Die Weltranglisten Zweite im Frauentennis, Naomi Osaka, ist öffentlichkeitswirksam nach ihrem Erstrundensieg bei den French Open ausgestiegen. Der Entscheid hat hohe Wellen geschlagen, weil es scheinbar dermassen unerwartet gekommen ist. Ihrem Rückzug ging ein Eclat vorweg, als sich Osaka weigerte, die Pressekonferenz nach ihrem Spiel zu geben. Sie fühle sich überfordert und der Mediendruck mache ihr viel Stress, so Osaka. Sie habe schon seit längerem mit Depressionen zu kämpfen. In der Öffentlichkeit, insbesondere in der Sportöffentlichkeit, fehlt offensichtlich immer noch Wissen, um mit dieser Krankheit umzugehen.
Zum Thema: Depressionen im Sport
Es erstaunt mich immer wieder, dass die Welt auf solche Statements mit fassungsloser Verwunderung reagiert – es scheint offenbar noch immer der Glaube zu kursieren, Spitzensportler seien «Supermänner und Superfrauen»…..unverwundbar und stets heldenhaft stark. Dass das so nicht stimmt, ist wohl selbstredend.
SportlerInnen wie Osaka sind ein (leider) gutes Beispiel dafür, dass schneller Erfolg oft auch einhergeht mit einem Defizit an mentalen Coping-Strategien im Umgang mit neuen Situationen, die überfordernd und verunsichernd sein können. Wir hören immer wieder solche Geschichten im Sport, die von Athleten berichten, welche mit depressiven Gefühlen und ähnlichen Symptomen zu kämpfen haben. Die Ursachen dafür sind multifaktoriell und nicht nur sportbezogen, sie können auch in der Persönlichkeit (z.B. Perfektionismus) angelegt sein. Da negatives Stresserleben psychisch von Bedeutung ist, zwingt uns dieser Fakt in die Diskussion hinein, welche Zusammenhänge diesbezüglich zu finden sind und welche Gegenmassnahmen einen bedeutungsvollen Unterschied machen könnten?
Die Rolle der Medien
Die Aussagen von Osaka würden auch den Schluss zulassen, dass sie aufgrund der als stressreich erlebten Mediensituation nun an Depressionen leide. So einfach ist das Erklärungsmodell dann aber doch nicht. Ich gehe vielmehr davon aus, dass vorab schon mehrere hohe Belastungen sich sukzessive verschlechtert haben und diese Pressekonferenz das berühmte Fass zum Überlaufen brachte. So gesehen besitzen Medien – trotz allem – viel Macht. Ob bei bereits bestehenden Drucksituationen und Stressempfinden von Athleten diese Zustände in Interviews noch verstärkt werden, oder aber ein Athlet wohlwollendend und differenziert nachfragenden Medienschaffenden gegenübertritt, hängt dennoch von der Frageart des Interviewpartners ab. Aber auch davon, wie gekonnt jemand gelernt hat, sich im Medienumfeld zu bewegen.
Hören Sie dazu hier mein Interview mit SRF4 vom 2. Juni 2021:
Chronischer Stress im Sport
So oder so sollte das Erlernen von Copingstrategien als protektive Massnahme und Resilienzfaktoren auf dem Weg zum Erfolg ein fester Bestandteil der Athletenausbildung sein. Seien es Misserfolge, ein belastender Umgang mit z.B. den Medien oder die Suche nach Perfektion – all diese Punkte können zu chronischem Stress führen. Das ist nach Frank, Nixdorf & Beckmann (2013) einer der drei relevanten Faktoren zur Ursachenerklärung. Wobei der Zusammenhang zwischen Stress und psychischen Störungen, insbesondere Depressionen, wissenschaftlich anerkannt ist.
