Sportpsychologen sind prädestiniert, Athleten beim Übergang in die nachsportliche Karriere zu unterstützen. Sie kennen das Sportsystem gut und können dennoch als neutrale Ansprechpersonen wirken. Bei der Planung und Vorbereitung von Laufbahnabschlüssen können sie in vielerlei Hinsicht helfen, denn die Veränderungen, die am Tag nachdem der letzte Applaus verhallt ist, sind immens. Wir haben einige unserer Profilinhaber (zur Übersicht) mit Fragen von Athleten konfrontiert.
Interview mit Dr. Hanspeter Gubelmann, Lisa König, Anke Precht, Kathrin Seufert und Stephan Brauner
Welches sind die notwendigen Voraussetzungen und Kompetenzen, die ein Sportpsychologe bei der Beratung eines möglichen Karriereendes mitbringen muss?
Dr. Hanspeter Gubelmann (zur Profilseite): Eine Athletin oder einen Athleten im Übergang in eine nachsportliche Karriere zu begleiten, erfordert vor allem eines: Vertrauen. Vielfältige Erfahrungen und Fachkompetenz im Umgang mit Sorgen, Ängsten und Nöten sind besonders gefragt, ein systemischer Betreuungsansatz oft sehr hilfreich.
Kürzlich kontaktierte mich eine ehemalige Spitzensportlerin, die ich vor einigen Jahren bis zum Karriererücktritt betreut und darüber hinaus begleitet hatte. Ihr aktueller Arbeitsplatz ist durch die Corona-Pandemie gefährdet, sie suchte erneut Unterstützung bei mir. Auf die Frage, wieso ihre Wahl wieder auf mich falle, meinte sie. „Du verstehst mit am besten, wie ich denke, fühle und handle. Ich weiss, wie ich im Austausch mit dir zu guten Entscheidungen finde. Das gibt mir Sicherheit und Zuversicht.“
Was spricht dafür, sich jeweils sportpsychologische Experten aus der eigenen Sportart zu suchen? Was spricht dagegen?
Lisa König (zur Profilseite): Dafür spricht vor allem das vorhandene Wissen zum Karriereverlauf und die Stärken eines Sportlers aus den eigenen Reihen. Es wird kaum notwendig sein, erst die Modalitäten und Abläufe zu klären, bevor man mit der wesentlichen Arbeit beginnen kann. Wenn man auf der gleichen Wellenlänge ist und die Vorzüge und Nachteile der jeweiligen Sportart kennt, kann man sehr gut darauf eingehen und in die Beratung einbauen.
Dagegen sprechen würde in manchen Fällen, dass ein Außenstehender frei von Bewertung gegenüber dem System dieser Sportart ist und mit neuen Ideen und einer neutralen Perspektive aufwarten kann. Ebenso kann er Erfahrungen und Beispiele aus anderen Sportarten einbringen, die dem Sportler vielleicht eine neue Sichtweise auf seine Lage geben können.
Sollte ich darauf achten, einen Ex-Sportler oder eine Ex-Sportlerin zu konsultieren? Schließlich ist es doch wertvoll, wenn jemand das selbst schon erlebt hat, oder?
Anke Precht (zur Profilseite): In Ausnahmefällen kann das sinnvoll sein, zum Beispiel, wenn es einen konkreten Sportler gibt, den man als besonders gutes Beispiel betrachtet. Wo man sagt: Den Weg, den der genommen hat, möchte ich auch gehen.
Es kann aber auch ungünstig sein, mit jemandem zu sprechen, der oder die selbst Sportler war. Ein Arzt muss nicht alle Krankheiten selbst gehabt haben, um sie behandeln zu können, und gerade Ex-Sportler neigen manchmal dazu, den eigenen erfolgreichen Übergang als Maßstab zu nehmen, den der Ratsuchende möglichst übernehmen sollte. Ein Sportpsychologe, der neutral auf die Situation schaut, kann manchmal besser die individuellen Stärken und Potentiale des Menschen herausarbeiten, der vor ihm sitzt, um völlig vorurteilsfrei die nächsten Schritte zu finden.
