Auf der DFB-Pressekonferenz vor dem Nation League-Spiel gegen die Ukraine äußerte sich Timo Werner zum Thema Laufwege und notwendige Absprachen mit Teamkollegen, zum Beispiel am Abend vorher im Mannschaftshotel. Seine Kernaussage dazu: Solche Absprachen seien nicht mehr notwendig, da sich die Spieler aus vergangenen Tagen schon kennen. Ich halte dagegen: In bestehenden Beziehungen zwischen Spielern entstehen immer auch Anlässe für Missverständnisse, Konflikte und Zerwürfnisse, ganz besonders in einer starken Umbruchphase. Egal in welchem Team sollten wir alle Möglichkeiten nutzen, um Austausch zu fördern.
Zum Thema: Warum regelmäßiger Austausch wichtig für den Erfolg einer Mannschaft ist
Wühlen wir uns zu Anfang erst einmal durch die relevante Theorie… Einer der einflussreichsten Ansätze zur Analyse von interpersonalen Beziehungen inkl. enger Beziehungen, auf den wir da stoßen, ist der Austausch- oder der Interdependenzansatz von Thiabaut & Kelley (1959). Austausch- & Interdependenztheorien gehen davon aus, dass Menschen soziale Beziehungen aufbauen, weil sie im Hinblick auf ihre Bedürfnisbefriedigung wechselseitig voneinander abhängig sind. Interpersonale Beziehungen dienen aus dieser Perspektive dem Austausch individuell benötigter materieller, sozialer oder psychologischer Ressourcen und das fortlaufend. Zum Merken: Es hängt also vom Verhältnis des wahrgenommenen Nutzens und der Kosten ab, die aus der Beziehung (bzw. dem Austauschprozess) für die Beteiligten resultieren, ob Spieler eine Beziehung aufnehmen, aufrechterhalten oder abbrechen.
Thibaut und Kelley entwerfen mit ihrer Interdependenztheorie einen austauschtheoretischen Ansatz, der den Vergleich von Alternativen besonders in den Fokus nimmt. Neben der Analyse komplexer Beziehungsgefüge in Mannschaften mit mehreren Akteuren, treffen sie auch Aussagen zur Interaktion in Zweierbeziehungen. Die Interdependenztheorie setzt die der Austauschtheorie zugrundliegende Kosten-Nutzen-Kalkulation mit zwei weiteren Aspekten in Verbindung: Es wird zwischen zwei Vergleichsniveaus unterschieden, die als eine Art Bewertungsmaßstab Einfluss auf die Evaluation von Belohnungen und Kosten aus der Interaktion nehmen. So steht die Zufriedenheit in Relation zum „Vergleichsniveau“, die zentralen Fragen dabei lauten: Entspricht das Ergebnis den Erwartungen des Individuums entspricht und bekommt das Individuum das, was es meint, verdient zu haben? Interessant und vor allem im Teamsport relevant: Die Entscheidung darüber, ob die Beziehung aufrechterhalten werden soll, orientiert sich dagegen am „Vergleichsniveau für Alternativen“.
Zufriedenheit in Teamsportarten
Eine Spielerbeziehung orientiert sich also an unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben. Die Zufriedenheit resultiert aus der Bewertung von Belohnungen und Kosten, die sich vor dem Hintergrund eigener Erwartungen durch die Beziehung ergeben:
- Liegt das eigene Ergebnis über dem Vergleichsniveau, ist die Beziehung befriedigend und attraktiv;
- liegt das eigene Ergebnis unter dem Vergleichsniveau, ist die Beziehung unbefriedigend und unattraktiv.
Das Vergleichsniveau ergibt sich aus den bestehenden Erfahrungen sowie aus den Beobachtungen von Erfahrungen anderer Spieler.
Stabilität als wichtiger Faktor
Die Stabilität beziehungsweise Aufrechterhaltung einer Beziehung hängt dagegen vom Vergleichsniveau für Alternativen ab, welches als das geringste Nutzenlevel der Beziehung definiert werden kann, das gegenüber anderen verfügbaren Alternativen noch akzeptiert wird. Sobald der Nutzen aus der Beziehung unter dem Vergleichsniveau der Alternativen liegt, wird die Beziehung verlassen. Das Vergleichsniveau der Alternativen entspricht somit der Qualität der besten verfügbaren Alternative, die der momentanen Beziehung gegenübersteht. Unter Alternativen, mit denen die aktuelle Beziehung verglichen wird, fallen dabei sowohl andere Beziehungen mit Teamkollegen als auch das alleine sein.
