In der Schlussphase einer Saison werden manche Vereine durchaus kreativ und spendabel, was die Finanzierung von sportpsychologischen Feuerwehreinsätzen angeht. So erleben wir es auch bei Die Sportpsychologen. Mittlerweile wissen zwar zunehmend mehr Entscheider im professionellen Fußball, dass der Zauber nicht aus dem Hut kommt sondern aus harter Arbeit resultiert. Wenn aber keine belastbaren und funktionierenden Strukturen geschaffen sind, kommen eben doch Zauberer, Feuerwehrleute oder Effekthascher auf den Plan. Wir zeigen auf, unter welchen Bedingungen solche Feuerwehreinsätze funktionieren können und welcher Weg am langen Ende aber der bessere ist.
Interview mit Markus Gretz, Ilias Moschos, Dr. René Paasch, Kathrin Seufert, Lisa König, Janosch Daul, Maria Senz und Anke Precht
Woran können Vereinsverantwortliche, Manager oder Trainer eigentlich unseriöse Angebote von Sportpsychologen oder Mentaltrainer, speziell in der Schlussphase einer Saison, erkennen?
Antwort von: Markus Gretz (zur Profilseite)
In der Werbepsychologie wird empfohlen, dem Kunden die Erfüllung von Wünschen zu versprechen, um sein Produkt besser zu verkaufen. Das nehmen sich viele Mentaltrainer sehr zu Herzen und versprechen einem fast das Blaue vom Himmel. Als seriöser sportpsychologischer Berater kann man vor allem bei kurzfristigen Interventionen aber keine Versprechen über die Wirkung machen. Mit einem mechanistischen Weltbild, das davon ausgeht, wenn ich A mache passiert B, kann man schließlich das komplexe System Mensch nicht erklären. Eine Intervention kann natürlich auch in kritischen Phasen kurzfristig wirken. Dafür müssen sich alle Beteiligten jedoch gut darauf einlassen aber wenn man die Personen als Berater nicht kennt und nicht schon länger zusammenarbeitet, ist es einfach ein Schuss ins Blaue.
Antwort von: Ilias Moschos (zur Profilseite)
Vereinsverantwortliche, Manager und Trainer sind erfahren im Umgang mit “Angeboten”. Letzten Endes führen Sie täglich Verhandlungen, sei es mit Spielern, Beratern, oder anderweitigen Dienstleistern. Sie merken in der Regel schnell, ob der Sportpsychologe oder Mentaltrainer seriös und kompetent ist. Ein Psychologe, der das Blaue vom Himmel verspricht wird vermutlich keinen Zuspruch finden. Unter normalen Umständen wird die Entscheidung jemanden zu beauftragen aufgrund von Empfehlungen getroffen. Ein Restrisiko kann allerdings niemand ausschließen, damit müssen alle Beteiligten leben. Auch ein kurzfristiges Engagement kann zum Erfolg führen. Langfristige Projekte sind ebenso der Gefahr ausgesetzt zu scheitern. Im Profisport erleben wir sehr oft, dass es personelle Wechsel gibt, die direkt oder indirekt Auswirkungen auf die Arbeit eines Mentaltrainers oder Sportpsychologen haben. Bringt der/die neue Verantwortliche nicht die erforderliche Haltung mit, ist die Kooperation im schlimmsten Fall beendet.
Antwort von: Dr. René Paasch (zur Profilseite)
Die Expertendatenbank auf dem Sportpsychologie-Portal des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) sowie die-sportpsychologen.de enthalten eine große Anzahl qualifizierter und erfahrender Experten*innen. Mit Hilfe dieser Plattformen können die oben genannten Personen leicht zugänglich den ersten Baustein für Seriosität überprüfen. Alle Kollegen*innen wurden nach klaren Kriterien aufgenommen oder weisen eine hohe Erfahrungsexpertise auf.
Antwort von: Kathrin Seufert (zur Profilseite)
Meiner Meinung nach, wäre es hilfreich, wenn die Aufklärungsarbeit über die Themen, die sportpsychologische Experten, Sportpsychologen und Mentaltrainer leisten können, deutlich intensiviert werden würde. Die Differenzierung der Ausbildungswege, die Berufsbezeichnung und Legitimierungen und Qualitätsstandards, die über die von René angesprochene Expertendatenbank gewährleistet wird, sind vielen gar nicht bekannt.
