Umgang mit Stress im Nachwuchsfußball (Teil 1): Stressreaktionen, Stressfaktoren und Persönlichkeitsmerkmale

Lennert Klause ist ein Spieler der U17-Mannschaft des Halleschen FC. Im Nachwuchszentrum des Fußball-Drittligisten arbeitet er mit dem Sportpsychologen Janosch Daul (zum Profil) zusammen. Lennert Klause gehört zur neuen Spielergeneration, die quasi mit der Sportpsychologie aufwächst. So lag es für den Zehntklässler des Gymnasiums Landsberg nahe, sich im Rahmen einer Facharbeit mit einem sportpsychologischen Thema auseinanderzusetzen. Der Titel seiner Arbeit lautet: „Stressbewältigung in Situationen im Nachwuchsleistungsbereich Fußball und wie ein Sportpsychologe darauf einwirken kann.“ Dieses spezielle Thema hält der junge Kicker für besonders interessant: „Zum einen weiß ich selbst relativ wenig darüber und zum anderen lassen sich durch eine passende Stressbewältigung meiner Meinung nach noch viele Potenziale ausschöpfen. Durch die Facharbeit erhoffe ich mir, für mein Team und mich einige neue Kenntnisse zu gewinnen sowie Methoden kennenzulernen, die im besten Fall – durch eine Anwendung – zu einer Leistungssteigerung führen.“ 

Basierend auf dieser Zielstellung hat Lennert im Zuge seiner Facharbeit insgesamt zehn offene Fragen entwickelt, um zu erheben, wie seine Mannschaftskameraden Stress empfinden, wie sich dieser äußert und wie sie damit umgehen. Auf Grundlage der Antworten hat der Nachwuchsspieler dem Sportpsychologen Janosch Daul konkrete Fragen gestellt, die wir in insgesamt zwei Beiträgen im Januar 2022 veröffentlichen.  

Lennert Klause: Laut den Umfrageergebnissen äußert sich bei den meisten Stress nicht nur psychisch, sondern auch physisch: als Unruhegefühl, Schwitzen, schwere Beine oder Hautprobleme. Ist das normal? Deckt sich das mit deinen Erfahrungen?

Janosch Daul (zum Profil): Physische, körperliche Symptome bzw. Reaktionen als Teil des Stressempfindens sind ganz normal. Wenn uns etwas psychisch stresst, wird unser Sympathikus aktiviert, jener Teil des Nervensystems, der uns in einen „Fight-Modus“ versetzt. Er sorgt beispielsweise dafür, dass unser Herz schneller schlägt und Stresshormone ausgeschüttet werden, sodass unser Organismus auf die Anforderungssituation vorbereitet wird. Oftmals nehmen wir diese körperlichen Veränderungen als „unangenehm“ wahr, sodass sich unser psychischer Stress zusätzlich verstärkt. Es handelt sich also nicht selten um einen Kreislauf. 

Lennert Klause: Verschiedene äußere Einflüsse verursachen bei den Spielern Stress, z.B. Verletzungen, Krankheiten oder auch ein Trainingsverbot durch die Eltern beziehungsweise die Schule. Was kann man dagegen tun? Wieviel Einfluss haben die Spieler darauf?

Janosch Daul (zum Profil): Ein allgemeines „Rezept“ auszusprechen, wie man mit solchen Rückschlägen umgehen sollte, ist nicht empfehlenswert, da jeder Spieler eine solche Situation individuell unterschiedlich erlebt und unterschiedlich darauf reagiert. Hilfreiche Möglichkeiten, um mit einem solchen Rückschlag umzugehen, bestehen beispielsweise darin, die Situation, die nun mal jetzt so ist, wie sie ist, als solche zu akzeptieren und sich dessen bewusst zu werden, dass Rückschläge einen normaler Teil des Lebens und auch einer Sportlerkarrieren darstellen. Weltweit gibt es wohl keinen einzigen Profisportler, der von sich behaupten kann, eine Karriere ohne jeglichen Rückschlag erlebt zu haben. Eine Situation als solche zu akzeptieren, hilft dabei, Stressempfinden zu reduzieren. Anschließend macht es Sinn, sich beispielsweise Gedanken darüber zu machen, wie man die gegebene Situation bestmöglich für sich nutzen kann, im persönlichen Bereich, aber auch bezogen auf die sportliche Weiterentwicklung. Hilfreiche Fragen dabei können sein:

