Ole Fischer: Tipps für Trainer, die nach der Feuerwehr anrücken – Am Beispiel von Dieter Hecking beim Hamburger SV

Der Hamburger SV befindet sich seit Jahren in einem Teufelskreis: Neue Trainer, neue Spieler, alles steht auf Angriff. Kaum geht es richtig los, kommt die nächste Krise und die Spirale beginnt von vorn. Nun versucht sich mit Dieter Hecking ein erfahrener Bundesliga-Trainer am HSV. Und weil ich Hamburger bin und mir der Verein nicht egal ist, formuliere ich ungefragt einen kleinen Ratschlag, der unter ähnlichen Vorzeichen gern auch bei anderen Vereinen mit einer Drehtür zum Trainerzimmer angewendet werden darf. Eines Vorab: Es geht um Vertrauen.

Zum Thema: Vertrauensbildende Maßnahmen für Trainer

Mehr Infos zu Ole Fischer: https://www.die-sportpsychologen.de/ole-fischer/

Um es metaphorisch zu umschreiben: Das Haus dampft noch. Ein neuer Trainer wie Dieter Hecking kann sich also gerade zu Anfang noch ziemlich leicht die Füße verbrennen oder mit unüberlegten Handlungen sogar Brandherde neu entfachen. Deshalb müssen die Stellen, an denen es zuletzt „gefunkt“ hat, zunächst aufgeräumt werden. Setzen Sie sich am besten zu ehrlichen Gesprächen mit den Beteiligten an einen Tisch und beginnen mit der Problemanalyse der vergangenen Monate. Achten Sie dabei darauf, dass Problemfelder, die Sie auch betreffen, erkannt und bearbeitet werden. Oft geschieht es nämlich, dass neue Trainer sich in Angelegenheiten einmischen, die mit der Entlassung des Vorgängers schon Geschichte waren. Und das ist eine brandgefährliche Situation. Anschließend sollten die jeweiligen individuellen Ziele besprechen und dem Wohl des Vereins unterordnen. Kurzum: Nach einem Hausbrand ist eine umsichtige Sanierung notwendig.

Die Sportpsychologie ist für diese Thema übrigens ein guter Mediator. Konkret: Bei einem Krisengespräch helfe ich (zum Profil von Ole Fischer, zu  den Profilen der anderen Kollegen und Kolleginnen) als neutraler Vermittler dabei, eine sachliche Gesprächsführung zu garantieren und bemühe mich, eine konstruktive Beilegung des Konfliktes zu bewirken.

Für diesen ersten Schritt bedarf es sehr viel Mut aber auch Einfühlungsvermögen von Seiten des Trainers, der in einem neuen und zunächst fremden Umfeld für Struktur sorgen möchte.

Vertrauen entsteht durch Erfahrung

Als renommierter Bundesligatrainer bekommt Dieter Hecking vom neuen Team einen relativ großen Vertrauensvorschuss, der für Coaches, die vergleichsweise neu im Geschäft sind, natürlich weniger üppig ausfällt. Dennoch bleiben – einem ungeschriebenen Gesetz aus der Wirtschaft folgend – nicht mehr als 100 Tage Zeit, um den Grundstein für eine erfolgreiche Bindung zu legen und ein funktionierendes Teamgefüge aufzubauen. Frei nach dem Motto: „Mal sehen, was er so bewirken kann,“ werden Trainer in dieser Phase auf die Probe gestellt. Mein Tipp: Seien Sie wachsam, aber bleiben Sie authentisch. Wenn Ihnen etwas komisch vorkommt, sprechen Sie es ruhig an!

Mein Kollege Lothar Linz beschreibt in seinem Buch „Erfolgreiches Teamcoaching“ die Prozesse der Vertrauensbildung innerhalb des Teams und zum Trainer. Als einen der Hauptfaktoren deklariert er die Authentizität. Wenn Sie sich dem Team so zeigen, wie Sie sind, mit Ihren Ideen vom Spiel, der Fürsorge für die einzelnen Mitglieder des Teams und der realistischen Selbsteinschätzung, der Richtige für den Job zu sein, haben Sie gute Chancen, dass die Spieler beginnen, Ihnen auch längerfristig zu vertrauen.

Entwicklung braucht Zeit

Fakt ist: Dinge brauchen Zeit, um zu wachsen. Diese Zeit haben neuer Trainer oft nicht – die Fans, der Verein, die Medien, die Spieler – alle machen Druck. Als Trainer stehen Sie unter Zugzwang. Versuchen Sie ab und an durchzuatmen, sich das Bild Ihrer Situationen einmal aus der Außenperspektive anzusehen und vergewissern Sie sich, dass alles nach Ihren Vorstellungen passiert.

Im Profisport muss Druck herrschen, um erfolgreich agieren zu können. Wichtig: Druck kann zu Höchstleistungen antreiben, wenn er richtig verarbeitet wird. Jede Partei sollte allerdings wissen, unter welcher Anspannung der andere steht und wie bei einzelnen Aufgaben Unterstützung aussehen kann, ohne dass dabei eigene Interessen komplett missachtet werden. Das wird schnell komplex. Als Trainer ist es Ihre Aufgabe, hier den Überblick zu bewahren. Viel Erfolg!

Mehr zum Thema:

Literatur:

Linz, L. (2004). Erfolgreiches Teamcoaching. Aachen: Meyer & Meyer

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de