Björn Korfmacher: Besondere mentale Anforderungen im Eishockey

Ob Erfolg oder Misserfolg – oft wird die Mentalität als Grund für das sportliche Ergebnis herangezogen. Die psychische Verfassung spielt also im Leistungs- und Profisport zweifellos eine wichtige Rolle. Ob Fußball, Boxen, Tischtennis, Langlauf oder Eishockey – wenn der Kopf nicht mitspielt, wird auch der talentierteste Athlet, die beste Mannschaft keine Topleistung abliefern können. Und dennoch glaube ich, dass „Mental Toughness“ im Eishockey einen ganz besonderen Stellenwert hat.  

Zum Thema: Die mentale Stärke und die Sonderstellung im Eishockey

Wenn von Mentaltraining im Sport die Rede ist, geht es im Allgemeinen darum, die psychischen Ressourcen zu stärken, allen voran Selbstvertrauen, Motivation, Konzentrations- und Entspannungsfähigkeit. All das sind wichtige Voraussetzungen, um als Sportler mit schwierigen Situationen besser umgehen zu können und unter Druck zu funktionieren. Es geht darum, dann abzuliefern, wenn es drauf ankommt. Aber im Eishockey geht es noch um etwas anderes. Nämlich um Entschlossenheit, Konsequenz und Tapferkeit.  

Eishockey ist kein Kampfsport. Auch wenn einige Hardliner, Nostalgiker und Verfechter des blutigen „Old Time Hockey“ das vielleicht ein bisschen so sehen. Ein altes kanadisches Sprichwort bringt’s auf den Punkt: “I went to a fight and a hockey game broke out.” Inzwischen wurde das moderne Eishockey zum Schutz der Spieler durch strengeres Regelwerk entschärft. Dennoch ist Eishockey immer noch ein Sport, bei dem man nur über Kampf, Körpereinsatz und die Inkaufnahme von Schmerzen und ernsthaften Verletzungen zum Zug kommt. In keiner anderen Sportart, in keiner anderen Profiliga ist der Drogen- und Schmerzmittelmissbrauch so hoch wie in der NHL, der besten und härtesten Eishockeyliga der Welt, heißt es immer wieder.1,2,3,4 Eigens dafür hat die nordamerikanische Profiliga sogar ein Drogen-Rehabilitationsprogramm ins Leben gerufen. Aber das ist wieder ein anderes Thema. Kommen wir zurück zu den Anforderungen, die der Eishockeysport an die Psyche der Spieler stellt, nicht nur in der NHL. 

Dahin (schicken), wo es wehtut

Natürlich ist Eishockey nicht der einzige Kontaktsport. Auch beim American Football, Rugby oder Handball geht’s ordentlich zur Sache. Aber die Brutalität beim Eishockey ist beispiellos – nicht nur wegen der vordergründigen Härte, wie die Bodychecks oder Prügeleien. Es sind viel mehr die Aufgabenverteilung und die Spielsysteme, die die Spieler dazu zwingen, Dinge zu tun, bei denen Angst und Zögern fehl am Platz sind. Der Center (Mittelstürmer) hat es da noch am besten, zumindest verhältnismäßig. Als „Gehirn“ auf dem Eis ist er maßgeblich dafür verantwortlich, Spielzüge einzuleiten und seine Außenstürmer auf die Reise zu schicken – dahin, wo es wehtut: die Banden entlang, in die Ecken, in den Slot (vors Tor). Hier warten die heftigen Kollisionen, die unfairen Attacken, die versteckten Fouls, die hohen Stöcke. Hier gehen die Zähne verloren, hier entstehen die Narben – viel mehr und häufiger als bei den Schlägereien, die wir hin und wieder geboten bekommen. Als Spieler kann man sich solchen Angriffen nicht entziehen – it’s part of the game! Ausgeschlagene Zähne werden völlig beiläufig aufgehoben und dem Betreuer gereicht, Platzwunden im Gesicht mal eben genäht und gebrochene Nasen mal eben geflickt. Weiter geht’s. Für einen Eishockeyspieler alles nichts Wildes. 

