In Zeiten von Big Data und variierenden Spielsystemen fordert der Deutsche Fussball kreative Spielertypen, die überraschende und damit nicht vorhersehbare Lösungen für den Gegner produzieren können. Medien und Trainer sprechen dann oftmals von dem Spieler, der den Unterschied ausmachen kann! Das Ausbilden dieser Eigenschaft lässt sich in keiner Altersgruppe besser trainieren als mit Kindern. Aber sind diese Spieler von Geburt an kreativ oder haben Sie bestimmte Übungen auf und neben dem Sportplatz trainiert? Dieser spannenden Frage möchte in dem nun fünften Teil der Serie „Kognitive Leistungsfaktoren im Fussball“ näher auf den Grund gehen.
Zum Thema: Spielkreativität entwickeln und anwenden (Teil 5)
„Kreativität und spielerische Klasse sollen die neuendeutschen Tugenden sein!“
BUNDESTRAINER JOACHIM LÖW
Spielkreativität wird als Generierung von Lösungen in unterschiedlichen Spielsituationen beschrieben, die als überraschend, selten oder originell bezeichnet werden können. Aktuelle Forschungen haben in den letzten Jahren zahlreiche methodische Möglichkeiten zur Schulung und Verbesserung der Spielkreativität entwickelt. Hierfür sind die sieben Prinzipien 1-Dimension-Games, Deliberate Play, Diversifikation, Deliberate Coaching, Deliberate-Memory, Deliberate Motivation und Deliberate Practice von besonderer Bedeutung (Memmert, 2014). Ihre Anordnung ist nicht zufällig, sondern entspricht einer chronologischen Reihung. Während die ersten sechs Prinzipien besonders für das Kindertraining geeignet sind, können bei Junioren- und Erwachsenen alle sieben Bausteine Berücksichtigung finden. (Näheres dazu: https://www.die-sportpsychologen.de/2015/12/17/prof-dr-daniel-memmert-kreatives-taktisches-entscheiden-im-fussball/). Die Bedeutung taktischer Kreativität im Sportspiel Fußball wurde in einer interessanten Studie untersucht.
Dazu analysierte Georg Knievel (2010) 57 Begegnungen und deren Torerfolge der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika. In den Spielen wurden 159 Treffer erzielt. Drei Experten haben die letzten acht Aktionen vor einem Tor anhand einer Kreativitätsskala bewertet. Je näher die Aktionen am Tor waren, desto kreativer waren die Spieler. Die Mannschaften, die den Sprung in die Schlussrunden schafften, wiesen im Schnitt mehr Kreativitätsmerkmale beim vorletzten Pass auf als die in der Vorrunde gescheiterten Teams. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Kreativität im Fussball ein immer wichtiger werdender Faktor ist, der mehr Aufmerksamkeit im Training von Kindern, Junioren und Erwachsenen verdient.
Um den Transfer aus der “grauen” Theorie in die “bunte” Praxis zu erleichtern, habe ich einige ganz konkrete Anregungen zur Schulung und Verbesserung der Spielkreativität im Fussball zusammengestellt:
One-Dimension-Games – Tore schießen
Organisation und Ablauf: Ein 25 x 20 Meter großes Feld mit zwei Minitoren errichten. Im Feld außen vier weitere Hütchentore (Breite: vier Meter) gemäß Abbildung errichten. Zwei Mannschaften à 3 Spieler einteilen.
Freies Spiel: Das jeweils ballbesitzende Team versucht, durch eines der beiden äußeren, im Feld befindlichen Hütchentore (1 Punkt) zu dribbeln oder über die Mittellinie zwischen den beiden Hütchentoren zu gelangen, um dann einen Treffer auf das Minitor zu erzielen (2 Punkte).
Tipp: Anweisungen des Trainers sollen reduziert stattfinden. Die Spieler sollen selbstständig Lösungen finden. Durch die häufigen Wiederholungen sind sie nach einiger Zeit in der Lage, immer mehr richtige und überraschende Spielentscheidungen zu treffen.
Deliberate Play – 4 gegen 4 ohne Torhüter
Organisation und Ablauf: Ein 25 x 20 Meter großes Feld mit vier Minitoren errichten. Im Feld außen vier weitere Hütchentore (Breite: vier Meter). Zwei Mannschaften à 4/5 Spieler einteilen.
Freies Spiel: Das jeweils ballbesitzende Team versucht, durch kreatives Verhalten und Spielen Tore zu erzielen.
Tipp: Einfache Regeln aufstellen, die das Spielen erleichtern sowie unterschiedliche Torvariationen anbieten. Die Spieler loben und motivieren.
Diversifikation – gemeinsam sind wir stark
Organisation und Ablauf: Ein 35 x 25 Meter großes Feld mit zwei Toren und einer Mittellinie errichten. Zwei Mannschaften bilden: Innerhalb der Teams in Paaren zusammengehen und an den Händen festhalten.
Freies Spiel ohne Torhüter mit einem Ball: Der Ball darf nur als „Paar“ gespielt und geschossen werden. Tore zählen nur, wenn sie aus der offensiven Feldhälfte heraus erzielt werden. Beispielsweise einen zweiten und dritten Ball ins Spiel bringen.
Tipp: Die Heidelberger Ballschule bietet euch weitere spannende Einblicke zum Thema Diversifikation im Sport. Aus einem ursprünglich zur Talentförderung gedachten Programm ist ein „Kindersportangebot für alle“ geworden. Näheres dazu findet Ihr hier: https://ballschule.de/ueber-uns/das-konzept/ & https://vimeo.com/7437403
Deliberate Coaching – Unangeleitetes spielen lassen
Organisation und Ablauf: Ein 12 x 12 Meter großes Feld markieren. Zwei Fänger bestimmen, alle anderen Spieler verteilen sich frei im Feld und erhalten vom Trainer als Gruppe zwei Bälle.