Bei den weiteren beiden Faktoren handelt es sich um die bereits erwähnten Copingstrategien, sowie einer guten Balance zwischen Erholung und Belastung. Dabei scheint auch die sportspezifische körperliche Belastung eine wesentliche Rolle zu spielen, so Frank et al.. Denn hohe physische Belastung geht erwiesenermassen mit erhöhter negativer Stimmung einher. Erste Symptome sind Übermüdungssymptome und Antriebslosigkeit unklarer Herkunft, die, wenn unbeachtet und unbehandelt, dann zu einem Übertraining werden können. Als chronifizierter Zustand äussert sich dieser in einem Leistungseinbruch. Aber auch durch Symptome wie ständige Müdigkeit, Schlafstörungen, Gewichtsverlust, Gedankenkreisen, Angstzuständen oder eben depressiven Verstimmungen.
Anforderungen im Tennis
Speziell im Tennis macht es Sinn, einen genaueren Blick auf die Strukturen und Anforderungen dieses Sportes zu werfen und diese auf die drei bereits genannten Risikofaktoren hin zu diskutieren. Ab Beispiel von Osaka lässt sich aufzeigen, wie schnell das Gleichgewicht kippen kann:
- Chronischer Stress ist im internationalen Tennisgeschehen schon in jungen Jahren ein ständiger Begleiter: die vielen Turniere im In- und Ausland sowie die hohe Trainingsbelastung, oftmals noch mit schulischen Belastungen verbunden, lassen kaum Freizeit für soziale Kontakte zu. Die körperliche Belastung ist oft über längere Zeit sehr grenzwertig.
- Copingstrategien sind zum Teil erlernbar, je nach Persönlichkeitsstruktur geht das einfacher oder eben harziger, also schwerer. Da schützende und stärkende Strategien von Nöten sind, um Resilienz aufzubauen, spielt auch das unmittelbare soziale Umfeld eine zentrale Rolle: In welchem Umfeld wächst eine Athletin auf? Welche Strategien hat sie vom Elternhaus übernommen, im Umgang mit stressreichen Situationen? Und dann, wie agieren ihre Vorbilder bei eigenem Stress? Was wird gelebt, was erwartet? Hier wird für den späteren Umgang mit unerwarteten, anspruchsvollen und persönlich relevanten Situationen ein bedeutender Grundstein gelegt. Aus dem Beispiel von Osaka liesse sich herleiten, dass die ihr zur Verfügung stehenden Strategien zur Bewältigung von beispielsweise Medienfragen an Interviews und Pressekonferenzen scheinbar (noch) nicht ausreichen, um dem Druck gewachsen zu sein. Das erstaunt nicht, angesichts ihrer schnellen Erfolge in jungen Jahren. Ein «Nachreifen» in diesen Themen müsste der Weg sein, hin zu mehr Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit. Je gestärkter die Person in sich ruht und ihren «Platz» einzunehmen weiss, desto sicherer fühlt sie sich und wird dadurch resilienter.
- Erholung und Belastung steht in hoher Wechselwirkung mit chronischem Stress. So kann eben auch an beiden Enden angesetzt werden, am besten an beiden gleichzeitig: Dem sinnvolleren Monitoring des chronischen Stresses und in einem verbesserten Erholungs- und Belastungsmanagement.
Auch in Deutschland fand man nach Frank et al. einen Zusammenhang zwischen der Balance von Erholung und Belastung und depressiver Symptomatik. Es zeigte sich deutlich, dass Athleten mit starker Belastung bei geringer Erholung stärker von depressiven Symptomen betroffen sind, als erholte Kollegen.
Fazit
Im Falle unserer Tennisspielerin würde das nun bedeuten, dass sie sich erstmal eine längere Pause gönnen sollte, mit therapeutischer und sportpsychologischer Begleitung. Danach bräuchte es als Neuauftakt einen akkuraten Saisonplan, mit ausgewählten Belastungsspitzen und bewussten Pausenregelungen, auf der Grundlage sportwissenschaftlicher Erkenntnisse – und diese funktionierende Strukturen sollten langfristig implementiert werden. Aber auch im kurzfristigen Energiemanagement müssten nachweislich konkrete Strategien erlernt und konsequent geübt werden.
Quellen:
Frank, R., Nixdorf, I., Beckmann, J. Depressionen im Hochleistungssport: Prävalenzen und psychologische Einflüsse. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 64 (2013), 320 – 326.
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