Cristina Baldasarre: Anspornen, Loben und Motivieren im Kinderleistungssport

Positiv begleiten, statt stetig kritisieren. Eigentlich eine längst verbreitete Devise, liesse sich vermuten. Allerdings sieht die Realität im Kinderleistungssport häufig anders aus. Offenbar wurde dies in der Schweiz durch die Magglinger Protokolle und in Deutschland durch kritische Aussagen von Sportlerinnen am Olympiastützpunkt Chemnitz. Dabei bietet die oben genannte Devise reichlich Potential – auch für das System Leistungssport. Um Trainern, Betreuern, Eltern und Verbandsfunktionären aufzuzeigen, wie positivere Betreuungsansätze im Kinderleistungssport funktionieren, schauen wir uns ein Beispiel aus dem Eiskunstlaufen an, welches in dieser Form aber auch im Kunstturnen, Rhythmische Gymnastik, Tanzen oder Synchronschwimmen hätte stattfinden können.

Zum Thema: Fallbeispiel zur psychologisch geschickten Betreuung einer Nachwuchssportlerin 

Das Beispiel einer neunjährigen Eiskunstläuferin – nennen wir sie Emma – zeigt auf, wie ein gutes Zusammenspiel des Umfeldes sich positiv auf die junge Athletin auswirken kann. Emma konnte ihren ersten und persönlich sehr bedeutungsvollen Erfolg feiern und träumt nun von «Art on Ice» und Weltmeisterschaften. «Wer mehr Selbstvertrauen hat, wird öfters Erfolge erleben» und «Wer Erfolge kennt, hat mehr Selbstvertrauen»! Wir kennen alle diese bekannte Huhn-Ei-Diskussion. Eine Antwort darauf brauchen wir aber nicht. Aus der Literatur wissen wir, dass ein gesundes Selbstvertrauen vor allem auch ein positives Selbstbild und eine innere Stärke benötigt. Und eine Athletin lebt ja, systemisch betrachtet, eingebettet in ihrem Umfeld, welches essentiell an der Entwicklung beteiligt ist und ständig Einfluss nimmt. Darum ist ein professionelles Coaching eben dieses Umfeldes ein zentraler Faktor für langfristigen Erfolg.

Jeder kleinste Erfolg zählt

Emma ist seit fünf Jahren leidenschaftliche Eiskunstläuferin. Was zuerst als Hobbysport begann, entwickelte sich schnell zu intensivem Training auf und neben dem Eis. Sie trainiert im Kader ihres Clubs rund zehn Stunden pro Woche und zeigt ihr Können auch gerne an Wettkämpfen und Meisterschaften. Sie selbst hat in Trainingslagern erste Erfahrungen mit sportpsychologischen Themen machen dürfen und dabei verschiedene mentale Strategien erlernt, die ihr in schwierigen Situationen helfen, ruhig und fokussiert zu bleiben. Genauso wichtig wie die persönliche Arbeit von Emma an ihrer mentalen Stärke, ist ihr Umfeld, welches leistungsfördernd unterstützt und pädagogisch geschickt funktioniert.

Seit Anfang an galt für die Trainerinnen und Familie darum: Jeder kleinste Erfolg zählt, denn das gibt Emma Kraft, Mut und Energie zum Weitermachen. Also wurden ihr, ähnlich wie bei der Methode Marte Meo (Bünder et al., 2015), immer wieder positive Videosequenzen aller Art gezeigt und die fehlerhaften meist weggelassen. Videos von eigenen Trainings, Tests oder Wettkämpfen, aber auch von ihren Vorbildern Sarah Meier, You Young und Stéphane Lambiel. Durch das Wiederholen von gelungenen Sequenzen werden automatisch positive Gefühle der Selbstwirksamkeit, Motivation und Stolz hervorgerufen. Emma lernt mühelos und freudvoll von ihren Idolen.

Selbstwirksamkeit immer im Blick

Weiter hat Emma von ihren Trainerinnen und ihrem Umfeld über die Jahre hinweg konsequent immer wieder unterstützendes und wohlwollendes, aber auch kritisch-konstruktives Feedback erhalten. Vor allem ist die Kommunikation auf dem Eis jeweils auf die technischen Details fokussiert und Fehler werden auf die Bewegung («du musst das Knie mehr beugen») und nicht auf Emma als ganze Person bezogen («du läufst steif wie ein Stecken»). Bereits vorhandenes Selbstvertrauen kann dadurch aufrechterhalten und verstärkt werden. Ganz nach dem Selbstwirksamkeitsmodell von Bandura (1977) ist die verbale Ermutigung/Motivation und positive Kommunikation einer der vier zentralen Ansatzpunkte, um die Selbstwirksamkeit zu steigern. Menschen, mit denen unterstützend und positiv gesprochen und denen zugetraut wird, herausfordernde Situationen zu meistern, strengen sich eher an und sie glauben vermehrt an ihre Fähigkeiten.

