Dr. René Paasch: Wie “Glück auf” dem FC Schalke 04 den Klassenerhalt und einen Neuanfang ermöglichen könnte

Sportlich geprägt von zahlreichen Niederlagen und finanziell in großer Not: Die Gesamtlage bei Königsblau ist brisant! Zudem kommt mit der angedachten Ausgliederung eine emotionale Zerreißprobe auf den Klub zu. Schalke 04 ist der taumelnde Riese im Ruhrgebiet. Die bange Frage lautet: Wohin führt nun der Weg des FC Schalke 04? Der Traditionsklub der uns alle bewegt, der nicht nur zu den mitgliederstärksten, sondern auch zu den wertvollsten Vereinen der Welt zählt, bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Abstieg und Ausgliederung. Er hat auf und neben dem Platz die Sicherheit und das Vertrauen in sich verloren. 

Emotionale Verbundenheit, ein höhergestelltes Anliegen, das gelebte Glück, Begeisterungsfähigkeit auf allen Ebenen und weitere menschliche Vorgehensweisen könnten auf Schalke jedoch eine Wendung herbeiführen. 

Blickt man auf Schalke, dann sehen wir wahrhaftige Tradition, eine große Anzahl von Mitgliedern und Unterstützern – regional, aber auch deutschlandweit. Dieses Potential ist gegenwärtig und wartet auf Abruf. Glück auf! Liebe Leser und Leserinnen, Ihr großartigen Schalker-Fans da draußen! Gemeinsam können wir jetzt vieles für unseren Verein tun!  

Zum Thema: Ein Verein in einer tiefen Krise und auf der Suche nach einem Ausweg

Wir müssen im Fußball lernen, entweder als Menschen miteinander zu wachsen oder als Einzelner unterzugehen.

Dr. René Paasch 

Glück auf! Der verbundene Wunsch, mit dem sich die Bergleute jahrzehntelang grüßten, spendet auch in Zeiten von Abstiegssorgen auf Schalke neue Hoffnung. Denn was heute nach Folklore klingt, war in Zeiten des Bergbaus ein Wunsch voller Hoffnung und Zuversicht. Aus der Dunkelheit des Schachtes hinaus ans Tageslicht. Die Erfahrung der Gefahr Untertage schweißte alle zusammen. Eingepfercht auf wenigen Metern, stickig, dunkel und ständig in der Gefahr, verletzt oder verschüttet zu werden. Wer diese Erfahrung gemacht hat, der weiß wie „Glück auf!“ gemeint ist! Es ist der zwischenmenschliche Wunsch, gesund und lebendig aus der Grube auszufahren. Die Familie und Freunde wiederzusehen und in die Arme nehmen zu können. Diese Freiheit, kurzzeitig genommen durch den Job unter Tage, wird zum neuen Versprechen. Glück auf! Das ist das Glück nach der Schicht. Die meisten Zuschauer auf Schalke wissen was damit gemeint ist und was echte Malocher sind. Nicht zuletzt deshalb, weil viele selbst schon geschwitzt haben, verletzt wurden oder Verluste erleben mussten. Diese einzigartige Verbundenheit und das Malochertum wünschen wir uns gerade in dieser schweren Zeit von unseren blau-weißen Jungs. Schweiß durch Kampf, Einsatzbereitschaft 90 plus 04min lang, emotionale Verbundenheit und persönlicher Wille. Eigenschaften wie sie von jeher von jedem Bergmann, Kumpel und Malocher Unter Tage gefordert und gelebt wurden. Leider ist die Zeit der Zechen Vergangenheit. Aber die tiefgründigen Werte und Traditionen werden immer noch gelebt und das zeigt sich in der Arena auf Schalke schon seit vielen Jahrzehnten durch das gemeinsame Singen des Steigerlieds. Schon oft wurde und wird das Steigerlied gemeinsam mit Vorstandsmanagern und dem gesamten Publikum voller Leidenschaft und Hingabe gesungen. Wie auch beim Abschied vom Bergbau vor dem Spiel gegen Bayer Leverkusen. 

