Janosch Daul: Teamführung – eine ganz schön komplexe Angelegenheit

Wer hat Dich in deinem Leben bislang angeleitet (und somit geführt)? Welche Führungskräfte sind Dir in besonders positiver Erinnerung geblieben? Was hat sie ausgezeichnet? Im Laufe unseres Lebens haben wir zahlreiche Begegnungen mit Führungskräften. Man denke beispielsweise an Erzieher, Lehrer und unsere eigenen Eltern, die uns alle in irgendeiner Form geprägt, erzogen, angeleitet – und letztlich geführt haben. Auch im Sportkontext braucht es fähige Persönlichkeiten, die andere Menschen – in erster Linie die Sportler sowie das Team als Ganzes – anleiten und ihnen auf positive Art und den Weg weisen. Mit diesem Text versuche ich die aus meiner Sicht relevantesten Aspekte aufzuzeigen, die eine effektive Teamführung im Nachwuchsbereich ausmachen und in diesem Zusammenhang für die Komplexität, die mit Führung einhergeht, zu sensibilisieren. 

Zum Thema: Der Schlüssel ist der Trainer als Führungskraft selbst

Den Ausgangspunkt für eine gelungene Teamführung – und damit beziehe ich mich sowohl auf die Führung des Trainerteams als auch auf die der Spieler – stellt als Führungskraft der Trainer selbst dar. Für jeden Trainer ist es dabei wichtig, dass eine Haltung zu seine(r)/n Aufgabe(n) und Rolle(n) als Coach, zum Menschen an sich und zu seinen Wertvorstellungen entwickelt worden ist. Aus meiner Erfahrung kann ich jedem Trainer raten, in einem schriftlich fixierten Leitbild seine Überzeugungen zu skizzieren. Denn dies gibt Sicherheit, dient als handlungs- und praxisleitende Orientierungshilfe und ermöglicht ein passendes und zielgerichtetes Verhalten dem Team und den einzelnen Mitgliedern gegenüber. Konkrete Leitfragen wie diese können dabei helfen:

  • Was bedeutet Führung für mich und welche Zielstellungen verfolge ich hierbei?
  • Möchte ich in erster Linie der Gemeinschaft und den Geführten dienen oder eher mir selbst?
  • Betrachte ich die Geführten eher als Objekte bzw. Erfüllungsgehilfen, die ich mit Instruktionen füttere oder als Subjekte bzw. autonome Persönlichkeiten und lege den Fokus daher primär auf wechselseitige Interaktion? 
  • Welche Werte sind relevant für mich selbst: in meinem eigenen Leben, aber auch im Umgang mit den Geführten? 
  • Wie gelingt es mir, meine Wertvorstellungen konkret in den (Fußball)-Alltag zu implementieren?
  • Woran merke ich selbst, vor allem aber die Geführten, dass ich diese Werte auch tatsächlich spür- und greifbar lebe?
  • Welche Rolle(n) nehme ich situationsbezogen als Coach ein?

Führung durch Vorbildwirkung

Ein solches Leitbild unterstützt den Trainer zudem maßgeblich dabei, als Vorbild voranzugehen. Wem es gelingt, als ein solches zu wirken, kann Menschen dabei unterstützen, sich im positiven Sinne zu entwickeln, was wiederum hilft, ein Team zu formen, das gemäß den eigenen Wertvorstellungen handelt. Führung durch Vorbildwirkung stellt somit ein Schlüssel für eine erfolgreiche Teamführung dar. Norbert Elgert (2019) unterstreicht in seinem Buch die Wichtigkeit, als Vorbild voranzugehen: „Führen durch das Beispiel ist enorm wichtig. Wasser predigen und Schnaps trinken funktioniert nicht (S.10).“

Führung gelingt zudem beständig nur dann, wenn die Führungskraft permanent zur Selbstreflexion bereit ist, sich kontinuierlich in Bezug auf eigenes Verhalten und Wirkung auf andere reflektieren lässt und ständig an der eigenen Vorbildwirkung und Persönlichkeit sowie an den notwendigen Führungskompetenzen arbeitet. Insbesondere Fremdfeedback eröffnet neue Blickwinkel, erweitert die eigenen Perspektiven und legt Potenziale offen, die ein Coach ausschöpfen kann. Darüber hinaus benötigt eine Führungskraft eine innere Leidenschaft in Bezug auf die Arbeit mit dem Team als Antrieb für das eigene Handeln. Um als Führungsperson anerkannt zu werden, muss diese Leidenschaft zudem für die Geführten spürbar sein. Nur so kann das Team mithilfe der eigenen Begeisterung inspiriert und motiviert werden.