  • Wofür finde ich jetzt vielleicht Zeit, die ich sonst eher nicht habe?
  • Was kann ich konkret aus dem Rückschlag lernen? Was kann ich ggfs. zukünftig verändern, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ein solcher Rückschlag nicht mehr auftritt?
  • Wie kann ich die Zeit für sportliche Weiterentwicklung nutzen, beispielsweise indem ich mich mit leistungsrelevanten Themen wie dem Gehirn, Ernährung, Schlaf etc. auseinandersetze?

Auch die Frage, wie sich solche Rückschläge verhindern lassen, ist nicht pauschal zu beantworten. Ein adäquates Sozialverhalten im Verein, in der Schule und generell im Leben, ein adäquater Lebensstil und ein professionelles Verhalten auf und neben dem Platz sind in diesem Zusammenhang aber mit Sicherheit beachtenswerte Aspekte.

Lennert Klause: Innere Einflüsse sind enorm relevant für Stressempfinden, z.B. misslungene Aktionen, eine hohe Erwartungshaltung oder Angst vor Fehlern. Was können die Spieler dagegen tun? Welche Mechanismen helfen bei der Stressbewältigung? Was kann der Sportpsychologe tun?

Janosch Daul (zum Profil): Zunächst einmal braucht es aus meiner Sicht hier eine Differenzierung zwischen Situationen bzw. Stressoren, die auf dem Feld Stress auslösen und solchen, die außerhalb des Platzes Stressempfinden hervorrufen. 

In Bezug auf Stressoren auf dem Feld kann der Sportpsychologe den Spieler dabei unterstützen, adäquat mit diesen umzugehen, sodass der Spieler schnellstmöglich wieder leistungsfähig ist, indem er einen Aufgaben- und Handlungsfokus wiederherstellt. Helfen können z.B. Ärger- oder Stressroutinen, beispielsweise bestehend aus einem körperlichen Trigger und einem passenden Selbstgespräch.

Auch der Umgang mit Erwartungshaltungen und z.B. Ängsten vor Fehlern ist höchst individuell zu betrachten. Oftmals kann es helfen, sich wieder dessen bewusst zu werden – gern mit Unterstützung des Sportpsychologen – was man am Kicken eigentlich ursprünglich liebt – z.B. das Schießen von Toren, der gemeinsame Jubel, sich am Ball auszuprobieren, Skills zu erlernen etc. Dies hilft dabei, nicht die Leistung, sondern das Fußballspielen an sich in den Mittelpunkt des Denkens zu rücken. Dies kann Druck reduzieren, indem eine andere Perspektive eingenommen wird. 

In Bezug auf den Umgang mit Fehlern ist es sinnvoll, sich dessen bewusst zu werden, dass Fußball ein Fehlerspiel ist und Fehler somit ein normaler und zu akzeptierender Teil des Spiels sind. Selbst absoluten Weltstars passieren immer wieder gravierende Fehler! Die Entwicklung einer Grundhaltung von „Es ist okay, wenn ich mal einen Fehler mache!“ wäre also hilfreich. Zudem bietet es sich an, Fehler als Lern- und Wachstumsmöglichkeit zu begreifen. 

Bezüglich des Themas Angst vor Fehlern sind aber auch insbesondere die Trainer gefragt! Schaffen sie es, eine Kultur zu entwickeln, die den Spielern das Gefühl gibt, dass Fehlermachen in Ordnung ist und dass nicht auf jeden Fehler prompt eine negative Rückmeldung folgt oder ein solcher beispielsweise eine Auswechslung nach sich zieht, werden sich die Spieler mehr (zu)trauen und letztlich weniger Angst vor Fehlern bzw. deren Konsequenzen haben. 