Lasst uns zusammenstehen und gemeinsam diese Herausforderung annehmen. Diese emotionale Leidenschaft auf und neben dem Platz überträgt sich auf jeden von uns. Eine innere Verbindung sondergleichen. Lassen Sie uns aber noch tiefer in der Historie wühlen, denn dort liegt die Ursache und die mögliche Volition, für eine bessere Zukunft auf Schalke. Der Mensch im Bergbau und das Vertrauen im eigenen und fremden Tun. 

Menschen im Bergbau und deren Geschichten 

Erinnerungen können sehr unterschiedlich sein, auch diejenigen an den Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet und in anderen Regionen. Der digitale Gedächtnisspeicher “Menschen im Bergbau” dokumentiert die individuellen Erfahrungen und Erlebnisse derjenigen, die in den Jahrzehnten von 1945 bis heute den Bergbau geprägt haben und von ihm geprägt wurden: Bergleute, Untertagearbeiter und -angestellte, Zechendirektoren und Konzernmanager, Gewerkschafter, aber auch deren Familienangehörige. 

In über 80 lebensgeschichtlichen Videointerviews wird mit den Mitteln der sogenannten „Oral History“ die Grundlage für eine Erfahrungsgeschichte des Steinkohlenbergbaus gelegt, auf die unsere Jungs auf dem Rasen und der gesamte Verein zugreifen kann. Nur so ist es möglich, die wahrhafte Liebe zum Verein und Verbundenheit als Schalker kennenzulernen, zu verstehen und zu spüren. Nach diesen bewegenden Wortmeldungen wäre die Auseinandersetzung von Fangesängen und deren Strahlkraft auf den Verein ein weiterer wichtiger Schritt -trotz Corona und Stadionverbot- füreinander einzustehen und sich gemeinsam auf den Weg zu machen. Näheres dazu auf: 

Fangesänge für den Klassenerhalt  

Fangesänge und -hymnen gehören zu den festen Ritualen auf Schalke wie auch in den meisten anderen Stadien der Welt. Trommeln, Klatschen, Pfeifen, Singen – bei Bundesligaspielen wird nicht nur auf dem Platz etwas geboten. Die Musik spielt vielmehr auf den Rängen: Lautstarkes Anfeuern und Singen der Zuschauer ist heute im Sport ein festes Ritual. Man kann davon ausgehen, dass es so etwas Ähnliches schon in der Antike gegeben hat. Und vor allem in den 1960er Jahren sind in England Hymnen vor und nach dem Spiel gesungen worden. Und zwar Rufe, rhythmisches Klatschen, Kurzgesänge und dann Lieder (Brunner, 2016). Fangesänge sind gelebte Kultur auf Schalke, ein Wirkfaktor für wahrhafte Verbindungen zu den Königsblauen. Gemeinsames Singen und Sprechchöre stärken das Gemeinschaftsgefühl. 

Doch wie ist dies jetzt möglich zu Pandemiezeiten? Die Fans sollten sich überall in Deutschland solidarisieren und digital verbinden, um somit dem Club zur Seite stehen. Vieles wäre denkbar und möglich. Wohlwollende Briefe und E-Mails fertigen, Grußbotschaften per Video auf Großleinwände und bestärkende und vertrauensvolle Verhaltensweisen sichtbar machen. Grenzen entstehen nur dort, wo wir sie uns selbst auferlegen. Ein erster wichtiger Schritt war für mich die emotionale und motivierende Ansprache der Ultras vor dem Spiel gegen den FC Augsburg:

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Welche Möglichkeiten gibt es noch, um Denk- und Verhaltensweisen zielgerichtet nutzbar zu machen? Ich nenne es gern die Würze in unserem Tun: Begeisterung ist und wird die Aufgabe sein.

Weiteres dazu: 

Feuerwerk der Begeisterung 

Selbst Zirkusdompteure, Hundehalter, Fußballtrainer und Eltern haben es längst erkannt: Wer Menschen und Tiere mit Strafe und Belohnung dressiert/erzieht, bekommt keine außergewöhnlichen Leistungen, sondern nur das Verlangte. Nicht mehr, nicht weniger. Das Gleiche gilt für unsere Jungs, die in der Krise angekommen sind. Statt extrinsischer Motivation (Neuverpflichtungen, Trainerwechsel, höhere Gehälter, Bonuszahlungen bei Klassenerhalt) müssen die Spieler auf Schalke jetzt ihr intrinsisches Motivationssystem aktivieren, um Großartiges zu leisten.  

