Andreas Meyer: Wie sich Angst auf unser Immunsystem auswirkt

„Angst essen Seele auf“, so heißt ein bekannter Film aus dem Jahr 1974 des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder. So könnte allerdings auch der Titel der aktuellen Corona Krise lauten. Viele Menschen verspüren Angst, getrieben durch Unsicherheiten in der jetzigen Situation und Horrorszenarien aus den Nachrichten.

Zum Thema: Umgang mit Ängsten

„Ich werde ganz krank vor Sorge.“ Dieser oft gehörte Satz hat seine Daseinsberechtigung, denn Angst wirkt sich auf das Immunsystem aus. Gerade lang anhaltende Angst, gepaart mit dem Gedanken der Unkontrollierbarkeit der Situation oder dem Gefühl, der Situation ausgeliefert zu sein, stellen einen nicht zu unterschätzenden Einflussfaktor auf das Immunsystem dar.

Ergänzend zu diesem Thema habe ich vor einiger Zeit eine Studie zusammengefasst, welche sich mit Placebo und Nocebo Reaktionen auseinandersetzt. Diese möchte ich euch zur Verfügung stellen, denn sie gibt einen Hinweis darauf, warum es sinnvoll sein kann, ruhig einen Tag mal auf Nachrichten zu verzichten und sich den schönen Dingen des Lebens hinzugeben. Gerade jetzt!

Placebo und Nocebo

Im März 2017 veröffentlichten Corsi & Colloca im Journal „Frontiers in Psychology“ ihre Studie mit dem Titel „Placebo and Nocebo Effects: The Advantage of Measuring Expectations and Psychological Factors“ (Placebo und Nocebo Effekte: Der Vorteil von Messungen der Erwartungshaltung und von psychologischen Faktoren).

Es konnte schon in vorherigen Studien aufgezeigt werden, dass psychologische Faktoren wie Optimismus, Beeinflussbarkeit und Empathie zu Placebo-Effekten führen. Währenddessen psychologische Faktoren wie Pessimismus, Angst und Katastrophisierung mit Nocebo-Effekten assoziiert werden.

Die Leitfragen der Studie

In dieser Studie wurden folgende Fragen verfolgt:

  • Wie beeinflussen psychologische Faktoren und die Erwartung von Schmerz das empfundene Schmerzerleben? 
  • Entsteht placeboinduzierte Hypoalgesie (vermindertes Schmerzempfinden) und noceboinduzierte Hyperalgesie (Schmerzüberempfindlichkeit) als Folge von Erwartungen und Persönlichkeitsmerkmalen? 

Methode:

Es absolvierten 46 gesunde Personen (24w & 22m) eine sehr zuverlässige Konditionierungsaufgabe. Die Versuchspersonen mussten folgende Bestimmungen erfüllen:
–       keine kardiovaskulären oder neurologischen Erkrankungen
–       keine psychiatrischen Krankheiten (weder selbst, noch in der Familienhistorie)
–       kein aktueller oder früherer Drogenkonsum
–       kein akuter oder chronischer Schmerz
–       keine Farbblindheit
–       keine aktuelle Schwangerschaft
–       keine Einnahme von Schmerzmitteln oder anderen Medikamenten
–       kein Tabak- oder Nikotinkonsum

Die Teilnehmer bekamen über Hautkontakt eine Wärmestimulation und gleichzeitig ein visuelles Feedback über die Wärmeintensität (und somit die zu erwartende Schmerzwahrscheinlichkeit).

Es wurden drei verschiedene Schmerzlevel zugefügt:
1. sehr schmerzhaft (47,5° / rot)
2. mittel schmerzhaft (44,5° / gelb)
3. wenig schmerzhaft (41,5° / grün)

Zu Beginn gab es eine Aneignungsphase. Hierbei wurden 18 Stimulationen (sechsmal wenig schmerzhaft / sechsmal mittel schmerzhaft / sechsmal sehr schmerzhaft) gesetzt und mit den dazugehörigen visuellen Feedbacks versehen. 

In der Testphase kam es zuerst zum visuellen Reiz (vier Sekunden). Anschließend sollten die Teilnehmer ihren erwarteten Schmerz auf den kommenden Stimulus auf einer VAS Skala (0= kein Schmerz / 100= maximaler tolerierbarer Schmerz) festlegen (fünf Sekunden). Dann wurde der Wärmestimulus ausgeführt (acht bis zehn Sekunden). Der Schmerzreiz wurde immer auf die Intensitätsstufe „mittel“ gestellt, egal welche der drei Farben zuvor angezeigt wurde. Es gab insgesamt neun Durchgänge. Die Teilnehmer trugen ihr empfundenes Schmerzlevel direkt nach dem Schmerzerleben wieder auf einer VAS Skala ein. Somit sollten die Placebo- und Noceboeffekte gemessen werden.

