Neuzugänge, nachgerückte Nachwuchsspieler und einige schmerzende Abgänge. Das Gesicht nahezu jeder Mannschaft verändert sich im Sommer erheblich. In einer Mini-Serie will ich Trainer, Funktionäre und auch Spieler für wichtige Prozesse vorbereiten, in denen die Sportpsychologie ganz effektiv helfen kann. Wir starten mit der Phase der Hinführung zum Saisonstart, in der aus “sehr unterschiedlichen Gruppen” eine Mannschaft geformt werden sollte. Eine Herausforderung, die jeder Trainer kennt, unabhängig ob er ein Team auf den Bundesligastart oder auf eine Freizeitsportsaison vorbereitet. Eine Phase, in der aber allzu oft vermeidbare Fehler gemacht werden.
Zum Thema: Kohäsion in Mannschaften entwickeln und stärken (Teil 1: Teamentwicklung)
Eine umfangreiche Mannschaftsentwicklung im Fussball zählt zu „DEN“ entscheidenden Erfolgsfaktoren. Eine Vielzahl von Studien und praktische Erfahrungen bestätigen immer wieder, dass Sportler, die in einem funktionierenden Team arbeiten, leistungsfähiger, verantwortungsvoller und motivierter sind. Sie erleben die Vorteile einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit. Ob im Nachwuchs- oder Profifussball, ein ganzheitlicher, reibungsloser Ablauf und eine gute Teamarbeit sind von außerordentlich hohem Wert. Oft sehen wir im Fussball Mannschaften, die sich in kürzester Zeit zusammenfinden und performen müssen, ohne Teamprozesse durchlaufen zu haben. Echte Mannschaften hingegen unterscheiden sich in ihrer Langfristigkeit, in ihrer Struktur und in ihren Prozessen deutlich von “Zweckgemeinschaften”. Sie verfügen über ambitionierte Trainer, die besonders die Wechselwirkungen zwischen Leitung, informeller Führung und Teamdynamik in dynamischer Balance halten. Sie können die wesentlichen Faktoren in den Teamentwicklungsphasen bewusst beachten und die wesentlichen Problemfelder der Teamarbeit erkennen.
Praxisanregung: https://www.die-sportpsychologen.de/2015/06/19/dr-rene-paasch-fuehrung-und-teamentwicklung-im-fussball/
Bevor wir uns jedoch näher mit dem Thema Gruppe beschäftigen, sollten Sie sich mit Vereins- und Teamanliegen statt Zielen kümmern. Es geht um ein übergeordnetes langfristiges Ziel, das einen besseren Zustand oder Platzierung verspricht. Dabei sind Ziele, die man erreichen kann, nur zum Teil sinnvoll. Denn hat man diese erreicht, ist auch die langfristige Orientierung nicht mehr vorhanden. Was wirklich Orientierung bietet, ist ein Anliegen, welches begeistert und verbindet. Was dahinter steckt, beschreibe ich hier:
Gruppenkohäsion
Seit wir auf eigenen Beinen stehen, sind wir in einer Vielzahl von verschiedenen Gruppen (Familie, Kita, Clique, Sportverein) zugehörig. In den genannten Gruppen treten wir mit jedem Mitglied direkt in Kontakt. Als ein Charakteristikum der Gruppe wird häufig die Gruppenkohäsion, das sogenannte Wir-Gefühl, angegeben, welches die empfundene Bindung jedes einzelnen Individuums mit der Gruppe widerspiegelt. Es kann ganz unterschiedlich stark ausgeprägt sein. In der Sportpsychologie wird in der Regel das theoretische Modell der Gruppenkohäsion von Albert Carron und Kollegen (Brawley und Widmeyer, 1998) verwendet. Laut Modell lässt sich Gruppenkohäsion in vier verschiedene Faktoren aufteilen. Zum einen kann man zwischen aufgabenbezogener und sozialer Kohäsion unterscheiden. Zum anderen wird die Gruppe als Ganzes betrachtet sowie der Einzelne im Kontext der Gruppe.
Ein anderes praktikables Konzept der Teamentwicklung für den Sport ist das Teamentwicklungstraining (TET) von Lau (2005b). Dieses integrative Training vereint die praktische Wechselwirkung zwischen sportlichem Training, Wettspiel und sozialer Entwicklung der Mannschaft. Des Weiteren nutzt das TET personen- und gruppenzentrierte Maßnahmen, die auch Veränderungen organisatorischer Strukturen einschließen.