Janosch Daul

Janosch Daul

Sportpsychologischer Experte, Sportwissenschaftler

Sportarten: Fußball, Handball, Basketball, Volleyball, Leichtathletik, Schwimmen, Tennis, Tischtennis, Badminton

j.daul@die-sportpsychologen.de

+49 (0)176 45619041

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Ein Trainer ist ein Rollenspieler

All die bis hierhin angesprochene Aspekte stellen für mich die Basis dar, um ein Team erfolgreich führen zu können. Dann kann ein Trainer zielgerichtet an einer Kulturentwicklung und an stabilen Beziehungen zu den Geführten arbeiten – zwei Bausteine, die für mich die Schlüsselelemente für eine gelungene Teamführung darstellen. Dabei gilt es, die Individualität des Menschen zu berücksichtigen. 

Bevor ich mich hiermit genauer auseinandersetze, möchte ich noch kurz auf die Rolle(n) des Trainers eingehen. Einem modern arbeitenden Trainer gelingt es, angepasst an die Situation und die Geführten, einen situativ passenden Führungsstil an den Tag zu legen und in diesem Zusammenhang in passende Rollen zu schlüpfen. Hierfür braucht es zunächst eine ständige Auseinandersetzung mit den Menschen, mit denen gearbeitet wird und ein Interesse daran, diese in ihrer Ganzheitlichkeit, Persönlichkeit und auch Vorgeschichte kennenzulernen und immer wieder neu zu entdecken. Dies bietet nicht zuletzt die Möglichkeit, sich in den verschiedensten Situationen empathisch in den Gegenüber hineinzuversetzen und zu lernen, dessen Sprache zu sprechen. Gerade im Nachwuchsbereich müssen situationsabhängig verschiedenste Rollen flexibel eingenommen werden. Mal ist ein Coach als Experte und Wissensvermittler gefragt, mal als begeisternder Animateur und mal als Spieler, der sich in die Lage seiner Spieler hineinversetzt, mit und von diesen lernt und ihnen auf Augenhöhe begegnet. In anderen Situationen braucht es den Coach womöglich als Erzieher, der seinem Spieler im Sinne seines pädagogischen Auftrags klar die Grenzen aufzeigen muss. Mit Sicherheit gibt es noch zahlreiche weitere Rollen, wie beispielsweise die des Kollegen, teilweise auch Psychologen, in die ein Trainer punktuell schlüpft. Er muss also, in Abhängigkeit von Situation und Geführtem, einschätzen können, welches Verhalten stimmig und sinnvoll erscheint und muss daher eine enorme Bandbreite an verschiedenen Rollen beherrschen und diese mit Leben füllen.

Kulturentwicklung als eine der Hauptaufgaben

Ein bedeutender Aspekt einer erfolgreichen Teamführung besteht darin, eine werteorientierte und zugleich leistungsförderliche Kultur zu entwickeln und diese permanent weiterzuentwickeln. Hilfreich hierbei ist zunächst das Auftreten und Wirken des Trainers als Vorbild, da sich Menschen am Verhalten anderer orientieren. Ein interaktives Erarbeiten von Wertvorstellungen und Prinzipien, für die das Team auf und neben dem Platz einstehen möchte, kann die Entwicklung einer solchen Kultur maßgeblich unterstützen, ebenso ein permanentes Einfordern dieser sowie ein ständiger Austausch über diese. Gelingt es, ein Klima des Vertrauens, Respekts, der gegenseitigen Wertschätzung und Unterstützung langfristig zu entwickeln, wird sich ein Spieler in einem Team eher wohl, willkommen und akzeptiert fühlen, was nicht zuletzt eine passende Grundlage für eine permanente Leistungserbringung darstellt. Oliver Kahn (2020) betont in einem Interview die wichtige Führungsaufgabe „ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen ihr volles Potential entfalten können.“

Das Setzen individuell passender Rahmenbedingungen durch die Führungskraft stellt in diesem Zusammenhang einen weiteren wichtigen Aspekt dar. Da jeder Mensch, in hohem Maße bedingt durch Vorgeschichte, Sozialisation, Umfeld und Lernerfahrungen, als eigenständiges System zu begreifen ist, muss es einer Führungskraft gelingen, Bedingungen zu schaffen, die den Menschen ansprechen. Das Verhalten und die Kommunikation der Führungskraft muss für den Geführten eine Relevanz haben. Oder anders ausgedrückt: Das Verhalten und die Kommunikation der Führungskraft muss den Geführten erreichen und eine tiefere Bedeutung für ihn haben, damit die Botschaft ihre Wirkung auch tatsächlich entfaltet und ggf. ein erwünschtes Verhalten auslöst. Der Trainer als Führungskraft muss folglich sensibel und weitsichtig, auf Grundlage seiner Menschenkenntnis, seinem Gefühl für den Spieler und seinen Informationen über diesen, passende Bedingungen gestalten und zugleich eine Umgebung kreieren, die von diesem als attraktiv erachtet wird.

