Frage und Antwort: Zum Spielsport drängen?

Teamsport ist großartig. Ganz unabhängig von Ergebnissen und Leistungszielen ist es das Miteinander, was Kinder in ihrer persönlichen Entwicklung weiterbringt. Was aber, wenn ein Kind solche Situationen meidet wie Neymar Jr. harte Zweikämpfe? Wenn das Kind also der Situation gewachsen wäre, sie aber umgeht wo es nur kann. Sollten Eltern Druck ausüben? 

Zum Thema: Elternverhalten im Nachwuchssport

Folgende konkrete Frage erreichte uns über die Rubrik “Du fragst, wir antworten”: Mein Sohn ist neun Jahre alt und begeistert sich für diverse Sportarten. Insbesondere wenn ein Ball im Spiel ist, begeistert ihn das. Allerdings weigert er sich, einen Teamsport innerhalb von Vereinsstrukturen zu absolvieren. Außerhalb der Schule oder vertrauten Umgebungen scheut er sich, innerhalb von Gruppen zu agieren. Er begründet dies so: “Die anderen trainieren dort schon länger. Die sind sicher viel besser als ich. Ich kann dort erst mitmachen, wenn ich besser bin.” In der Folge vermeidet er entsprechende Situationen. Insgesamt hat er durchaus perfektionistische Tendenzen. Als Familie üben wir wissentlich keinerlei Druck aus – er entscheidet, allerdings ist uns Eltern bewusst, dass er sich mit seinem freiwillig unfreiwilligen Verzicht auf Mannschaftssport viele wichtige Erlebnisse verpasst. 

Anke Precht (zum Profil) aus Offenburg, Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zum Profil) aus Leipzig, der Duisburger Jan van der Koelen (zum Profil) und Andreas Meyer (zum Profil) aus Köln haben sich der Frage angenommen. 

Die Frage: Soll ich mein Kind zum Spielsport drängen? Gibt es Wege oder Argumente, ihn für ein Probetraining etc. zu begeistern? 

Anke Precht

Antwort von: Anke Precht (zum Profil)

Wenn Sie den Eindruck haben, er könnte den Sport lieben, er aber Angst hat, sich als Anfänger zu blamieren, kann es sich lohnen, kommunikativ die Perspektive zu wechseln. Dieser Ansatz stammt aus der strategischen Psychologie. Sprechen Sie nicht darüber, dass er ja gar nicht perfekt sein muss oder dass die anderen auch Fehler machen. Stellen Sie ihn zum Beispiel vor eine Pseudoalternative, in der Sie seine Sorgen aufnehmen: Du könntest entweder ein Probetraining in Verein A machen z.B. im Nachbarort, da spielen echt nur Pfeifen, das fällt gar nicht auf, dass du noch nie in einer Mannschaft gespielt hast. Oder du machst ein Probetraining im Verein B, aber das ist ein bisschen härter, weil da auch gute Spieler sind und du am Anfang wahrscheinlich ein bisschen hinterher laufen musst. Dieser kommunikative Trick kann dabei helfen, einem begeisterten aber ängstlichen Kind die Tür in einen geliebten Sport zu öffnen, ohne frustrierende Diskussionen führen zu müssen. Die meisten Kinder in oben genannter Situation entscheiden sich übrigens für das Probetraining im Verein B. Viel Spaß Ihrem Sohn beim Spielsport!

Klaus-Dieter Lübke Naberhaus

Antwort von: Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zum Profil)

Ich halte, auch aus eigener Erfahrung, es für besonders wichtig, Kinder und Jugendliche ihre eigene Erfahrungen machen zu lassen, welche Sportart für sie die geeignete ist. Und die Vorstellung, dass Mannschaftssport die soziale Kompetenzen und Erlebnisse besser entwickelt als Individualsportarten, dafür gibt es wenig Hinweise in der wissenschaftlichen Literatur. Aus der eigenen Erfahrung mit sowohl Individual- als auch Mannschaftssporterfahrung kann ich nur sagen, es ist anders, doch soziale Kompetenz zu entwickeln, ist in beiden Bereichen möglich oder auch eben nicht. Dies hängt von anderen Faktoren ab.

Wichtig ist eine liebevolle Begleitung beim Findungsprozess, eine wertfreie Rückmeldung und Reflexion in gemeinsamen Gesprächen. Es ist nicht die Vorstellung, die Sichtweise und Wunsch der Eltern, die entscheidend sind, sondern das Herausfinden der eigenen Bedürfnisse durch das Kind, wie viel Autonomie und wie viel Verbundenheit ist das gute Maß für mich.