Darüber hinaus erachte ich es als sinnvoll, im Vorfeld der Zusammenarbeit Beispiele aufzuzeigen, was sportpsychologische Arbeit bedeutet. Das Klischee von therapeutischen Settings und Gesprächen hinter verschlossenen Türen sind noch sehr verbreitet. Daher würde ich individuelle Beispiele anbringen, an welchen ich die praktische Sportpsychologie an der Wirkungsstätte der Sportler aufzeige, weil in der späteren Zusammenarbeit auf Grund der Schweigepflicht es dann wieder schwer wird, die Verantwortlichen auf die Reise mitzunehmen. Für mich, gerade wenn es um einen Feuerwehreinsatz geht, wäre im Mannschaftssport eben auch der Einzelspieler und dessen individueller Umgang mit der Situation ein entscheidender Faktor. Die Mannschaft kennt sich seit Wochen, besser als jeder, der Neu nun in das Gebilde hinzukommen soll. Da alle Strukturen, Dynamiken in wenigen Tagen zu überblicken, erscheint mir nahezu unmöglich. Eher sehe ich es an jedem Einzelnen des gesamten Bereiches, für sich herauszufinden, was brauche ich jetzt, um das “Feuer zu löschen”. Am Ende sind es aber eben auch feste Strukturen, Dynamiken und viele verschiedene Individuen, die auch die Verantwortlichen sehen müssen, und erkennen sollten, dass hier ein Feuerwehreinsatz auch ohne Brandbekämpfung ausgehen kann und der präventive Ansatz ein deutlich erstrebenswerter sein sollte.
Von SportpsychologInnen heißt es immer, dass eine kurzfristige Intervention ein Glücksspiel darstellt – kann klappen, muss aber nicht. Warum haben langfristige Engagements denn eigentlich bessere Erfolgschancen?
Antwort von: Lisa König (zur Profilseite)
Bei langfristigen Engagements wird Wert darauf gelegt, eine fundierte Basis in allen sportpsychologisch interessanten Bereichen zu schaffen. Wenn Sportler und Trainer Stück für Stück ihr Wissen über Emotionen, Ziele, Motivation oder Aufmerksamkeit aufbauen können, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie es im entsprechenden Moment auch abrufen können. Bei Feuerwehreinsätzen sind die Zeit und oft auch die Nerven der Menschen begrenzt. Wenn man sich aber systematisch und über längere Zeit mit der Sportpsychologie befasst, kann man eine Basis schaffen und den negativen Konsequenzen von z.B. Drucksituationen vorbeugen. Man kann sozusagen die Flamme ersticken, solange sie noch klein ist, und muss nicht die Feuerwehr rufen, wenn es schon lichterloh brennt.
Antwort von: Janosch Daul (zur Profilseite)
Oftmals haftet uns beispielsweise noch immer das wenig schmeichelhafte Etikett des Feuerwehrmanns an, den man nur dann ruft, wenn es fünf vor zwölf ist, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Und das Ganze auch noch verbunden mit der kaum zu erfüllenden Erwartungshaltung, dies lieber heute als morgen zu bewerkstelligen. Selbst mit einem erfüllbaren Auftrag und konkreten Aufgabenbereichen benötigt ein Sportpsychologischer Coach immer eine gewisse Zeit, um die zur Erfüllung passenden Mittel und Wege zu finden, da jeder Mensch und jedes Team anders tickt. Und schon allein dies verdeutlicht, wie wichtig es ist, vollumfänglich für ein Team da zu sein und zwar nicht nur dann, wenn es nicht läuft, sondern auch dann, wenn es läuft. Dies gibt einem Sportpsychologen die Möglichkeit, von vornherein, sprich idealerweise bereits zu Saisonbeginn, am notwendigen Beziehungsaufbau zu den Protagonisten zu arbeiten und dabei ein Gefühl für Spieler und Trainer zu entwickeln, um auf dieser soliden Basis langfristig und nachhaltig seine Kompetenz ins große Ganze einbringen zu können.
Antwort von: Dr. René Paasch (zur Profilseite)
Der Mensch ist ein bio-psycho-soziales System. Demnach sind zwangsläufig auch psychische und soziale Faktoren Voraussetzungen jeder sportlichen Leistung und Gesunderhaltung. Sportpsychologisches Training und Coaching begleitet diese Faktoren sehr intensiv und nachhaltig. Sie dient somit der situations- und anforderungsgerechten Entwicklung, Stabilisierung und Optimierung individueller und kollektiver menschlicher Prozesse. Nur längerfristige Engagements ermöglichen nachhaltige Veränderungsprozesse, die einem intensiven Zeitstrahl unterliegen. Weder Erfolgsgarantie noch Kurzfristigkeit sind Gegenstand unserer Disziplin.
Antwort von: Maria Senz (zur Profilseite)
Feuerwehreinsätze hinterlassen meist verbrannte Erde. Prinzipiell eine gute Basis für einen Neuanfang. Wenn nun hierauf ein neues Fundament errichtet werden soll, prima! Ich bin dabei! Und egal, ob etwas neu entsteht oder das Gewohnte verändert wird, wenn du nachhaltig davon profitieren und spürbare Veränderung möchtest, braucht es seine Zeit – es ist ein Prozess mit einem definierten Anfang und Ende. Ein Begleitprozess, den ich als Coach mit der Frage beginne, passen wir überhaupt zusammen? Vertrauen, Transparenz und Wertschätzung tragen zu einer offenen Kommunikation bei. Wenn ja, ist die nächste Frage, an welchem Punkt hole ich den Sportler aktuell ab und wohin soll die Reise gehen? Was ist das Ziel und woran spürst du, dass sich die Reise lohnt? Das sind mächtige Fragen, die viel Potenzial bergen. Bereits Antworten darauf parat haben, ist alles andere als trivial.
