„DNF“ steht für „Did not finish“, was so viel heißt wie „Ausgestiegen“ oder eben „Nicht im Ziel angekommen“. Dieses Kürzel, gut bekannt in der Ausdauersportszene und so gefürchtet wie das bekannte Weihwasser für den Teufel und sehr viel schmerzhafter als verlorene Fußnägel oder brennende Oberschenkelmuskeln, das z.B. beim Traillaufen zwar nicht schön ist, aber irgendwie dazu gehört. So ist mir am ersten Septemberwochenende beim Südthüringentrail ergangen. Eigentlich sollten es 47,5 Kilometer und 1950 positive Höhenmeter werden. Geworden sind es dann aber nur 16,5 Kilometer und knapp 1000 Höhenmeter. Warum? Weil es mir nicht gut ging! Jetzt sagen Sie bestimmt: „Na das ist doch logisch! Niemanden kann es nach dieser Tortur gut gehen, also warum jammerst du da jetzt rum – selbst gewähltes Elend“! Tja, so einfach ist das nicht, denn erstens bereitet man sich ja auf so eine Veranstaltung systematisch vor und hat im Vorfeld ja auch viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wie realistisch das Erreichen eines solchen Ziels und zweitens hat man ja auch im Trainingsprozess schon einiges an Erfahrungen mit Distanzen und Höhenmetern und den damit verbundenen Gedanken und Emotionen gesammelt. Und das bewegte mich eben auch dazu, diesen Beitrag zu schreiben. Also kommen wir zum Thema: Was hat es denn nun psychologisch betrachtet so auf sich mit dem berühmt-berücksichtigen „DNF“?
Zum Thema: DNF aus psychologischer Perspektive
Ein Ziel nicht zu erreichen, ist für den Ausdauerathleten genau so wichtig wie ein verlorenes Spiel für einen Fußballspieler. Wenn man damit nämlich funktional umgeht, hilft es einem jeden Athleten „zu wachsen“. Und natürlich hat es mit den drei großen Konstrukten zu tun, mit denen sich Psychologen gerne beschäftigen: Kognition – Emotion – Motivation sowie den sozialen Prozessen. Schauen wir uns das doch einmal an meinem gerade erlebten Beispiel an:
Geplant war also ein Finish des Riesentrails im Rahmen des Südthüringentrail (47,5km und 1950 positive Höhenmeter). Natürlich habe ich mich darauf vorbereitet und natürlich habe ich auch ein „Lauftagebuch“ (mittlerweile digital mit RUNALYZE und Garmin Connect). Hier kann ich alle relevanten und wichtigen Trainingsparameter (Distanzen, Höhenmeter, Herzfrequenz, VO2-max) speichern und auswerten – und wenn man sich ein wenig damit beschäftigt, auch Schlussfolgerungen für sein Training ziehen. Mir ging es bis zum Donnerstag vor dem Rennen super. Dann hatte ich ein leichtes Kratzen im Hals, das aber am nächsten Tag schon wieder weg war – also habe ich darüber nicht weiter Gedanken gemacht. Wir reisten am Freitag an. Die Stimmung war super. Ich war zwar fokussiert, aber gelassen. Abends dann die Nudelparty, dann zum Hotel und schlafen. Der Start war um sieben Uhr früh. Insgesamt fühlte sich das alles im Rahmen des „Erwarteten“ an. Die ersten acht Kilometer bis zum 1. Verpflegungsstand liefen gut. Dann ging es weiter in Richtung Verpflegungsstand 2 (VP2) bei Kilometer 16,5. Hier kamen zwar reichlich Höhenmeter dazu, aber meine Herzfrequenz fing an, total verrückt zu spielen. Selbst auf den relativ flachen Stücken und auch im Downhill bewegte sich meine Herzfrequenz nur noch selten unter 180. Meine Geschwindigkeit sank auf über elf Minuten pro Kilometer. Kurz vor VP2 fing ich an zu zittern, den letzten Downhill lief ich unsicher und am VP angekommen kam dann der Schüttelfrost und ein leichtes Schwindelgefühl. Dem Mann von der Bergwacht fiel das sofort auf und wir kamen ins Gespräch über meinen Zustand. Nach etwa drei Minuten dort, musste ich eine Entscheidung treffen. Mit noch 31 Kilometern und weiteren 1000 Höhenmetern fiel die dann zugunsten des DNF aus. Ich setze mich also hin, schlug die Rettungsdecke um mich, trank viel und wartete bis dann der nette Herr von der Bergwacht mich zurück in den Zielbereich fahren konnte.
Die sportpsychologische Perspektive
Schauen wir uns dies nun mal aus sportpsychologischer Perspektive an. Im Vorfeld dominierten motivations- und kognitionspsychologische Aspekte. Trainingsdaten wurden protokolliert und ausgewertet (Kognition) und dies führte zu Motivation (Das Leistungsmotiv war ausgeprägt und der Anreiz, also das Finish beim Riesentrail war realistisch, überschaubar und herausfordernd) und passte zum vorliegenden Leistungsmotiv. Daraus erfolgte eine Wettkampfplanung (Überführung einer Zielintention in eine Ausführungsintention, was schon zum Volitions- also Willensprozess gehört). Es kam zur Handlung (also dem Wettkampf). Hier dominierten weiterhin kognitions- und motivationspsychologische Prozesse. Während des Laufes wurde die Aufmerksamkeit reguliert, die biologischen Parameter überprüft und mit Selbstgesprächen die Motivation und Volition stimuliert bis hin zum „DNF“.
