Die Plattform “Die Sportpsychologen” hat ein Problem. Ein Problem mit Beiträgen zum Wintersport. Denn obwohl zahlreiche Experten und Expertinnen unseres Netzwerks im Wintersport zu Hause sind, WintersportlerInnen betreuen oder die eigenen sportlichen Meriten vor allem in der kühlen Jahreshälfte verdient haben, hatten wir schlicht zu wenige Texte auf der Seite. Daher haben wir Anfang des Jahres eine kleine Redaktionsgruppe formiert, die sich im Februar erstklassige olympischen Augenringe antrainiert hat. Denn recht häufig klingelte der Wecker kurz vor fünf. Manchmal sogar zwei Uhr morgens. Die eine oder Nacht wurde sogar gänzlich zum Tag. Aber am Ende haben wir so viele Momente miterlebt, die eine genaueren sportpsychologischen Betrachtung wirklich verdient haben. Welche genau das waren, verraten euch drei der sechs ExpertInnen (zur Übersicht), die in den vergangenen Tagen viel Zeit investiert haben, um die Bedeutung der Sportpsychologie im Wintersport gerecht zu werden und dabei auch unser Problem gelöst haben. Schließlich sind in gut zwei Wochen rund 20 Texte in unserer Rubrik Wintersport (Link zur Rubrik) hinzugekommen.
Zum Thema: Sportpsychologisch-olympische Highlights
Den Anfang macht Lisa König (zum Profil), die lange ziemlich erfolgreich auf zwei Kontinenten Wintersport betrieben hat, und ihr Fazit zwei teilt: In Gewinner und Verlierer.
Meine Gewinnerin der Olympischen Spiele ist Rennrodlerin Natalie Geisenberger – in vielerlei Hinsicht. In erster Linie gewinnt sie ihre sechste Goldmedaille und ist damit die erfolgreichste deutsche Olympiateilnehmerin. In zweiter Linie ist ihr dieser Rekord im Moment nicht der wichtigste, da sie in den vergangenen Jahren erlebt hat, wie wichtig neben dem Sport auch die Familie ist. Zu lernen, dass Leistungssport nur einen Teil des Lebens ausmacht und ein Karriereende gut vorbereitet werden muss, bedarf Erfahrung und eines guten Unterstützer-Netzwerks.
Die Rennrodlerin hat aus meiner Sicht aber nicht nur sportlich überzeugt. In einem Instagram-Post würdigt sie Teamkollege Felix Loch, der trotz seines (nur) vierten Platzes einer der beständigsten Unterstützer am Eiskanal war und sich immer über die Erfolge der anderen freuen konnte. Solche „Nebensächlichkeiten“ zu würdigen und den Erfolg mit dem Team hinter dem Team zu teilen, macht für mich eine erfolgreiche Sportlerin aus!
Der unbeliebte Verlierer Award geht an jene unbelehrbaren Social Media Nutzer, die (Miss-) Erfolge und Mannschaftsentscheidungen kommentieren, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Mir sind in den vergangenen zwei Wochen viele unnötige, teils unfaire Kommentare aufgefallen, die, teils direkt, teils indirekt, die Leistungen und Persönlichkeiten von Sportlern angriffen. Im Internet darf man frei seine Meinung äußern, jedoch würde es mich freuen, wenn man immer die Psyche der jungen Menschen im Hinterkopf behält. Unsensible Kommentare lösen manchmal mehr störendes Grübeln aus, als man es sich vorstellen kann.
Besondere Bedingungen
Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zum Profil) kennt ihr auf der Plattform vor allem aus der Sportart Handball. Dazu hat er schon einiges zu Themen wie Achtsamkeit, Hypnose und den Umgang mit Verletzungen geschrieben. Sein Interesse und seine Expertise reicht aber auch bis zum Wintersport: Auch wenn er die Spiele von Peking durchaus kritisch gesehen hat.
Dass die olympischen Spiele 2022 in China unter besonderen Bedingungen stattfanden, lässt sich wohl nicht nicht ganz außer Acht lassen. Und damit meine ich nicht nur unter die Bedingungen, die sich aus den Maßnahmen rings um das SARS-CoV-2 Virus ergaben. Manchmal erinnerten mich die vielen chinesischen Helfer in ihrer Vollvermummung eher an die Einsätze von Spezialeinheiten des Militärs bei biologischen Terroranschlägen, z.B. mit dem Milzbranderreger. Und nicht nur diese in China noch einmal speziellen Maßnahmen, sondern auch die vor oder während der Spiele vorherrschende Unsicherheit über den eigenen, positiven Test oder sogar die Erkrankung. All dies vergrößerte die Unsicherheit, die Komplexität und die Mehrdeutigkeit.
Mit Absagen oder Verschiebungen wissen die Athleten umzugehen, doch die Wetterbedingungen in China stellten noch einmal eine besondere Herausforderung für alle Athletinnen und Athleten dar, die davon abhängig waren. Nur die in den Hallen stattfindenden Entscheidungen blieben davon verschont. Draußen war es dann aber doch am Schönsten, oder? Wie besonders anzusehen, als die US-amerikanische Athletinnen ihre norwegische Konkurrenz nach der Zieleinfahrt beim Parallel Mixed Wettbewerb unter die wärmende Decke nahm.
Und dann natürlich noch die ganz besonderen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen in China. Dies alles und noch vieles Unerwähntes machten diese Spiele zu einer ganz besonderen Herausforderung. Wie wirkte sich das aus?
Olympische Spiele der Arrivierten?
