Ich erinnere kurz an Oliver Kahn beim WM-Finale 2002. Über dieses Bild hatte ich den Einstieg in die Auseinandersetzung mit den sportpsychologischen Aspekten des Torwartspiels gewählt. Und wer jetzt den Titanen nicht mit dem Rücken am Pfosten sitzen sieht, der kann sich gern hier die Highlights des WM-Finales noch einmal anschauen: (Link) Schon klar, die wenigsten von uns waren oder werden in der Situation kommen, in einem WM-Finale zwischen den Pfosten stehen zu dürfen. Dennoch kennt jeder die Herausforderung, die sich mit der besonderen Position verbindet. Widmen wir uns also den konkreten Strategien zu, die auf sportpsychologischer Ebene Keepern helfen.
Dieser Text ist der Abschluss einer kleinen Reihe. Den ersten Teil findet ihr hier. Wer also vorn beginnen will, bitte: https://www.die-sportpsychologen.de/2021/02/janosch-daul-kopfsache-torwartspiel-performen-unter-druck-teil-1/
Zum Thema: Wichtige Tipps zum adäquaten Umgang mit Druck
Neben dem Torwart selbst, der z.B. mithilfe sportpsychologischer Techniken einen adäquaten Umgang mit Druck trainieren und erlernen kann, gibt es zwei weitere zentrale Ansatzstellen, die bedient werden können: die Trainingsgestaltung und das System rund um den Torwart. Im Folgenden zeige ich einige mögliche Strategien auf, wenngleich das Thema Umgang mit Druck ein höchst individuelles ist.
- WIN
WIN steht für What´s Important Now. Der Torwart muss sich immer wieder dessen bewusst werden, was in genau dieser Anforderungssituation von Relevanz ist. Er darf seinem Radio Schwarzmaler bzw. seiner Zeitmaschine eben keinen Raum geben, um gedanklich eine Reise in die Vergangenheit oder Zukunft zu vollziehen. Vielmehr gilt es, seine Aufgaben im Hier und Jetzt, seine little Jobs so optimal wie möglich mit brutaler Konsequenz abzuarbeiten. In diesem Zusammenhang kann dem Torwart das sichtbare Aufmalen eines Ankersymbols, welches ihn an WIN erinnert, dabei helfen, sich gedanklich immer wieder in die Gegenwart zurückzubeamen. Doch wie kann ein Torwart bereits präventiv daran arbeiten, so sich so oft wie möglich, und insbesondere in den entscheidenden Situationen, im WIN-Zustand zu befinden? Neben Techniken aus dem Bereich der Achtsamkeit und Meditation kann insbesondere das gezielte Selbstgespräch hierbei unterstützen.
- Das Selbstgespräch
Das Ziel besteht hierbei darin, Gedanken zu entwickeln, die dem gewünschten Handlungsmuster oder dem gewünschten Denken entsprechen. Dadurch gelingt es dem Torhüter, auf das aufgabenrelevante Geschehen in der gegenwärtigen Anforderungssituation fokussiert zu bleiben. So kann beispielsweise der Torwarttrainer gemeinsam mit seinem Schützling konkrete und individuelle Selbstgespräche für bestimmte, häufig vorkommende Spielsituationen (z.B. die gegnerische Ecke) erarbeiten. Anschließend gilt es für den Torwart, sich die Selbstgespräche einzuprägen und automatisiert situationsbedingt, zunächst im Training, anschließend im Spiel, selbst anwenden zu können. In eine ähnliche Richtung zielt die folgende Methode ab.
- Die Selbstbekräftigung
Durch die gezielte Entwicklung positiver Denkmuster lernt der Torhüter, vor bzw. in bedeutsamen Situationen positiv mit sich selbst zu sprechen. Hierfür erarbeiten sie sich positive Selbstanweisungen und üben deren praktische Anwendung im Training und Wettkampf.
- Die Visualisierung
Durch das wiederholte Abrufen bildhafter Vorstellungen von eigenen erfolgreichen Torwarthandlungen lernt der Torhüter, gelungene Aktionen abzuspeichern, um diese Vorstellungen bei zukünftigen Anforderungen vorab wieder abrufen zu können. In seinem Inneren lässt er einen Film ablaufen, beispielsweise, wie er einen scharf getretenen Freistoß mit beiden Fäusten im Sprung herausboxt. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass die Vorstellungsinhalte einen hohen inhaltlichen Bezug zum Kontext der aktuellen, im Wettkampf zu bewältigenden Aufgabe haben sollten.
Mehr dazu: https://www.die-sportpsychologen.de/2018/11/janosch-daul-mentale-einstimmung-auf-ein-fussballspiel/
Ansatzstelle Trainingsgestaltung
Grundsätzlich besteht ein Schlüssel im Trainingsprozess darin, immer wieder gezielt und bewusst Situationen ins Training einzubauen, die im Torwart ein besonderes Erleben von Druck provozieren. Dieser muss sich somit immer wieder mit eigenen Stressdosen auseinandersetzen, deren Intensität im Laufe des Trainingsprozesses idealerweise gesteigert wird. Durch diese Vorgehensweise wird der Torwart zwar nicht immun gegen Druck, sie unterstützt ihn aber dabei, adäquat mit diesem umzugehen, sodass er künftig auch in realen Drucksituationen besser funktionieren wird. Es gilt also z.B. Aufgabenstellungen an Konsequenzen zu koppeln, die im Misserfolgsfall eintreten. Diese müssen dabei so gewählt werden, dass sie in der Wahrnehmung des Spielers auch tatsächlich ein Stressfaktor darstellen. Insbesondere im Misserfolgsfall sollte anschließend unbedingt eine Analyse der Situation mit dem Torwart erfolgen. Auf eine konkrete Trainingsform möchte ich nun gezielt eingehen: das Simulationstraining.
