Es ist Samstagnachmittag, das nächste Ligaspiel steht unmittelbar vor der Tür – das Wochenhighlight schlechthin für alle Fußballverrückten, insbesondere für die Protagonisten auf dem grünen Rasen. Ein Kribbeln ist ebenso zu spüren wie eine gewisse körperliche und geistige Spannung. Gleich ist es soweit! Nun gilt es für den Coach, das Team in eine Ablieferform zu bringen. „Make them perform!“, lautet dann der implizit an den Coach gerichtete Auftrag. Die Mannschaft soll insbesondere dann performen, wenn es drauf ankommt und es so richtig wichtig wird – im Spiel, also zu einem definierten und somit nicht frei wählbaren Zeitpunkt. Je höher die Spielklasse des eigenen Teams, je mehr das nackte Ergebnis die zentrale Stellgröße für die Bewertung der Trainerleistung darstellt, umso größer ist der Druck für den Coach, diesen Auftrag zu erfüllen. Die Hauptaufgabe des Coaches besteht dann darin, die Spieler und das Team in ihrer Potenzialentfaltung zu unterstützen, sodass das Erlernte auch tatsächlich abgerufen werden kann. Im Trainingsprozess hingegen hat der Trainer dafür Sorge zu tragen, die Leistung zu entwickeln und somit die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass die Mannschaft im Spiel performt. Leistungsentwicklung ist dabei durch eine gezielte Einflussnahme auf relevante Leistungsfaktoren deutlich plan- und steuerbarer als der von vielen unbeeinflussbaren Faktoren abhängige Erfolg des Teams im Spiel, der nicht ausschließlich als ein Resultat des Trainingsprozesses und den daraus resultierenden Verbesserungen interpretiert werden kann. Der Artikel zeigt insbesondere die Besonderheit der Wettkampfsituation, die wesentlichen Zielstellungen des Trainings bzw. Wettkampfs für den Verantwortlichen und die sich daraus ergebende Notwendigkeit eines Rollenwechsels – den vom Trainer zum Coach – auf.
Zum Thema: Was es ausmacht, die Trainerrolle als Coach zu verstehen
Die Mitspieler, die Größe des Tores und des Spielfelds: Vieles scheint wie im Training zu sein. Auch die Zielstellung an sich, nämlich den Ball ins gegnerische Tor zu befördern und das eigene Tor vor Einschlägen zu schützen, ist dieselbe. Relevante Aspekte und Anforderungen ähneln oder entsprechen sich. Und dennoch lassen sich einige Aspekte definieren, die der Wettkampfsituation eine besondere Charakteristik verleihen:
- Ein Pflichtspiel an sich ist nicht wiederholbar. Es besteht weder die Möglichkeit, eine Situation zu wiederholen noch ein Ergebnis nach dem Schlusspfiff zu revidieren (Schliermann & Hülß, 2016).
- Ein Pflichtspiel geht bewusst oder unbewusst mit Vorhersagen bezüglich des erwarteten Spielverlaufs und des Ergebnisses einher (Schliermann & Hülß, 2016). Daraus erwächst eine gewisse Erwartungshaltung.
- Ein Pflichtspiel hat oftmals Konsequenzen zur Folge (Schliermann & Hülß, 2016), wodurch der emotionale Zustand der Protagonisten, insbesondere jener der Spieler, ein besonderer ist.
In Abhängigkeit der Wirkung dieser Aspekte auf den Coach und die Spieler haben diese ein individuell unterschiedliches Stressempfinden, welches durch Faktoren, die das jeweilige Spiel betreffen, zusätzlich beeinflusst wird. Beispielsweise durch:
- die Bedeutsamkeit des anstehenden Spiels. Das Finale um die Meisterschaft wird vermutlich ein höheres Stresslevel hervorrufen als ein „gewöhnliches“ Ligaspiel.
