Wenn die Rede von effizienter Spitzensportförderung im Hinblick auf Olympischen Erfolg ist, kommt man an einer Sportnation nicht vorbei: Norwegen. Wer glaubt, dieser Erfolg stünde ausschliesslich mit dem weltweit bekannten Förderprogramm Olympiatoppen zusammen, der irrt. Ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg liegt in der Art und Weise, wie das skandinavische Sportsystem die Eltern in seine Sportförderung einbindet!
Zum Thema: Eltern als Schlüssel für den sportlichen Erfolg der Kinder
Norwegen gilt für viele andere Sportnationen als herausragendes Beispiel für effizienten und nachhaltigen Erfolg im Spitzensport. So gewann das „Team Norge“ in Pyeongchang 2018 mehr Medaillen in der Geschichte der Olympischen Winterspiele als je eine andere Nation zuvor. Wie dieser historische sportliche Grosserfolg einer Nation mit gerade mal 5.3 Mio Einwohner*innen zustande kommt, war auch Untersuchungsgegenstand der Studie SPLISS (Sports Policy Factors Leading to International Sporting Success) des Bundesamtes für Sport (BASPO), welche kürzlich anlässlich einer Medienkonferenz von Sportministerin Viola Amherd im Bundeshaus der Öffentlichkeit vorgestellt wurde:
Mitsprache und Mitwirkung der Jugendlichen
Zur norwegischen Nachwuchsförderung und der Einbindung der Eltern stellt der umfangreiche Bericht interessante Erkenntnisse zur Verfügung (Kempf et al. 2021, S.30)
(…) Eine mögliche Erklärung liegt in Norwegens Sportpolitik, die auf Mitsprache und Mitwirkung der Jugend ausgerichtet ist. So sollen Jugendliche die Möglichkeiten haben, sich an der Planung und Umsetzung ihrer eigenen Sportaktivitäten zu beteiligen und selbst entscheiden können, wie viel sie trainieren wollen. Mit den von den Verbänden angenommenen Kinderrechten im Sport wird gleichzeitig eine Altersgrenze für die Teilnahme an Wettkämpfen gesetzt: Die Jugendlichen dürfen an keinen nationalen Wettkämpfen unter 13 Jahren teilnehmen und an keinen regionalen vor dem 11. Lebensjahr. Bei einem Regelverstoss riskieren Verbände und Vereine, den Zugang zu öffentlichen Fördergeldern zu verlieren (Farrey, 28. April 2019). Weiter sind die harmonisierten Schul- und Arbeitszeiten zu erwähnen: Die Schulen enden bereits um 16 Uhr. Parallel dazu arbeiten die Norweger/innen deutlich weniger als die Schweizer/innen. Während die Schweizer Vollzeitbeschäftigten 2018 im Schnitt 42,5 Stunden leisteten, liegt der Schnitt in Norwegen bei 37,7 Stunden und ist somit eine der tiefsten in Europa (Wiget, 23. Mai 2019). Diese vergleichsweise kurzen Arbeits- und Schulzeiten schaffen für Kinder sowie deren Eltern den entsprechenden Freiraum zur Ausübung von sportlichen Aktivitäten. Zudem findet eine Einbindung der Eltern durch die Vereine statt: Wenn die Eltern ihre Kinder zum Vereinssport bringen, wird erwartet, dass sie ehrenamtliche Tätigkeiten übernehmen.
Eltern als Schlüsselakteure systematisch einbeziehen
Das Autor*innen-Team um Studienleiter Hippolyt Kempf, Olympiasieger in der Nordischen Kombination 1988 in Calgary, kommen zum Schluss ihres über 100-seitigen Berichts auf sechs zentrale Ansatzpunkte einer zukünftig weiter verbesserten Sportförderung zu sprechen. Ein besonderes Anliegen wird in der Sicherung der Vielfalt und Qualität der Sportangebot im Kinder- und Jugendsport festgehalten. Im Vordergrund steht dabei die Forderung eines optimalen Übergangs von der Polysportivität im Kinder- und Jugendsportbereich zur Spezialisierung im Anschlussbereich des Leistungssports. Zur Rolle der Eltern im helvetischen Sportkontext zeichnet die Studie ein eher ernüchterndes Bild (S.88) „Die Eltern sind oft nicht ausreichend orientiert, wenn es um spezifische Fragen im Leistungssport geht: Bei Karriereplanung, Schul- und Ausbildungsmöglichkeiten für Sportler/innen, Finanzierungs-, Rechts- und Versicherungsfragen und vielem mehr bleiben Fragen offen. Folglich bräuchte es einen systematischen Einbezug der Eltern bei Meilensteinen auf dem FTEM-Athletenweg.“
Elterncoaching – was nun?
