Christian Schwarz: Warum Kinder die Sportvereine verlassen und wie Trainer und Eltern darauf reagieren können

Der sportliche Lockdown dauert gefühlt schon eine Ewigkeit und die Kinder und Jugendlichen sehnen sich im März 2021 nach der Wiedereröffnung der Sportstätten! Seit geraumer Zeit verlieren viele Sportvereine massiv an Mitgliedern. Egal ob im Amateursport oder im Jugendbereich. Doch was sind die möglichen Gründe für die Abwanderungen? Ist es tatsächlich immer die fehlende Lust – oder gibt es womöglich noch andere Gründe, weshalb Vereine über den Abgang von Vereinsmitgliedern berichten? Vielleicht verlieren Kinder nicht die Lust am Sport, sondern sie haben aufgrund der aktuellen Situation gar keine andere Wahl! 

Zum Thema: Hintergründe und Lösungsansätze für die Vereinsflucht von Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie

Betrachten wir einmal die möglichen Motive, die mit den zahlreichen Vereinsaustritten in Verbindung stehen:

  1. Fehlende finanzielle Mittel:

Vereine leben unter anderem von Mitgliedsbeiträgen. Doch was passiert, wenn diese beispielsweise nicht mehr bezahlt werden können? Nicht nur im Vereinsleben, sondern auch im Arbeitsleben hat sich seit Beginn der Pandemie einiges verändert. Viele befinden sich in Kurzarbeit und haben dadurch weniger Einkommen, andere haben sogar ihren Job verloren. Der Lockdown hat für viele Familien das tägliche Leben in vielerlei Hinsicht komplett über den Haufen geworfen. 

Was passiert also, wenn die Lust der Kinder vorhanden, aber die finanziellen Mittel seitens der Eltern nicht mehr gegeben sind? Erstmal abmelden – dann schauen wir, wie es weitergeht. Möglicherweise in diesen Zeiten die einzige Lösung!

  1. Fehlende Angebote:

Speziell in kleineren Vereinen erlebt man immer wieder, dass die Strukturen und gewohnten Abläufe der wöchentlichen Treffen verloren gehen. Physisch ist das derzeit natürlich nicht umsetzbar, doch in den Zeiten der Digitalisierung gibt es dennoch viele Möglichkeiten, sich zu treffen, sich zu sehen, miteinander zu kommunizieren, ja sogar gemeinsam Spaß zu haben! Doch oft fehlen diese Angebote, Kinder hören über Wochen und Monate nichts von ihren Trainern und somit rückt das gemeinsame Vereinsdasein in den Hintergrund. 

  1. Fehlende Strukturen und fehlende Ziele:

Strukturen und geregelte Abläufe geben Sicherheit. Durch die fehlenden „Trainingsangebote“ gibt es plötzlich diese Routinen, diese fixen Punkte des Treffens nicht mehr. Man fühlt sich allein, unsicher, ohne konkrete Perspektive und ohne Ziel. Gerade in diesen Zeiten der propagierten Angst und Unsicherheit ist es für Kinder enorm wichtig, eine gewisse Sicherheit zu verspüren. „Ich bin nicht allein, andere sind in der gleichen Situation und gemeinsam machen wir das Beste daraus“. Auch die fehlenden Ziele führen zu Motivationsverlust. Wann trainieren wir wieder gemeinsam, wann gibt es wieder Spiele, Vergleiche, Wettkämpfe? All diese Dinge treiben die Jugendlichen Woche für Woche an.

Generell, aber speziell im Sport ist es für die Motivation extrem wichtig, Ziele zu haben. 

  1. Fehlende soziale Kontakte:

Gemeinsam ist es einfach lustiger, man kann sich messen, vergleichen und Spaß miteinander haben. Die Eigenmotivation reicht oft nicht aus, den „eigenen Schweinehund“ zu überwinden und in Bewegung zu kommen. Noch dazu gibt es genug Alternativen, um sich die Zeit zu vertreiben. Spielkonsolen, Online-Zocken, Fernsehen auf Abruf – jederzeit – immer und überall möglich! Die Komfortzone wird sukzessive größer und die Zone für Bewegung und des Sports immer kleiner! Viele nutzen das Online-Spielen als derzeit einzige Form des sozialen Kontaktes mit Freunden.

  1. Fehlendes Eigeninteresse am Sport oder an der Sportart:

Möglicherweise nutzt der eine oder die andere auch die Chance, sich vom Lieblingssport der Eltern zu verabschieden. Wenn nicht jetzt – wann dann! Es kommt immer wieder vor, dass Kinder bei einem Verein sind, weil es die Idee oder der große Wunsch der Mutter oder des Vaters war. Es anzusprechen und zu sagen: „Papa, ich mag nicht mehr“, fällt einigen schwer, denn man will seine Eltern ja nicht enttäuschen. Doch jetzt gibt es die Möglichkeit – vielleicht handelt es sich ja nur um eine Pause, vielleicht aber auch nicht.

  1. Interesse an anderen Sportarten:

Wie die vergangenen Monate gezeigt haben, gibt es auch immer wieder Situationen, in denen Kinder und Jugendliche „FÜR SICH“ eine neue Sportart entdeckt haben. Tourengehen, Trail-Run, Laufen, Radfahren, Mountainbiken. Sportarten, für die im vorherigen normalen Trainingsbetrieb im Verein keine Zeit war.

Blickpunkt Erwachsene

Was können also Vereine, Trainer und Eltern dazu beitragen, um die Kinder zum Bleiben bzw. zum späteren Wiedereintritt zu motivieren? Denn eines ist für mich ganz klar, die Verantwortung über Lust oder Unlust an Bewegung und Sport der Kinder liegt in den Händen der Erwachsenen!