- die Einschätzung der Stärke des Gegners. Auch in Abhängigkeit der gegebenen Tabellensituation kann beispielsweise ein Spiel gegen den Tabellenletzten als ein „Must-Win“ interpretiert werden, was zusätzlichen Stress verursachen kann. Aber auch ein Match gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner kann dann zusätzlichen Stress verursachen, wenn die Spieler nicht davon überzeugt sind, der anstehenden Anforderungssituation gewachsen zu sein.
Ein Wettkampf wird infolgedessen oft als etwas völlig anderes wahrgenommen, zumal (gedankliche) Störfaktoren wie Medien, Zuschauer und Fans von der eigentlichen Aufgabe ablenken und den emotionalen Zustand zusätzlich beeinflussen können. Insbesondere mit intensivem Stresserleben können Symptome auf physiologischer (z.B. Verspannung, Zittern, Schwierigkeiten in Bezug auf Timing und Koordination), psychischer (z.B. Nervosität, Unsicherheit, Befürchtungen, Wahrnehmungseinschränkungen, Konzentrationsverluste) sowie psychovegetativer Ebene (z.B. Blässe, erhöhter Puls) einhergehen (Seiler, 2006). Auch eine Verschlechterung der Entscheidungsfähigkeit und ein Anstieg der Fehlerquote kann unter dem Einfluss von Stress beobachtet werden (Linz, 2018).
Unterschiedliche Zielstellungen
Unabhängig von der Besonderheit der Wettkampfsituation verfolgt der Trainer im Training, verglichen mit dem Wettkampf, eine andere Zielstellung. Gemäß der Formel Wissen + Training = Können besteht das Ziel für den Trainer im Trainingsprozess darin, Wissen zu vermitteln und dieses im Training zur Anwendung kommen zu lassen, um somit Leistung (oder Können) der Spieler und des Teams zu entwickeln und zu stabilisieren. Der Formel Coaching + Können = wettkampfstabiles Verhalten entsprechend besteht die Aufgabe des Coaches im Spiel darin, die Spieler durch gelungenes Coaching dabei zu unterstützen, ihr im Trainingsprozess erarbeitetes Können auch tatsächlich abzurufen. Ein wettkampfstabiles Verhalten wäre dann die erwünschte Konsequenz. Wettkampfstabilität meint in diesem Zusammenhang die Fähigkeit des Teams und jedes einzelnen Spielers, die „little Jobs“ (Hermann & Mayer, 2015, S. 99), sprich eine Aktion nach der anderen, mit hohem Handlungsfokus und hoher Qualität konsequent durchzuziehen.
Aus der Besonderheit der Wettkampfsituation und den sich unterscheidenden Zielstellungen ergibt sich für den Coach im Wettkampf eine veränderte Situation. Nur durch einen gezielt herbeigeführten Rollenwechsel, durch den der Trainer zum Coach wird, wird dieser den Auftrag „Make them perform!“ erfüllen können. In den folgenden sieben Punkten werden die Unterschiede zwischen den beiden Rollen deutlich:
- Grundsätzliche Verhaltensausrichtung
Der Trainer richtet sein Verhalten danach aus, Leistungsentwicklung zu ermöglichen, der Coach hingegen primär danach, die Leistung der Spieler zur Entfaltung kommen zu lassen. Er versteht Coaching als ein zielgerichtetes und unterstützendes Einwirken, um die Leistung seiner Mannschaft positiv zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang steht er mehr denn je in der Verantwortung, eine gesunde Balance herzustellen zwischen dem Bemühen, selbst auf das Match und seine Spieler einzuwirken und der Bereitschaft, Kontrolle bewusst abzugeben. Der Coach hält im Spiel immer wieder inne, um sich zu reflektieren und sich hinsichtlich der Einnahme seiner Rolle zu überprüfen.