Wie wäre es beispielsweise mit etwas Ruhe oder mentalem Training? Daraus resultiert früher oder später, dass das Motivationssystem im Mittelhirn aktiv wird, das Dopamin ausschüttet und Impulse verstärkt, bis Erholung und Belastung im Alltag berücksichtigst oder das Gespräch mit einem Sportpsychologen gesucht wird. Es sorgt dafür, dass Bedürfnisse tatsächlich befriedigt werden. Dies geschieht ganz ohne Belohnung oder Strafandrohung. 

Stolze Schalker (Quelle: Sina Paasch)

Das gleiche Prinzip wirkt auch, wenn wir einen Wunsch oder ein Anliegen haben. Haben wir gehandelt und unser Ziel erreicht, belohnt uns das Motivationssystem, indem es körpereigene Opiate freisetzt, die Freude und sogar ein euphorisches Gefühl in uns auslösen können. Dieser Mechanismus führt dazu, dass wir weitermachen und dass wir uns den Herausforderungen der jetzigen Situation stellen. Auf neurobiologischer Ebene dient der Mechanismus dazu, Kohärenz im Gehirn herzustellen. Kohärenz nennt der Neurowissenschaftler Gerald Hüther (2018) den Zustand, wenn in einem selbstorganisierten System Harmonie herrscht und sich alles gut zusammenfügt. Diesen Zustand versucht unser Gehirn permanent aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen, denn dann verbraucht unser Organismus am wenigsten Energie. Haben nun die Schalker den Wunsch oder das Bedürfnis in der 1. Liga zu verweilen, ist die Kohärenz zerstört und ein Zustand der Inkohärenz tritt ein. Sie beginnen nach Wegen zu suchen, um dies zu beheben. Wenn der Impuls stark genug ist, springt unser Motivationssystem an und belohnt uns, sobald wir uns auf den Weg machen (Herausforderung meistern, gewonnene Spiele). Dank einer Mischung aus Dopamin und körpereigenen Opiaten, die unser Mittelhirn ausschüttet, fühlen wir uns dann zeitweise wie unbesiegbar. Ganz ohne Drogen. Um jetzt herausragende Teamleistungen auf Schalke zu erreichen, reicht es jedoch nicht, dass Einzelne ihre Belohnungssysteme aktivieren und in einen natürlichen Euphorierausch geraten. Es braucht eine bestimmte Zusammensetzung von Teammitgliedern. Genau das ist es, was ich in meinen bisherigen Erfahrungen im Fußball feststellen konnte, wenn Ungewöhnliches möglich wurde. Eine positiv gelebte Vereinskultur und das tiefe Interesse an menschlichem Verhalten trotz Negativserie und Leistungsschwächen waren tragfähige Unterstützer in Krisenzeiten. 

Deshalb kommt es darauf an, nicht nur die strategische Veränderung in der Vereinsführung sowie mögliche Neuverpflichtungen herbeizuführen, sondern vielmehr die subjektive Bewertung des einzelnen Spielers und Mitarbeiters. Also das, was der Betreffende in dieser jeweiligen „Situation“ wichtig findet, wofür er sich einsetzen möchte und begeistert ist. Wenn wir also wissen wollen, wieso Spieler und Vereine sich in Krisen derartig verhalten, müssen wir herausfinden, was ihnen in ihrer bisherigen Karriere wichtig war, was ihnen jetzt wichtig ist und was ihnen in Zukunft möglicherweise besonders wichtig sein wird. Denn nur für das, was einem Verein, einer Mannschaft und dem Spieler wichtig ist, kann Begeisterung entfachen. Nur wenn sich ein Mensch und der Verein für etwas begeistert, werden all jene Netzwerke positiv verbessert, die der betreffenden Situation nutzen. 