Stephan Brauner (zur Profilseite): Ganz im Gegenteil. Erfahrung ist gut, allerdings ist eine unabhängige und neutrale Sicht hier wichtiger. Besonders wertvoll wird es sein, das eigene Netzwerk und auch dessen weitere Kontakte aktiv zu nutzen.
In den Medien ist oft die Rede von einstigen Stars, die sich mit dem Übergang ins normale Leben schwer tun. Was, wenn ich ein eher normaler Sportler bin und trotzdem Schwierigkeiten mit dem Loslassen habe, mir meine Probleme im Vergleich lapidar vorkommen? Was sind die Schwerpunktthemen, die auf den Tisch kommen dürften?
Kathrin Seufert (zur Profilseite): Jeder Mensch und jeder Sportler unabhängig vom Erfolg darf sich schwer tun, mit dem Loslassen. Das Loslassen hat ja weniger mit dem Erfolg als mehr mit der Leidenschaft und den Strapazen und dem investierten zeitlichen Aufwand zu tun. Die Schwerpunkte des Coachings bzw. der Beratung liegen höchst individuell beim jeweiligen Athleten. Beispielsweise muss nun ein “Lückenfüller” gefunden werden, der die vielen Trainings- und Wettkampfzeiten mit einer tollen neuen Tätigkeit füllt. Hier muss kein neues Hobby her, Zeit mit der Familie, dem Hund, auf der Couch sind durchaus wohltuende Füller. Ebenso kann zum Thema werden, sich bewusst zu machen, was ich alles kann, wer ich bin und was mich eben abseits vom Sport ausmacht. Dies nun losgelöst von Erfolgen und Energien aus dem Sport sind die wichtigen Grundsteine für die Zeit nach der Karriere.
Wo liegen die Grenzen eines Sportpsychologen? Was, wenn es um Drogen, Stress mit Trainern oder Partnern oder gar um ganz dunkle Gedanken geht?
Kathrin Seufert (zur Profilseite): Wie die Berufsbezeichnung SPORTpsychologe schon sagt, geht es in der Arbeit mit eben diesem/dieser darum, sich um die sportlichen Belange zu kümmern. Also all das, was Einfluss auf die Leistung und das Wohlbefinden hat. Wenn es zu sogenannten klinischen Punkten kommt, wie zum Beispiel Drogenabhängigkeit, dunkle Gedanken wie Depressionen oder suizidalen Gedanken sind die Sportpsychologen hier nicht mehr die richtigen Ansprechpartner. In der Regel wird ein solcher Athlet an einen entsprechenden Fachmann (Psychotherapeut, Psychiater) weitergeleitet. Wenn der Stress mit Partner oder Trainer sich negativ auf die Leistung auswirkt, kann das durchaus ein Thema in der sportpsychologischen Beratung sein. Aber eben nur mit dem Athleten oder mit dem Trainer in Kombination. Es wird keine Paarberatung durchgeführt, im Sinne der besseren Beziehungsgestaltung.
Lisa König (zur Profilseite): Da stimme ich Kathrin voll und ganz zu! Manchmal liegen die Gedanken und Themen, mit denen sich Sportler beschäftigen (müssen) kaum und nur knapp außerhalb unseres Fachbereiches. Aber wir müssen diese Grenzen ziehen. Sportler mit ernstzunehmenden klinischen Problemen brauchen psychologische Hilfe. Petter Northug beispielsweise hätte die Hilfe eines Sportpsychologen während seiner Karriere in Anspruch nehmen können, um sich Schritt für Schritt auf seinen ganz persönlichen Karriereübergang vorzubereiten. Nun, da er offensichtlich ernste gesundheitliche Baustellen wie Abhängigkeit und Ängste entwickelt hat, ist ein Sportpsychologe nicht mehr die richtige Wahl; hier muss er die Hilfe eines Psychologen einholen.