- Planung
Pläne zu entwickeln, stellt eine der bedeutendsten Aufgaben des Trainerdaseins dar. Für den Trainer gilt es, alle das Team und den Trainingsprozesse betreffenden Maßnahmen strukturiert zu planen. Denn Planung führt zu bewusstem und zielgerichtetem Handeln. Dabei können Pläne „als eine Methode, um ein bestimmtes Ziel oder ein gewünschtes Ergebnis zu erreichen“ (Peters, Hermann & Müller-Wirth, 2012, S. 106) definiert werden. Um sie ausarbeiten zu können, braucht es zunächst ein Bewusstsein für die Wichtigkeit und den Sinn dieser, um in einem nächsten Schritt den Inhalt der Pläne zu bestimmen. Diese besagen, was, wann und wie etwas getan wird. Pläne sollten verschriftlicht werden, was den Vorteil bietet, dass die geplanten Inhalte festgehalten werden, aber den Nachteil mit sich bringt, dass eine enorme Fülle an Informationen resultiert. Auch daher kann die Arbeit mit Etappenplänen und Checklisten hilfreich sein. Für die Planvermittlung ist die Qualität des Inhalts ebenso entscheidend wie die Art und Weise. Erst durch diesen Schritt können Pläne gemeinsam umgesetzt werden. Bei aller Planung ist dabei immer darauf zu achten, diese in einem angemessenen Rahmen flexibel anpassen zu können.
Zwar hat auch der Coach am Spieltag selbst wesentliche Planungsaufgaben, nämlich alle Abläufe und Maßnahmen rund um den Wettkampf. Gleichermaßen erkennt und akzeptiert er allerdings, dass eine Planung des Ergebnisses und des Erfolgs unmöglich ist. Damit einhergehend ist er sich dessen bewusst, dass er durch ein funktionales Coachingverhalten die Spielleistung, die im Training vorbereitet werden muss, lediglich in begrenztem Umfang beeinflussen kann.
- Schaffen eines Rahmens und Bezugnahme auf diesen
Ein Trainer erkennt, dass es für die Zusammenarbeit mit den Spielern und letztlich für effektives Spielcoaching einen inhaltlichen Bezugsrahmen – beispielsweise hinsichtlich der Spielidee – braucht, und dieser im Trainingsprozess erarbeitet und ggfs. angepasst werden muss. Dabei besteht der Rahmen aus Aspekten, die den Spielern helfen sollen, gute Entscheidungen auf dem Platz zu treffen. Bei der Gestaltung dieses Rahmens liegt es nahe, die Spieler aktiv miteinzubeziehen, nicht zuletzt, weil diese die Inhalte des Rahmens im Spiel eigenverantwortlich umsetzen sollen.
Ist dieser entwickelt und von den Spielern verinnerlicht worden, kann sich der Coach im Spiel nun auf diesen beziehen. Spielcoaching stellt in diesem Zusammenhang eine Art „punktueller Verweis“ auf den Rahmen dar, sodass der Spieler im Match sofort weiß, was es zu tun gilt. Während im Trainingsprozess also der Fokus auf der Erarbeitung des Rahmens liegt, steht im Spiel situationsabhängig eine Erinnerung an bestimmte Inhalte dieses Rahmens im Vordergrund.
- Wissens- und Informationsvermittlung
Der Trainer weiß um die bereits aufgezeigten Besonderheiten der Wettkampfsituation, dem deutlich höheren Stresslevel der Protagonisten verglichen mit dem Trainingsalltag und den daraus resultierenden Konsequenzen wie beispielsweise die eingeschränkte Aufnahmekapazität der Spieler. Daher ist sich der Trainer dessen bewusst, dass der Prozess der Vermittlung von neuem Wissen zum Spieltag hin abgeschlossen sein sollte. Im Trainingsprozess gilt es umso mehr, sich gemeinsam mit den Spielern Inhalte, Wissen und den bereits angesprochenen Bezugsrahmen auf vielfältige und kreative Art und Weise zu erarbeiten. Im Rahmen des Internationalen Trainer-Kongresses berichtet Julian Nagelsmann (2019) in seinem Vortrag zum Thema „Dynamiken beeinflussen im Bundesligaspiel“ davon, dass er seine Spieler teilweise bewusst mit Informationen überfordert und überfrachtet. Es sei ihm lieber, dass seine Spieler von 20 Informationen sieben verinnerlichen als drei von drei.