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Team – Tut etwas Außergewöhnliches miteinander

2014 gelang es unserer Nationalmannschaft nach vielen Rückschlägen, den WM-Pokal nach Deutschland zu holen. Man darf diese Mannschaft ohne Frage als „Die Mannschaft“ bezeichnen. Ihr gelang, was ihnen niemand zum damaligen Zeitpunkt zugetraut hätte. Sie unterscheiden sich von anderen da sie zwei – aus meiner Sicht – sehr wichtigen Eigenschaften aufwiesen: Die erste dieser beiden Eigenschaften finden wir auch bei Kreisliga-Mannschaften oder Klassengemeinschaften – Verbundenheit. Allein formt sie allerdings bloße Zusammenkünfte. Man mag sich, aber man macht sich nicht gemeinsam auf einen Weg. Man sitzt zusammen und verbringt eine lustige Zeit miteinander, aber man strebt nicht nach einem bestimmten Ziel. Wenn in solchen Verbindungen etwas umgesetzt werden soll, erledigen die Teammitglieder ihre Aufgaben nur so weit, wie es von ihnen gefordert wird. Denn sie teilen nicht die gleiche emotionale Verbindung zum Vorhaben wie derjenige, der ihnen den Auftrag gegeben hat. Das Ergebnis wird gut, aber nicht herausragend. Und je mehr Druck von außen ausgeübt wird, desto weniger Leistung wird erbracht. 

Herausragende Ergebnisse entstehen, wenn wir etwas freiwillig und aus innerem Antrieb heraus tun. Bastian Schweinsteiger ist dafür ein sehr vorbildliches und passendes Beispiel. Mit einem tiefen Cut unter dem rechten Auge und stetigen Schmerzen in den Füßen kämpfte er wie ein großer Krieger für sein Team und für sein Land – Deutschland. Schweinsteiger war im Adler-Trikot immer ein Anführer und Optimist mit hohen Ansprüchen, auch an sich selbst. Aufgeben war nie eine Option für ihn. Trotz zahlreicher Blessuren und Schmerzen während des Spiels, lief er für sein Team immer wieder auf und polarisierte zu Höchstleistungen. Er ist nicht nur für mich eine lebende Legende. Aus dem Jungen vom Bolzplatz in Oberaudorf wurde der unvergessliche Held Bastian Schweinsteiger. Mit diesen Eigenschaften und demselben Bedürfnis sind unsere Blau-Weißen auch ausgestattet. Doch um dies zu leben, müssen die Schalker Entdecker und Forscher werden. Das Zauberwort in diesem Zusammenhang heißt: Selber gestalten und umsetzen! 

Greifbare Identität (Quelle: Sina Paasch)

Doch oft erleben wir uns – insbesondere im Fußball – nicht als Gestalter, sondern als Objekte von fremden Zielen der Funktionäre, den Trainern und deren Erwartungen, die wir zu erfüllen haben. Wir leisten dann nur so viel wie nötig, aber Freude macht es uns nicht mehr. Genau hier liegt die zweite notwendige Komponente von echten Teams. Sie zeigen nicht nur eine starke, gütige und emotionale Verbundenheit miteinander, sondern teilen auch ein gemeinsames Anliegen, das allen gleichermaßen Freude bereitet und am Herzen liegt. Erst diese Kombination ermöglicht, was keine Verpflichtung und Vereinbarung erzwingen kann: Die Einzelnen wachsen miteinander und über sich hinaus. Im Englischen existiert auch ein Begriff dafür, wenn sich bei Teams eine solche doppelte Verbindung aus Emotionen und einem gemeinsamen Anliegen einstellt: „team engagement“ (Alfes et al. 2013). Sind wir Teil eines solchen Teams, so verändern sich sehr zeitnah auch die Denk- und Verhaltensweisen aller Akteure auf und neben dem Platz. 

Näheres zum Thema Anliegen und Ziele: 

Resilienz auf Schalke 

Finanzielle Ängste! Dauerbeschuss durch die Medien! Abstiegssorgen! Ausgliederung! Krise! Die Königsblauen leben gerade in unbeständigen Zeiten. Vereinsmanager und Akteure auf dem Feld, die über Jahre Erfolge feierten, werden mit voller Wucht von Veränderungen und Krisen getroffen, während es manch anderen Vereinen gelingt, sich beständig neu zu erfinden. Die Lösung für das Problem dieses beständigen Wandels heißt Resilienz (Scharnhorst, 2012). Es geht hier nicht um ein Wundermittel oder eine geheime Formel: Resilientes Vereinsmanagement ist vielmehr ein dynamisches Konzept, das jeder Verein für sich selbst entwickeln sollte. Unsicherheit und Krisen sind keine Ausnahmen, sondern prägen unsere Zeit. Es gibt Ereignisse, die aus heiterem Himmel treffen und tief erschüttern. Der Terroranschlag vom 11. September 2001, die Nuklearkatastrophe in Fukushima und die aktuelle Corona-Pandemie sind nur drei unter vielen. Neben solchen globalen Schocks ist auch unser Alltag gespickt mit Krisen und Zwischenfällen wie Erfolglosigkeit, Teamkonflikten oder Shitstorms. Gern betrachten wir solche großen und kleinen Vorfälle als singulär und eher unwahrscheinlich, aber im Rückblick fällt auf: All diese Ereignisse haben und hatten großen Einfluss auf das Hier und Jetzt. 

