Es ist nichts mehr so wie es noch vor ein paar Wochen war. Doch wollen wir uns hier nicht über das ärgern, was ist und dem nachtrauern, was war! Wir wollen uns heute damit beschäftigen, wie wir am besten mit dieser ungewollten Veränderung umgehen, um daraus für die Zukunft zu lernen. Es ergeben sich in unserem Trainings- und Wettkampfalltag doch immer wieder mal Situationen, die eine Veränderung mit sich bringen, die uns dann mehr oder weniger betrifft. Als Beispiel soll uns die Schwimmerin Jessica Steiger dienen. Die Brustspezialistin war in sehr guter Form, bevor es den Lockdown gab. Sie war drauf und dran sich für Tokyo zu qualifizieren, also ihr großes Ziel zu erreichen. Nun die Verschiebung, die mit vielem mehr einhergeht. Unsicherheiten rund um Sponsorengelder, Arbeitsleben, Privatleben und und und… Aber am Ende, so viel sei an dieser Stelle versprochen, können wir von ihr lernen.
Zum Thema: Eine Veränderung ist für viele erst mal eine blöde Sache. Warum eigentlich?
Wenn wir uns im sicheren Gewässer aufhalten, befinden wir uns nach dem 3-Phasenmodell nach Luckner und Nadler (1997) in der Komfortzone. Hier bin ich im Vertrauten, fühle mich geschützt und kompetent, Herr bzw. Frau der Lage und kann voraussehbar meinen Weg dahin gehen. Hier fühlen wir uns pudelwohl, müssen keinerlei Anstrengungen hegen und auch nur ein wenig nachdenken. Wir bedienen uns in dieser Zone von gewissen Automatismen, die sich über die Zeit hin eingespielt haben. Alles was routiniert ist und uns daher Sicherheit gibt, zählt dazu. Dies kann neben der gewohnten Umgebung durch Freunde und Familie auch das normale Training sein, Routinearbeiten oder aber auch Tätigkeiten wie das Autofahren, welches mit der Zeit in Fleisch und Blut übergegangen ist. Für Jessica Steiger wäre das ihr gewohntes Umfeld mit Trainer, Sportstätte, Partner, Familie und Sponsoren.
Doch was passiert, wenn wir den Mut aufbringen und ein neues Terrain betreten wollen? Der Schritt aus der Komfortzone heraus ist nicht immer einfach und ist nicht selten mit Verunsicherung, Angst oder Risiko verbunden, bringt uns aber eine Chance, uns weiterzuentwickeln und zu wachsen. Der Leitspruch hierzu muss sein: „Ich kann das schaffen!“
Wachstumszone
Denn mit dem Schritt heraus aus der Komfortzone betreten wir die sogenannte Wachstumszone – oder auch Lernzone genannt. Beim ersten Überschreiten dieser Grenze fühlen wir uns unwohl, sind angespannt, das Herz klopft und es möglicherweise auch ein wenig Angst dabei. Doch wage ich diesen Schritt ein weiteres Mal, so kann man schon die erste Veränderung beobachten. Das Unbekannte ist schon ein wenig bekannter und die Sorgen lassen vielleicht schon ein wenig nach. Mit immer größeren Vertrauen in die Sache senke Ich meine Hürde und kann damit auf Dauer sogar Grenzen verschieben.
Nicht jede Herausforderung der Wachstumszone ist gleich einfach zu bewältigen. Für die Schwimmerin Steiger heißt das nun die Herausforderung der Terminänderung und alle damit verbundenen Probleme und Hindernisse anzugehen.
Panikzone
Unter Umständen, ist die Hürde zu hoch oder der Schritt aus der Komfortzone in die Wachstumszone zu groß, so dass wir uns in einen Zustand von großem Stress oder leichter Panik bringen. Ein Gefühl von Überforderung und psychischen Symptomen wie Zittern oder Schweißausbrüche kann ein Begleiter dieser Überschreitung sein. Doch bedeutet das nicht, dass diese Herausforderung nicht gemeistert werden kann. Dieser Bereich nennt sich die Panikzone, die man mit Unwohlsein verlässt oder aber mit großem Stolz meistert.