Was nicht heißen soll, nicht doch gemeinsam über das Thema Perfektionismus, Angst vorm Scheitern und Fehler zu sprechen. Eine richtige Einordnung zu geben, dass niemand perfekt ist oder perfekt wird, sondern dass Fehler Lernerfahrungen darstellen und notwendig sind, um sich weiterzuentwickeln. Und dass Angst ein hilfreicher Lerntreiber ist, doch nur da, wo sie auch bedrohlich und real ist, ansonsten ist sie ein Verhinderer von Entwicklungen.

Jan van der Koelen

Antwort von: Jan van der Koelen (zum Profil)

Die Begeisterungsfähigkeit Ihres Sohnes ist eine wertvolle Eigenschaft. Das emotionale Zentrum im Gehirn, wodurch das Lernen stark begünstigt wird, wird damit fortwährend aktiviert. Damit lernt Ihr Sohn auch sich als neugieriger Entdecker und Gestalter wahrzunehmen. Damit nutzt er bereits die vielen Sportarten, insbesondere Ballsportarten, um seine Präferenzen, Fähigkeiten und intrinsische, von sich ausgehende, Motivation zu erspüren. Ebenso entwickelt Ihr Sohn den Spaß am Sport und den Spaß an vielleicht einer expliziten Sportart.

Ihre Einstellung als Eltern Ihr Kind einzuladen, zu ermutigen und zu inspirieren, verhilft Ihren Sohn sich mit Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Was wäre für Sie wichtiger: Dass Ihr Sohn den Spaß und die Leidenschaft beibehält, weiterentwickelt und für sich den Moment des „nächsten Schrittes“ wählt oder vor Herausforderungen gestellt wird, dem er sich in seinen jungen Jahren noch nicht gewappnet fühlt, aber vielleicht dadurch Erlebnisse im Einzel- oder Mannschaftssport verpasst?

Sicherlich werden Sie eine Antwort für sich finden, wodurch Sie eine gute Begleitung für Ihren Sohn sein werden und sehen, was Sie bereits bei Ihrem Sohn gefördert haben und worauf Sie in nächster Zeit Ihre Aufmerksamkeit richten möchten.

Aus meiner Erfahrung sind die Begeisterung und der Spaß die kraftvollsten Triebfedern von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, um eine Sportart in Vereinsstrukturen zu verfolgen – und dann sind auch positive Erlebnisse im Einzel- oder Mannschaftssport möglich.   

Andreas Meyer

Antwort von: Andreas Meyer (zum Profil)
Wenn das Kind nicht bereit ist, im Vereinssport zu agieren, ist es zunächst einmal nicht förderlich, ihn in irgendeiner Richtung dazu zu drängen. Kommt es nämlich dazu, dass sich seine Ängste oder Befürchtungen beim Probetraining bewahrheiten, war es das voraussichtlich erstmal für eine längere Zeit und das Vertrauen sowohl in sich selbst als auch in andere wird zu Schaden kommen können.

Aufklärung und eine schrittweise Heranführung an die Ängste wird erfolgreich eingesetzt, um eine Desensibilisierung gegenüber den Ängsten zu erreichen. Beispielsweise vielleicht zunächst einmal eine Art Schulsportmannschaft (AG) aufzusuchen, wo er am besten noch mit seinen Freunden zusammen Sport macht. Hier könnte er Einblicke bekommen, wie es ist, mit einer mehr oder weniger festen Gruppe gemeinsam Fussball oder ähnliches zu spielen. Dann könnte man mal bei einem Training zuschauen und anschließend (wenn er das möchte) ein Probetraining vereinbaren.

Übrigens sind die meisten Profisportler auf irgendeine Art und Weise perfektionistisch veranlagt. Der eine kann damit umgehen und hat die nötigen Ressourcen bereits entwickelt, andere schaffen es nicht. Perfektionistische Züge zu haben, bedeutet auch immer, dass man sich selbst Druck auferlegt. Lernt man es, mit Druck umzugehen und Niederlagen, Scheitern und Fehler richtig zu bewerten, dann ist das ein großer Schritt in die richtige Richtung. Nicht nur für den Sport, sondern generell auch für das private und berufliche Leben.

Ich hoffe, Sie können mit unseren Antworten etwas anfangen, ansonsten fragen Sie gerne noch einmal nach.

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    Mathias Liebing
    Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
    Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de