Weltmeister*innen und Olympiasieger*innen sind die Ikonen des Sports. Sie verkörpern modellhaft den langen und herausfordernden Weg zum überragenden Erfolg, ernten sportlichen Ruhm und öffentliche Anerkennung und schreiben mit ihrem Handeln Sportgeschichte. Wo aber liegen die Gründe, sich auf diesen beschwerlichen Weg zu begeben mit dem Ziel, einmal der oder die Beste seines Fachs zu werden? Peter Gerber, Betreiber der angesehenen Skisport-Plattform skinews (Link) hat in seinem aktuellen Beitrag Spurensuche betrieben und vielfältige Rückmeldungen von Athlet*innen, Betreuern und Funktionär*innen erhalten.
Zum Thema: Ursprung von grossen Erfolgen
Monat Februar – im Wettkampfkalender der Wintersportarten ist das „Primetime“ für Weltmeisterschaften und Olympische Spiele. Aus Sicht der Wintersportler*innen bedeutet dies: Abliefern! Was über viele Jahre intensiv und zielgerichtet vorbereitet, entwickelt und minutiös optimiert wurde, erfährt den ultimativen Test, in dem nur Medaillen zählen und in welchem der/die weltbeste Athlet*in erkoren wird. Auf dieser Showbühne des internationalen Wintersports bewegen sich aktuell die weltbesten Skifahrer*innen in Cortina d’Ampezzo (I) sowie die Biathlet*innen in Pokljuka (SLO).
Chefredaktor Peter Gerber, ein profunder Kenner des alpinen Skirennsports und Betreiber von skinews (Link), wollte von mir – und acht weiteren Fachleuten in der Szene – wissen, wo wir die Ursprünge für das Erreichen von Titeln, Medaillen und Ehre vermuten. Entstanden ist eine bunte Collage mit Äusserungen und Einschätzungen, die auch für die Angewandte Sportpsychologie höchst informativ ist. Peter Gerber hat die-sportpsychologen.de verdankenswerterweise autorisiert, mit Hinweis auf skinews seine Fragestellungen sowie die Aussagen replizieren zu dürfen.
Offene Fragen, vielschichtige Antworten
Peter Gerber: Warum und weshalb will eine Spitzensportlerin/ein Spitzensportler Weltmeisterin/Weltmeister werden? Ist es die Aussicht auf Ruhm, Bekanntheit oder Anerkennung? Möchte sie oder er gern Teil der Geschichte ihrer/seiner Sportart sein? Er hofft sie/er sich grösseres Ansehen in der Hierarchie der Skirennfahrerinnen/-rennfahrer? Ist es der finanzielle Aspekt oder ganz einfach der Antrieb dahinter, für einen begrenzten Zeitraum als die/der Beste seines Fachs zu gelten?
Diese Frage hat skinews diversen Persönlichkeiten gestellt, die eng mit dem Skirennsport verbunden sind, vielleicht in der Vergangenheit schon selber Weltmeister gewesen sind oder es in Zukunft gerne wären. Auch ein Trainer/eine Trainerin, ein Sportpsychologe, der Manager von Marco Odermatt und Andrea Ellenberger, ein Rennsport-Chef einer Skifirma oder Annalisa Gerber, Leiterin Sponsoring von Swiss Ski, teilen ihre Ansichten mit.
Urs Lehmann, Abfahrtsweltmeister 1993, Präsident Swiss Ski
„Es der Traum eines jeden Kindes, Weltmeister oder Olympiasieger/Olympiasiegerin zu werden – wie aber vieles andere auch, beispielsweise Astronaut oder Lehrerin. Später, wenn du als Jugendliche/Jugendlicher Skirennen fährst, willst du der Beste am Berg sein. Und wenn du als Profi an einer WM am Start stehst, bleibt sich das genau gleich – das ist der innere Antrieb jedes Sportlers, der oder die Beste seines Fachs zu sein. Denn wie viele Leute auf der ganzen Welt können schon von sich behaupten, der/die Beste seines Fachs zu sein – nur ganz wenige, das spornt unglaublich an. Der finanzielle Aspekt spielt selten eine Rolle, und wenn, dann definitiv eine untergeordnete. Es geht darum, den Olymp zu erklimmen – that’s it! Und darum, einen Kindheitstraum zu erfüllen…“
Michael Schiendorfer, Manager von Marco Odermatt/Andrea Ellenberger
„Ein Spitzensportler muss mental belastbar sein, Fleiss, Disziplin und Willensstärke mitbringen. Diese Eigenschaften braucht er, um mit der notwendigen Konsequenz Ziele zu erreichen, ebenso wie die Bereitschaft, sein Leben voll und ganz auf seine sportliche Karriere auszurichten. Diese hohe Leistungsmotivation impliziert, dass er sich immer wieder die höchsten sportlichen Ziele setzt. Der Weltmeistertitel ist neben dem Titel des Olympiasiegers eine der höchsten Auszeichnungen im alpinen Skirennsport, wobei ein Sieg bei den Olympischen Spielen in den meisten Fällen wohl noch ein wenig höher gewichtet wird. Es gibt aber auch Athleten, welche den Gewinn des Gesamtweltcups oder einer Disziplinenwertung sportlich höher einstufen als einen Weltmeistertitel.“
