Dr. René Paasch: Wahrnehmungsfähigkeiten im Fussball trainieren (Gedankenschnelligkeit im Fußball, Teil 3)

Fussballspiele zeichnen sich häufig durch komplexe Situationen aus, in denen in möglichst kurzer Zeit sportartspezifische Reaktionen hervorgerufen werden müssen. Die Wahrnehmung und Nutzung von Informationen ist daher wichtig für eine erfolgreiche Handlungsplanung und -durchführung, weshalb herausragende Fussballer sich gerade in dieser Fähigkeit von durchschnittlichen Spielern unterscheiden. 

Zum Thema: Spielsituationen schneller wahrnehmen und entscheiden 

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Das Auge beeinflusst 90% der menschlichen Wahrnehmung. Umgekehrt macht das, was der Mensch sieht aber nur 10% dessen aus, was er wahrnimmt. Wahrnehmung beschreibt somit den  Prozess der Aufnahme, Selektion sowie Verarbeitung unterschiedlicher Reize und bildet die Grundlage menschlicher Erkenntnisse, Erfahrungen und Handlungen (Marr, 1982). Individuell gemachte Erfahrungen basieren auf Informationen, welche ein Spieler über seine Sinne aufnimmt, verarbeitet und in den Erkennungsstrukturen der unterschiedlichen Wahrnehmungssysteme speichert (Bruce, Green & Georgeson, 1996). Diese erfolgen über einen oder mehrere Sinne und helfen dabei, die Trainings- und Spielsituation zu erfassen und einzuordnen. Dabei spielt vor allem die visuelle Wahrnehmung eine sehr wichtige Rolle. 

Die visuelle Wahrnehmung beschreibt die Aufnahme und Weiterleitung verschiedener Reize mit Hilfe des Auges. Aus der physiologischen Perspektive geht es bei der visuellen Wahrnehmung um die Aufnahme von Photonen mit Hilfe von Photorezeptoren im Auge und die Umwandlung dieser Reize in elektrische Signale. Auf psychologischer Ebene stellt die visuelle Wahrnehmung  die Erfassung von Farbe, Form, Bewegung etc. dar. Diese Bereiche stellen für den Spieler eine der wichtigsten Art der Wahrnehmung auf dem Platz dar, da meist auf Grundlage der visuellen  Wahrnehmung verschiedene Situationen interpretiert und Entscheidungen getroffen werden. Es gibt zahlreiche Studien im Fußball, die durch Blickbewegungsregistrierung Erkenntnisse gewonnen haben (Schultz, Daniel, Höner, 2018). Dabei zeigt sich, dass Fußballprofis bereits auf die Absicht von Mit- und Gegenspielern schließen können,  bevor eine entsprechende Spielsituation ausgeführt wurde. 

Bewusste und unbewusste Wahrnehmungsprozesse im Fussball

Bewusste Wahrnehmungsprozesse auf Basis richtiger Informationen wurden bislang am  intensivsten untersucht. Die meisten Forschungsansätze bestimmen dabei die Wahrnehmungsstrategien von Sportspielern anhand von Blickbewegungsanalysen (Hüttermann, Noël, Memmert, 2018). Es zeigt sich, dass erfahrene Spieler gelernt haben, ihre Wahrnehmungsleistung durch gezielte Strategien zu verbessern (Williams et al., 2010). Spielsituation können nicht nur bewusst, sondern auch unbewusst wahrgenommen werden. In einer Reihe von Experimenten konnte dies im Rahmen einer Elfmetersituation demonstriert werden (Noël, van der Kamp,  Memmert, 2015). Hier einige Anregungen zur Verbesserung der individuellen Wahrnehmung:

  • Trainer- und Spielerinstruktionen  

Trainer können Spielern durch Hinweise helfen, die richtigen Informationsquellen  auszuwählen und zu fokussieren (Alvarez, Emory, 2006). Sie können durch ihre Ansprachen gewollt oder ungewollt die Aufmerksamkeit auf die Ausführung der Handlung wichtiger Aspekte lenken. Beispielsweise bewirkt der Satz: „Leg das Augenmerk bei Standards verstärkt auf deinen Gegenspieler“. Die Folge ist eine intensivere Fokussierung auf den Spieler und somit eine verbesserte Raum- und Mannverteidigung. Gleiches gilt auch für die Mitspieler. Diese und ähnliche Beispiele lassen sich immer wieder in der Praxis erkennen. 

  • Visuelle Wahrnehmung – Training mit der Augenklappe

Die Ausdehnung des Gesichtsfeldes, also die wahrgenommene Fläche bei fixierten Augen, unterliegt großen individuellen Unterschieden. Mit den richtigen Trainingsreizen kann das Gesichtsfeld vergrößert werden, sodass Einzelobjekte auf einer größeren Fläche scharf wahrgenommen werden können, was wiederum zu einer höheren Informationsaufnahme führt. Zunächst einmal sollten Ihre Schützlinge Ihr “dominantes Auge” bestimmen.  

Schritt 1: Die Arme strecken und die Hände im rechten Winkel übereinander legen. Daumen und Zeigefinger bilden ein Dreieck. 

Schritt 2: Durch dieses Dreieck einen beliebigen Punkt fest fixieren und die Hände bis nahe vor die Augen führen.

Schritt 3: Blicken Sie zunächst mit beiden Augen und dann mit jeweils einem auf den fixierten Punkt. Beim Blick mit zwei Augen sollte sich dieser im Zentrum des Dreiecks befinden. Der fixierte Punkt wird auf einer Seite zum Teil verschwinden. Das Auge, bei dem dies passiert, gilt es zu trainieren. Das jeweils andere ist Ihr “dominantes Auge”, das entsprechend mit einer Augenklappe zu verdecken ist. Starten Sie mit einfachen Übungen, wie Bälle jonglieren, leichte Pässe in kurzer Distanz und erst dann für taktische und spielerische Situationen. Der Schwierigkeitsgrad der Übungen sollte an den Leistungsstand der Spieler angepasst werden.

Fazit 

Durch ein gezieltes Training der Wahrnehmungsfähigkeiten kann der Spieler einen enormen Wettbewerbsvorteil erzielen. Es ist so möglich den berühmten „Schritt schneller“ zu sein oder „schneller umzuschalten“. 

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Alle Teile der Serie:

Literatur 

Alvarez, J. A. & Emory, E. (2006). Executive function and the frontal lobes: A meta-analytic review. Neuropsychology Review, 16, 17-42. 

Bruce, V., Green, P. & Georgeson, M. (1996): Visual perception. Physiology, psychology and  ecology (3rd ed.). Hove: Psychology Press. 

Hüttermann, S., Noël, B. & Memmert, D. (2018): Eye tracking in high-performance sports: Evaluation of its application in expert athletes. International Journal of Computer  Science in Sport, 17, 182-203. 

Marr, D. (1982): Vision: A comptutational investigation into the human representation  and processing of visual information. San Francisco: Freeman. 

Noël, B., van der Kamp, J. & Memmert, D. (2015). Implicit goalkeeper influences on goal  side selection in representative penalty kicking tasks. PLoS ONE, 10, e01354423. 

Schultz, F., Daniel, J. & Höner, O. (2018): Antizipation von Fußballtorhütern. Konzeption  und Evaluation einer kognitiven Leistungsdiagnostik. Leistungssport, 48, 50-55. 

Williams, A. M., Ford, P., Eccles, D. W. & Ward, P. (2010). Perceptual-cognitive expertise  in sport and its acquisition: Implications for applied cognitive psychology. Applied Cognitive Psychology. 

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Prof. Dr. René Paasch
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