Mit psychologischen Fragebögen wurden folgende placebo- und nocebobezogene Faktoren ermittelt.

Placebobezogene Faktoren:
–       Optimismus
–       Belohnung
–       Beeinflussbarkeit
–       Empathie
–       Sensation-Seeking
–       Motivation

Nocebobezogene Faktoren:
–       Angst und Ängstlichkeit
–       Katastrophisierung
–       Neurozismus
–       Angst vor Schmerz
–       Depressive Symptome
–       Sorgen 

Andreas Meyer

Diplom Sportwissenschaftler (DSHS Köln), Sportpsychologischer Experte (asp)

Sportarten: Leichtathletik, Petanque, Triathlon, Klettern, Fussball, Schiedsrichter, Reitsport und andere Sportarten

Kontakt:

a.meyer@die-sportpsychologen.de

+49 (0)178 688 372 1

Zur Profilseite: https://www.die-sportpsychologen.de/andreas-meyer/

Ergebnisse:

Die Analyse der VAS Aufzeichnungen während der Aneignungsphase konnte aufzeigen, dass die Teilnehmer deutlich zwischen den drei Schmerzleveln unterscheiden konnten.

Folgende VAS Scores konnten im Durchschnitt erhoben werden.
–       47,5° (rot/sehr schmerzhaft)            -> 74.73
–       44,5° (gelb/mittel schmerzhaft)       -> 29.55
–       41,5° (grün/wenig schmerzhaft)       -> 9.37 

Auch die erwarteten VAS Scores unterschieden sich signifikant.
–       47,5° (rot/sehr schmerzhaft)            -> 75.63
–       44,5° (gelb/mittel schmerzhaft)       -> 34.74
–       41,5° (grün/wenig schmerzhaft)       -> 11,30

In der Testphase kam es trotz gleichbleibender Temperatur zu einem signifikanten Effekt.

Denn auch hier unterschieden sich die VAS Scores bei der Schmerzbeurteilung.
–       44,5° (rot/mittel schmerzhaft)         -> 46.98
–       44,5° (gelb/mittel schmerzhaft)       -> 29.96
–       44,5° (grün/mittel schmerzhaft)       -> 17.86

Die Schmerzempfindlichkeit korrelierte sehr stark mit dem erwarteten Schmerz. Es ergaben sich somit hyperalgesierende Noceboeffekte und hypoalgesierende Placeboeffekte.

Hinsichtlich der psychologischen Faktoren konnte aufgezeigt werden, dass Ängstlichkeit und die Angst vor Schmerz negativ mit dem Placebo korrelierten und somit diesen Effekt schwächten. Der Noceboeffekt korrelierte positiv mit Ängstlichkeit und dem Trend zur Katastrophisierung. Scheinbar kommt es durch Ängstlichkeit zu einer Fehlbewertung des Stimulus, sodass dies zu einem erhöhten Schmerzerleben führt.

Ein hoher Score bei Motivation und das Wissen um Beeinflussbarkeit sind die ausschlaggebenden Faktoren, die zu höheren Placeboeffekten führten.

Der Noceboeffekt scheint vor allem durch einen hohen Score bei Angst und Depressivität beeinflusst.

Die Erwartung von hohem Schmerz ging mit einem hohen Noceboeffekt einher. Die Erwartung von wenig Schmerz ging mit einem Placeboeffekt einher.

Fazit

Wie können wir diese Erkenntnisse nun in der aktuellen Corona-Pandemie für uns nutzen? Die momentane Situation sollte sicher nicht verharmlost werden. Vielmehr geht es darum, die Kontrolle darüber zu behalten, wie sehr mich diese beängstigen darf, oder wie viel Raum und Einfluss ich diesem Thema einräume. Denn negative Erwartungen haben eine physiologische Auswirkung, auch auf unser Immunsystem. Deshalb ist es ratsam, Ängste nicht weiter zu schüren und die Menge an negativen Informationen bewusst auch einmal zu begrenzen. Das nennen wir auch Psychohygiene!

Vielleicht reicht es ja aus, jeden zweiten oder dritten Tag die Zahlen des Robert-Koch-Instituts anzuschauen, anstatt fünfmal täglich den Corona-Live-Ticker aufzurufen. Wir sollten uns bewusst immer wieder positive Dinge in Erinnerung rufen und danach Ausschau halten. Wichtig: Ein Sportpsychologe kann Sportlern, Trainern und Anderen dabei helfen, negative Verhaltensweisen aufzudecken und Strategien zu entwickeln, sodass Ängste und Unsicherheiten aus dem Fokus geraten und so an Effekt verlieren.

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Andreas Meyer
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