Manchmal hatte ich den Eindruck, dass die Athletinnen und Athleten enger zusammen rückten, mehr Rücksicht nahmen und einander mehr halfen. Vielleicht jedoch mein blinder Fleck, da ich dies so sehen wollte?
Doch wenn ich mal auf die Ergebnisse schaue und dabei die Medaillenränge der unterschiedlichen Disziplinen und Sportarten betrachte, kann ich mich doch nicht ganz des Eindruckes erwehren, dass es die „Spiele der Arrivierten“ waren. Ob ich es an dem Alter und der damit verbundenen Erfahrung fest mache oder an den Favoritenrollen durch die Vorergebnisse, der Eindruck bleibt, Ja, es gab zwar Überraschungen, doch das Aufglühen vieler junger Shootingstars konnte ich nicht verzeichnen.
Ausnahmen sind der 17-jährige Eishockeyspieler Juraj Slafkovsky und die Goldmedaille der 21-jährigen Deutschen Hanna Neise im Skeleton. Vom Alter könnten wir noch die 22-jährige Elvira Öberg mit Silber im Biathlon Sprint und Massenstart der Frauen dazurechnen, die ein oder andere Silber- und Bronzemedaille im Eisschnelllauf und Shorttrack oder das Silber des 21-jährigen Jens Oftebro von der Großschanze in der Nordischen Kombination. Und, was das Alter betrifft, gelten im Eiskunstlauf eh andere Bedingungen, dies auch im Ski Freestyle, vor allem bei den Frauen, wo natürlich die 18-jährige Eileen Gu heraus ragte,Tochter einer in die USA eingewanderten Chinesin und eines Amerikaners.
Aber halten wir fest: Bei diesen Spielen scheint die Erfahrung im Umgang mit besonderen Situationen ein noch größerer Faktor für den Erfolg gewesen zu sein als bisher.
Zwei bemerkenswerte Frauen
Sicherlich sind zum Abschluss noch zwei Frauen zu nennen: Die eine irgendwie erfolgreich, die andere auf besondere Weise nicht.
Auf der einen Seite Claudia Pechstein. Sie hat kurz vor ihrem 50. Geburtstag ihre achte Olympiade absolviert und auch wenn es Respekt abverlangt, was sie in diesem Alter noch zu leisten imstande ist, frage ich mich doch, was sie hierzu motiviert und wem sie etwas beweisen möchte? Erreicht hat sie alles und wie ein schöner Glaubenssatz sagt, „sollten wir aufhören, wenn es am schönsten ist“. Doch Loslassen ist manchmal nicht so leicht. Die Sportpsychologie unterstützt übrigens auch bei dem Weg nach der sportlichen Karriere.
Und auf der anderen Seite haben wir eine tragische Gestalt. Mikaela Shiffrin, eine der ganz Großen des alpinen Skisports. Ihr blieb es sogar im Parallel Team Mixed nicht erspart, am Ende knapp an der so sehnsüchtig erhofften Medaille vorbei zu fahren. Wie wird sie diese olympischen Spiele verarbeiten? Sich zurückziehen oder sofort weiter machen, gestärkt daraus hervorgehen oder in eine Sinnkrise versinken. Auch hier ist eine begleitende Unterstützung extrem hilfreich.
Quellen:
https://www.tagesschau.de/sport/olympia-skeleton-neise-101.html
Der besondere Treibstoff
Dr. Hanspeter Gubelmann (zum Profil) kennt den Anblick und den Geruch des olympischen Feuers aus nächster Nähe. Was haben mit ihm die Spiele von Peking gemacht, die er aus der Ferne beobachtet hat. Was bleibt von diesen zwei Wochen Wintersport in China?
Am Ende der Olympischen Spiele von Beijing 2022 frage ich mich, was mir von diesen Spielen an (TV-)Eindrücken in Erinnerung bleibt? Es sind zunächst die grossen Emotionen der Sieger*innen und Medaillengewinner*innen. Den einen oder die anderen CH-Athlet*in kenne ich sogar etwas näher, deshalb kann ich abschätzen, was der Olympische Erfolg für eine Sportkarriere – und auch danach – bedeuten dürfte. Sportlicher Erfolg ist DER Treibstoff, der die Sportler*innen befeuert, motiviert und auch Durststrecken durchstehen lässt.
Mich persönlich interessieren aber insbesondere jene Geschichten, die den Spitzensport auch zu dem machen können, wofür Olympische Spiele letztlich stehen. Denn: Coubertins „Olympischen Idee“ erschliesst sich neben dem Streben nach Höchstleistungen aus mindestens drei weiteren Werten: das Ideal des friedlichen Leistungsvergleichs, das Ideal der Freundschaft und der Völkerverständigung sowie dem Fairplay-Gedanken.
In meiner Olympia-Rückschau gibt es vor allem zwei Episoden, die mir nachhaltig in Erinnerung bleiben werden. Zum einen Iivo Niskanen, das Langlaufidol aus Finnland, der sich als grosser Sieger des 15km-Langlaufs die Zeit nahm, um auch dem Letztplatzierten beim Zieleinlauf zu gratulieren. Um die Welt ging zudem jene Szene im Olympischen Final der Aerials, als sich der Russe Ilia Burov und der Ukrainer Oleksandr Abramenko herzlich umarmten und sich gegenseitig zum Medaillengewinn gratulierten. Medaillen verstauben, Erlebnisse wie diese prägen die Menschen! Darauf soll sich auch die Angewandte Sportpsychologie in ihrem Selbstverständnis beziehen!
Quellen:
NY Times (Link)
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