Es gibt zwei Konstellationen, die aus sportpsychologischer Sicht richtig große Herausforderungen darstellen: Einerseits, wenn Teams eigentlich immer gewinnen und dann in eine Negativspirale geraten. Zweitens, wenn sie sich im Abstiegskampf oder im Aufstiegsrennen befinden und die Angst immer größer wird, dass angestrebte Ziel zu verpassen. Was ich hier am Beispiel Fußball beschreibe, gilt natürlich für alle anderen Teamsportarten auch. Und es ist auf alle Niveaus anzuwenden.
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Wenn ein Team fast immer gewinnt, zumindest in entscheidenden Spielen, wird das Gewinnen zu einem Teil der Identität. Es wird normal. Das beflügelt und führt zu einem immensen Selbstbewusstsein – welches aber dann in sich zusammenbrechen kann, wenn mindestens zwei wichtige Spiele verloren werden. Dann kann das gesamte mentale Gebäude einer Mannschaft bröckeln. Im schlimmsten Fall startet eine Abwärtsspirale, in der die Mannschaft plötzlich weit unter ihren Möglichkeiten bleibt. Um Beispiele zu finden, benötigt ihr nicht viel Phantasie.
Wer aber gegen den Abstieg (oder auch um den Aufstieg) kämpft, muss mit einer ähnlich großen Herausforderung umgehen. Vielleicht ist das, was auf dem Spiel steht, gefühlt sogar bedrohlicher. Die Krux: Wenn Abstieg oder Aufstieg das Dauerthema ist, darf dieses eben nicht permanent in den Köpfen herumgehen. Natürlich wissen alle, worum es geht. Wer sich aber ständig mit dem Abstieg oder Aufstieg beschäftigt, darüber redet, Szenarien entwickelt oder in ein Spiel startet mit der zentralen Ansage, dass von diesem Spiel alles abhängt, setzt den Fokus auf das Ergebnis, und vielleicht sogar auf das unerwünschte. Richtig wäre es, den Fokus auf die Leistung zu legen, auf das, was konkret passieren muss, damit das Spiel gewonnen wird. Konkrete Aktionen wie Ballgewinne, um einen Konter zum Erfolg zu führen. Zweikampfstärke. Die Genauigkeit von Pässen. Die Kommunikation im Team. Das Selbstbewusstsein der Spieler.
Die Stärken gehören in den Fokus
Wie kann das gelingen? Spieler sollten sich darauf besinnen, was sie können, was ihre Stärken sind und darauf, diese Stärken gezielt ins Spiel einzubringen. Außerdem hilft es, sich im Vorfeld an Situationen zu erinnern, in denen es ebenfalls knapp war, die aber am Ende gelungen sind. Das hilft, aus einer möglichen Resignation herauszufinden, die entsteht, wenn viele Enttäuschungen aufeinander gefolgt sind. Die Frage: „Wie habe ich in der Vergangenheit meine schwierigsten Herausforderungen geschafft?“ öffnet die Tür zu den persönlichen Ressourcen, deren Bewusstsein die Motivation, das Selbstvertrauen und die Energie stärken. Dabei dürfen Spieler auch an Situationen denken, die gar nichts mit dem Sport zu tun haben. Denn Ressourcen aus anderen Lebenssituationen können auch für den Sport hilfreich genutzt werden. Dies kann alles sein, was Zuversicht schafft: Etwas, was man sich selbst gesagt hat. Diese besondere Musik, die man damals gehört hat. Der gute Freund, der gesagt hat: Ich glaube an dich! Vielleicht Galgenhumor. Ein besonderes Ritual. Ein besonderes Frühstück. All das, was schon einmal geholfen hat, um in die bestmögliche Form zu kommen, kann auch heute wieder helfen. Es gibt darüber hinaus viele Methoden, mit denen man sich an besondere Momente, vielleicht starke Flow-Zustände, erinnern und diese abrufen kann. Dies lässt sich mit Hilfe eines Sportpsychologen erlernen.
Trainer sollten ebenfalls nicht ständig daran erinnern, dass der Abstieg verhindert oder der Aufstieg geschafft werden muss, und wie wichtig das anstehende Spiel ist. Damit alle Spieler möglichst stark eingestellt sind, können Trainer dazu beitragen, sie in ihrem Selbstbewusstsein zu unterstützen. Stärken herausstellen, an tolle Aktionen erinnern (die man im folgenden Spiel natürlich gerne wieder sehen möchte), Vertrauen aussprechen, und vielleicht sogar für wichtige Etappen eine kleine Belohnung ausloben: Für jeden Eckball eine Kleinigkeit. Wie groß die Kleinigkeit sein darf, müsst ihr natürlich entscheiden. Als ich einmal eine Nachwuchsmannschaft im Kampfsport gecoacht habe, lobte der Trainer für einen bestimmten im Wettkampf gesetzten Treffer eine Kugel Eis aus. Das Ergebnis: fast dreimal so viele entsprechende Treffer als bisher. Das hilft, den Fokus auf den Erfolg zu setzen, ohne das Schreckgespenst Abstieg ständig im Hinterkopf zu haben.
Störende Impulse
Zweitens sollten Trainer gerade fürs Einwechseln auch nach der mentalen Stärke von Spielern schauen. Gerade, wenn ein sehr schwieriger Gegner erwartet wird oder ein Spiel nicht gut läuft, kann es sinnvoller sein, einen Spieler aufs Feld zu schicken, der in der Lage ist, die anderen zu motivieren und zu Höchstleistungen anzuspornen. Und eben nicht denjenigen, der technisch perfekt ist, unter Druck aber seine Leistung nicht abruft oder seine Emotionen nicht unter Kontrolle hat.
Vereine tun gut daran, ihre Mannschaft möglichst gut abzuschotten gegen alles, was Konzentration und Fokussierung stören könnte. Interviews mit Spielern? Ja, vorausgesetzt, es gibt einen Spieler, der sich durch Fragen zum drohenden Abstieg oder dem gefährdeten Aufstieg nicht aus der Ruhe bringen lässt. Wenn nicht, dann kein Interview in einer kritischen Phase. Dann gilt es, den Trainer oder den Vorstand sprechen zu lassen. Die Mannschaft befindet sich in einer Phase der Konzentration. Planungen für den Worst Case nicht an die große Glocke hängen. Sich Sponsoren gegenüber zuversichtlich zeigen, für die höhere Liga planen. Der Plan B sollte in der Tasche bleiben, bis zu 100% entschieden ist, wie die Saison ausgeht. Ist der Misserfolg klar, wird Plan B aktiv. Ist das Ziel geschafft, verschwindet er in den Archiven, ohne dass jemals laut über ihn gesprochen wurde. Das gilt natürlich nicht nur für Äußerungen in der Öffentlichkeit, sondern auch bilaterale Gespräche, deren Inhalte zum Team dringen können. Der Verein soll klar signalisieren: Wir glauben an euch und euren Erfolg und stärken dem Team damit den Rücken.
Das Richtige tun
Auch Akteure aus dem Umfeld können auf diese Weise positiv mithelfen: Das medizinische Team, Familien und Freunde, der Fanclub, der Zeugwart und so weiter. Es geht nicht darum, zu schreien: „Ihr schafft das!“ sondern konkret zu schauen: Was kann jeder an seinem Platz tun, um den Erfolg möglichst greifbar zu machen. „Kann ich etwas für dich tun?“ kann einen Spieler viel mehr aufrichten als die Beteuerung: „Heute schießt du ein Tor!“
Meine KollegInnen von Die Sportpsychologen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Anke Precht) kennen solche Situationen und können helfen.
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