Führen bedeutet auch Beziehungsarbeit

Wer führen will, muss bzw. darf mit Menschen arbeiten. Wer mit Menschen arbeitet, muss in der Lage sein, stabile Beziehungen aufzubauen, zu gestalten, zu pflegen und ggf. auch wiederherzustellen. Eine permanente Beziehungsarbeit stellt daher ein weiterer zentraler Bestandteil einer gelungenen Teamführung dar. Die Beziehungsqualität zwischen zwei Menschen hat u.a. Einfluss auf die wechselseitige Kommunikation, das gegenseitige Vertrauen und letztlich auch auf die Leistung. Die Beziehung zum Gegenüber bestimmt beispielsweise, wie Informationen aufgenommen und verarbeitet werden. Liegen Störungen auf der Beziehungsebene vor, sind kommunikative Missverständnisse fast schon vorprogrammiert. Selbstverständlich gibt es keine Anleitung dafür, wie sich Beziehungen entwickeln und gestalten lassen. Daher versuche ich auf Basis meiner Erfahrungen als Sportpsychologischer Coach lediglich einige Anregungen zu geben.

Grundsätzlich braucht eine Mannschaft sowie jeder einzelne Spieler – als stabiles Grundgerüst für die Zusammenarbeit – einen inhaltlichen Rahmen beispielsweise in Bezug auf den favorisierten Spielstil. Bei der Gestaltung dieses Rahmens liegt es nahe, die Spieler aktiv mit einzubeziehen, ihnen somit Wichtigkeit und Wertschätzung zu schenken und sie aktiv in die Verantwortung zu nehmen. Und den Spielern gleichzeitig die Freiheit zu schenken, das Bild relativ selbstständig auszugestalten, statt ausschließlich mit Vorgaben zu arbeiten, die es 1:1 umzusetzen gilt. Diese gewissen Freiheiten wissen Spieler zu schätzen und unterstützen den Trainer wirkungsvoll bei der Beziehungsgestaltung. Darüber hinaus muss jeder Spieler das Gefühl vermittelt bekommen, ein wichtiger und wertvoller Teil des Teams zu sein und sich aktiv in Teamprozesse einbringen zu können. Kahn (2020) unterstreicht die Bedeutsamkeit, „den handelnden Personen“ zu „verdeutlichen, dass jeder ein Teil des großen Ganzen ist und einen wichtigen Beitrag zur Zielerreichung leistet.“ Dadurch lässt sich das Potenzial aller Teammitglieder effektiver nutzen. Hilfreich ist zudem immer, sich Zeit für den Spieler zu nehmen und immer wieder, in den verschiedensten Situationen und Kontexten, in zielgerichtete Kommunikation mit ihm zu treten. Sei es beispielsweise der Small-Talk auf dem Weg zum Mannschaftsbus oder ein Gespräch nach dem Training. Jede Kommunikation bietet die Möglichkeit, einen Menschen tiefergehend kennenzulernen, Neues über ihn zu erfahren und die Chance, den Gegenüber zwischenmenschlich zu erreichen und somit aktiv die Beziehung zu pflegen. Auch bei zwischenmenschlichen Störungen ist es immer wieder die Aufgabe der vorbildlich agierenden Führungskraft, zur Pflege der Beziehungsebene einen Schritt auf den Geführten zuzugehen und diesem im wahrsten Sinne des Wortes die Hand zu reichen. 

Mehr zum Thema:

Quellen

Elgert, N. (2019). Gib alles nur nie auf! Die Erfolgsstrategien vom Trainer der Weltstars. Ariston: München.

Kahn, O. (2020). Interview über Leadership, Herausforderungen und Corona. Erschienen am 28.09.2020. Zugriff am 11.10.20 unter https://fcbayern.com/de/news/2020/09/kahn-im-interview-der-strategische-radar-muss-staendig-an-sein

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Janosch Daul
Janosch Daul

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