Vereine und Trainer:

Bleiben sie aktiv in der Kommunikation mit den Kindern und Jugendlichen. Nicht nur ab und zu, wenn es Neuigkeiten gibt, sondern regelmäßig und das wöchentlich. Mit fixen Trainingszeiten und fixen Themen. Machen sie digitale Trainingspläne für die Kinder, speziell in den Bereichen Athletik und mentaler Fitness kann man über digitale Plattformen hervorragend arbeiten. 

Schaffen sie Strukturen und geben sie den Kindern die Sicherheit, dass sie wichtig sind, für sie als Trainer und als Verein. Vermitteln sie ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Teamspirit. 

Setzen sie Ziele und fordern diese auch ein. Teamziele und individuelle Ziele – beides ist auch digital möglich. Nutzen sie digitale Devices wie Fitnessarmbänder und Smartwatches oder einfach nur Handy-Apps, um diverse Challenges, Quizze und Wettkämpfe innerhalb des Teams zu veranstalten. 

Wie so manches im Leben ist die Umsetzung dieser Möglichkeiten sehr stark vom Eigenengagement der Trainer und des Vereins abhängig!

Eltern:

Sollte es ihnen derzeit aus finanziellen Gründen nicht möglich sein, dass ihre Kinder im Verein bleiben können, dann geben sie ihnen Perspektiven, dass es wieder anders werden kann. Kommunizieren sie Termine, wann man sich wieder darüber unterhält und planen sie erste kleine Schritte. Bieten sie Alternativen an, die leicht umsetzbar sind und keine bzw. geringe Kosten verursachen.

Sie als Eltern sind natürlich immer, aber speziell in Zeiten der sozialen Isolation die wichtigsten Ansprechpersonen in ALLEN Belangen. Nicht nur im System Familie, sondern auch in den Bereichen Freunde, Schule und natürlich auch Sport. Gehen sie mit gutem Beispiel voran, auch wenn es – zugegebenermaßen – nicht immer einfach ist! Schaffen sie die Strukturen, fordern sie das Training und die Bewegung regelmäßig ein, nehmen sie einmal pro Woche die Rolle des Trainers oder der Trainerin, der Freundin oder des Freundes ein. Begleiten sie ihre Kinder und machen sie gemeinsam Bewegung. Beurteilen sie nicht die Ergebnisse, sondern die Versuche und die Bemühungen, geben sie den Kindern ein Gefühl von Wertschätzung und Anerkennung. Vereinbaren sie ebenfalls Ziele und fordern sie diese auch ein. Nicht nur sportliche Ziele, sondern auch Ziele für das Zusammenleben und den Haushalt, verteilen sie Verantwortungsbereiche für die Erreichung der Ziele und arbeiten sie mit der Mittel der Belohnung. In der Motivationspsychologie geht man davon aus, dass diese extrinsischen Motivatoren zwar nur kurzfristig wirken, aber für einen Start in dieser neuen Situation oder für eine Überbrückungsphase, sind Dinge wie Lob und Belohnung sehr hilfreich und durchaus sinnvoll.

Erfolge sichtbar machen

Führen sie gemeinsam mit ihren Kindern ein Sport- und Bewegungstagebuch und visualisieren sie Erfolge. Erfolge geben Selbstvertrauen und Sicherheit und das steigert wiederum die intrinsische Motivation, die es langfristig braucht, um dabei zu bleiben. Achten sie auf die Zeiten vor den Konsolen, TV-Geräten oder Handys, diese sollten sich im Idealfall – gegenüber vor dem Lockdown – nicht wesentlich erhöhen. Sollte das doch so sein, gilt es zu überlegen, weshalb diese Lücken im Tagesablauf entstanden sind und wie man diese wieder anderweitig füllen kann.

Sollte sich ihr Kind dazu entscheiden, den Verein verlassen zu wollen, akzeptieren sie diese Entscheidung, aber sprechen sie darüber! Über die Gründe und die Gedanken, womöglich über Sorgen oder Ängste! Zeigen sie Verständnis und kommunizieren sie klar die nächsten Schritte. Was wird ab nun anstelle dieser Zeit gemacht. Akzeptieren sie auch, wenn ein Kind die Sportart wechseln möchte, auch wenn es nicht ihre „Lieblingssport“ ist. Sprechen sie über mögliche Umsetzungsschritte, aber auch über mögliche Grenzen. Wenn ein Kind plötzlich Reiten möchte, dann hängt natürlich ein bisschen mehr dran, als nur ein neuer Helm.

Unterstützung leisten und nutzen

Schaffen sie Rahmenbedingungen, dass ihre Kinder die Lust an Bewegung und Sport nicht verlieren bzw. wieder gewinnen! Seien sie kreativ in den Umsetzungsmöglichkeiten, denn auch in Zeiten des Lockdowns ist einiges möglich. 

Wenn wir das schaffen, dann werden viele wieder in die Vereine zurückkehren – vielleicht nicht immer in den gleichen – aber in einen Verein!

Sollten sie Hilfe oder Unterstützung bei Themen wie: Trainingsmöglichkeiten über digitale Medien, Schaffung von Strukturen und Zielen, Motivation und Widerstand oder einfach nur eine Reflexion des Alltagsgeschehens benötigen, dann können sie eine(n) meiner Kollegen(innen) (zur Übersicht) oder mich (zum Profil von Christian Schwarz) gern kontaktieren.

Mehr zum Thema:

Views: 3340

Christian Schwarz
Christian Schwarzhttp://www.die-sportpsychologen.de/christian-schwarz

Sportarten: Fußball und sämtliche Teamsportarten

Peggau in der Steiermark. Österreich

+43 660 4580916

E-Mail-Anfrage an c.schwarz@die-sportpsychologen.at