Die beiden Fänger versuchen, innerhalb einer Minute so viele Spieler wie möglich zu fangen. Die Gejagten können sich den Fängern entziehen, wenn sie im Besitz eines der beiden Bälle sind. Spieler, die gefangen worden sind, stellen sich mit gegrätschten Beinen auf. Sie können befreit werden, indem ein Mitspieler durch ihre Beine krabbelt.
Tipp: Instruktionsfreies Spielen wirkt sich positiv auf das kreative Verhalten von Spielern aus. Auf höherem Niveau ist das allerdings nicht uneingeschränkt zu empfehlen.
Deliberate-Memory – Aufmerksamkeit schulen
Organisation und Ablauf: Ein 15 x 20 Meter großes Feld errichten. Jeder Spieler erhält einen Ball: Die eine Hälfte dribbelt, die andere prellt den Ball durch das Feld. Verschiedene Kommandos und Zahlen bestimmen die Übung: Bspw. bei „1“ gehen die Spieler mit dem rechten und linken Knie auf den Ball, bei „2“ in den Liegestütz und bei „3“ ist jeder so schnell er kann unterwegs. Die Anzahl der Übungen kann nach Alter variieren.
Tipp: Die Zahl mit der Hand anzeigen (Blick vom Ball lösen).
Deliberate Motivation – Hoffnungsbasiertes Coaching
Organisation und Ablauf
Die drei Angreifer stellen sich an je einem Hütchen auf. Ziel des Teams ist es, im Zusammenspiel einen Treffer auf eines der drei Minitore zu erzielen. Der Verteidiger versucht, die Tore durch geschicktes Verschieben zu verteidigen. Nach einer Minute wechseln die Angreifer im Uhrzeigersinn die Positionen.
Tipp: Positives Coaching: „Euer Ziel ist es, in einer Minute möglichst viele Tore zu erzielen. Seid Mutig und kreativ!“ Negatives Coaching: „Ihr müsst den Ball schnell abspielen und in ein ungedecktes Tor passen, ansonsten funktioniert die Übung nicht!“
Deliberate Practice – Spiel 3 gegen 1/2/3
Organisation und Ablauf: Die gegnerischen Tore werden von zwei Verteidigern bewacht. Gezielt 2-gegen-1-Situationen suchen, um die Überzahl optimal ausspielen zu können. 2-gegen-1-Situationen bestenfalls auf eine Seite verlegen, damit der zweite Verteidiger nicht mehr eingreifen kann. Die Außenspieler haben die größten Torerfolgschancen, daher sollen sie mit einem gezielten Dribbling und gutem Timing blank gespielt werden.
Tipp: Die Anzahl der Spieler, Umschaltspiel bei Ballverlust und Provokationsregeln lassen sich altersentsprechend anpassen.
Fazit
Spielkreativität im Fussball wird als die Generierung von Lösungen in unterschiedlichen Spielsituationen verstanden. Sie ist überraschend, selten oder originell. Zahlreiche Studien haben in den letzten Jahren methodische Möglichkeiten zur Schulung und Verbesserung der Spielkreativität entwickelt. Hierfür sind die sieben Prinzipien: 1-Dimension-Games, Deliberate Play, Diversifikation, Deliberate Coaching, Deliberate Motivation und Deliberate Practice von besonderer Bedeutung.
Die sportpsychologische Forschung zu kognitiven Leistungsfaktoren im Fußball (Antizipation, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Kreativität, Spielintelligenz) ist vergleichsweise jung. Einen Goldstandard für Diagnostik und Training gibt es derzeit noch nicht. Dennoch existieren vielversprechende Ansätze, die sich in der Praxis bereits bewährt haben. Klar ist, dass die Sportpsychologie hier unterstützend für Trainer und Übungsleiter zu Rate gezogen werden kann. Und zum Abschluss noch zu meiner Frage, ob dieses kreative Element quasi angeboren wird? Natürlich nicht, Spielkreativität ist für jedermann erlernbar. Sie hat nichts mit der Menge der Neuronen im Gehirn eines Fussballers zu tun, sondern mit der Anzahl der Verbindungen, die die Zellen untereinander herstellen können. Damit es zu vielen dieser Verbindungen kommt, muss ein Fussballer oft und richtig kreativ stimuliert werden.
Der Kopf spielt für dich im Fußball nicht nur nach hohen Flanken und bei Eckbällen eine Rolle – dann komm zu unserer Veranstaltung:
https://www.die-sportpsychologen.de/dr-rene-paasch-suchfenster-im-fussball-trainieren-teil-4/
https://www.die-sportpsychologen.de/philippe-mueller-hoert-auf-in-fehlern-zu-denken/
Literatur
Furley, P., & Memmert, D. (2018): Can creative role models prime creativity in soccer players? Psychology of Sport and Exercise, 37, 1–9. https://doi.org/10.1016/j.psychsport.2018.03.007
Knievel, Georg (2010): FIFA Weltmeisterschaft 2010. Kreativität und Torerzielung. 74, XII Blatt: graphische Darstellungen. – Köln, Deutsche Sporthochschule, Diplomarbeit 2011.
Memmert, D. (2014): Teaching Tactical Creativity in Team and Racket Sports: Research and Practice. Abingdon: Routledge.
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