Am Spieltag selbst geht es für den Coach beispielsweise in der Ansprache vor dem Spiel, aber auch während des Matches primär darum, die im Trainingsprozess erarbeiteten und für das Spiel relevanten Inhalte auf prägnante Art und Weise zu wiederholen und die Spieler somit dabei zu unterstützen, diese erneut ins Gedächtnis zu rufen. Insbesondere in Bezug auf die Ansprache ist es eine der wesentlichsten Traineraufgaben zu selektieren: Aus all den zahlreichen potenziell zu vermittelnden Informationen, z.B. in Bezug auf das erwartete Gegnerverhalten, individual,- gruppen- und mannschaftstaktische Aspekte, sollte er im Endeffekt nur jene auswählen, die für das Team einen hohen Wiedererkennungsfaktor besitzen. Am Spieltag muss also die Komplexität der Informationen reduziert und einige wenige, aber prägnante Botschaften an die Spieler vermittelt werden. Dieser Prozess des Verdichtens und Vereinfachens von Informationen hilft den Spielern letztlich dabei, Muster im Spiel schnell zu erkennen und effizient zu handeln.
- Umgang mit zwischenmenschlichen Schwierigkeiten
Dass während der Saison in einem komplexen Teamgefüge, welches aus zahlreichen einzigartig tickenden Menschen besteht, immer mal wieder Reibereien, Konflikte und Schwierigkeiten auftreten, stellt eine Normalität dar. Letztlich ist der Umgang mit diesen entscheidend. Der Trainer, dessen Aufgabe nicht nur darin besteht, die Spieler auf inhaltlich-fachlicher Ebene, sondern auch auf zwischenmenschlicher Ebene zu fördern, sollte im Trainingsprozess auftretende Schwierigkeiten in vielen Situationen lösungsorientiert thematisieren. Einerseits, um Lerneffekte auszulösen, andererseits, um Raum für Entwicklung innerhalb des Teams zu schaffen. Entscheidend dabei ist neben der Art und Weise des Thematisierens vor allem der hierfür gewählte Zeitpunkt. Denn entsprechend der Gleichung “Leistung = Potenzial – Summe an Störungen” steht der Trainer in der Verantwortung, Störungen zum Spiel hin so weit wie möglich so zu reduzieren, dass die Leistungsentfaltung nicht durch diese gebremst wird. Idealerweise entspricht dann die im Spiel gezeigte Leistung weitestgehend dem grundsätzlich vorhandenen Potenzial (Leistung = Potenzial), da das angesprochene Thema dann nicht mehr im Mittelpunkt des Fühlens und Denkens der Spieler steht und es somit keine emotionale Belastung mehr für diese darstellt.
Der Coach kann durch diese Vorgehensweise am Spieltag folglich auf eine handlungs- und aufgabenfokussierte Mannschaft zurückgreifen. Er selbst wird am Spieltag nur jene Inhalte thematisieren, von deren Aufnahme und Verarbeitung durch die Spieler er sich eine optimale Leistungsentfaltung verspricht.
- Kompetenzerwartung fördern
Im Fußball ist die die Überzeugung der Spieler, die erlernten und trainierten taktischen sowie technischen Abläufe in der jeweiligen Situation oder Phase des Spiels angemessen umsetzen zu können, von entscheidender Bedeutung. Der Kompetenzerwartung kommt somit eine entscheidende Rolle für die Leistungserbringung im Fußball zu (Hermann & Mayer, 2012). Nach Bandura (1977) sind Kompetenzerwartungen die Überzeugungen eines Menschen, ein bestimmtes Verhalten auf Basis seiner eigenen Fähigkeiten ausführen zu können, auch wenn dabei mögliche unvorhergesehene Schwierigkeiten auftreten können. Es steht folglich der innere Glaube im Vordergrund, mit seinen eigenen, zur Verfügung stehenden Mitteln eine vorliegende Aufgabe bewältigen zu können. Im laufenden Trainingsprozess gelingt es dem Trainer insbesondere durch das Ermöglichen von Erfolgserlebnissen in herausfordernden Situationen, entsprechendes Feedbackverhalten und Einzelgespräche die Kompetenzerwartung seiner Spieler zu fördern. Macht ein Team als Kollektiv wiederholt die Erfahrung, komplexe Aufgaben bewältigen zu können und führt es das Gelingen dabei auf die eigenen Fähigkeiten zurück, entsteht zudem eine zunehmende Kompetenzerwartung auf mannschaftlicher Ebene. Somit liegt es auch im Einflussbereich des Trainers, die Leistungserbringung fürs Wochenende in mentaler Hinsicht vorzubereiten.
