Klaus-Dieter Lübke Naberhaus: Die VUCA Welt im Skispringen

Schauen wir uns das Endergebnis des Olympischen Skisprungfinales von der Normalschanze an, dann stechen auf den ersten Blick die Gold- und Silbermedaillengewinner Ryouy Kobayashi und Manuel Fettner heraus, die aufgrund der Vorleistungen und Auswertungen der Statistiken der Saison dort auch durchaus zu erwarten waren. Allerdings fehlen Namen wie Geiger, Granerud, Lindvik, Kraft und Lanisek ganz vorne. Dafür sind Altmeister wie Kubacki, Prevc und der noch recht junge Russe Klimov unter den Top-5 zu finden. Können wir ein Muster erkennen? 

Zum Thema: Vom Umgang mit Flüchtigkeit, Komplexität, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit

In Zhangjiakou, dem chinesischen Austragungsort der Skisprungwettbewerbe, treffen die meisten Springer auf für sie unbekannte Bedingungen und bis zur Entscheidung stehen ihnen eine gleiche Anzahl zu Verfügung, um sich in eine optimale Ausgangssituation zu bringen. Jeder geht mit dieser Situation anders um, was die Strategie betrifft. Manche nutzen jeden Sprung, um Sicherheit und im besten Falle Steigerungen zu erreichen. Andere sparen Körner und lassen den ein oder anderen Sprung aus, gerade wenn schon ein guter Sprung auf der Habenseite steht und Sicherheit gibt. Insbesondere der Olympiasieger Ryouy Kobayashi tut sich entsprechend hervor. 

In der Qualifikation erleben wir eine Windlotterie mit wechselnd starken Aufwinden, im Probedurchgang vor dem Wettkampf sind auch die Bedingungen sehr unterschiedlich. In den beiden Springen des Finales sind die Bedingungen konstanter, doch auch hier für einzelne Gruppen unterschiedlich. Mein beliebtester TV-Serienheld, der Special Agent Gibbs vom NCIS stellte die Regel 39 auf, wonach es keine Zufälle gibt. Vielleicht gibt es sie doch. Und was ist dann wenn das, was mir zufällt auf eine unterschiedliche mentale Bereitschaft trifft? Und wie kann ich mich darauf vorbereiten?

Die VUCA Welt

Machen wir einen kleinen Exkurs in die Militärgeschichte. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Wegfall des eindeutigen Feindbildes entwickelte das US-Army War College ein Modell, das unter dem Namen VUCA Welt bekannt wurde und die Welt beschreibt, in der wir leben. Nicht nur in der Welt des Militärs oder des Management, wo dieses Modell Anfang der 2000er Einzug gefunden hat, auch die Welt der Skispringer und anderer Sportler läßt sich damit gut beschreiben.

  • Das V steht für Volatilität, also für die Flüchtigkeit der Bedingungen, denen ich ausgesetzt bin. Die Wind-, Sicht- und Schneeverhältnisse ändern sich von Tag zu Tag, teilweise von Sprung zu Sprung, oder sogar im Ablauf des einzelnen Sprunges. Das ist etwas, mit dem die Skispringer in jedem Wettkampf konfrontiert werden können.
  • Das U steht für Unsicherheit, beschreibt für die Skispringer die Unsicherheit über die herrschenden Bedingungen, auch die Unsicherheit über die eigene Leistungsfähigkeit, dem eigenen mentalen Zustand, wenn es um die Entscheidung geht. Die Unsicherheit, wann der Sprung frei gegeben wird und ob sich die Verhältnisse nicht schon bei der Anfahrt schon wieder ändern.
  • Und das C steht für die Complexity, die Komplexität der zur bestreitenden Herausforderung. Neben den schon beschriebenen äußeren Verhältnissen und die Anlaufgeschwindigkeit aufgrund des gewählten Gate, dem eigenen körperlich-mentalen Zustand zur Sekunde der Entscheidung, der ebenfalls schon von so vielen Faktoren wie z.B. Essen, Schlaf, etc. abhängt und dem zur Verfügung stehenden Material, haben viele kleine und große Einflüsse eine Rolle auf das Ergebnis.
  • Zu guter Letzt bleibt das A, das für den schwierigen Begriff der Ambiguität steht. Auf Deutsch vielleicht am Besten mit Mehrdeutigkeit gleich zu setzen. Hierunter fällt zum Beispiel die Tatsache, dass bei manchem Sportler eine verpatzte unmittelbare Vorbereitung, wie zum Beispiel Trainingssprünge, dazu gehören und dennoch eine Steigerung im Wettkampf möglich ist. Hier sprechen wir im Gegensatz zu den „Trainingsweltmeistern“ von „Wettkampftypen“. Sie konterkarieren jegliche Statistik. Und doch ist dies auch manchmal ganz anders und die verpatzten Trainingssprünge kumulieren in einem nicht erfolgreichen Wettkampf mit weniger guten Sprüngen.