Annalisa Gerber, Leiterin Sponsoring bei Swiss Ski
„Spitzensportlerinnen und Spitzensportler wie beispielsweise die neue Abfahrts-Weltmeisterin Corinne Suter träumen seit ihrer Kindheit davon, einmal die Besten der Welt in ihrer Sportart zu sein. Sie ordnen diesem Traum alles unter und verzichten auf sehr Vieles, um sich den grossen Wunsch von einem Weltmeistertitel zu erfüllen. Sie lassen sich auch von Rückschlägen nicht aufhalten und kämpfen weiter, bis sie ihr Ziel erreichen. An einem Grossanlass musst du am Tag X bereit sein – begehst du einen Fehler, ist die Medaille weg. Diesem Druck Stand zu halten und die verlangte Leistung zu erbringen, zeichnet einen richtigen Champion aus. Genau für solche Rennen und solche Momente arbeitet eine Athletin beziehungsweise ein Athlet Tag für Tag. Medaillengewinne an Grossanlässen sind der Lohn für das harte Training, den unbändigen Willen, die Ausdauer und den Fleiss in den vergangenen 15 oder 20 Jahre. Dies alles ist eine sehr emotionale Geschichte. Finanzielle Aspekte sind bei solchen Erfolgen zweitranging.“
Dr. Hanspeter Gubelmann, Sportpsychologe
„Aus sportpsychologischer Sicht verändert sich dieses „Warum“ im Verlaufe einer Karriere. Sehr häufig sind es die sportlichen Vorbilder, denen die talentierte Skifahrerin nacheifert. Einmal das zu erreichen, was mein Idol verkörpert und vorlebt, begleitet den jungen Skisportler. Je höher der Athlet schliesslich im nationalen und internationalen Wettbewerb aufsteigt, desto stärker wächst die Motivation und auch die Perspektive, sich dem Ziel „Weltmeistertitel“ tatsächlich nähern zu können. Merkt die Athletin, dass sie an der Weltspitze dran ist, entsteht oft diese Mischung aus perfektionistischer Vorgehensweise und unglaublichem inneren Drang und Vorwärtstrieb, dieses Ziel am Tag X erreichen zu können. Extrem spannend ist es aber auch, den Zielsetzungsprozess nach dem Erreichen eines Weltmeistertitels weiter zu begleiten. WeltmeisterInnen und OlympiasiegerInnen äusseren nebst Glücksgefühlen sehr häuftg eine deutlich spürbare emotionale Veränderung, die zudem mit einer sportlichen Neuausrichtung einhergeht. Neue Ziele, Veränderungen im Betreuungsumfeld, markant gestiegenes Ansehen, bessere Vermarktungsmöglichkeiten, schlagartig gestiegenes mediales Echo aber auch die Auswirkungen massiv höherer Erwartungshaltungen (von innen wie von aussen) sind dabei wichtige Begleiterscheinungen. Die Frage nach dem „warum will ich ich WeltmeisterIn werden“ stellt sind jetzt neu und aus ganz anderer Optik: eben in der Rolle eines sportlichen Vorbilds mit deutlich veränderten Voraussetzungen.“
Mehr zum Medium skinews
Link: https://www.skinews.ch
Delia Durrer (18), aktive Rennfahrerin, C-Kader Swiss Ski
„Das Skifahren ist meine grosse Leidenschaft und spornt mich jeden Tag aufs Neue an, dass ich das Beste, was in mir steckt, gebe. So versuche ich Schritt für Schritt einer WM-Medaille und vielleicht dem Weltmeistertitel näher zu kommen. Der Weg ist kein einfacher, aber die Leidenschaft für den Skisport ist mein Antrieb. Ich bin ehrgeizig und möchte – wie viele andere auch – die Beste in diesem Sport sein. Es ist mein Ziel, dass ich das Gefühl Weltmeisterin zu sein, erleben darf. Zu spüren, dass sich die in den Jahren zuvor geleistete harte Arbeit auszahlt, muss unbeschreiblich schön sein.“
Mirena Küng, ehemalige Weltcup-Fahrerin, Nachwuchstrainerin im liechtensteinischen Skiverband
„Die Faszination Weltmeister/Weltmeisterin beginnt schon ganz früh. Fast jedes Kind träumt doch davon, Weltmeister/Weltmeisterin zu werden – oder vielleicht Olympiasieger/Olympiasiegerin. Schon wenn man mit ganz jungen Sportlerinnen und Sportlern über deren Karrieren und Vorstellungen spricht, formulieren sie klare Zielsetzungen. Meistens sagen sie, dass sie Weltcup-Rennen gewinnen wollen oder eben Weltmeister/Weltmeisterin werden möchten. An diesem einen Tag der/die Beste der Welt zu sein, das ist ein ganz grosses Ziel. Und es ist auch wichtig, dass sie sich Ziele setzen. Mit diesen Zielen vor Augen arbeiten sie dann schon im Sommer an der Kondition, der körperlichen Verfassung. Der Aufwand, die Energie, der Einsatz, der geleistet wird, werden zielgerichtet eingesetzt. Klar, auf dem Weg zum Weltmeistertitel werden noch Zwischenziele definiert. Aber der grosse Traum, der Anstoss für so viele, ist eben der Weltmeistertitel. Weltmeisterin oder Weltmeister sein ist der Lohn für die geleistete Arbeit über Jahre hinweg. Klar kommen danach Anerkennung, Ruhm, vielleicht Verträge mit Sponsoren und Ansehen. Aber der eigentliche Antrieb ist der Wille, der/die Beste der Welt zu sein.“