Am Spieltag selbst versteht es der Coach dann, die aufgebauten Kompetenzerwartungen auf individueller und mannschaftlicher Ebene in die gewünschte Richtung zu lenken. Dies kann beispielsweise gelingen, indem er frühere Erfolgsmomente ins Gedächtnis der Spieler ruft sowie selbst den Glauben an ein erfolgreiches Gelingen ausstrahlt und diesen seinem Team verbal kommuniziert. Auch durch eine überzeugende Vermittlung des Matchplans, der maßgeblich auf Grundlage der im Training erarbeiteten Inhalte entwickelt wurde und an dessen erfolgreiche Umsetzung die Spieler glauben, kann das Vertrauen in den Abruf der eigenen Qualitäten stärken. Somit entwickelt das Team immer mehr die Überzeugung, der anstehenden Anforderungssituation gewachsen zu sein, was wiederum das Stressempfinden reduzieren kann.
- Anleiten und Eingreifen
Im Training hat der Trainer als Führungskraft und Teamverantwortlicher permanent die Möglichkeit einzugreifen: Er kann Spielsituationen unterbrechen, nachstellen und diese mit dem Team analysieren sowie Spieler und Team instruieren und korrigieren. Er leitet seine Spieler mit dem Ziel an, Leistung und Können zu entwickeln und Entwicklung hervorzurufen. Dabei kann der Trainer entweder einen eher induktiven oder deduktiven Ansatz wählen. Bei letzterem gibt er klare Vorgaben, die es umzusetzen gilt. Entscheidet sich der Trainer für einen induktiven Ansatz, steht die Selbsttätigkeit der Spieler im Vordergrund: Die Spieler erproben sich weitestgehend selbstständig und werden aufgefordert, zum Ziel führende Lösungen selbst zu entwickeln. Daran anschließend folgt oftmals ein Austausch mit den Spielern und ein gemeinsames Erarbeiten möglicher Lösungen. Auf diesem Weg ist der Spieler in den Lernprozess deutlich mehr eingebunden.
Der Coach erkennt und akzeptiert, dass grundsätzlich auch im Spiel Möglichkeiten des aktiven Eingreifens gegeben sind, diese im Vergleich zum Training aber limitiert sind. Zum einen kann er das Spiel, anders als Trainingssituationen, nicht einfach willkürlich unterbrechen, um beispielsweise Korrekturen vorzunehmen. Zum anderen ist eine aktive verbale Kommunikation mit den Spielern während des laufenden Matches, auch in Abhängigkeit von Faktoren wie beispielsweise der durch die Zuschauer hervorgerufenen Lautstärke (in Nicht-Coronazeiten) oder der räumlichen Distanz zwischen Spieler und Trainer, nur begrenzt möglich. Umso bedeutender erscheint vor diesem Hintergrund die Fähigkeit des Coaches, auf die durch den Trainingsprozess entwickelten Fähigkeiten und Fertigkeiten von Spielern und Mannschaft sowie auf die entwickelten Automatismen zu vertrauen. Es gilt also, das Gelingen des Teams ein Stück weit passieren und die Spieler zur Entfaltung kommen zu lassen, indem der Coach diese durch ein den Besonderheiten der Wettkampfsituation entsprechendes Coachingverhalten unterstützt. Er kommentiert also nicht jeden Fehler und greift nur dann korrigierend ein, wenn der Spieler die Botschaft unter den gegebenen Rahmenbedingungen auch wirklich wahrnehmen, für sich inhaltlich entschlüsseln und in Verhalten umsetzen kann. Dabei greift er auf „kleine