Dr. René Paasch: Bewertungsspiele im Schwimmen

Für viele Schwimmer ist der Bereitstellungsraum vor einem großen Finale eine mentale Hürde. Quälende Minuten – manchmal bis zu einer halben Stunde – vergehen, in denen Sportler in höchster Anspannung zum Nichtstun verurteilt sind. 

Zum Thema: Destruktive Gedanken erkennen und ändern

Das Kernziel der psychologischen Vorbereitung im Hochleistungssport ist, dass sich der Athlet im entscheidenden Augenblick geistig ausschließlich im „Hier und Jetzt“ befindet. Dieser darf nicht darüber nachdenken, wie viel er trainiert hat, ob der Gegenüber viel besser drauf ist oder was von diesem Wettkampf abhängt. Solche „Bewertungsspiele“ sind absolut hinderlich. Dann sitzen die Sportler wenige Minuten vor dem Start des Rennens im Bereitstellungsraum und verfangen sich zum Teil abenteuerlich in einem Kopfkino. Negative Gedanken ziehen Kreise, was ganz unterschiedliche Folgen haben kann. Zum Teil geht es so weit, dass sich die Muskulatur der Athleten erheblich verspannt, was für die sportliche Aufgabe natürlich absolut kontraproduktiv ist. 

Der dreifache Olympia-Goldmedaillengewinner und mehrmalige Schwimm-Weltmeister Michael Groß hingegen hatte seine eigene gedankliche Strategie: „Ich war völlig ruhig bei den Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften. Ich konnte ja nichts mehr tun. Ich hatte mich gewissenhaft vorbereitet. Jetzt ging es nur noch darum, das abzurufen, was ich tausendmal geübt hatte. Ich wusste immer, dass das Leben auch weitergeht, wenn ich verliere.“ Gerne empfehle ich in diesem Zusammenhang die sportpsychologischen Grundregeln von Groß:

  • Freudige Erwartung des Wettkampfes
  • Gelassene Konzentration auf die anstehende Aufgabe
  • Sich nicht unter Erfolgszwang stellen 

Das „Trainingsweltmeister-Syndrom“

Manche Sportler müssen hingegen sehr hart arbeiten, um diese Einstellungen zu erreichen. Sie leiden häufig unter dem „Trainingsweltmeister-Syndrom“: Ein Schwimmer bringt im Training Spitzenleistungen, wenn es jedoch darauf ankommt, versagt er. Obwohl seine Trainingsdaten darauf hinweisen, dass er das Zeug zur Weltspitze hat. Im Wettkampf blieb er jedoch deutlich hinter diesen Möglichkeiten zurück. Seine Existenz hing davon ab und das vergegenwärtigte er sich während des Wettkampfes. Gedanken wie „wenn ich nicht Rekord schwimme oder wenigstens gewinne, muss ich wieder arbeiten gehen“ schossen ihm durch den Kopf und lähmten ihn. Was tun? Mit ein paar wirkungsvollen Techniken wie Selbstgesprächsregulation und Achtsamkeitstraining lernte er seine Gedanken zu „steuern“. 

Hier erfahren Sie näheres: 

https://www.die-sportpsychologen.de/2016/09/dr-rene-paasch-der-trend-zur-achtsamkeit/  https://www.die-sportpsychologen.de/2016/11/dr-rene-paasch-beine-machen-mit-selbstgespraechen/ 

The Work

Eine weitere spannende Methode, um sich von belastenden Gedanken zu befreien ist „The Work“. Vielleicht haben Sie schon mal von dieser Methode gehört. Falls nicht, lernen Sie diese einfache und leicht anzuwendende Methode heute kennen. Das Tolle an „The Work“ ist, dass man mit dieser Methode nach ein bisschen Übung seine belastenden Gedanken leichter wieder loslassen kann. Hier geht es zur Umsetzung: 

https://thework.com/wp-content/uploads/2019/03/AnleitungzuTheWork.pdf

Meine Kollegen von Die Sportpsychologen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Dr. René Paasch) solche Techniken und Methoden anzuwenden. Gern stehen wir in dem Zusammenhang auch Trainern zur Seite, um neue und effektive Wege zu gehen.  