Hinzu kommen die horrenden Spielergehälter und überteuerte Transfersummen von Spielern, die uns ständig mit einer Unmenge an komplexen Zusammenhängen konfrontieren. Alles zu überblicken ist also unmöglich. Und selbst wenn wir es könnten: Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Dinge immer so sind, wie sie scheinen. Das Leben und besonders die Vereine im Leistungssport Fußball müssen stetig große finanzielle Herausforderungen meistern. Unserer Zeit lässt sich deshalb am besten mit dem Akronym VUKA (Baltes, Freyth, 2017) beschreiben. Die vier Komponenten dieses Kurzworts lauten: 

V= Volatilität bezieht sich auf die zunehmende Häufigkeit, Geschwindigkeit und das Ausmaß von (meist ungeplanten) Veränderungen 

U = Unsicherheit bedeutet das generell abnehmende Maß an Vorhersagbarkeit von Ereignissen in unserem privaten und beruflichen Leben 

K = Komplexität bezieht sich auf die steigende Anzahl von unterschiedlichen Verknüpfungen und Abhängigkeiten, welche viele Themen in unserem Leben undurchschaubar machen 

A = Ambiguität beschreibt die Mehrdeutigkeit der Faktenlage, die falsche Interpretationen und Entscheidungen wahrscheinlicher macht.
 
VUKA macht Prognosen und stabile Regeln schwer oder sogar obsolet. Wie es beispielsweise bei vielen Vereinen im deutschen Fußball zu sehen ist. Kulturvereine konnten sich jahrzehntelang über Wasser halten und sich auf einen stabilen Vereinsverlauf und deutschlandweite Fans verlassen. Aber plötzlich wollen Spielerberater und Spieler mehr Geld und viele weitere Zusatzleistungen oder Fans wollen lieber ein Spiel streamen oder als Aufnahme genießen als ins Stadion zu gehen. Die rein reaktiven Maßnahmen der Vereine wirken oft verzweifelter: Spieler lieber im Ausland kaufen statt selbst zu entwickeln, 16-jährige Jugendliche, die zum Profifußballer gemacht werden, aber das eigentliche Nachwuchsproblem und die Entfremdung zu den Fans können sie damit langfristig nicht auffangen. Das Selbstbewusstsein und die Fan-Nähe strahlen sie nicht mehr aus.

Das reine Überleben in VUKA-Zeiten ist schon eine Herausforderung und jeder, dem das gelingt, hat Applaus verdient. Doch wer wirklich erfolgreich sein will, darf sich nicht nur von den Entwicklungen im Fußball treiben lassen. Er muss die eigene Veränderung eigenständig vorantreiben. Resilienz ist die Fähigkeit, Krisen abzufangen, sich den neuen Herausforderungen zu stellen und an ihnen zu wachsen. Um wie Phönix aus der Asche zu steigen müssen wir aufhören, Krisen als Problem zu betrachten. Stattdessen sollten wir den Wandel akzeptieren und Chancen in ihm erblicken. Diese Einstellung ist die Basis der Resilienz.

Dies gilt ganz besonders für die Verantwortlichen. Ein resilienter Vereinsmanager lebt starke Werte vor und lässt seinen Mitarbeitern Spielraum zur Entfaltung. Eine der größten Herausforderungen für Führungskräfte ist es, für Stabilität zu sorgen und gleichzeitig genug Raum für Innovation und Wandel zu schaffen. Wie kann die Vereinsführung auf Schalke diese beiden Pole miteinander verbinden? Am besten funktioniert dies, wenn alle Menschen im Verein Vertrauen in ihre Fähigkeiten setzen und eine gemeinsame Mission verfolgen. Um diese Mission, die Werte und Ziele des Vereins, somit transparent wie möglich zu vermitteln, sollte die Führung ein klares Statement verfassen und eine Vereinsvision entwickeln. Auf diese Weise präsentiert der Verein, wohin er in Zukunft will und wofür sich die Arbeit lohnt.