Wissensnuggets“ und Erinnerungsstützen mit hohem Wiedererkennungswert für die Spieler auf Grundlage der im Training erarbeiteten Inhalte zurück. Der Coach steuert seine Spieler nicht wie mit einem Joystick, sondern lässt sie auf Basis des entwickelten Bezugsrahmens selbstständig Entscheidungen treffen, vertraut auf ihr intuitives Handeln und schafft somit Raum für Kreativität. Er gibt den Spielern die Chance, Lösungen zu finden, die möglicherweise gar nicht Bestandteil des eigenen Denkens waren. Greift der Coach übermäßig oft und unüberlegt ein, wird der Abruf der entwickelten Automatismen gestört, was zu einer Leistungsminderung führt. Der Coach sollte sich im Spiel also ein Stück weit zurücknehmen, aber dennoch in der Lage sein, in bestimmten Situationen im Sinne der Leistungsentfaltung des Spielers und des Teams gezielt Wirkungen zu setzen. Der Coach als Vorbild seiner Mannschaft schafft immer auch ein Bild, mit dem die Spieler konfrontiert werden: Das Verhalten inklusive der Körpersprache wird zumindest peripher von den Spielern wahrgenommen. Durch eine situationsangepasste, gezielte Steuerung seiner Körpersprache setzt der Coach somit gezielt Wirkungen. Eng mit der Sprache des Körpers, der auch als Bühne der Gefühle verstanden werden kann, geht das Wahrnehmen und das anschließende zielgerichtete Steuern der eigenen Emotionen einher. So kann es in bestimmten, für das Team schwierigen Momenten des Misserfolgs beispielsweise zielführender sein, eher beruhigend einzuwirken, anstatt seinem Ärger aktiv Luft zu machen. Ein bewusstes punktuelles Ausleben negativer Emotionen in Spielphasen, in denen der Coach bei seinem Team einen Spannungsabfall wahrnimmt, kann wiederum zweckdienlich wirken. Eine weitere Möglichkeit, um bewusst Wirkungen zu setzen, stellt das gezielte Wechseln von Spielern unter emotionalen Gesichtspunkten dar. Julian Nagelsmann (2019) berichtet davon, dass er in bestimmten Spielsituationen, insbesondere wenn seine Spieler über wenig taktische Lösungen verfügen, bewusst „Mentalitätswechsel“ in Betracht zieht, nämlich einen Spieler einzuwechseln, der Emotionalität verkörpert. Das Ausleben dieser wiederum soll dem Team dabei helfen, die Spieldynamik in die gewünschte Richtung zu kippen. Beispielhaft nennt er den Spieler Sandro Wagner, dem es immer wieder gelang, zu polarisieren, der sich auch mal bewusst mit dem Schiedsrichter anlegte und durch seine Art und Weise zu spielen auch die eigene Mannschaft zu emotionalisieren vermochte. Selbstverständlich stellt zudem die Halbzeitansprache eine der wenigen Möglichkeiten im Rahmen eines Spiels dar, um die Mannschaft ganzheitlich zu erreichen, ggfs. spieltaktische Modifikationen vorzunehmen, Überzeugung und Glaube zu vermitteln und somit gezielt die Leistungsentfaltung des Teams zu beeinflussen.
Tipps für einen bewussten Rollenwechsel
Was kann den Trainer nun dabei unterstützen, den erforderlichen Rollenwechsel – vom Trainer zum Coach – bewusst zu vollziehen und in dieser Rolle leistungsfähig zu sein? Zwei wirkungsvolle Möglichkeiten bestehen im mentalen Aufwärmen und im Durchspielen von Wenn-Dann-Szenarien.
