Prof. Dr. Oliver Stoll: Aus einem Jahr wurden zwei …

Am 1. Januar 2018 wollte ich es einfach wissen: Wie lange kann man täglich – mindestens eine Meile – laufen? Und natürlich hatte ich damals eine Zeitspanne im Kopf. Meine Recherchen zu den Menschen, die das eben auch machen ergab, dass es einige gibt, die das schon sehr, sehr lange machen. Welches Ziel ich für mich daraus ableiten sollte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Noch nicht.

Zum Thema: Mythen rund um das Streakrunning 

Der längste bekannte Streak wurde von Ron Hill aus Accrington, England gelaufen, der vom 21. Dezember 1964 bis zum 29. Januar 2017, insgesamt 52 Jahre und 39 Tage, lief. Bis zum 6. März 1991 trainierte Hill an Wochentagen zweimal täglich, seitdem lief er eine Einheit pro Tag (Quelle: Wikipedia.de). Aber natürlich existieren auch Menschen, die einfach mal damit beginnen und irgendwann früher oder später wieder damit aufhören. In Leipzig kannte ich damals einen Läufer, der das seit ca. sechs Jahren durchzieht. Im Internet, in verschiedenen Social-Media-Foren tummeln sich Läuferinnen und Läufer, die eine Streak-Erfahrung zwischen sechs Monaten und acht Jahren aufweisen. Die meisten jedoch schaffen es nicht, ein Jahr durchzuziehen, also war genau das – dieses eine Jahr – zunächst mein Ziel. 

Warum wollte ich das machen? Ich weiß es gar nicht mehr genau. Ich wollte einfach nur wissen, ob ich das hinkriege. Es war für mich einerseits eine Herausforderung, andererseits konnte ich mir und anderen meine „Leidenschaft“ schön reden – man könnte also auch sagen: Eine Entschuldigung für ein mutmaßlich „exzessives Verhalten“ finden. Zu diesem Punkt komme ich später noch einmal zurück. Wer meine Blog-Serie hier im Jahr 2018 verfolgt hat, weiß wie das ganze ausgegangen ist, wie emotional der eine oder andere Monat und Moment für mich war und was sich in diesem Jahr für mich verändert hat.  

Zu wenig, zu viel?

Am Ende des Jahres 2018 hatte ich so viel darüber nachgedacht und dazu geschrieben, dass ich beschlossen hatte, damit aufzuhören. Nein! Nicht mit dem täglich laufen, aber mit dem „darüber schreiben“. Nun dachte ich mir aber heute – zwei Jahre Streakrunning ist vielleicht doch mal ein Grund, um ein paar Gedanken dazu los zu werden, zumal ich mittlerweile, da mein engerer Bekanntenkreis davon weiß, auch immer wieder darauf angesprochen werde. 

Am 31. Dezember 2019 war es also dann soweit! Noch eine kleine 6-Kilometer-Runde zum Abschluss des Jahres und zwei Jahre täglich laufen waren „erledigt“. Und bevor ich weiterschreibe, möchte ich das mal kurz in Relation setzen. Insgesamt waren das im Jahr 2019 ziemlich genau 2650 Kilometer. Und wer denkt, dass sei viel, der irrt sich. Im Tagesschnitt liege ich da bei ca. 7,3 Kilometer. Also wenn man es so will, bin ich durchschnittlich 7,3 Kilometer am Tag gelaufen. Die ambitionierten Wettkampfläufer unter Euch wissen, dass das überhaupt nicht viel ist. In Manfred Steffny`s Buch „Marathontraining“ wird ein Wochenkilometerschnitt von mindestens 60 Kilometern für einen 4-Stunden-Läufer empfohlen. Da liegen wir schon bei deutlich über neun Kilometer am Tag. Wer noch ambitionierter läuft, kommt im Marathontraining schnell mal auf 90-110 Wochenkilometer. Natürlich wird so eine Wettkampfsaison periodisiert und somit laufen diese Athletinnen und Athleten, diese Umfänge nicht das ganze Jahr – dafür aber ggf. auch mal sehr viel intensiver als ein Täglich-Läufer. 

Prof. Dr. Oliver Stoll

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Mythen über das Täglichlaufen

Mythos-Nummer 1: Streak-Runner laufen exzessiv viele Kilometer! – Falsch. Bleiben wir noch kurz bei objektiven Zahlen. Ich laufe im Durchschnitt einen Kilometerschnitt zwischen 5:30 und 6:30 Minuten pro Kilometer. Selten starte ich mal mit Startnummer und dann gehe ich auch “All-In“. Ich lande dann bei einem Kilometerschnitt von bestenfalls 4:40 pro Minute (je nachdem, wie lange die Strecke ist – in der Regel nicht länger als zehn Kilometer). Ist das schnell? Die ambitionierten Läuferinnen und Läufer  unter Euch können auch das bestens einschätzen. Für die meisten ist das ein lockeres Jogging-Tempo, mit dem sich bei einem Wettkampf-Lauf kein Blumentopf gewinnen lässt. 

