Ob sich ein erwachsener Mensch bewegt – im Sinne von: sportlich betätigt – ist seine eigene freie Entscheidung. Niemand, mich eingeschlossen, hat das Recht, ihm Sport nahe zu legen, gar ihn als Couch-Potato abzuwerten. Sport tut einem gut, hält den Körper gesund und macht den Kopf frei. Ganz einfach. Das wissen Menschen, die sich regelmäßig bewegen – es geht ihnen einfach besser. Die positive Wirkung von Bewegung auf Körper und Geist ist in jedem Alter auch wissenschaftlich mehrfach belegt. Aber um die Wissenschaft geht es nicht. Es geht auch nicht um das Gewissen: „Ich habe es mir vorgenommen aber…“ Letztendlich entscheidet jeder für sich selbst und niemand sollte diese, seine Entscheidung auslegen. Als Sportpsychologe fühle ich mich auch nicht berufen, jemanden zu Höchstleistungen zu „peitschen“, der es nicht will und ihn deswegen auch nicht abzuwerten, dass er es nicht will. Dies gilt für den Breitensport ebenso.
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Aber es gibt ein Alter, wo der Mensch sich nicht-bewegen nicht kann: Die Kindheit. Am Anfang hat er Freude daran zu krabbeln, weil er seinen Radius erweitert und somit seine Neugierde befriedigen kann. Dann hat es Freude am Stehen, Gehen, den Eltern davonlaufen oder mit dem Hund mitlaufen. Das Kind lernt Fahrradfahren oder düst mit seinem Roller zwischen Passanten am Gehsteig durch, die er als Hindernis interpretiert und ein Gefühl von Sieg davon trägt. Er ist nämlich schneller unterwegs und dieses Gefühl von schneller, geschickter wird ihn noch Jahre lang beschäftigen. Dann lernt es andere Kinder kennen, auf Bäume klettern, Bälle werfen, im Schwimmbad die Rutsche stundenlang hinauf hinunter, rückwärts, Kopf nach vorn, alles was ihm einfällt und an Kreativität mangelt es ihm nicht. Es realisiert, sich mit anderen zu bewegen, macht nicht nur Spaß, es ist auch eine Möglichkeit, sich zu erproben und zu behaupten und das macht noch mehr Spaß.
Vielleicht entscheidet sich das Kind für eine Sportart, wo es all das komprimiert haben kann: Spaß, Entwicklung, Sieg und Gemeinschaft und tritt einem Sportverein bei. Und dann, mitten in diesem Entwicklungsprozess kommt die Schule: sitzen, im Pausenhof nicht laufen, sitzen und noch mehr sitzen. Auf dem Stundenplan steht zwar Sport aber sollte die Frau Lehrerin keine Affinität zum Sport haben, heißt das entweder eine Freistunde am Sportplatz oder ein Spaziergang im Wald. Na gut, manchmal Völkerball. Die Entwicklung orientiert sich aber nicht an den zivilisatorischen Vorgaben, das Kind bleibt in Bewegung und will sich messen und behaupten. Die Lehrerin ist ratlos, die Eltern verzweifelt, das Kind bekommt keine positive Beurteilung und darf deswegen solange nicht mit Freunden Fußballspielen, bis die Noten nicht ausgebügelt sind. Der Teufelskreis nimmt seinen Anfang.
Ein sportlicher Weg?
Das Kind entdeckt die andere Möglichkeit zu spielen, geschickt sein zu können, eine verlockende bunte Möglichkeit, die seine Fantasie anregt und es auch herausfordert. Zudem kann unser Beispielkind es auch unkompliziert und unbemerkt machen und es gibt auch da, andere Kinder – das Handy. Es hat ihm das Christkind beschert und die Eltern schauen nun mal nicht so genau auf die Uhr. Das Kind kommt in eine höhere Schule, noch mehr Lernstoff, noch mehr sitzen, viel mehr Hausaufgaben und somit doppelt so viel sitzen. Die neuen Freunde kennen andere, viel interessantere Spiele am Handy. Diese Schule ist viel ernsthafter, es wird einem täglich eingeprägt, man lerne fürs Leben, deshalb der enorme Zeitaufwand. Und der Sport? – drei ganze Runden laufen? Das ist anstrengend, die Mädchen werden in der Pubertät eher träge, Jungs folgen. Sie bleiben zwar den Wettkämpfen näher, verlagern ihr Interesse allerdings individuell und das was die Schule vorgibt, ist eh öde.
