Ein bekannter Freund und Vereinsmanager hat in dieser herausfordernden Zeit mit seinen Jugendmannschaften und Profis jeweils ein Wochenende verbracht und nur wenige Wochen später gemeinsam mit dem gesamten Trainerteam des Vereins ein Spiele- und Entspannungswochenende organisiert. Und nicht nur das! Jeder Trainer und Spieler bekam einen persönlichen Brief der Dankbarkeit und Wertschätzung zugesandt. Was war passiert? Er führte seinen Verein, in dem im Laufe der Zeit immer mehr Spieler ihre Leistungsfähigkeit nicht abrufen konnten und Trainer ihre Unzufriedenheit öffentlich bekundeten. Der mediale Druck stieg und die Spieler und Trainer verließen den Verein schneller als sie kamen. Er ahnte, dass etwas nicht stimmt und führte eine anonyme Befragung zur Spieler- und Trainerzufriedenheit durch. Das Ergebnis war besorgniserregend: Seine Trainer und Spieler waren unzufrieden und wünschten sich einen Wechsel in der Führungsebene. Wie wären Sie damit umgegangen?
Zum Thema: Trainer und Spieler durch Vertrauen und Dankbarkeit zu Höchstleistungen anspornen
Thorsten Mustermann (namentlich verändert) ist genau das passiert. Er erklärte sich zu Veränderungen im Verein bereit und lud seine Trainer und Spieler zur gemeinsamen Auswertung der Umfrageergebnisse ein. Sie hatten nicht nur interne Probleme moniert, wie fehlende Kommunikation auf allen Ebenen oder Absprachen, sondern einen grundsätzlichen Mangel an Wertschätzung und Dankbarkeit deutlich gemacht. Fremdgesteuertes und neidvolles agieren, getrimmt auf Leistung und hierarchische Entscheidungsprozesse gaben den Spielern und Trainern das Gefühl, dass man ihnen schlichtweg wenig vertraute. Er erkannte, dass gute Vereinsführung weniger mit Kontrolle und stumpfen Anweisungen, sondern mit Vertrauen, Dankbarkeit und Verbundenheit zu tun hat. Die Vereinsangehörigen waren sich ihrer Verantwortung und Pflichten sehr wohl bewusst. Dafür mussten sie sich jedoch wertgeschätzt fühlen und mit dem Verein identifizieren. Somit musste der Fokus weg vom stetigen Erfolgsdruck hin zu den wirklichen Bedürfnissen seiner Spieler und Trainer gelenkt werden. Die Grundlage für diese erste fundamentale Änderung in seinem Führungsstil war die berühmte Bedürfnispyramide von Maslow, die die menschlichen Handlungsgründe hierarchisch darstellt: Die Basis der Pyramide bilden physiologische Bedürfnisse wie Ernährung und Schlaf. Nach den Sicherheitsbedürfnissen wie einem schützenden Dach über dem Kopf, kommen soziale Bedürfnisse wie Anschluss und Gruppenzugehörigkeit. Als Führungsperson musste sich Thorsten Mustermann aber vor allem auf die vierte und fünfte Stufe konzentrieren: Individualbedürfnisse und Selbstverwirklichung. Er musste seinen Leistungsoptimierern Anerkennung und Vertrauen schenken, damit sie sich selbst aus Überzeugung im Verein einbrachten. Aber wie soll das funktionieren? Bedürfnispyramide nach Maslow – einfach erklärt:
Selbstführung
Nur wenige Vereinsmanager sehen ein, dass sie letztendlich nur eine einzige Person führen können und auch müssen. Diese Person sind sie selbst. In der Forschung hat sich gezeigt, dass es sich bei diesen Selbstführungsstrategien um erlernbare kognitive Fähigkeiten und Kompetenzen handelt (Furtner & Baldegger, 2016). Die Selbstführungsstrategien werden unterteilt in ausführende, intrinsisch motivierende und denkbezogene Strategien. Dazu gehören Selbstbeobachtung, Selbstzielsetzung, Selbstbelohnung und Selbstbestrafung sowie Selbsterinnerung (Furtner & Baldegger, 2016; Neck & Houghton, 2006). Eine wirksame Selbstführung ist somit die Basis für den persönlichen und beruflichen Erfolg sowie die persönliche Leistungsfähigkeit.
Tagtäglich machen wir uns ca. 60.000 Gedanken, nicht alle davon sind hilfreich. In der Übung positiver Self-Talk geht es darum, sich der eigenen positiven Gedanken bewusst zu werden und diese weiter zu fördern. Nehmen Sie sich in den kommenden Tagen einen Moment Zeit und beobachten Sie sich selbst! Bestimmt kommen Sie in Situationen, in denen Sie besonders gefordert sind.
