 978-1501111112
  3. Grossman, P., Niemann, L., Schmidt, S., Walach, H. (2004): Mindfulness-based stress reduction and health benefits: A meta-analysis.  https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0022399903005737
  4. Michaelis; B. Nohe, C.; Sonntag, KH, (2012):  Führungskräfteentwicklung im 21. Jahrhundert – Wo stehen wir und wo müssen (oder wollen) wir hin?
  5. BJ Fogg, BJ (2021): Die Tiny Habits-Methode: Kleine Schritte, große Wirkung. 
  6. TK-Schlafstudie (2017): Schlaf gut, Deutschland https://www.tk.de/resource/blob/2033604/118707bfcdd95b0b1ccdaf06b30226ea/schlaf-gut-deutschland-data.pdf 
  7. Ben Simon, E. B.,  Vallat, R., Aubrey Rossi,A.,  Walker, M. (2022): Sleep loss leads to the withdrawal of human helping across individuals, groups, and large-scale societies. https://journals.plos.org/plosbiology/article?id=10.1371/journal.pbio.3001733 

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Prof. Dr. René Paasch
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