Dr. Rita Regös
Sportpsychologin, Mental Trainerin
Sportarten: Eisschnelllauf, Short Track, Ski Alpin, Snowboard, Eiskunstlauf, Kanuslalom, Judo, Schwimmen, Gras Ski, Pistole, Bogenschießen, u.a.
Kontakt:
+43 (0)650 7399721
r.regoes@die-sportpsychologen.at
Zur Profilseite: https://www.die-sportpsychologen.de/ritaregoes/
Zugegeben, eine etwas überspitzte Darstellung der negativen Entwicklung hinsichtlich der Bewegung und Bewegungsmöglichkeit unserer Kinder. Aber es kommt dicker! Es gibt viele Beispiele, wo der Sport ein Teil des Lebens bleibt, sich sogar zu einem großen Part des Lebens entwickelt und daraus Leistungssport, zum aktiven Vereinssport oder zu einem lebenslangen Breitensport etabliert. Aber stellen wir uns mal vor, es kommt ein Tag, an dem plötzlich alles gesperrt ist. Die Lage ist ernst, es vergeht eine Woche, noch eine, ein Monat: Das Kind hat gerade Fahrrad fahren, schwimmen gelernt aber er darf nicht raus. Er ist seit einigen Jahren im Verein, macht sich recht gut, aber der Verein ist geschlossen. Mit seinen Freunden darf er sich nicht treffen und Papa war noch nie fürs Kicken zu begeistern, Mama quält sich auch nur langweilig am Heimtrainer vor dem Fernseher. Aber dann nach einigen vielen Wochen, für ein Kind eine endlos lange Zeit, kommen positive Nachrichten: Zuerst darf man shoppen, dann sich mit ein, zwei Freunden treffen, dann Essen und zuletzt in die Schule gehen. Der Sport? Nun ja, der bleibt gefährlich, der Volleyballplatz am Ende des Dorfes ist zwar zugänglich aber ohne Mindestabstand ist Volleyball verboten. Mit, kann man Volleyball nicht spielen. Der Tennisplatz genauso und das Freibad ist ein echter Sicherheitsparcours mit Minutenregelung an der Rutsche, Mundschutz an der Wiese. Die Vereine bekommen aufwendige Auflagen und manche Sportarten gehören sowieso zu den Risikogruppen, für die gibt es nicht einmal Auflagen, nur ein Verbot. Die letzte Hoffnung auf endlich Toben und sich bewegen ist die Schule, die bald losgeht – los geht? Ja, Mathe, Kunst Bio, der Sportunterricht bleibt aus – mit den Sicherheitsauflagen nicht realisierbar.
Nun habe ich zwei drei doch recht wütende Fragen:
Warum sind etliche Sportlehrer und Trainer durchaus in der Lage, kreative Möglichkeiten zu entwickeln, um den Sportunterricht und den Vereinssport auch unter diesen Bedingungen gestalten oder alternativ am Laufen halten zu können, ihre Kinder bewegen – andere hingegen berufen sich gemütlich auf die vorgegebene Unmöglichkeit? Weil ersteren die Relevanz der Bewegung für die gesunde Entwicklung unserer Kinder bewusst ist und am Herzen liegt.
Die Bundesliga geht los: Wer wird in zehn Jahren Juniorkader, wenn sich der Leistungssport egoistisch lediglich um sich selbst kümmert und die kleinen Kicker, Reiter, Schwimmer, Tennisspieler, Radfahrer in ihrem Bewegungsdrang alleine lässt? Vorbilder mit großen Namen setzten sich doch für kleinere ein?
Und die letzte Frage, an wen auch immer gerichtet, erübrigt sich bei der Bildungspolitik oder bei der gesellschaftlichen Einstellung: Tausende im Shopping Center, im Baumarkt, der Sportplatz, der bleibt zu. Ernsthaft? Shoppen vor Sport?
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