Folgende Übung kann ich sehr empfehlen – In drei Schritten zum positiven Selbstgespräch: https://www.zhaw.ch/storage/psychologie/upload/forschung/organisation-fuehrung/PI_Positiver_Self-Talk_03-2021.pdf
Klare Ziele
Mit Sicherheit haben Sie auch schon von Vereinsmanagern Aufgaben erledigen müssen, die Ihnen entweder fragwürdig oder geradewegs unsinnig erschienen. Thorsten Mustermann musste sich eingestehen, bis zu jenen Umfrageergebnissen ein völlig verzerrtes Selbstbild gehabt zu haben. Das klägliche Zeugnis seiner Vereinsangehörigen machte ihm klar, dass er sich selbst maßlos überschätzt und einzig auf Leistung und Erfolg konzentriert hatte und dringend etwas an seiner Selbstwahrnehmung ändern musste. Er kam zu der Erkenntnis, dass er seinen Verein nur authentisch und menschlich führen konnte, wenn er sich seiner eigenen Normen und Werte bewusst war. Er merkte, dass er selbst keine klare Zielsetzung hatte. Wie aber konnte er von seinen Spielern und Trainern erwarten, dass sie Aufgaben erfüllten, für die es kein klares Ziel gab? Wie sollte sein Verein Prioritäten vorgeben, wenn niemand wusste wohin die Reise gehen sollte?
Jeder Verein braucht klare Werte und Prinzipien, aus denen eine gemeinsame Vision, ein gemeinsames Ziel abgeleitet werden kann. Thorsten Mustermann spürte, dass Struktur zwar in dieser sich ständig verändernden Fußballwelt schwierig ist, im entscheidenden Moment aber Halt und Sicherheit geben kann. Er kam zu dem Schluss, dass sein Verein klare Tagesordnungen und eindeutige Aufgabenverteilungen brauchte. Er würde seine Leistungsoptimierer nur mit klaren und gelebten Zielvorgaben motivieren können.
Innerer Antrieb
Bis zu welchem Punkt brauchen Sie in ihrem Verein Prozessvorgaben und Regelwerke, so dass die Mitarbeiter einen guten Job zu machen? Und welche Rolle spielt echte, innere Begeisterung für die Qualität auf und neben dem Platz? Thorsten Mustermann fand im Zuge seiner Sinnsuche heraus, dass ein System nur der erste Schritt auf dem Weg zum Erfolg ist – es braucht außerdem Charakter und Menschlichkeit.
Näheres dazu finden Sie hier:
- https://www.die-sportpsychologen.de/2020/07/dr-rene-paasch-der-fussball-im-wandel-die-grosse-chance-fuer-die-sportpsychologie/
- https://www.die-sportpsychologen.de/2019/02/dr-rene-paasch-ein-menschlicherer-fussball-wer-ist-dabei/
Erst die Ergebnisse der Vereinsangehörigen machten klar, dass alle Theorien und Vorgaben nur ein Gerüst geben können, aber keinen Inhalt. In kritischen Momenten braucht es den Spirit eines gefestigten Teams. Ein Verein braucht mehr als Regeln und pünktlich überwiesene Gehälter, um Qualität zu liefern. Erst wenn sich die Menschen mit dem Verein und seiner Vision identifizieren, können sie einen Sinn in ihrem Sport sehen und Ungewöhnliches leisten. Thorsten Mustermann lernte seine Trainer näher kennen, um seine Erfahrungen mit ihnen zu teilen und den Teamgeist zu stärken. Der intensive Austausch gab ihnen die Möglichkeit, sich offen über ihre individuellen Stärken und Schwächen auszutauschen und einander besser zu verstehen. Das stärkte das Gemeinschaftsgefühl und beflügelte für Neues.
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Zukunftsbild
Erfahrungswerte weisen darauf hin, dass wir umso zufriedener sind, je mehr wir statt den allgegenwärtigen Vereinszwängen das große Ganze im Blick haben. Eine gemeinsam entwickelte Vereinsvision ist genau das: der Blick auf das große Ganze, das man mit vereinten Kräften erreichen will. Persönliche Geschichten können helfen, diese Leitkultur realistisch und greifbar zu machen. Beispielsweise erzählte ein Trainerkollege von Thorsten Mustermann davon, wie er als Kind mit Freunden auf einem Bolzplatz bei Regen in Pfützen spielte. Mit vollstem Vergnügen sind er und seine Freunde in die Pfützen hineingesprungen oder haben absichtlich den Ball dort hinein geschossen, um die Flugbahn und Geschwindigkeit zu verändern. Die Geschichte wurde zum Trigger dafür, dass das Trainerteam aller Mannschaften regelmäßig bei Regen auf den Bolzplatz ging, um sich dort auszuleben.