Führungskompetenz „Straff-locker“. 

Bleiben wir bei der wichtigen Person außerhalb des Beckens: Als Trainer sollten Sie klare Zielvorgaben machen, jedoch gleichzeitig ein besonderes Arbeitsklima schaffen, in dem jeder seine Würde als Mensch behält, wenn es schief geht. 

Erfüllt ein Schwimmer seine Vorgabe nicht, bekommt er von den Mannschaftskameraden einen Klaps oder wird in den Arm genommen. Und am Abend spricht der Cheftrainer in aller Ruhe mit dem Athleten, hilft ihm, das negative Erlebnis hinter sich zu lassen und sich auf das nächste Rennen zu konzentrieren. Alle Sportler nehmen Anteil an der Leistung der anderen, Erfolge geben der ganzen Mannschaft Energie, Misserfolge werden aufgefangen. Solche Gegebenheiten müssen vertrauensvoll und langfristig begleitet werden.  

Dr. René Paasch

Sportarten: Fußball, Segeln, Schwimmen, Handball, Hockey, Eishockey, Tennis

Kontakt

+49 (0)177 465 84 19

r.paasch@die-sportpsychologen.de

Zum Profil: https://www.die-sportpsychologen.de/rene-paasch/

Spezialtrainer statt Feuerwehr

Wie wollen wir Sportpsychologen wahrgenommen werden? Nicht als „Feuerwehr“ sondern als eine Art Spezialtrainer, die eine häufig vernachlässigte Leistungskomponente schulen und so brachliegende Potenziale freisetzen. Wenn ich mir anschaue, was in den vergangenen 20 Jahren in die Ausbildung der Physis, der Sportmediziner, die Biomechaniker, die Verfeinerung der Sportgeräte investiert worden ist, und was andererseits in die Ausbildung des mentalen Bereiches investiert wurde, dann ist klar, wo noch die größten Potenziale liegen. 

Wir Sportpsychologen wollen fest in den Betreuerstab eines Hochleistungssportlers integriert werden, neben Ärzten und Physiotherapeuten. Unsere Tätigkeit ist „dauerhaft begleitend“. Eine Trendwende ist zu erkennen! Inzwischen wird die psychologische Betreuung unter Sportlern und Trainern immer mehr akzeptiert: Bei manchen älteren Trainern und Entscheidungsträgern haben wir noch mit Vorurteilen zu tun, die unser Angebot immer gleich mit persönlichen Problemen, mit der „Roten Couch“ in Verbindung bringen. Jüngere Trainer und die meisten Sportler gehen aber sehr unbefangen und offen mit uns um. Was nicht zuletzt auch damit zu tun hat, dass sich die Sportpsychologie als seriöse wissenschaftliche Disziplin etabliert hat. Unter Athleten und Trainern setzt sich die Einsicht durch, dass der psychologische Faktor bei wachsender Leistungsdichte den Ausschlag zwischen Sieg und Niederlage geben kann und die psychische Gesundheit fördert.  

Fazit

Bewertungen finden ständig statt – bewusst und unbewusst. Der Bezugsrahmen, auf den sich Athleten beziehen, ist individuell geprägt. Direkt vor dem Rennen durchleben viele Sportler sehr störungsanfällige Momente, auf die sie aber vorbereitet werden können. Die Sportpsychologie bietet diesbezüglich individuelle Methoden und Techniken. Denn: Bewusster zu bewerten, kann zur Leistungsoptimierung führen, wenn die Reflektion und das Training zeitnah stattfinden. 

Mehr zum Thema:

Literatur 

Bauer, C., & Hegemann, T. (2010): Ich schaffs! – Cool ans Ziel. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH

Croos-Müller, C. (2013): Kopf hoch – das kleine Überlebensbuch. Soforthilfe bei Stress, Ärger und anderen Durchhängern. München: Kösel-Verlag.

Kautz, R. (2003): Zur Situation der Landestrainer im Schwimmen.  Interne Protokollsammlung zur A-Trainer-Ausbildung, DSV

Schuck, H. (2001): Bewegungsregulation im Schwimmen – Psychologisches Training. Aachen: Meyer & Meyer Verlag.

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Prof. Dr. René Paasch
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