Prof. Dr. Oliver Stoll
Sportarten: Eishockey, Handball, Ultralang- und Langstreckenlauf, Triathlon, Biathlon, Wasserspringen, Boxen, Leichtathletik, Schwimmen, Floorball
Kontakt:
+49 (0)173 – 4649267
zur Profilseite: https://www.die-sportpsychologen.de/oliver-stoll/
Zunächst musste diese Entscheidung getroffen werden (was wirklich schwer war) und dann, spätestens im Zielbereich musste ich beginnen, „damit umzugehen“. Das hat natürlich mit emotionsregulatorischen Prozessen zu tun. Die Enttäuschung eines DNF sitzt bei einem Läufer immer tief. Man beginnt zu Grübeln, und das führt nicht immer zu selbstwertdienlichen Selbstgesprächen und man beginnt sich „zurückzuziehen“. Dabei wäre das Gegenteil sinnvoll, denn wir wissen um die stressreduzierenden Effekte von sozialer Unterstützung (Fuchs & Klaperski, 2012). Also warten psychologisch betrachtet zwei Aufgaben:
1.) Kausalattribution, oder übersetzt „Ursachenzuschreibung“ (Weiner, 1988). Hierbei ist es wichtig, das „Versagen“ nicht fehlender, stabiler Fähigkeiten zuzuschreiben, sondern eben situativen Faktoren, wie z.B. der Tagesform oder z.B. der ausnahmsweise, zu schweren Strecke dieses Wettkampfes. Alles andere würde den Selbstwert untergraben und zu weiterem Motivationsverlust führen. Wichtig hierbei: Immer schön realistisch bleiben und sich nicht selbst belügen!
2.) Die Suche nach wichtigen Menschen aus deinem persönlichen Umfeld, die dir zum einen Trost spenden können (emotionale, soziale Unterstützung) sowie mit guten Ratschlägen und Tipps einen kommenden Lauf mit vorbereiten können (instrumentelle, soziale Unterstützung). Das führt zu wieder zunehmender, subjektiver Kontrolle der Situation und das wiederum mindert Stress. Genau das habe ich dann im Ziel gemacht.
Persönliche Perspektive
Ich habe mir meine Bio- sowie Trackingdaten genau angeschaut. Das Ergebnis: Viel zu hoher Belastungspuls und schlechte Erholungswerte bei vergleichbarer leichter Anforderung, massiver Tempoverlust zwischen Kilometer acht und 16. Diese Daten gekoppelt mit meiner eigenen, subjektiven Wahrnehmung (Schwindel und Schüttelfrost) zeigen eindeutig, dass dies nicht mein Tag war – sondern vermutlich der Infekt immer noch in mir steckte. Und außerdem suchte ich die Gegenwart meiner vielen lieben Lauffreunde dort, die wirklich beeindruckende Leistung zeigten. Vor allen Dingen erfreute ich mich an der Leistung meiner Frau, ohne dass ich gleich den „sozialen Leistungsvergleich suchte“. Ich wartete im Ziel, feuerte alle an und half das zwischenzeitlich zusammenfallende Finisher-Tor hochzuhalten, weil kurz der Strom ausfiel. Das lässt sich im Sinne einer Stressbewältigungsstrategie „Ablenkung“ sehr gut umsetzen und mindert ebenfalls Stress. Man kann damit alle anderen sehr glücklich machen und sich selbst ebenfalls wieder ein besseres Gefühl geben.
Ein DNF muss keine Katastrophe sein. Im Gegenteil – wenn man damit vernünftig umgeht, kann man viel aus diesem Misserfolg lernen. Hinter dem bekannten Motto: „Aufstehen, Mund abwischen und weitermachen“ verstecken sich eigentlich komplexere Prozesse der Informationsverarbeitung, Handlungskontrolle, Motivations- und Emotionsregulation, die jedoch nur auf den ersten Blick komplex aussehen, aber eigentlich vielen von uns mehr als nur bekannt sind. Nur sind sie uns nicht ständig bewusst.
Und bitte nehmen Sie das unten gezeigte Foto ernst!
Wenn Sie an einem auf dem Boden kriechenden oder liegenden Trail-Läufer vorbei kommen, bitte drücken Sie die Pause-Taste seine Garmin. Die Daten, die dann gespeichert werden sind wichtige Informationen, die man für eine funktionale Kausalattribution benötigt.
Ach so, und was macht man am Tag danach? Auch wenn ich heute einen „dicken Hals“ habe (nicht im übertragene Sinn, sondern in Wirklichkeit), auf alle Fälle Reserven wieder auffüllen, lange Schlafen, viel Essen und Trinken, ein bisschen Kuscheln und ganz wichtig: Nach der Analyse des Vortages, einen dicken und fetten, grünen Haken an den Wettkampf machen. Dann wird es beim nächsten Lauf ganz sicher wieder besser! Und der ist in schon in drei Wochen…
Literatur
Fuchs, R. & Klaperski, S (2012). Körperliche Aktivität und Stressregulation. In R. Fuchs & W. Schlicht (Hrsg.), Seelische Gesundheit und körperliche Aktivität. Göttingen, Hogrefe.
Weiner, B. (1988). Attribution theory and attributional therapy: Some theoretical observations and suggestions. British Journal of Clinical Psychology, 27, 99-104.
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