- Das Simulationstraining
Das Ziel des Simulationstrainings besteht hauptsächlich darin, unter möglichst realistisch nachgestellten Spielbedingungen das gewünschte Verhalten zu trainieren. So lassen sich kritische Spielsituationen, die durch das Empfinden von Druck und damit einhergehend mit Unsicherheit und Konzentrationsschwierigkeiten gekennzeichnet sein können, möglichst realistisch im Training wiedergeben. Durch die Wiedergabe einer Geräuschkulisse, die beispielsweise eine große Zuschaueranzahl und ggfs. sogar Beleidigungen durch Fans der gegnerischen Mannschaft beinhaltet, werden ungünstige Spielbedingungen simuliert, sodass das Gehirn ein Stück weit in Richtung Anforderungssituation konditioniert, also vorbereitet wird. Das Simulationstraining kann dabei in Abhängigkeit persönlicher Stressoren gestaltet werden: Sind es insbesondere die Zuschauer, die Stress im Torwart auslösen, macht das Trainieren unter einer solchen simulierten Geräuschkulisse besonders Sinn; ist beispielsweise die Körpergröße des Gegenspielers ein Stressthema, kann es hilfreich sein, den Torwart im Training insbesondere gegen große Gegenspieler antreten zu lassen. Unabhängig von dieser Form des Trainings besteht ein weiterer Schlüssel, um als Torwart funktional mit Druck umgehen zu können, darin, Erfolgserlebnisse zu generieren.
- Das Ermöglichen von Erfolgserlebnissen
Bewältigte Anforderungen, die als herausfordernd empfunden wurden und deren Bewältigung man sich selbst zuschreibt, führen zu einer gestärkten Kompetenzüberzeugung und damit einhergehend zum inneren Glauben, einer ähnlichen Herausforderung dank der eigenen Fähigkeiten auch in Zukunft gewachsen zu sein. Wenn es dem Torwart gelingt, eine stabile Kompetenzüberzeugung zu entwickeln, wird er gedanklich weniger mit möglichen Konsequenzen potenzieller Fehler beschäftigt sein, sondern sich deutlich eher auf die in der Gegenwart zu vollziehende Aufgabe fokussieren und somit auch unter Druck besser performen können. Für das Trainerteam gilt es folglich, genau solche, Erfolgserlebnisse ermöglichende Bedingungen durch die Durchführung passender Trainingsformen zu schaffen.
Ansatzstelle System rund um den Torwart
Zweifelsfrei hat das System rund um den Torwart, also die Mannschaft sowie die einzelnen Spieler und Trainer sowie der Freundeskreis und das Elternhaus einen enormen Einfluss auf das Denken, Fühlen und letztlich auch das Verhalten des Torwarts. Das Etablieren einer konstruktiven Fehlerkultur kann diesen zusätzlich maßgeblich dabei unterstützen, unter Druck zu performen. Spürt der Torwart, dass Fehler insbesondere seitens seiner Trainer als Lernchance und Weiterentwicklungsmöglichkeit sowie als zu akzeptierender Teil des Fehlerspiels Fußballs betrachtet und im Falle des Falls konstruktiv, lösungsorientiert und selbstwertstärkend ausgewertet werden, reduziert dies das Druckempfinden des Torwarts maßgeblich. Eine der zentralen Aufgaben des Trainers in Bezug auf sein Führungsverhalten besteht zudem darin, dem Spieler Sicherheit zu geben und einen Anker zu bieten. Für den Torwart gilt dies nicht zuletzt aufgrund der Besonderheit dieser Position ganz besonders. Spürt er, dass der Trainer wie eine 1, wie ein Fels hinter ihm steht und ihm in höchstem Maße vertraut, wird der Torwart auch in der Anforderungssituation Wettkampf immer besser performen können.
Kontakt aufnehmen
Meine Kollegen (zur Übersicht) und ich (https://www.die-sportpsychologen.de/janosch-daul/) stehen Ihnen gern beratend zur Seite, unterstützen Sie gern bei der Entwicklung individueller Strategien, bei der Gestaltung einer Trainingseinheit unter dem Gesichtspunkt eines adäquaten Umgangs mit Druck oder beim Etablieren einer Fehlerkultur. Melden Sie sich auch, wenn Sie das Gefühl haben, dass der Druck Ihr Spiel oder das Ihres Torhüters negativ beeinflusst.
Quellen:
Abdullaeva, E. (2015). Psychologisches Anforderungsprofil des Torhüters im Fußball. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, unveröffentlichte Masterarbeit.Schliermann, R. & Hülß, H. (2016). Mentaltraining im Fußball – Ein Handbuch für Trainer, Übungsleiter und Sportlehrer. Hamburg: Feldhaus.
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[…] Text ist der erste einer zweiteiligen Reihe (Teil 2: Link). Hier geht es konkret um das mentale Anforderungsprofil des Torwarts, welches wir uns in der […]