Nach dem ersten Schrecken und der Ratlosigkeit für Jessica Steiger hieß es dann zu überlegen, wie die Ziele neu gesetzt werden können? Wie also nun mit auslaufenden Sponsorenverträgen umgehen, wie die Trainingsgestaltung angehen, wie sich in der wasserfreien Zeit fit halten? Und wie sollte sie mit der geplanten Hochzeit nächstes Jahr und dem geplanten Berufseinstieg umgehen? Hierbei kommt es ganz zentral darauf an, sich mit den eigenen Ängsten und Sorgen zu beschäftigen, sich Verbündete zu suchen und darauf zu achten, dass man in der Wachstumszone bleibt und so wenig Panik wie möglich entsteht, um das Stresslevel so gering wie möglich zu halten.
Grenzen verschieben
Am Ende ist es das Ziel, seine Grenzen nach und nach zu verschieben. Aus der anfangs herausfordernden Wachstumszone wird der Komfortbereich und die Panikzone löst im Wachstumsprozess weder Angst noch Schrecken aus, sondern stellt eine überwindbare Herausforderung dar. Es geht darum, Grenzen zu verschieben, die Komfortzone zu erweitern und dies in vollen Zügen zu genießen, was man da erreicht hat.
Und wenn wir uns nun in die aktuelle Situation hineinversetzen, in der wir unseren Saisonhöhepunkt um ein Jahr verschieben müssen, in der wir unserem Sport nicht wie gewohnt nachkommen können oder auch nun den heimischen Esstisch zum Arbeitsplatz umgestalten müssen, so werden wir von Corona aus unserer Komfortzone getrieben. Es ist nun an uns, daraus zu wachsen und nicht in Panik zu verfallen.
Ganz konkrete Tipps für die Praxis
- Tauscht euch über euer Wachstum aus und lasst uns teilhaben daran, wie ihr eure Grenzen verschoben habt. Und eins ist schon jetzt klar, man sollte bei all den Umständen stolz auf sich sein, dass man trotz des unfreiwilligen Verlassens, den Weg annimmt und weiterwächst! Jetzt ist es an dir, in der neuen Herausforderung Ziele und Träume zu finden und den Weg weiter zu gehen!
- Auch wenn es sich angenehm und schön in der Komfortzone anfühlt, so birgt es auch eine Gefahr, sich nur in dieser aufzuhalten. Denn so entstehen Gewohnheiten und Denkmuster, die schwerer und schwerer zu durchbrechen sind. Denn auch unsere Motivation lässt in der Komfortzone nach. Keine Herausforderung, keine Ziele, keine Motivation. Also stell dich immer wieder neuen Herausforderungen und nimm die Challenge immer wieder an, um zu reifen, dich zu entwickeln und Platz für deine Träume und Ziele zu schaffen.
- Wie kannst du dir neue Ziele setzen? Eine simple Möglichkeit ist es, sich aufzuschreiben, was man noch erreichen möchte oder unbedingt noch getan haben will, eine sogenannte Bucket-List. Sie beinhaltet Ziele und Träume, die meist auch mit kleinen Überwindungen verbunden sind, wie beispielsweise ein Fallschirmsprung. Das visuelle vorstellen dieser Ereignisse und Ziele ist bereits ein erster kleiner Schritt aus deiner Komfortzone heraus. Und es ist nun klar geworden, dass uns die Komfortzone in Routinen verfallen lässt. Diese aufzubrechen, um sie vielleicht zu optimieren, ist dabei ein toller Wachstumsschritt.
- Und was gibt es schöneres als ein Ziel gemeinsam anzugehen?! Wieso also nicht den Partner, die Partnerin, den Freund, die Freundin oder seine Mannschaft mitnehmen auf die Lernebene und gemeinsam zu reifen? Gemeinsam ist es leichter, Herausforderungen zu meistern. Und denkt daran, auch in schwierigen Situationen: Stärkt euch gegenseitig und helft euch untereinander weiter, wenn einer mal eine Schwächephase hat.
- Aus der Komfortzone sieht das ein oder andere Ziel vielleicht riesig und schwer überwindbar aus. Hier ist es ratsam, sich mit den Ängsten auseinander zu setzen und sich bewusst zu werden, warum ich überhaupt Angst vor der Situation habe. Da Angst ja eine subjektive Bewertung einer Situation im Abgleich mit deinen eigenen Fähigkeiten darstellt, müssen wir uns genau ansehen, welche Fähigkeiten anscheinend fehlen, um die Aufgabe zu meistern. Schaffen wir es, uns dieser Angst zu stellen, können wir einen doppelten Effekt erzielen: Wir haben einen Lerngewinn und gleichzeitig einen Angstverlust.