Lennert Klause: Auch andere Faktoren werden als stressig empfunden, zum Beispiel Streit mit Mannschaftskameraden, Trainer, Familie oder Freund/in sowie Corona-Tests. Welche Mittel zur Bewältigung gibt es hier? Wo muss man ansetzen?

Janosch Daul (zum Profil): Auch hier gibt es keine Pauschalantwort. Gerade bei Konflikten oder in Streitsituationen ist es oftmals hilfreich, die Situation erstmal so stehen zu lassen, sich und seine Gefühle sowie Gedanken zu sortieren, um zu einem späteren Zeitpunkt nochmal auf den Gegenüber zuzugehen. Also ein höchst aktiver Weg, um mit seinem Stress umzugehen. Zielstellungen eines Gesprächs könnten dahingehend bestehen, die Situation zu klären und das Streitthema aus der Welt zu räumen, um wieder gemeinsam die Beziehung gestalten zu können – was de facto Stress reduziert, vor allem wenn die Person, mit der man gestritten hat, eine hohe Bedeutung für den Menschen hat. 

In Bezug auf die Auflösung eines Streits oder Konflikts hilft das Konzept der gewaltfreien Konzeption als Orientierung, bei dem es darum geht, in Form von Ich-Botschaften die Wahrnehmung der Situation, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu formulieren, um anschließend einen Wunsch zu äußern. 

Lennert Klause: Die Mehrheit der Spieler hat angegeben, auf Stresseinfluss laut und gereizt zu reagieren, ein paar haben angegeben, auf leise und eher kleinlaute Art zu reagieren. Hängt das von der jeweiligen Persönlichkeit ab? Womit hängt das zusammen? Was kann man tun?

Janosch Daul (zum Profil): Definitiv besteht ein Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsstruktur und der jeweiligen Reaktion auf Stress. Jeder nimmt die Welt durch „seine Brille“ wahr, also auch Situationen, die Stress auslösen (können). Auch der Umgang mit Stress bzw. die Reaktionen darauf sind höchst unterschiedlich und vor allem abhängig von Persönlichkeitsmerkmalen, die zwar ein Stück weit genetisch vorgegeben, aber auch veränder- und entwickelbar sind. Gerade extrovertierte, impulsive Persönlichkeiten neigen dazu, infolge des Stresserlebens lautstark zu artikulieren, wohingegen introvertierte und eher ruhige Persönlichkeiten tendenziell Stress eher „in sich hineinfressen“.

Neben Persönlichkeitsmerkmalen spielen auch gelernte Verhaltens- und Reaktionsmuster eine entscheidende Rolle dabei, wie man mit Stress umgeht. Menschen neigen dazu, oftmals auf ähnliche Art und Weise auf Stress zu reagieren. Je öfter man auf eine bestimmte Art und Weise auf Stress reagiert, umso mehr wird das Gehirn darauf „konditioniert“, beim nächsten Mal genau auf eine gleiche oder zumindest ähnliche Art und Weise mit diesem Stress umzugehen, im Sinne einer Bewältigung des Stresses. 

Im zweiten Teil des Interviews befragt Lennert Klause den HFC-Sportpsychologen Janosch Daul zu Themen wie unmittelbare Spielvorbereitung, Werkzeuge zur Stressbewältigung und Wettkampfroutinen. Der Beitrag wird am 25. Januar 2022 auf Die Sportpsychologen veröffentlicht. 

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Janosch Daul
Janosch Daul

Sportarten: Fußball, Handball, Basketball, Volleyball, Leichtathletik, Schwimmen, Tennis, Tischtennis, Badminton

Halle/Saale, Deutschland

+49 (0)176 45619041

E-Mail-Anfrage an j.daul@die-sportpsychologen.de