Umgang mit der VUCA Welt

Wie nun mit diesen Phänomenen umgehen? Akribische Vorbereitung unter Berücksichtigung aller Faktoren, wie ausreichender Schlaf, eine sportlergerechte, gesunde Ernährung, die entsprechende körperliche Fitness, Einhalten der gewohnten Rituale, die Fähigkeit äußere Faktoren so gut wie möglich auszublenden, also sich zu fokussieren und noch vieles mehr gehört zu diesen Umgang.

Dazu gehört auch eine optimale mentale Vorbereitung unter Nutzung der verschiedenen zur Verfügung stehenden Techniken, wie z.B. Imagination der optimalen Sprünge, Regulation meines Aktivierungszustandes und Emotionskontrolle. Ich möchte den Blick auf eine andere Fähigkeit richten, die im Gespräch mit dem Kollegen Dr. Hanspeter Gubelmann sich in ihrer besondere Bedeutung für mich darstellte.

Bereitschaft und Zufall

Dazu gehören zwei Komponenten. Sich einmal darüber klar zu sein, dass bei aller Planung und akribischer Vorbereitung es im entscheidenden Moment snicht kontrollierbar ist, welche Leistung am Ende dabei herauskommt, auch wenn die Voraussetzungen optimal sind. Sich also auf die Faktoren zu konzentrieren, die ich in der Hand habe, die ich beeinflussen kann, wie es auch Markus Eisenbichler im Interview sagte, „sich auf mich selber zu konzentrieren“.

Und die zweite Komponente, die im unmittelbaren Zusammenhang steht, ist der Wille, die Bereitschaft, wenn es die Situation hergibt, wenn alle Bedingungen, die ich nicht beeinflussen kann, stimmen oder aber auch nicht, wie Wind und Wetter, Verzögerung des Starts, mich dann in die Lage zu versetzen, die Punkte, die ich bedingt in der Hand habe, so in die Waagschale zu werfen, dass ein optimaler Sprung herauskommt. Kobayashi konnte trotz der nicht so optimalen Umstände wie bei der Konkurrenz dennoch alles abrufen, was er in der Hand hatte. Und diese Fähigkeiten waren so optimal, dass es zur Goldmedaille reichte. Kubacki und Prevc konnten diese Fähigkeiten dann abrufen, als die Bedingungen günstig für sie waren.

Techniken erarbeiten und Bewusstsein erlangen

Diese Fähigkeit ist mit verschiedenen Techniken wie z.B. Achtsamkeitstraining, Imaginationen, Aktivierungs-/Entspannungs- und Fokussierungsübungen zu trainieren. Doch grundlegend brauche ich die Erkenntnis, das Bewusstsein, dass meine Welt so ist, wie oben beschrieben und die Konzentration auf mein Handeln, meine Wirksamkeit eine entscheidende Fähigkeit ist. Die Fähigkeit zur Selbst-Führung mit Selbstwirksamkeit.

Ihr wollt daran arbeiten? Dann lasst uns beginnen, meine Kollegen und Kolleginnen aus dem Netzwerk Die Sportpsychologen freuen sich genauso (zur Übersicht) wie ich (zum Profil von Klaus-Dieter Lübke Naberhaus) darauf, euch auf eurem Weg zu unterstützen.

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Klaus-Dieter Lübke Naberhaus
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