- Und auch unser Selbstvertrauen erhöht sich mit zunehmender positiver Überschreitung der Komfortzone und wachsenden Fähigkeiten. Denn auch, wenn wir die Aufgabe beim ersten Mal nicht schaffen, so kann der aufgebrachte Mut und die Überwindung der Hürde trotz Misserfolg uns stärken und einen positiven Einfluss auf einen neuen Versuch haben.
- Bei mehrfachem Verlassen der Komfortzone steigern wir zudem unsere Flexibilität. Wir schaffen es so, vielfältige Möglichkeiten zu erstellen, auf die verschiedensten Anforderungen und Probleme des Alltags angemessen zu reagieren. Stellt es euch als euren Werkzeugkoffer vor, den ihr mit jedem Mal mit neuen Instrumenten füllen könnt und somit auf jede Baustelle vorbereitet sein könnt.
- Doch Vorsicht! Es ist toll, wenn du deine Wachstumszone erreichst und deinen Horizont erweiterst. Achte jedoch darauf, dass du dich nicht überforderst und nur noch zwischen dem Wachstums- und der Panikzone hin und her pendelst und so ständigem Druck und Stress ausgesetzt bist. Das macht dich auf Dauer krank und kann zu ernstzunehmenden Krankheiten der körperlichen und physischen Überlastung führen.
- Finde also deine goldene Mitte zwischen dem routinierten komfortablen Leben und echten Herausforderungen. Es ist wichtig, die du dich immer mal wieder überdenkst und optimierst, dich aber immer in Aufgabenbereichen bewegst, die du für stemmbar hältst und dich nicht permanent unter Druck setzt.
Kathrin Seufert
Sportarten: Fußball, Schwimmen, Eishockey, Basketball, Schießsport, E-Sports aber auch offen für alle anderen Sportarten
Kontakt:
+49 (0)152 092 602 88
k.seufert@die-sportpsychologen.de
Zum Profil: https://www.die-sportpsychologen.de/kathrin-seufert/
Was wir aus diesem Modell für die aktuelle Zeit mitnehmen können?
Wir sind zwangsläufig aus der Komfortzone geworfen worden. Es liegt nun an uns, die Ziele zu formulieren, das Wachstum zu steuern und die neue ungewohnte Situation nicht in die Panikzone gleiten zu lassen.
Die Planung für die Saison muss neu überdacht werden, Alternativen der sportlichen Betätigung müssen gefunden werden. Aber erinnern wir uns doch mal zurück, weswegen wir mal mit unserem Sport begonnen haben und versuchen nun, daran zu wachsen, Konzentrieren wir uns darauf, wie wir uns weiter fit halten, wie wir mit unvorhergesehenem umgehen lernen und die Zielsetzung neu formulieren, um neue Motivation und Kraft für die kommenden Aufgaben zu schüren.
Von Jessica Steiger lernen
Jessica Steiger hat nun ein Crowdfunding gestartet (zur Aktion), um die Finanzierung ihres Profisports und der Verlängerung des Olympiazeitraumes realisieren zu können. Ein erster wunderbarer Schritt, an dem sie sich Verbündete sucht, ihre Komfortzone zwangsläufig verlassen hat, die Grenze aber sicherlich schon ein ganzes Schritt Richtung Wachstumszone hin verschoben hat, in die sie bei der Findung von Ideen eingetaucht war. Wir drücken ihr und allen Athleten die Daumen und wünschen viel Kraft und Energie bei der Neugestaltung ihrer Ziele und der Realisierung ihrer Träume!
Wir werden stärker zurückkommen und vielleicht hat der/die ein oder andere nun Zeit und Lust, sich intensiver mit der mentalen Seite zu beschäftigen. Denn mentales Training von bestimmten Abläufen kann die Fähigkeiten erhalten und in Kombination mit der tatsächlichen Ausführung zu einem maximal effektiven Ergebnis führen. Bei Fragen zur Arbeit mit dem mentalen Training oder anderen sportpsychologischen Möglichkeiten kontaktiert gerne meine Kollegen (zur Übersicht) oder mich (zum Profil von Kathrin Seufert). Wir stehen euch gern zur Verfügung!
Quellen:
Luckner, J.L. & Nadler, R.S. (1997). Processing the experience – strategies to enhance and generalize learning. Dubuque, Iowa: KendallHunt.
Link: https://swimsportnews.de/10276-jessica-steiger-ich-lasse-mir-meinen-traum-nicht-kaputt-machen
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