Dr. René Paasch: Spielformen zur Spielintelligenz im Fussball trainieren (Teil 6)

Seit der FC Barcelona unter Trainer Josep Guardiola zwischen 2009 und 2012 fast jeden möglichen Vereinstitel nach Katalonien holte und die spanische Nationalmannschaft im Jahr 2010 die Weltmeisterschaft sowie 2012 die Europameisterschaft gewinnen konnte, steht der FC Barcelona und die spanische Nationalmannschaft stellvertretend für die Kunst des Kombinationsfußball. Um diesen zu spielen, bedarf es einer hohen Spielintelligenz, die bereits in jungen Jahren gefördert werden sollte. Zahlreiche Untersuchungen stützen die Bedeutung der Spielintelligenz: 60% aller Ballverluste im Fußball sind auf Fehler in der Wahrnehmung, im Verstehen und in der Entscheidungsfindung zurückzuführen. Schauen wir uns das mal näher an! 

Zum Thema: Spielintelligenz im Fussball (Teil 6) 

Der Fussball wurde schon immer von bestimmten Entwicklungen geprägt. Während dieser in seinen Anfängen in erster Linie technisch geprägt war, wurden in den 1970er Jahren immer mehr physische Komponenten trainiert, bevor dann in den 1980er und 1990er Jahren die Schulung der Taktik vermehrt im Vordergrund stand. Durch den enormen Fortschritt in der Trainingslehre (und auch der angewandten Sportpsychologie) ist im modernen Fussball für jeden Spieler eine hervorragende technische, taktische und physische Ausbildung selbstverständlich geworden. 

Mit der Spielintelligenz tritt nun ein weiterer Punkt in den Vordergrund, der oftmals den entscheidenden Unterschied ausmacht. Somit sind das situationsgerechte Handeln und das Suchen optimaler Lösungsstrategien, ein wichtiger Eckpfeiler für leistungsorientierte Spieler. Sie müssen unter Druck alle wichtigen Informationen aus ihrer Wettkampfumgebung (Mit- und Gegenspieler, taktische Veränderungen etc.) wahrnehmen, um sie dann in ihren Aktionen zu berücksichtigen. Im Fussball haben insbesondere die 6, 8 oder 10 die Aufgabe, durch kreatives und taktisches Verhalten das Aufbauspiel einer Mannschaft zu strukturieren. In diesem Zusammenhang spricht man in der Psychologie von konvergentem Denken (Entscheidungsfähigkeit, Spielintelligenz). 

Mehr als Taktik

Die Sportspielforschung arbeitet vor allem mit zwei Definitionen kognitiver Denkprozesse (konvergentes und divergentes Denken). In konvergenten Denkprozessen werden sogenannte Ideallösungen für das Problem gesucht und angesteuert. Divergente Denkprozesse hingegen generieren eine Vielzahl von Lösungen für die Aufgabenstellung (Höner, 2005; Roth, 2005). Oftmals spricht man im Fussball auch einfach nur von „der Taktik“. In diesem Zusammenhang spielen die Basistaktiken bei der Entwicklung einer allgemeinen Spielintelligenz eine wichtige Rolle (vgl. Memmert & König, 2012). Sie können als taktische Grundkenntnisse gekennzeichnet werden. Die da wären:  

Ziel ansteuern: Taktische Aufgabenstellungen, bei denen es darauf ankommt, Zeitpunkt und Ort einer Abschlusshandlung auszuwählen.

Ball dem Ziel annähern: Taktische Aufgabenstellungen, bei denen es darauf ankommt, den Ball in einen Angriffs- bzw. Abschlussraum zu transportieren.

Das Zusammenspiel: Taktische Aufgabenstellungen, bei denen es darauf ankommt, Bälle situationsgerecht und schnell zu Partnern weiterzuspielen oder Überzahl herausspielen. 

Lücken ausnutzen:  Taktische Aufgabenstellungen, bei denen es darauf ankommt, in der Auseinandersetzung mit Gegenspielern (individuell) Zwischenräume für die Chance eines Abspiels oder Punktgewinns zu nutzen. 