Mythos-Nummer 2: Streak-Runner laufen, um schneller zu werden – Falsch! So viel also dazu. Kommen wir also nun zu meinem zweiten Jahr. Hat sich im Vergleich zu Jahr eins etwas verändert? Ja, es hat sich tatsächlich etwas grundlegend verändert und wahrscheinlich brauchte ich dieses erste Jahr erst einmal, um dahin zu kommen, wo ich jetzt bin. Es klingt jetzt vielleicht etwas komisch für Euch, weil man sich das ganz anders vorstellt, aber bei mir ist das mittlerweile so. Ich plane nicht bewusst, laufen zu gehen. Ich laufe aus einem inneren Impuls heraus, immer dann, wenn ich Lust und Laune dazu habe – und in der Regel passiert das einmal am Tag. Das setzt natürlich voraus, dass ich an den Orten, an denen ich mich normalerweise aufhalte „etwas“ Sportkleidung greifbar ist (also zuhause, im Büro, in unseren Geschäftsräumen oder auch im Kofferraum. Eine bewusste Planung ist immer nur dann nötig, wenn es ich antizipieren kann, dass es ansonsten nichts wird mit dem Laufen innerhalb von 24 Stunden. Und das ist im vergangenen Jahr insgesamt nur zweimal passiert. Das eine Mal, weil ich nach Japan fliegen musste, und das andere Mal, bei einer weiteren längeren Reise nach Saudi-Arabien. Das für Euch vielleicht „kranke Bild“ eines Passagiers, der in Jeans und T-Shirt die Gangways im Flughafen rauf und runter läuft ist so gesehen, gar nicht so krank, wenn man mal Menschen dort beobachtet, dann ist es tatsächlich so, dass dort vergleichsweise viele laufen. Manche vielleicht, weil sie so sind wie ich, manche aber eben auch, weil sie eben ansonsten ihren Flug verpassen. Ich wurde tatsächlich am Flughafen in Istanbul einmal von der Polizei angehalten, weil ich keinen Rucksack auf dem Rücken hatte – die dachten, ich laufe von einer liegengelassenen Bombe weg. Aber mein Reisepass, meine Boardingkarte und mein Wissen, wo mein Rucksack liegt (nämlich bei einem Kollegen), hat die aufmerksamen Gesetzeshüter dann beruhigt. Allerdings nicht jedoch, um noch einen Kommentar vorher abzugeben: “Why is somebody doing this – you have to take care about yourself?“ Ich habe das nicht weiter kommentiert, aber mir wurde wieder mal eins klar: Die Öffentlichkeit bewertet uns, an unserem „Verhalten“, das in ihren Augen nicht-normal ist. 

Lasst uns aber schnell noch Mythos 3 in das Reich der Märchen zu verbannen: Streak-Runner sind alle unglaublich diszipliniert, sortiert, zielbewusst und planungsfleißig – Falsch! Viele von uns laufen aus einem inneren Impuls heraus, egal wann, wo und wie. Sie tun es einfach dann, wann es eben sein soll. 

Zum Abschluss nun zu Mythos 4: „Streak-Runner sind alle lauf-süchtig“. Dann frage ich mal die, die mich besser kennen: Mache ich den Eindruck, dass ich unter der Lauferei leide? Habe ich mein Leben nicht mehr im Griff? Ziehe ich mich sozial komplett zurück? Erhöhe ich meine Dosis? Drehen sich meine Gedanken nur noch – und ausschließlich um Laufen? Auf Eure Einschätzung bin ich gespannt. Fragt gern meine Frau, den sie ist am nächsten an mir dran. Abgesehen von der vielen Wäsche, die es zu waschen gilt, kennt Sie mich eigentlich als jemanden der ausgesprochen gelassen und entspannt ist und sein Leben (auch mir ihr zusammen) komplett im Griff hat. Sie kennt mich als jemanden, der auch andere Projekte (als das Laufen) im Leben vorantreiben kann. Und sie „erträgt“ meine Leidenschaft eben auch mit einer stoischen Ruhe und einem Lächeln im Gesicht. Streak-Runner sind nicht süchtig. Sie sind völlig normal, weil sie das tun, was sie lieben! Vielleicht sind wir normaler als andere Normale ?. Und nebenbei – sozusagen als Kollateralschaden – hat ein 56-jähriger einen Po und Beine, wie ein 18-Jähriger (Zitat Frauke am 30.12.2019).    

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