In welchem Umfang kann ich mit den Erfahrungen und dem Wissen aus einer Karriereübergangs auch im meinem nicht-sportlichen Leben etwas anfangen?
Stephan Brauner (zur Profilseite): Die Vorstellung von linearen Karriereverläufen ist überholt. Im zunehmend volatilen Umfeld des Arbeitsmarktes muss jeder Berufstätige mit mehreren bis vielen Brüchen rechnen. Die Erfahrung, sich auch bewusst neu aufstellen zu können, wird also noch öfter hilfreich sein können. Dazu gehört eine klare Bestimmung des aktuellen Standortes und differenziert Antworten auf die Fragen „Was kann ich?“, „Was will ich?“ und „Was bietet der Markt?“
Lisa König (zur Profilseite): Gerade in einer unsicheren Zeit wie jetzt, weiß man nie, wie das nächste Jahr aussehen wird. Genau wie Sportler, können auch Berufstätige ihre Sicherheit stärken, wenn sie frühzeitig an Alternativplänen arbeiten. Hierbei kann der Fokus zum Beispiel auf die eigenen Stärken und Qualifikationen gelegt werden: Was macht mich aus? Welche Stärken machen mich schwer ersetzbar für meine Arbeitgeber?
Neben diesem Aspekt kann auch das Aufzeigen der eigenen Ressourcen und Unterstützer viel Sicherheit geben. Wenn Familie, Freunde und Kollegen hinter einem stehen, fällt es wahrscheinlich leichter, die eigene Karriere zu managen.
Wie umfangreich ist in der Regel eine solche Karriereberatung, was kostet so etwas, geht das auch nur online, muss ich meinem Trainer darüber bescheid geben und wie merke ich, dass ich den richtigen oder die richtige Expertin gefunden habe?
Stephan Brauner (zur Profilseite): Karriere- oder Laufbahnberatung sind ganz normale Coachingthemen. „Wo stehe ich?“, „Was kann ich?“, „Wohin will ich?“ und „Was bietet der Markt?“ sind wichtige Fragen, die erarbeitet werden müssen. Bei einer langfristigen Begleitung kann und sollte das Thema immer mal wieder angesprochen und bearbeitet werden. (Wenn es „akut“ wird, kommt es darauf an, wieviel Reflektion zu den Fragestellungen schon erfolgt ist.) Da hier oft Weichen gestellt werden, lohnt sich eine Investition in mehrere Coachingsitzungen zu dem Thema bei einem spezialisierten Sportpsychologen oder auch einem Kollegen ohne Sportbezug.
Dr. Hanspeter Gubelmann (zur Profilseite): Man kann es – eben aus Sicht der Laufbahnberatung – als „normales“ Coachingthema bezeichnen, aus Sicht der betroffenen Athletin oder des Athleten dürfte die Einschätzung eine andere sein, zumal es nicht nur um kognitive Orientrierungsprozesse geht. Die zu bewältigende Zäsur ist von grundsätzlicher und unmittelbarer Natur, d.h. sie betrifft Anpassungs- und Entwicklungsprozesse in beinahe sämtlichen (Er-)Lebensbereichen. Die augenscheinlichen Veränderungen im physischen, psychischen, sozialen, ökonomischen und medialen Bereich sind für den Athleten am Tag, nachdem der letzte Applaus verhallt ist, schon in aller Deutlichkeit spürbar!
Ich kann mir zudem nicht vorstellen, dass eine Beratung online stattfinden könnte, selbst wenn ich die Athletin gut kenne. Sinnvoll wäre, wenn der Athlet im Rahmen seiner langfristigen Finanzplanung auch einen Budgetposten “Karriereberatung” vorgesehen hat. Schliesslich kenne ich Sponsoren, die AthletInnen auch im Übergang in die nachsportliche Karriere finanziell unterstützen.
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