Das mentale Aufwärmen bezieht sich auf die aktive und bewusste Auseinandersetzung mit der einzunehmenden Rolle und den daraus resultierenden Coachingaufgaben rund um den Spieltag. In diesem Zusammenhang kann das zielgerichtete Nutzen eines „Spickers“, auf dem im Vorfeld des Wettkampfes die wesentlichen To Do`s des Coaches notiert wurden, hilfreich sein. Entscheidend ist auch der Zeitpunkt des mentalen Aufwärmens. Vorstellbar erscheint eine Durchführung beispielsweise am Vorabend des anstehenden Spiels, um frühzeitig ins Bewusstsein zu rufen, auf was es für den Coach zu achten gilt. Viele bekannte Größen des Trainergeschäfts vollziehen ihr mentales Aufwärmen zudem am Spieltag selbst und integrieren diese Art der mentalen Vorbereitung somit gezielt in ihre Vorwettkampfroutine – zeitlich an die Abläufe des Teams angepasst. Markus Weise beispielsweise, langjähriger Bundestrainer im Hockey, berichtet davon, wie er, während sein Team im Anschluss an die Spielbesprechung das Warm-Up auf dem Feld durchführte, bewusst in der Kabine blieb, um sich als Coach mental auf das Spiel vorzubereiten (2014).
Das gedankliche Durchspielen von Wenn-Dann-Szenarien dient in erster Linie dazu, sich auf potenziell im Spiel eintretende Situationen mental vorzubereiten, um im Falle des Auftretens unter Beibehaltung der Coachingrolle lösungsorientiert und effizient handeln zu können, anstatt überrascht und somit komplett unvorbereitet und orientierungslos zu sein. Der Coach verschriftlicht hierbei mögliche Szenarien (z.B. ein frühes Gegentor, ein Platzverweis für das eigene Team, eine hohe Führung zur Halbzeit) und setzt sich mit seinem gewünschten Verhalten in den entsprechenden Spielsituationen auseinander. Er überlegt konkret, wie er gerade in solchen Momenten gezielt Wirkungen setzen kann, um sein Team in der Leistungsentfaltung zu unterstützen.
Zusammenfassung
Das Anforderungsprofil an einen im Leistungssport arbeitenden Fußballtrainer ist ebenso enorm wie der vorherrschende Leistungsdruck. Die Aufgaben, die dieser im Trainingsprozess zu erfüllen hat, unterscheiden sich dabei in zahlreichen Aspekten von jenen rund um den Spieltag. Hinzu kommt hierbei die Besonderheit des Wettkampfes, der das Stresslevel aller Beteiligten erhöht. Nur durch einen gezielt herbeigeführten Rollenwechsel kann der Coach den Nährboden für eine maximale Leistungsentfaltung seines Teams legen.
Quellen
Bandura, A. (1977). Social learning theory. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall.
Hermann, H.-D. & Mayer, J. (2012). Sportpsychologische Praxis im Fußball. In D. Beckmann-Waldenmeyer & J. Beckmann (Hrsg.), Handbuch sportpsychologischer Praxis (S. 221-226). Balingen: Spitta.
Hermann, H.-D. & Mayer, J. (2015). Make them go! Was wir vom Coaching für Spitzensportler lernen können. Hamburg: Murmann.
Linz, L. (2018). Erfolgreiches Teamcoaching. Ein Team bilden, Ziele definieren, Konflikte lösen. Aachen: Meyer & Meyer.
Nagelsmann, J. (2019). Dynamiken beeinflussen im Bundesligaspiel. Zugriff am 16.01.2021 unter https://www.youtube.com/watch?v=SB9DGSFrbHk
Peters, B., Hermann, H.-D. & Müller-Wirth, M. (2012). Führungsspiel. Menschen begeistern, Teams formen, Siegen lernen. München: Ariston.
Schliermann, R. & Hülß, H. (2016). Mentaltraining im Fußball – Ein Handbuch für Trainer, Übungsleiter und Sportlehrer. Hamburg: Feldhaus.
Seiler, R. (2006). Aktivierung und Entspannung. In: M. Tietjens & B. Strauss (Hrsg.), Handbuch Sportpsychologie. Beiträge zur Lehre und Forschung im Sport (S. 226-235). Schorndorf: HofmannWeise, M. (2014). Blick zu einer anderen Mannschaftssportart: Die Spielvor- und Nachbereitung der deutschen Hockeymannschaft. Zugriff am 16.01.2021 unter https://www.youtube.com/watch?v=G1uwjBNxH8o
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