Schwieriger ist da der Umgang mit angebrochenen oder gar gebrochenen Knochen. Schwierig, aber nicht unmöglich. Ob Stürmer oder Verteidiger – sie alle müssen knallharte Schlagschüsse blocken, um ein Gegentor zu verhindern. Frakturen vor allem am Fußknöchel sind da keine Seltenheit. Spieler, die sich danach mit letzter Kraft wieder aufraffen, um sich humpelnd direkt in den nächsten Schlagschuss zu werfen, auch nicht. Durch den Schmerz hindurch spielen ist die Devise. Was mich auch gleich an die Worte einer meiner damaligen Trainer erinnert, als ich selbst mal nach einem krachenden Bodycheck benommen auf dem Eis lag: “Hast du dich verletzt? Oder nur wehgetan?” 

Mentale Stärke ist lernbar

Halten wir fest: Als Eishockeyspieler muss man nicht nur physische Voraussetzungen (Größe und Gewicht) erfüllen, sondern vor allem auch psychische. Da kommt auch schon mal die Frage auf, ob man von Natur aus aus dem richtigen Holz geschnitzt sein muss oder ob Mental Toughness antrainiert werden kann? Meine Erfahrungen zeigen, dass Kinder, die mit dem Eishockey anfangen, tendenziell eher Rabauken und Draufgänger sind und seltener von der weinerlichen Sorte. Aber bei meiner Arbeit mit Nachwuchs-Eishockeyspielern zeigt sich auch, dass die Härte, die spätestens im hochklassigen Junioren-Eishockey an Fahrt aufnimmt, nicht jedermanns Sache ist. Auch wenn die jungen Eishockey-Cracks nur selten offen über ihre Ängste sprechen, kommt mir dieses Thema immer mal wieder unter. Sich in harte Schlagschüsse zu werfen oder mehrmals im Spiel schmerzhafte Bodychecks in Kauf zu nehmen, um seinem Team einen Vorteil zu verschaffen, ist auch eine Einstellungssache. Wenn man als Eishockeyspieler diese Einstellung nicht hat, wird es schwer, in dieser Sportart Karriere zu machen. Hier kommt dann Sport-Mentaltraining ins Spiel.

Wenn es speziell um Blockadenlösung und Mut geht, greife ich als Mentalcoach im Eishockey meist auf Meditations- bzw. und Hypnosetechniken zurück. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass hier regelmäßige Übung relativ schnell neue Denkmuster entstehen lassen kann, die dann schließlich auch zu neuen Verhaltensweisen auf dem Eis führen. 

Viele Werkzeuge

Die Werkzeuge, die wir an die Hand geben und gemeinsam entwickeln können, sind unheimlich vielfältig und individuell. Von ganz klassischen Sitzungen rund um Themen wie Selbstvertrauen/Selbstwirksamkeit, Aktivierung und Entspannung, Selbstgesprächsregulation, Motivation/Volition, Körpersprache oder Emotionsregulation über die klassische Karriereberatung bis hin zu Hypnose- bzw. Mediationsverfahren. 

Kein Wunder also, dass in den NHL-Teams Mentaltrainer genauso dazu gehören wie die Athletiktrainer, Physiotherapeuten und Ernährungscoaches. Wer sich übrigens mal ein Bild vom NHL-Eishockey machen möchte, hat jetzt noch Gelegenheit dazu. ProSieben Maxx überträgt regelmäßig live ein Playoff-Spiel. 

Mehr zum Thema: 

Quellen

  1. https://www.si.com/nhl/2011/09/06/does-the-nhl-have-a-painkiller-problem
  2. https://hockeylists.com/10-former-nhl-players-whose-lives-spiralled-out-of-control/
  3. https://www.vancouverisawesome.com/canucks-hockey/former-canuck-ryan-kesler-opens-up-about-the-problem-of-painkillers-in-tsn-report-2740341
  4. https://www.si.com/nhl/2011/12/07/boogaards-dark-story-points-to-a-painkiller-problem-in-the-nhl

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