Mit welchen konkreten Massnahmen und Mitteln ein systematischer Einbezug der Sporteltern im Umfeld des Schweizer Nachwuchsleistungssport zu erreichen wäre, lässt der Bericht offen. In Anlehnung an das skizzierte skandinavische Modell wären folgende Ansatzpunkte zu diskutieren, welche auch das Wirkungsfeld der Eltern tangieren:
- aktive Mitgestaltung in Planung und Umsetzung der Sportaktivitäten und der Trainingsinhalte durch die Jugendlichen selbst;
- Einführung von Altersgrenzen für die Teilnahme nationalen und internationalen Wettkämpfen;
- konsequentes Festhalten an den Kinderrechten im Sport;
- polysportive Ausrichtung der Jugendförderung anstelle einer einseitigen Frühspezialisierung;
- Entwicklung verstärkt kinder- und familienfreundlicher Arbeitsmodelle für Eltern (z.B. vermehrte Homeoffice-Möglichkeiten, um zeitintensive Arbeitswege zu einzusparen und damit zeitliche Ressourcen für eine vermehrte Einbindung der Eltern im Jugendsport zu gewährleisten);
- Einbindung der Eltern und Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten im Vereinssport
Im Mittelpunkt steht der junge Mensch und seine Entwicklung
Die inhaltliche Synthese der oben skizzierten Ansatzpunkte zeigt überdeutlich: den in Richtung Leistungssport strebenden jungen Sportler*innen muss ein adäquater Spielraum angeboten werden, der neben einer passenden sportlichen Entwicklung insbesondere auch die Chance einer selbstbestimmten und von den involvierten Eltern gestützten Persönlichkeitsentwicklung zulässt.
Von diesem Ansatz handelt auch unser kürzlich in der Zeitschrift SEMS-journal (Sport & Exercise Medicine Switzerland) erschienene Beitrag „Wie Eltern in der Schweiz ihre Kinder erfolgreich auf dem Karriereweg nach Olympia begleiten“ (Gubelmann, Baldasarre & Müller, 2021). Dieser dokumentiert und analysiert – erstmalig in dieser Form – jene Wege von bekannten Sporteltern, welche in der Begleitung ihrer Kinder beschritten wurden.
Von erfolgreichen SportlerInnen-Eltern lernen
Dr. Hanspeter Gubelmann, Cristina Baldasarre und Philippe Müller haben an einer hoch interessanten Studie gearbeitet. Dazu haben sie sehr erfolgreiche SportlerInnen-Eltern interviewt, deren Ausführungen nicht nur für Väter und Mütter von AthletInnen von Bedeutung sein dürften, sondern auch für TrainerInnen, FunktionärInnen und JournalistInnen. Hier geht es zur Veröffentlichung in der Zeitschrift SEMS-journal (Sport & Exercise Medicine Switzerland):
Quellen:
Gubelmann, H., Baldasarre, C. & Müller, P. (2021). Wie Eltern in der Schweiz ihre Kinder erfolgreich auf dem Karriereweg nach Olympia begleiten. SEMS-journal, 69 (2), S.41-45.
Kempf, H., Weber, A. Ch., Zurmühle, C., Bosshard, B., Mrkonjic, M., Weber, A., Pillet, F., & Sutter, S. (2021). Leistungssport Schweiz – Momentaufnahme SPLISS-CH 2019. Magglingen: Bundesamt für Sport BASPO.
Link zur BASPO-Medienmitteilung:
https://www.baspo.admin.ch/de/home.detail.news.html/baspo-internet/2021/leistungssport-schweiz-momentaufnahme-spliss-ch-2019.html
Medienkonferenz siehe youtube!
https://www.youtube.com/watch?v=XNbI9Gxn_4Q&t=2s
Link zu SEMS-Artikel:
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