In Stein gemeißelt. (Quelle: Sina Paasch)

So lautet zum Beispiel das „Mission Statement“ der Firma Google: „Das Ziel unseres Unternehmens ist es, die Informationen der Welt zu organisieren und allgemein zugänglich und nutzbar zu machen.“ Dieses Ziel wurde klar formuliert und weckt positive Emotionen. Es ist außerdem verknüpft mit starken Werten, hier zum Beispiel mit dem Wunsch, Wissen für viele Menschen zugänglich zu machen. Dies gibt allen Beteiligten Halt und Motivation, nicht nur in Krisenzeiten. Doch damit solche Werte mehr als nur hohle Phrasen sind, sollten die Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn Vorgesetzte die Spieler dazu anstacheln, mehr Leistung zu erbringen oder Werbeaufträge anzunehmen, als sie derzeit können, oder wenn von der Leitung aus Zahlen geschönt werden sollen, dann führt das zu einem geringeren Vertrauen, was auch die Motivation bremst. 

Dass Vereinsmanager erfolgreich sind, wenn sie Härte zeigen, moralische Grenzen überschreiten und sich selbst in den Vordergrund stellen, ist übrigens ein Trugschluss. Die Resilienz-Forschung und bekannte Beispiele aus dem Fußball zeigen, dass solche Alleinherrscher einen Verein zwar in kurzer Zeit an die Spitze treiben, der Erfolg aber selten von Dauer ist. Resilienz bedeutet, diesen Erfolg auch auf lange Sicht zu erhalten. Dafür braucht ein Manager eine Kombination der Eigenschaften unternehmerische Intelligenz und Menschlichkeit. Solche Führungskräfte stellen sich und ihre Person hinter die Ziele des Vereins. Im Vordergrund steht dann das Vertrauen in die individuellen Fähigkeiten der Mitarbeiter. Um ihnen Raum für Eigeninitiative zu bieten, kann die Führung zum Beispiel einen Aufruf starten, dass sich Freiwillige gezielt um das „Horizon Scanning“ (Becker et al. 2017) kümmern sollen. Es werden sich Menschen verschiedener Abteilungen melden, die ihr spezielles Fachwissen teilen wollen. Eine Leitung der Gruppe ist meist gar nicht nötig. Denn Freiwillige, die eine gemeinsame Motivation spüren, arbeiten zielgerichtet und kompromissbereit. Bei der Auswertung der Ergebnisse sollten Führungskräfte dann unbedingt vermeiden, Fehler zu bestrafen. Denn nur in einer vertrauensvollen Umgebung entwickeln sich wirklich neue Ideen. Mithilfe der verschiedenen Betrachtungsweisen unternehmerischer Resilienz können Vereine Krisen nicht nur meistern, sondern an ihnen wachsen. Dazu ist es wichtig, alle Menschen im Verein einzubinden und zu motivieren. Wenn die Resilienz erst einmal in den Köpfen angekommen ist, verliert der Wandel seinen Schrecken und wird zur echten Chance.  

Aufbruch, Umbruch oder Abbruch? (Quelle: Sina Paasch)

Was Schalke jetzt konkret umsetzen kann: Schalke sollte sich Inspiration von den Profis holen – Feuerwehr, Militär, Krankenhaus und Kriseninterventionsteams der Sportpsychologie „KITS“. Organisationen der sogenannten kritischen Infrastruktur sind echte Experten, wenn es um Notfallpläne und Übungen für den Ernstfall geht. Sie kombinieren die richtige Vorbereitung mit sofortiger Reaktions- und Handlungsfähigkeit. 

Weitere Inhalte zum Thema Resilienz im Sport: 

WeQ-Test für mehr Teampotential auf Schalke

Wie gut sind unsere Blau-Weißen Jungs derzeit aufgestellt? Wie groß sind die Reibungsverluste im Zusammenwirken der Spieler in der Mannschaft und dem Sportvorstand? An welchen Stellen und auf welche Weise lässt sich deren Zusammenarbeit noch nachhaltig verbessern? Das sind zum jetzigen Zeitpunkt entscheidende Fragen. 

