Klaus-Dieter Lübke Naberhaus: Schmerzmittel können Sportlerkarrieren verkürzen

Die TV-Dokumentation „Pillenkick“ (Link zur Doku) – ein Projekt der ARD-Dopingredaktion und des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV – hat Anfang des Sommers den Finger in eine offene Wunde gelegt: Denn spätestens seit den Recherchen ist klar, dass der Schmerzmittelmissbrauch im Amateursport zur Tagesordnung gehört. Klaus-Dieter Lübke Naberhaus weiß um die Gefahren und die Verbreitung von “Ibu und Co.”. Wir veröffentlichen hier Auszüge aus einem Interview der ARD-Dopingredaktion, welches im Rahmen der gemeinsamen Arbeit mit dem Recherchezentrum CORRECTIV entstanden ist.

Klaus-Dieter Lübke-Naberhaus, sind Schmerzmittel eine Generationsfrage?

Ich glaube, es geht immer auch um die Weitergabe von Ritualen. Und um Vorbilder. Da kann ich als Trainer oder im Leistungssport als Mannschaftsarzt so viel sensibilisieren wie ich will, wenn das Vorbild, dem ich ja nacheifere, etwas sagt und tut, und ich dann erfahre, der nutzt so etwas, dann hat das natürlich eine wesentlich größere Wirkung. Wenn du als Trainer dann dazu etwas sagst, musst du vorsichtig mit sein. Also ich glaube, die Vorbildfunktion und das Ritual spielen eine große Rolle. Deshalb ist es wichtig, dass wir an dieser Stelle alle sensibilisieren und alle an einem Strang ziehen, und nicht nur eben der Mannschaftsarzt oder der Sportpsychologe oder die Physiotherapeuten beziehungsweise bei den Amateuren der Trainer und der Mannschaftsbetreuer so ein bisschen wie gegen Windmühlen kämpfen, sondern alle in die gleiche Richtung, für die Gesundheit des Sportlers. Dann können wir an dieser Stelle etwas bewirken. 

Gibt es einen großen Unterschied zwischen Profi-Sportlern und Amateursportlern?

Ein Profi ist es gewohnt, dass er sich zwischen den Trainingseinheiten pflegen lassen kann, sich regeneriert oder aktiv erholen kann. Der greift auf ein Rundumprogramm zurück, was der Amateursportler in der Regel nicht kann. Dabei ist die Belastung aber schon enorm, körperlich und psychisch. Hinzu kommt die Verquickung und das Addieren von bestimmten Konflikten, die Sportler aus dem Berufsleben oder dem Privaten mitbringen. Dies führt dazu, dass der Sportler ähnlich beansprucht wird wie auf dem Profi-Level. Mit den logischen Folgen: In den Gelenken entstehen Abbauprodukte, es entsteht Verschleiß, kleine Verletzungen (Mikrotraumata) – im Ergebnis ist der Schmerz da. Aus meiner Erfahrung ist dann im Amateursport fataler Weise der Glaube sehr verbreitet, dass Schmerzmittel ein Wunderheilmittel für alles darstellen.

Ein Wundermittel, dass ein Gefühl der Sicherheit vermittelt?

Die Einnahme von Schmerzmitteln hat mehrere Faktoren. Vorrangig geht es darum, dass ich mir eine gewisse Sicherheit vorgaukele, die letztendlich nicht da ist. Und letztendlich wird es auch irgendwann zum Ritual, welches wiederum doch eine Form von Sicherheit darstellt. Dass ist dann das Gleiche, als würde ich mir immer den linken vor dem rechten Socken anziehen. Oder ich hab mein Schweißband immer dabei. Oder ich stell meine Trinkflaschen so in der Reihenfolge wie immer auf. So wird das Ibuprofen – als Beispiel für viele Schmerzmittel und Entzündungshemmer – in gewisser Weise zum Ritual. Wenn ich es nicht mache, dann begebe ich mich in eine Unsicherheit. Dann fehlt mir etwas in der Vorbereitung auf das Spiel. Und das kann von einem Einzelritual zu einem Mannschaftsritual werden, wo dann eine gesamte Mannschaft aus diesem Grunde ein Schmerzmittel vorher einwirft. Oft steht dann “eine Schüssel” in der Kabine, an der jeder vorbei geht und zugreift. 