Dr. René Paasch
Sportarten: Fußball, Segeln, Schwimmen, Handball, Hockey, Eishockey, Tennis
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Der Nutzen der Alternativen ergibt sich wiederum aus der Bewertung erlebter oder vermuteter Belohnungen und Kosten. Eine Bedingung für die Existenz von Zweierbeziehungen ist deshalb die gegenseitige Abhängigkeit vom Verhalten des Anderen, welches zur Erzielung von Belohnungen notwendig ist. Je höher diese Abhängigkeit ist, desto höher ist der Nettonutzen gegenüber Alternativbeziehungen und dementsprechend die Stabilität der Beziehung. Aus diesen Gründen sollte der Trainer, die Führungsspieler oder das Team in regelmäßigen Abständen ein „Spieler-Meeting“ einberufen. Der Teampsychologe kann dann dem Team in dieser Vorgehensweise mit Rat und Tat zur Seite stehen, egal ob zu allgemeinen Fragen oder bei konkreten Problemen.
Entwicklungshemmer aus dem Weg räumen
Denn der unregelmäßige Austausch und die fehlenden Absprachen in bestehenden Beziehungen einer Mannschaft ist eines der größten Entwicklungshemmer in herausfordernden Zeiten – und auch einer der häufigsten Gründe für Teamkonflikte. Die Kommunikation face to face oder im gesamten Team, sollte durch dauerhaftes Interesse geprägt sein.
Dass heißt für Trainer, Führungsspieler und Sportpsychologe: Vertrauen zeigen, Nähe fördern und stärken, menschlich fair bleiben und positives Feedback geben. Gleichzeitig sollte es dazu eine offene Fehlerkultur geben. Daher sind Spieler-Meetings wichtig, wenn Sie beispielsweise die ehrliche und wechselhafte Einstellung Ihres Gegenübers kennenlernen wollen oder auch das Engagement einzelner Spieler beurteilen möchten. Die anderen Gründe für Meetings ergeben sich dann im Wesentlichen aus der Möglichkeit einer offenen Gesprächskultur im Team und effizienten Lösungsfindung.
Tipp für die Praxis
In meiner Erfahrung ist der regelmäßige und zielführende Austausch innerhalb einer Mannschaft ein wichtiger Träger für tatsächliche Teamkohäsion. Schaffen Sie also Anlässe, an denen sich die Spieler untereinander und dem Staff austauschen können und dabei tatsächlich aktiv werden.
Stellen Sie das nächste Spieler-Meeting doch unter ein bestimmtes Motto. Sie schaffen hiermit also eine Reflexions- und Austauschmöglichkeit, über die die Spieler optimal voneinander lernen können. Bei derartig genutztem Meetings werden die Erfahrungen und Ansichten der verschiedenen Spieler diskutiert und eine übergreifende Perspektive geschaffen. Dem Beziehungsgefüge in Ihrem Team tut so etwas gut. Im Alltag sprechen wir gern vom Zusammenwachsen eines Teams. Wie wichtig das ist, wissen wir alle.
Literatur
Thibaut, J. W., & Kelley, H. H. (1959): The social psychology of groups. New York: Wiley.
Blau, P. (1964): Exchange and power in social life. New York: Wiley.
Internet
- https://tv.dfb.de/video/dfb-pressekonferenz/28946/
- https://www.die-sportpsychologen.de/2020/05/dr-rene-paasch-teamzusammenhalt-reparieren-wie-kann-da-ein-sportpsychologe-helfen/#
- https://www.die-sportpsychologen.de/2018/08/dr-rene-paasch-fehleranalyse-im-profifussball-und-unternehmen/
- https://www.die-sportpsychologen.de/2017/11/dr-rene-paasch-joachim-loews-neue-fehlerkultur-wie-fehler-positive-wirkung-entfalten-koennen/
- https://www.die-sportpsychologen.de/2020/01/dr-rene-paasch-kommunikation-bei-nachlassender-leistungsfaehigkeit/
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