Der frühere deutsche Spitzentriathlet und Marathonläufer Falk Cierpinski war für mich der erste Ausdauersportler aus dem obersten Regal, mit dem ich zusammenarbeiten durfte. 2013 war das. Damals kontaktierte mich Falk über Facebook. Er kämpfte bei längeren Distanzen mit wiederkehrendem Seitenstechen. Über Jahre hatte er schon einiges unternommen – diverse Ärzte konsultiert und es sogar mit einem sogenannten Wunderheiler probiert. Zu mir kam er dann mit richtig Druck auf dem Kessel: In weniger als zwei Monaten wollte er beim Berlin-Marathon die Qualifikationszeit für die Europameisterschaft laufen. Davon war unter anderem auch die Fortführung wichtiger Sponsorenverträge abhängig. In meinen sportpsychologischen Beratungsräumen in Leipzig hat er kürzlich bei unserer ersten öffentlichen Abendveranstaltung sehr offen davon berichtet.
Zum Thema: Die besondere Vorbereitung von Falk Cierpinski beim Berlin Marathon 2013
Die Situation war schon verrückt. Denn nach dem Lehrbuch würde ich ein halbes Jahr ansetzen, um das genannte Problem in den Griff zu bekommen. Diese Zeit hatten wir aber nicht, insofern startete eine sehr intensive Zeit. Sehr hilfreich, um das Vorhaben überhaupt seriös angehen zu können, war die Tatsache, dass Falk bereits einige Erfahrung mit mentalen Techniken wie Entspannungsverfahren hatte und er konnte seine Aufmerksamkeit, Gedanken und Selbstgespräche sehr gut kontrollieren. Hier mussten wir also nicht bei Null anfangen. Dennoch wurde immer klarer, dass ich neben einer sehr intensiven Vorbereitung mit Hilfe der Drehbuch-Technik (eines für den Fall ohne Seitenstechen, ein zweites, sollte sich der Schmerz tatsächlich wieder melden) einen besonderen Kniff anwenden muss: Die Super-Gau-Methode.
Dahinter steckt die Überlegung, einen Sportler mit den schlimmsten Folgen zu konfrontieren, die ein mögliches Fehlverhalten oder Misslingen einer Aufgabe nach sich ziehen könnten. Auf das Motiv des “Worst-Case-Szenario” greife ich zugegeben selten zurück. Denn es besteht die Gefahr, dass sich die Situation stark verkompliziert.
Prof. Dr. Oliver Stoll
Sportarten: Eishockey, Handball, Ultralang- und Langstreckenlauf, Triathlon, Biathlon, Wasserspringen, Boxen, Leichtathletik, Schwimmen, Floorball
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zur Profilseite: https://www.die-sportpsychologen.de/oliver-stoll/
Die Frage nach der wirklichen Konsequenz
Konkret habe ich damals Falk gefragt, ob ihn die Menschen, die er liebt, ihn weniger lieben würden, wenn er in Berlin versagen sollte? Wichtig dazu: In der Zwischenzeit hatte ich mir ein Bild von seinem privaten Umfeld gemacht und wusste, dass er stabile Strukturen um sich herum hatte. Ein “DNF” (Did not finish) hätte natürlich Konsequenzen für sein Leben gehabt, aber es hätte ihn nicht den Boden unter den Füßen weggezogen. Falk sagt in Leipzig dazu: “Mir wurde in dem Moment klar, dass in meinem Leben weitergehen würde. Privat sowieso, auch beruflich hatte ich ja einen klaren Plan.”
Im Ergebnis ging Falk so entspannt wie lange nicht mehr in ein Marathonrennen. Davon konnte ich mich am Renntag selbst, morgens um 6 Uhr, im Läuferhotel überzeugen. Kurz gesagt: Da hat sich einer tierisch auf den Lauf gefreut und sich gewundert, warum die anderen so angespannt aus der Wäsche gucken. Da wusste ich, dass wir trotz der kurzen Zeit der Zusammenarbeit vieles richtig gemacht haben.
Falk Cierpinski und Prof. Dr. Oliver Stoll in voller Länge
Wenn ihr wissen wollt, wie Falk Cierpinski das Rennen erlebt hat und ob seine Schmerzen wiederkamen, dann hört euch gern den Mitschnitt unseres Gesprächs am 30. Januar 2020 in Leipzig an:
Das nächste Event: Freitag, 28. Februar 2020 mit der Ex-Handballnationaltorhüterin Katja Kramarczyk
https://www.facebook.com/events/181481126409543
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