Praxisanregung: https://www.die-sportpsychologen.de/2016/06/03/dr-rene-paasch-mit-gruppenbildung-zum-erfolg/
Egal wie viele Kräfte auf eine Mannschaft einwirken, ohne das Vorhandensein eines sich „zusammengehörig fühlen“ ist es zwar möglich, bei hohen Ansprüchen gute Leistungen zu erbringen. Die Qualität jedoch steigt erst mit dem Entstehen, Wachsen und Reifen. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der solange andauert, solange es die Gruppe gibt. Hier einige Anregungen wie Sie die Kohäsion Ihrer Mannschaft steigern können:
- Förderung von Interaktion und Nähe. Regelmäßiger Kontakt fördert die gegenseitige Sympathie, wenn Ähnlichkeit wahrgenommen wird. Zudem kommt die starke Vernetzung und Interaktion der Teammitglieder auch der Leistung zu Gute.
- Förderung von Erhöhung der gemeinsam verbrachten Zeit und Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten, beispielsweise durch Infrastruktur (z.B. gemeinsame Räumlichkeiten) oder Trainings (z.B. Kommunikationstraining).
- Sichtbarmachen der Teamzugehörigkeit etwa durch eine gemeinsame Identität und gemeinsame Rituale und Aktivitäten.
- Steigerung des Ansehens des Teams, zum Beispiel durch stark erschwerten Zugang für neue Spieler in Form von strengen Auswahlkriterien und Anforderungen. Auch das Herausstellen kleiner Erfolge des Teams steigert die Zufriedenheit und den Stolz der Spieler. Erfolge sollten benannt und gefeiert werden.
- Die Betonung von Gemeinsamkeiten innerhalb des Teams, sowie von Unterschieden nach außen fördert das Wir-Gefühl.
- Gewährleistung einer gewissen Homogenität und Identität. Je ähnlicher sich die Spieler in Werten und Persönlichkeit sind, desto stärker ist im Durchschnitt der Zusammenhalt. Die Spieler können sich so stärker miteinander identifizieren.
- Partizipation bei der Auswahl der Spieler fördert die gegenseitige Akzeptanz. So wird vermieden, dass Sie in ein Team kommen, mit denen die anderen sich nicht identifizieren können.
- Förderung der Akzeptanz von gemeinsamen, übergeordneten Teamzielen. Wenn die Ziele nicht akzeptiert werden und nicht überzeugen, ist die Mitgliedschaft in einem Team nicht attraktiv.
- Vermeiden von Ungerechtigkeitsgefühlen, denn diese untergraben die Attraktivität der Mitgliedschaft im Team.
- Konflikte auf der Sachebene sind notwendig, um innovativ zu bleiben. Konflikte auf der Beziehungsebene zerstören aber die Kohäsion in Teams, insbesondere, wenn sie chronisch sind.
Nicht jede Maßnahme wird im konkreten Einzelfall sinnvoll oder machbar sein. Die Liste kann Trainern helfen, für ihre Mannschaft geeignete Maßnahmen zu identifizieren und auszuwählen sowie Risiken für den Zusammenhalt zu erkennen und abzustellen.
Fazit
Auf dem Weg zu einem echten Team sind vielerlei Aufgaben und Schwierigkeiten zu meistern. Vor allem die effektive Bewältigung der Probleme aus dem sportlichen Bereich dürfte entscheidend für den nachhaltig wirksamen Erfolg sein. Für echte Teams ist es besonders wichtig, die Kernfaktoren der einzelnen Entwicklungsphasen zu kennen und diese in der Steuerung zielorientiert zu beachten. In besonderer Weise sei darauf hingewiesen, dass Vereine aus „zeitökonomischen“ Gründen die ersten Phasen überspringen und gleich mit der Leistungs- und Ergebnisphase beginnen wollen. Phasenweise zeigt sich dann, dass die Mannschaft unsicher wirkt und primär mit sich beschäftigt ist, weil ihr die positive Bewältigung der davor liegenden Entwicklungsphasen fehlt. Ebenso benötigen auch für kurz- oder mittelfristig zu erreichende Ziele zusammengesetzte Mannschaften genügend Zeit, um zur eigentlichen Leistungsstufe zu gelangen. In professionellen Teams, in denen Teambildung, -entwicklung und -stärkung von Trainern bewusst initiiert, begleitet und gestaltet werden, ist fast immer das gleiche Grundprinzip deutlich erkennbar: „TEAM bedeutet für uns: Together Everyone Achieves More“.
Literatur
- Carron, A.V., Brawley, L.R., & Widmeyer, W.N. (1998): The measurement of cohesivenessin sport groups. In J.L. Duda (Ed.), Advances in sport and exercise psychology measurement
- Haug, Christoph, V. (2003): Erfolgreich im Team. München: Beck-Verlag, 2003, 3.Aufl.
- Lau, A. (2005a): Die kollektive Leistung in den Sportspielen – eine interdisziplinäre Analyse. Habilitationsschrift. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
- Siegfried Nagel, Torsten Schlesinger: Teamentwicklung in Sportspielmannschaften des Hochleistungssports. In: Pawlowsky, Mistele (Hrsg.): Hochleistungsmanagement. Leistungspotenziale in Organisationen gezielt fördern. Wiesbaden 2008, S. 382.
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