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Geheimsache Doping – Beiträge der ARD-Dopingredaktion 

Rituale haben oft etwas mit Angst zu tun?

Ja, denn Rituale sind ja dazu da, um Ängste, Unsicherheiten und diese gewisse (Über-)Nervosität zu nehmen. Das Ritual hilft, um ein gewisses Selbstbewusstsein zu erlangen. Wir kennen das auf anderer Ebene von den All Blacks, den neuseeländischen Rugby-Spielern, wenn die ihren Maori-Tanz, den Haka, aufführen. Dann ist das beeindruckend für den Gegner und schafft ja für die Mannschaft selber ein riesiges Selbstbewusstsein.

Lässt sich das Ritual denn irgendwie ersetzen? Platt: Das Stück Schokolade statt der Zigarette…

Also wenn es nur um die rituelle Einnahme von Schmerzmitteln geht, ließe sich so ansetzen. Allerdings sind wir dann schnell bei der Voraussetzung einer sportpsychologischen Betreuung und einer entsprechenden sportpsychologischen Schulung von Spielern und Spielerinnen. Dass der Bedarf da ist, haben wir in der TV-Doku Pillenkick gesehen.

Gibt es sportpsychologische Techniken gegen Schmerz?

Ich komme ja aus dem Bereich der hypnotherapeutischen Schule und damit auch aus der medizinischen Hypnose. Und die Hypnose wird ja bei Zahnärzten, bei den Anästhesisten eingesetzt, zum Beispiel um Narkosemittel zu sparen, dass heißt also ganz klar, um Schmerzen zu reduzieren. Natürlich gibt es die Möglichkeit, den Spielern über die Selbsthypnosefähigkeit Mittel an die Hand zu geben, mit Schmerzen anders umzugehen. Ein Beispiel: Wenn ich zu einem entsprechend geübten Spieler sage, dass seine verletzte Hand kälter und kälter wird, ergibt sich daraus, dass die Rezeptoren ähnlich wie beim Eiseinsatz abgekühlt und der Schmerz nicht mehr so wahrgenommen wird. Das kann ich bis hin zu einer Anästhesie, also einer völligen Unempfindlichkeit gegenüber dem Schmerz ausbauen. Und damit habe ich eine gute Alternative.

Klaus-Dieter Lübke Naberhaus

Klaus-Dieter Lübke Naberhaus

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In den Recherchen sind wir auf Aussagen gestoßen, dass Sportler mit Hilfe von Schmerzmitteln ihre Karrieren verlängern wollen? Was sagen Sie dazu?

Ich würde eher sagen, dass die Einnahme von Schmerzmitteln durchaus geeignet ist, den Karriereverlauf zu verkürzen. Wenn ich unter Schmerzmitteln zum Beispiel zu früh in den Wettbewerb einsteige, kann das dazu führen, dass ich bestimmte Schutzreflexe ausschalte, die zu einer chronischen Schädigung führen können. Ich sage ganz klar, dass Schmerzmittel und auch Entzündungshemmer denkbar ungeeignet für chronische Verläufe sind. Es gibt sogar Untersuchungen, die zeigen, dass der Schmerzmitteleinnahme bei chronischen Entzündungen der Achillessehne eher dazu führt, dass es einen Achillessehnenriss gibt. Die Medikamente sind in einer akuten Phase gut geeignet, da gehören sie auch hin, da setzen wir sie auch als Mannschaftsärzte ein. Aber für eine chronische Geschichte sind sie denkbar ungeeignet, da stehen andere Ansätze wie physikalische Therapie, Medizinische Trainingstherapie und Krafttraining sowie andere naturheilkundliche Maßnahmen im Vordergrund. Zusammengefasst muss ich sagen, dass eher die Gefahr größer ist, dass es zu einer Verkürzung oder dem Ende einer Karriere kommen kann, denn von einer Verlängerung ausgegangen werden kann. Und wenn es eine Verlängerung gibt, zu welchem Preis wird sie dann erkauft?

Sind Schmerzmittel leistungssteigernd?

Wir könnten jetzt eine akademische Diskussion über Doping führen. Aber nein: Aus meiner Sicht sind sie leistungssteigernd, ganz klar. Denn manche Leistung ist gar nicht möglich, weil eben der Schmerz mich daran hindern würde.

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