Betrachtet man das menschliche Gehirn von außen, so sehen alle relativ gleich aus: Milliarden von Nervenzellen bilden die sogenannte graue Masse, die von unserem Schädel geschützt wird. Doch jedes Gehirn ist so individuell wie der Mensch selbst. Und genauso, wie sich unser äußeres Erscheinungsbild stetig wandelt, kann sich auch die Struktur unseres Gehirns unser gesamtes Leben lang verändern; Stichwort Neuroplastizität (vgl. Mayer/Hermann, 2009). Kurz gesagt ist das Gehirn also die physisches Struktur, die unseren Verstand beherbergt. Bei dem Verstand handelt es sich um unsere Gedanken und Gefühle, quasi alles, was wir bewusst und unbewusst erleben. Unser Gehirn und unser Verstand sind wie ein integriertes System; sie sind so eng miteinander verwoben, dass wir tatsächlich die physische Beschaffenheit unseres Hirns durch unseren Verstand verändern können. Beide Systeme zusammen sind zudem dafür leitend, wie wir uns fühlen. Sind wir beispielsweise erfolgreich im Sport bzw. gelingt uns eine Aktion, welche zum Beispiel zu einem Torerfolg führt, vermittelt unser Verstand diese Information an unser Gehirn. Dies schüttet wiederum den Neurotransmitter Dopamin aus, der uns Aufregung spüren lässt. Aber es ist der Verstand, der den plötzlichen Dopaminanstieg registriert: bin ich glücklich und freudig aufgeregt oder bin ich eher ängstlich?
Zum Thema: Warum gehen wir mit uns selbst immer so hart ins Gericht und mit anderen nicht? Welche Folgen können solche Gedankengänge haben und wie lassen sich diese beeinflussen?
Die Anpassungsfähigkeit unseres Gehirns ist gut erforscht und lässt sich beispielsweise an bestimmten Berufsgruppen nachvollziehen (vgl. Constandi, 2015): Eines der besten Beispiele liefert eine Studie mit Londoner Taxifahrern, die bis zu vier Jahren damit verbringen, den Straßenplan der Stadt auswendig zu lernen. Wie sich herausstellte, führt der Erwerb dieser als „The Knowledge“ bezeichneten Kenntnis zu einer Zunahme im Volumen des Hippocampus, der für das Generieren von Karten und für die Speicherung von Erinnerungen im Zusammenhang mit Navigation zuständig ist. Wie sich zudem zeigte, war die graue Substanz im Hippocampus umso dichter, je erfahrener ein Taxifahrer war.
Aber lassen wir die Taxifahrer links liegen und kümmern uns um uns und das Thema Selbstreflexion, hier lesende Taxifahrer natürlich eingeschlossen. Selbstreflexion ist der Versuch, uns selbst und unsere Gefühle, Gedanken und Wünsche besser zu verstehen. Wir betreiben somit Selbstreflexion, wenn wir aktiv darüber nachdenken, was uns glücklich macht (vgl. Little, 2015). Da unser Verstand unser Gehirn beeinflussen kann, wird regelmäßiges Nachdenken über die guten und glücklichen Aspekte unseres Lebens dazu führen, dass sich unser Gehirn auf positive Art verändert (siehe dazu Blog: https://www.die-sportpsychologen.de/2020/05/thorsten-loch-wie-der-gezielte-zweifel-hilft-bessere-entscheidungen-zu-treffen/). Aber wie genau soll das gehen?
Von innen heraus – Selbstreflexion
Zunächst müssen wir verstehen, was negative Gefühle eigentlich sind. Ursprünglich war Leid ein Trick der Natur, um uns am Leben zu halten. Darunter sind alle Gefühle zu subsumieren, die für uns unangenehm sind: vom Genervtsein, wenn wir eine 100% Torchance ausgelassen haben, bis hin zur Angst, einen Elfmeter zu schießen. Sprich negative Gefühle haben den Menschen früher gezeigt, wovon sie sich besser fernhalten sollten. Dahingehend vermitteln positive Gefühle wiederum, was gut für uns ist. Nach dem Schema „Annähern oder Vermeiden“ konnten unsere Vorfahren so eine Entscheidung treffen. Diejenigen, die Angst vor größeren Tieren/Gefahren hatten, überlebten vermutlich länger, konnten sich fortpflanzen und ihre Angst an die nächste Generation weitergeben. Auf diese Weise haben sich Angst und andere negative Gefühle tief im menschlichen Gehirn verankert, und wir haben sie bis heute fest verinnerlicht. Heute fürchten wir uns jedoch nicht mehr vor Säbelzahntigern, sondern meistens vor viel komplexeren und abstrakten Bedrohungen wie Zurückweisung oder Scham. Oder wir fürchten uns vor ungefährlichen Angelegenheiten wie dem Zahnarzt, vor Spinnen und vor dunklen Zimmern, obwohl wir wissen, dass diese Dinge vermutlich keine reale Gefahr darstellen. Die Forschung spricht in diesem Zusammenhang auch unangepassten Angstreaktionen (Baumann, 1993).