Je stärker sich die Trainer ihres Vereins näherten und sich ihrer Verantwortung bewusst wurden, desto mehr setzen sie sich für das Erreichen der gemeinsamen Vision ein. Es verstrich einige Zeit und Thorsten Mustermann brachte die Trainer und die Spielführer einzelner Mannschaften an den runden Tisch, um die wichtigsten Werte für den vereinsinternen Umgang zu sammeln. Dann wurden sie in Gruppen aufgeteilt, in denen sie die Werte ihrer Bedeutung nach gliedern und die Wichtigsten herausfiltern sollten. Die anschließende Frage, ob diese Werte ihrer Meinung nach inzwischen im Verein gelebt wurden, brachte ein erstaunliches Ergebnis: Sie fühlten sich gesehen, wertgeschätzt und hochmotiviert. Daraufhin beschloss Thorsten Mustermann gemeinsam mit allen einen Bolzplatz in einem bekannten Stadtteil-Brennpunkt zu bauen. Die Wirkung übertraf alle Erwartungen: Die Trainer und Spieler wussten, dass sie gemeinsam etwas Bedeutsames taten, sahen sofort die Ergebnisse ihrer Arbeit und hatten das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein. So konnten sie die Werte, die sie zuvor gemeinsam im Workshop als wichtig herausgearbeitet hatten, selbst gestalten und erleben!
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- https://www.die-sportpsychologen.de/2019/06/dr-rene-paasch-anliegen-statt-ziele-was-trainer-funktionaere-und-spieler-ueber-den-trend-wissen-sollten/
Nachwuchsabteilung
Nachdem es Thorsten Mustermann gelungen war, den Missmut seiner Trainer und Spieler mithilfe der neuen Methoden in Motivation und Teilhabe zu verwandeln, widmete er sich dem Nachwuchskickern seines Vereins: Sie sollten lernen, sich im Team auch den schweren, unangenehmen Aufgaben zu stellen und Verantwortung für sich und ihr Team zu übernehmen. Also stellte er ihnen das Projekt „Survival- und Wildnistraining“ vor. Die jungen Kicker sollten über mehrere Monate hinweg darauf hinarbeiten, sich gemeinsam darauf vorzubereiten. Die intensive Vorbereitungsphase, in der die jungen Kicker regelmäßig an ihre Grenzen gehen und einander achtsam unterstützen mussten, brachte mehrere wertvolle Erkenntnisse:
- Unzureichende und nicht zielführende Kommunikation können aus kleineren Problemen größere Konflikte hervorbringen. Thorsten Mustermann stellte fest, dass er seinen Nachwuchs immer wieder dazu animieren musste, offen anzusprechen, was ihrem Empfinden nach gut oder schlecht lief.
- Wir übernehmen oft die Unsicherheiten und Zweifel unserer Vorbilder. Was sie uns nicht zutrauen, trauen auch wir uns nicht zu. Eine besondere Situation wie das „Survival- und Wildnistraining“ half den jungen Kickern, ihre Ängste zu überwinden und proaktiver und selbständiger zu handeln.
- Wer Wachstum und Erfolg haben will, muss gewisse Entbehrungen in Kauf nehmen. Jeder musste hier und dort individuelle Bedürfnisse zurückstellen, um gemeinsam ans Ziel zu gelangen. Ziel des Projekts war die Nachwuchskicker durch eine besondere Situation dabei zu helfen, ihr volles Potenzial zu entfalten. Jeder im Team brachte seine ganz eigenen Stärken und Schwächen mit, konnte aber im Rahmen der Vorbereitung und gemachter Erfahrungen selbst vermeintlich unüberwindbare Hindernisse meistern. Genau diese Mischung aus Vertrauen und Willensstärke half ihnen, auch im Fußball nicht vor schweren Aufgaben zurück zu schrecken.
Diese außergewöhnliche Erfahrung zeigte auch den Jüngsten im Verein, dass man ihnen Vertrauen schenkte und ihre Fähigkeiten wertschätzte. Das förderte die offene Kommunikation im Team und steigerte die innere Kraft.
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- https://www.die-sportpsychologen.de/2019/02/dr-rene-paasch-wir-muessen-die-nlz-kicker-aus-den-zwangsjacken-befreien/
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Fazit
Im Rahmen einer Trainer- und Spielerbefragung erfuhr Thorsten Mustermann wie ungeliebt er und sein Führungsstil in seinem Verein waren. Er beschloss daraufhin, seinen Führungsstil radikal vom Kontrollzwang und fehlender Kommunikation auf Empathie und Vertrauen umzustellen. Er begriff, dass er sich erst seiner eigenen Selbstführung, Ziele und Werte klar werden musste, um gemeinsam mit seinem Verein ein Zukunftsbild zu entwickeln. Je mehr Vertrauen und Freiheit er seinen Trainern und Spielern schenkte, desto stärker konnten sie sich mit dem Team und Verein identifizieren und sich mit echter Motivation einbringen. Hinterfragen Sie Ihre bestehenden hierarchischen Strukturen und setzen Sie stattdessen auf Selbstverantwortung und soziale Kompetenz.
Literatur
Furtner, M., Baldegger, U. (2016): Self-Leadership und Führung. Theorien, Modelle und praktische Umsetzung. Springer Gabler. ISBN 978-3-658-13044-22. Auflage
Neck, C.P.; Houghton, J. D. (2006): Two decades of self-leadership theory and research: Past developments, present trends, and future possibilities. Studie lesen: https://www.researchgate.net/publication/235269268_Two_decades_of_selfleadership_theory_and_research_Past_developments_present_trends_and_future_possibilities
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