Kinder und Jugendliche haben entwicklungspsychologisch betrachtet noch keinen stabilen Selbstwert. Sie sind darum sehr abhängig von den Voten der Aussenwelt, vor allem derjenigen der Bezugspersonen wie Eltern, Lehrer oder Trainer. Das macht sie angreifbar – oder einfacher formuliert: Mit Worten können Erwachsene viel Selbstvertrauen zerstören oder erst gar nicht aufkeimen lassen. Darum gilt bei allen Kindern und Jugendlichen das Gebot, dass Anspornen, Loben oder Motivieren stets sinnvoller ist, als das Gegenteil zu tun.

Goldwerte Erfahrungen

Der Erfolg verleiht Flügel. Das ist nicht nur ein bekannter Werbespruch, dahinter versteckt sich viel Wahres. Denn was beflügelt mehr als der erlebte eigene Lohn für seine Mühen? So durfte Emma im Herbst ihren ersten, persönlichen Erfolg feiern und wurde in ihrer Alterskategorie Meisterin. Objektiv gesehen sicherlich ein toller Moment, subjektiv betrachtet für die neunjährige aber das Grösste in ihrem Leben überhaupt. Sie trug ihre Medaille mit viel Stolz die ganze Woche unter dem T-Shirt und erzählte allen von ihrem Erfolg, erntete viele Komplimente und positives Feedback. Sich an vergangene Erfolge zu erinnern und zu erfreuen, stärkt das Selbstvertrauen ungemein. «Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, so ist es der Glaube an die eigene Kraft.» (Marie von Ebner-Eschenbach). Dieser Glaube an das eigene Können setzt voraus, in der Vergangenheit Heraus­forderungen angenommen und erfolgreich bewältigt zu haben. Dabei war für Emma zentral zu erfahren, dass sie durch ihr eigenes Handeln wirksam sein kann. Diese Erfahrung war im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert.

Wenn Trainer positiv verstärkend arbeiten, dann machen sie schon vieles richtig. So sollten Athletinnen ihre Fortschritte als persönliche Erfolgserlebnisse vermittelt bekommen. Oft werden aber eben solche Erfolgsschritte wenig thematisiert, Fehler hingegen immer wieder besprochen. Das ist wie eine Waage, die andauernd aus dem Gleichgewicht fällt, wenn diese negative Seite schwerer wiegt als die positive. Erhalten Athletinnen aber auch regelmässig Rückmeldungen auf Gelungenes, dann wächst in ihnen das Gefühl heran, Trainer und Umfeld würden ihnen etwas zutrauen. Das ist Voraussetzung dafür, um selber Vertrauen in die eigenen Fähig- und Fertigkeiten zu entwickeln. «Die Athletinnen erleben dadurch Selbstwirksamkeit, die sie in die Lage versetzt, selbstständig hart zu trainieren und Verantwortung zu übernehmen. Das macht sie stärker und steigert ihr Selbstwertgefühl (…).» (Haas, 2011, S.13).

Hinweis

Im Netzwerk Die Sportpsychologen helfen meine Kollegen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Cristina Baldasarre) gern, wenn Sie mehr Fragen zum Thema haben. Gern bieten wir auch gezielte Coachings oder individuelle Weiterbildungen an.

Der Text ist am 3. Februar 2021 bei sportlifeone.ch erschienen.

Mehr zum Thema:

Quellen:

– Bandura, A. (1977). Self-Efficacy: Toward a Unifying Theory of Behavioral Change. Psychological Review, 1977, 84 (2), S. 191-215.

– Bünder, P., Sirringhaus-Bünder, A. & Helfer, A. (2015). Lehrbuch der MarteMeo-Methode (4. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

– Bund, A. (2003). Kinder stark machen – Selbstvertrauen fördern. In: Sportpraxis, Heft 4.

– Haas, P. (2011). Paradigmenwechsel im Sportunterricht. DSLV-Info Nr.1.

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Cristina Baldasarre
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