Beispielsweise mit Hilfe eines Verfahrens, das Aussagen über die Kohärenz, also die Qualität von Teams und Gemeinschaften ermöglicht. Ein solches Verfahren gibt es. Der „WeQ-Test“. Bis September 2021 wird dieser Online-Test in einer gemeinsamen Initiative zusammen mit der WeQ-Foundation zur Verfügung gestellt. Der Test kann von Teams, Vereinen und Gemeinschaften mit maximal 20 Mitgliedern kostenlos abgerufen und durchgeführt werden. Bei der persönlichen Interpretation stehen wir als Netzwerk „Die Sportpsychologen“ gerne zur Verfügung. 

Fazit

Damit Teams herausragende Leistungen bringen können, muss sich nicht nur die Mannschaft emotional verbunden fühlen, sondern jeder Einzelne muss sich für das gemeinsame Anliegen begeistern. Intrinsische Motivation wirkt stärker als jede Belohnung oder Bestrafung von außen. Das Belohnungssystem des Gehirns wird bei ersten Erfolgen aktiviert und motiviert jeden, über sich hinauszuwachsen. Teams, die sich außergewöhnlich auf den Weg machen, profitieren von der Unterschiedlichkeit ihrer Spieler, da somit neuen Ideen und Lösungen entstehen können. Herausragende Vereine streben nicht nach Harmonie oder Erfolg, sondern nach kontinuierlicher Weiterentwicklung. Auf diese Weise bleiben sie flexibel und sind in der Lage, sich neuen Anforderungen anzupassen, statt sich auf bisherige Strategien zu verlassen. Unsere Königsblauen brauchen jetzt ein offenes, angstfreies und resilientes Klima. 

Jeder sollte ohne Angst vor negativen Konsequenzen seine Bewertungen und Befürchtungen aussprechen dürfen. Wissen alle Beteiligten auf Schalke, wie andere sie selbst und die Akteure bewerten, müssen sie ihr Verhalten nicht an Vermutungen und Verhaltensweisen anderer ausrichten. Erst dann wird echte Verbundenheit möglich. Wenn alles mit allem zusammenhängt, muss auch das menschliche und sportliche Wissen und Können jetzt auf Schalke zusammenfließen. Es braucht die Perspektiven und Fähigkeiten vieler, um tragfähige Vorstellungen zu entwickeln, was jetzt auf Schalke geschehen soll. Dabei geht es nicht darum nur Erfolge und den Klassenerhalt zu erzielen, sondern darum Ideen zum nachhaltigen Gelingen zu bringen.

Literatur 

Alfes, K., Shantz, A. D., Truss, C., & Soane, E. C. (2013a): The link between perceived human resource management practices, engagement and employee behavior: A moderated mediation model. International journal of human resource management, 24(2), 330-351. https://doi.org/10.1080/09585192.2012.679950

Adams Becker, S., Cummins, M., Davis, A., Freeman, A., Hall Gieseinger, C., & Ananthanarayanan, V. (2017): NMC Horizon Report Higher Education Edition 2017. https://doi.org/ISBN 978-0-9977215-7-7

Brunner, G. (2016): Interview. „Alles im Baukastenprinzip“. Musikprofessor Prof. Dr. Georg Brunner spricht über Kurvenlieder und Schlachtgesänge, wie sie entstehen und was sie auszeichnet. Und weshalb wir kollektiv in der Schuld von Heino stehen.

Hüther, G., Müller, S.O., Bauer, N.  (2018): Wie Träume wahr werden: Das Geheimnis der Potentialentfaltung. Goldmann Verlag

Baltes, G.H. Freyth, A. (2017): Veränderungsintelligenz – Agiler, innovativer, unternehmerischer den Wandel unserer Zeit meistern, Springer Gabler Verlag 

Scharnhorst, J. (2012): Burnout. Präventionsstrategien und Handlungsoptionen für Unternehmen. 1. Auflage. Freiburg

Walter, J. (2016): Alles geschieht im Kopf. 65-min. Film zur Praxis der Sportpsychologie. www.walter-sportpsychologie.de

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Prof. Dr. René Paasch
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