Osi Inglin, Trainer der finnischen Skirennfahrer
„Um Weltmeister werden zu können, muss sich der Sportler bei vorangehenden Wettkämpfen schon einmal durch herausragende Ergebnisse qualifizieren. Spitzensportler sind so sozialisiert, dass sie unter Wettkampfbedingungen stets ihre persönliche Bestleistung abrufen wollen. Im Zentrum dieses Handelns steht, sich mit anderen zu vergleichen und das eigene Ego zu manifestieren. Daher ist davon auszugehen, dass Spitzensportler generell immer gewinnen wollen. Da ist der Wettkampftyp nicht vorrangig. Das Gewinnen liegt in der DNA eines Spitzensportlers. Im kommerziellen Sport sind Status, Reputation und finnanzielle Errungenschaften bei den meisten Athleten willkommene Begleiterscheinungen, doch nie der Antrieb für das eigentliche Handeln – an dieser Stelle steht das Gewinnen. Daher glaube ich, ist es wahren Spitzenathleten egal, an welchen Arten von Wettkämpfen sie gewinnen – Hauptsache, sie können gewinnen.“
Urs Kryenbühl, aktiver Skirennfahrer, Nationalmannschaft Swiss Ski
„Es mag verrückt klingen, aber bei mir war als Kind nie der innige Wunsch da, Weltmeister zu werden. Mir gefiel einzig und alleine das Gefühl des Skifahrens und das Gefühl, frei zu sein. Natürlich genoss ich es aber auch, wenn ich zuoberst auf dem Treppchen stehen konnte. Mittlerweile sehe ich es so, dass es einfach etwas Besonderes ist, nicht „nur“ über die Saison hinweg vorne mitzufahren, sondern der Beste zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort zu sein. Der Anreiz wird dadurch noch grösser und die Challenge dies zu bewerkstelligen ebenso. Genau dieser Ansatz weckt in mir die Motivation alles zu investieren, um diesen Weltmeistertitel eines Tages zu holen.“
Christian Höflehner, Rennchef bei Atomic
„Nachdem ich (leider) kein Spitzensportler bin und auch nie einer war, fällt es mir schwer, diese Frage zu beantworten. Ich denke aber, dass bei den Athletinnen und Athleten, die dann letztlich diese Erfolge auch feiern, Ruhm, Bekanntheit, Ansehen oder Geld nie im Vordergrund stehen. Ich denke, dass es meistens wirklich darum geht, die oder der Beste zu sein. Alles andere ist dann eine (meist) angenehme Nebenerscheinung.“
Kurzes Fazit aus Sicht der Sportpsychologie
Die Frage, warum und weshalb eine Spitzensportlerin/ein Spitzensportler vorübergehend die/der Beste der Welt in seiner Sparte sein möchte, liefert – wenig überraschend – einen bunten Strauss an Erfahrungswissen, Überlegungen und Betrachtungen. Aus wissenschaftlicher Perspektive macht es wenig Sinn, darin allgemeingültige Erklärungsansätze zu suchen. Oder anders ausgedrückt: Jedem Weltmeistertitel liegt seine ganz eigene, individuelle und persönliche Geschichte zugrunde.
Aus den Schilderungen wird ersichtlich, dass bei vielen eine frühe individuelle Prägung (Vorbild, jugendlicher Traum, eigene Vorstellungen etc.) als Orientierungshilfe zumindest mitwirkt.
Winning Mindset
Der besondere Challenge, sein eigenes Leistungsniveau kontinuierlich zu steigern, vor allem aber die Freude im eigenen Tun und das persönliche Erleben von Kompetenzentwicklung scheinen fortan wichtige Treiber zu sein. In einer positiven und wertschätzenden Unterstützung junger Athlet*innen gerade in diesen Erlebensfeldern (Freude, Wertschätzung, Anerkennung) sehe ich einen wesentlichen Beitrag der Angewandten Sportpsychologie.
Im Verlaufe einer Sportkarriere wächst und reift das hoffnungsvolle Nachwuchstalent zu einem/einer erfolgreichen Sportler*in heran. Neben vielen Erfolgsfaktoren treten insbesondere die psychische Gesundheit und die mentale Stärke in den Vordergrund. Sobald es um „Abliefern, dann wenn’s zählt“ geht – eben im Kampf auch Weltmeisterschaftsmedaillen – spielt letztlich das „winning mindset“ eine entscheidende Rolle. Insbesondere Weltmeisterinnen und Olympiasieger wissen, wie’s geht!
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