Wenn wir dann die Reise gemeinsam angehen, ist es vergleichbar mit dem Erlernen/ Umlernen eines Bewegungsablaufs, mit dem Sportler zum ersten Mal in Berührung kommen: Erkenntnis, Verständnis, Akzeptanz, Übung, Wiederholung, Erfahrung, Nachvollziehbarkeit, Anpassen, Übung, Wiederholung, Engagement, Disziplin, Ehrenrunden, Übung, Wiederholung und so weiter, bis es letztlich ein passender und routinierter Ablauf wird.
Mentaltraining ist parallel zum regulären Training anzusetzen. Das Ziel ist in beiden Disziplinen gleich: eine Fähigkeit kontinuierlich, systematisch, technisch, strategisch und konditionell abrufbar machen. Und erst wenn es als Teamwork verstanden und gelebt wird, ist die Feuerwehr zumindest fürs Freudenfeuer zuständig.
Wenn sich ein Sportler oder eine Sportlerin mit einer kurzfristigen Anfrage meldet, wovon macht ihr eine Zu- oder Absage abhängig?
Antwort von: Anke Precht (zur Profilseite)
Gerade im Einzelcoaching können Feuerwehreinsätze sehr wirksam sein. Der Druck ist hoch, alles liegt auf dem Tisch was motiviert, aber auch blockiert. Oft kann schon eine einzige Intervention einen Schalter umlegen helfen. Ob das möglich ist, kläre ich schon am Telefon: Ist die Erwartungshaltung an die sportpsychologische Intervention hoch? Wenn ja, wirkt das zusätzlich wie ein Placebo, das ist gut. Außerdem ist für mich die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit ausschlaggebend. Wenn jemand drei Tage vor einem entscheidenden Wettkampf anruft, weil der Kopf blockiert oder das Lampenfieber zu hoch ist, kann er keinen Wunschtermin erwarten. Wenn ich abends um zehn Zeit habe, will ich, dass der Sportler oder die Sportlerin dann auch da ist. Ist diese Bereitschaft vorhanden, ist die Intervention in der Regel auch erfolgreich – in der Kürze der Zeit kann man experimentieren und es ist leichter, auch außergewöhnliche Lösungen zu finden – einfach, weil es sein muss.
Antwort von: Ilias Moschos (zur Profilseite)
Ausschlaggebend für eine Zusage ist, dass der Sportler, die Sportlerin die totale Bereitschaft mitbringt zu kooperieren. Darüber hinaus muss die Chemie stimmen so dass der Beziehungsaufbau nicht allzu viel wertvolle Zeit kostet. Das ist für beide Seiten ein Sprung ins kalte Wasser, allerdings kann man sofort mit dem Schwimmen anfangen und erzeugt dadurch die erforderliche Wärme, in dem Falle das Vertrauen. Ebenso ist die Zielsetzung, der Auftrag, von großer Bedeutung. Ist dessen Erreichung überhaupt möglich und wenn ja, welcher Zeitraum steht zur Verfügung? An welchem Punkt steht der Sportler? Wie viel fehlt wovon, um das Ziel zu erreichen?
Antwort von Kathrin Seufert (zur Profilseite)
Wünschenswert ist es doch, dass wir eine so weite Aufklärung in der Gesellschaft zur sportpsychologischen Arbeit schaffen, dass ein Verständnis darüber entsteht, dass Sportpsychologie eben auch eine Trainingseinheit darstellt. Die Muskulatur nach dem Krafttraining wächst ja auch nicht greifbar nach zwei Trainingseinheiten, aber innere Prozesse sind angestoßen. So brauchen viele psychologische Prozesse eben auch die Trainingszeit, denn häufig ist ein Verhalten eines Athleten nicht mehr sein/ihr das wünschenswerte. Das bedeutet, ein Umlernen muss eingeleitet werden. Jeder, der mal versucht hat, Automatismen aufzubrechen, eine Technik zu verändern oder einfach Abläufe zum Beispiel beim Kochen anders zu machen, weiß, dass etwas Umzulernen schwieriger ist, als das Neulernen.
Daher würde ich die Basis eines Feuerwehreinsatzes mit einem Einzelsportler daran festmachen, ob der/die SportlerIn trotz der Tatsache, dass es zu kurzfristig für eine deutliche Verhaltensänderung oder Umgang mit Situationen ist, bereit ist, den Weg 100% zu gehen. Denn dann werden auch die kleinen “Muskelkater” vielleicht schon eine positive Wirkung haben.
Professionell sportpsychologisch arbeiten? Wir machen das Konzept und haben das Personal:
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