Gegnerbehinderung umgehen:  Taktische Aufgabenstellungen, bei denen es darauf ankommt, in der Auseinandersetzung mit Gegenspielern einen Ballbesitz (individuell) zu sichern. 

Überzahl herausspielen: Taktische Aufgabenstellungen, bei denen es darauf ankommt, sich durch Anbieten, Orientieren und in Kooperation mit Partnern einen Vorteil zu verschaffen. 

Mittlerweile sind sie fester Bestandteil zahlreicher Lehrpläne und Trainingskonzeptionen in verschiedenen Alters- und Leistungsklassen (Memmert, Thumfart & Uhing, 2014). 

Spielintelligenz trainieren

Spielintelligenz im Fussball wird durch das Trainieren von Übungsformen, die das Spiel simulieren, geschult. Das Ziel dabei ist nicht nur das reine Vermitteln von Wissen, sondern vielmehr, die Spieler dazu zu bringen, das gelernte Wissen richtig anzuwenden. Dabei gehen motorisches und kognitives Lernen Hand in Hand. In einem modernen Fußballtraining sollten Technik, Taktik und Spielintelligenz immer in komplexen Übungsformen entwickelt werden. Der Trainer konfrontiert seine Spieler dabei mit spielnahen Situationen, in denen sie eine schnelle Entscheidung treffen und diese in motorische Aktionen umsetzen müssen. Eine effektive und bewährte Spielform für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, um die Spielintelligenz und das Treffen von richtigen Entscheidungen zu fördern ist die Spielform „Messi“ von Horst Wein. 

Spielform Messi Horst Wein www.deinfussballtrainer.de
Abb. 1.: Spielform „Messi“ von Horst Wein 

Organisation und Ablauf 

Ein 25 x 25 Meter großes Feld mit vier Minitoren errichten. Im Zentrum des Spielfeldes befinden sich neun Bälle. Drei Defensivspieler postieren sich mindestens fünf Meter entfernt voneinander. Ein Angreifer läuft in das Feld, holt sich einen der Bälle und versucht, in eine Schusszone zu dribbeln und auf eines der Tore ein Tor zu erzielen. Im Anschluss hat er zwei weitere individuelle Angriffe. Es folgen die beiden anderen Spieler seines Teams. Nach neun Angriffen werden die Aufgaben gewechselt. 

Anwendungsbeispiel

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Fazit

Die Spielintelligenz ist im modernen Fussball sehr wichtig geworden, da sich viele Mannschaften dank der modernen Trainingslehre physisch, technisch und taktisch auf Augenhöhe begegnen. Der Qualitätsunterschied zwischen den einzelnen Spielern wird immer mehr durch den Grad der kognitiven Leistungsfaktoren bestimmt. Denn die physische Verfassung oder die bessere Technik nützt nur wenig, wenn diese Elemente nicht intelligent zum Nutzen der Mannschaft eingesetzt werden. Um es in den Worten von Horst Wein zusagen: „Spielintelligenz hat nichts mit der Menge der Neuronen im Gehirn eines Fussballers zu tun, sondern mit der Anzahl der Verbindungen, die die Zellen untereinander herstellen können. Damit es zu vielen dieser Verbindungen kommt, muss ein Fussballer oft und richtig stimuliert werden. 

Dr. René Paasch und seine Kollegen und Kolleginnen von Die Sportpsychologen live erleben:

Mehr zum Thema:

Literatur

Höner, O. (2005): Entscheidungshandeln im Sportspiel Fußball: eine Analyse im Lichte der Rubikontheorie. Hofmann: Schorndorf. 

Memmert, D. & König, S. (2012): Zur Vermittlung einer allgemeinen Spielfähigkeit im Sportspiel. In S. König, D. Memmert & K. Moosmann, Das große Buch der Sportspiele (S. 18-37). Wiebelsheim: Limpert-Verlag. 

Memmert, D., Thumfart, M. & Uhing, M. (2014): Optimales Taktiktraining im Kinder-, Jugend- und Leistungsfußball. Balingen: Spitta Verlag

Roth, K. (2005): Taktiktraining. In A. Hohmann, M. Kolb & K. Roth (Hrsg.), Handbuch Sportspiel (S. 342-349). Schorndorf: Hofmannn  

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Prof. Dr. René Paasch
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