Jeglichen Schmerz/Angst komplett aus unserem Leben zu streichen ist natürlich nicht möglich und nicht ratsam. Nach Hanson (2018) können wir uns vorstellen, dass jeder Schmerz aus zwei Pfeilen besteht, die uns treffen. Der erste Pfeil ist der physische Schmerz selbst: Wenn wir hinfallen und uns am Knie verletzten, werden die Nerven gereizt, die das Empfinden von Schmerz an unser Gehirn leiten. Das ist unvermeidbar und normal. Aber danach gibt es noch einen zweiten Pfeil, der meistens noch mehr schmerzt und den wir auf uns selbst abschießen: unsere Reaktionen auf den ersten Pfeil. Gemeint sind jene Reaktionen, in denen wir uns schrecklich über uns selbst ärgern, weil wir beispielsweise so ungeschickt waren. Es gibt sogar Situationen, in denen es gar keinen ersten Pfeil gibt, wir aber dennoch nicht aufhören, zweite Pfeile auf uns selbst abzufeuern. Fühlen wir uns beispielsweise von einer anderen Person (z.B. Trainer) ungerecht behandelt und eine unmittelbare Aussprache findet nicht statt, kann es dazu führen, dass wir uns missverstanden fühlen und negative Gefühle gegenüber dieser Person entwickeln. Ein solcher Denkprozess bewirkt in unserem Gehirn eine erhöhte Aktivität des sympathischen Nervensystems. Unser Körper macht sich bereit für eine Leistungssteigerung in Stresssituationen: U.a. wird Adrenalin ausgeschüttet und unser Herz schlägt schneller. Unser Körper ist bereit für neue schlechte Gefühle.
Start des Teufelskreis
Das führt unter dem Strich dazu, dass wir uns selbst ungeliebt fühlen, nur die negativen Seiten an uns selbst sehen und uns manchmal sogar dafür bestrafen, dass wir solche teilweise eingebildeten negativen Reaktionen hervorrufen – es ist der Startschuss eines Teufelskreises, den wir vollständig unseren eigenen Denkprozessen zu verdanken haben.
Fassen wir kurz zusammen. Die Struktur des Gehirns passt sich unserem Verstand und unserem Verhalten an. Häufig sehen wir jedoch nur das Negative und entwickeln entsprechende Denkprozesse, welche uns daran hindern uns zu entwickeln. Das Gute hieran ist, dass es möglich ist, solche Prozesse zu verändern. Wir sollten also beginnen, so zu denken und so zu verhalten, dass unser Gehirn gut darin wird, Gelassenheit zu empfinden. Welche Möglichkeiten sich uns dazu bieten, wird in den nächsten Beiträgen näher beleuchtet. Solltest du darauf nicht warten können, dann nimm gerne Kontakt zu meinen Kolleginnen und Kollegen (zur Übersicht) oder zu mir (zum Profil von Thorsten Loch) auf. Wir unterstützen dich bei deiner Entwicklung.
Literatur:
Baumann, S. (1993). Psychologie im Sport. Meyer&Meyer Verlag.
Costandi, M. (2015). 50 Schlüsselideen Hirnforschung. Berlin: Springer Spektrum.
Hanson, R. (2018): Denken wie ein Buddah: Gelassenheit und innere Stärke durch Achtsamkeit. Heyne Verlag.
Little, B. (2015). Selbstreflexionen – die Kunst des Wohlbefindens. In: Mein Ich, die anderen und wir. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg.
Views: 258