Lisa König: Christoph Harting wurde ohne Spaß und Leidenschaft Olympiasieger – Geht das überhaupt?

„Die Leute denken: Man muss doch eine gewisse Leidenschaft oder Freude empfinden, wenn man das macht. Nein! Muss man nicht… Das letzte Mal richtig Spaß am Werfen hatte ich mit 14.“ So beschreibt Christoph Harting, Olympiasieger im Diskuswerfen, seine sportliche Karriere in einem Interview mit der Sportbild. Aber welche Rolle spielt die Freude bei jungen Leistungssportlern eigentlich? Wann ist Vorsicht geboten? Und was würde es für Hartings noch bevorstehenden Karriere bedeuten, wenn er lernen würde, wieder den Spaß aus den Kinder- und frühen Jugendtagen zu empfinden?

Zum Thema: Die Rolle des Faktors Spaß bei der Leistungsentwicklung

Wir kennen es alle! Wir nehmen uns für das neue Jahr vor, mehr Sport zu machen, melden uns im Fitnessstudio an, wollen regelmäßig zum Lauf-Treff, etc… Aber was wird meist daraus? Die Motivation geht verloren und man möchte sich nicht länger dort hin schleppen, weil die Freude daran einfach nachlässt. Wie kann es also sein, dass Christoph Harting als Jugendlicher jeden Tag mehrmals trainieren ging, sich körperlich quälte, dabei null Freude empfand und trotzdem zu einem der besten Diskuswerfer geworden ist? Sein Leben sei bisher von „Disziplin, Verzicht und Einsamkeit“ geprägt gewesen, berichtete der heute 29-jährige weiter.

Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich die beiden erst genannten Fixpunkte eines jungen Sportlerlebens – Disziplin und Verzicht – bestätigen. Während meiner Zeit als Skilangläuferin an der Sportschule musste ich auf viele Partys verzichten, auf gesunde Ernährung achten, viel schlafen, unzählige Stunden, bei jedem Wetter irgendwo im Wald oder auf der Straße, Laufrunden schrubben und nebenbei noch den Schulkram erledigen. Mit großer Sicherheit habe ich nicht jeden Tag Freude dabei empfunden, aber ich habe beste Freunde fürs Leben gewonnen, den Umgang mit Rückschlägen perfektioniert, Verantwortung und Ehrgeiz an den Tag gelegt, mein Abi und mein Studium erfolgreich abgeschlossen und dabei durchaus nicht “auf meine Jugend verzichtet”, wie Harting es ausdrückt. Wenn ich keinen Spaß daran gehabt hätte, hätte ich alles mit zwölf an den Nagel gehangen.

Als Leistungssportler leben und denken- was steckt dahinter?

Wir Menschen haben Motive, die meist ein Leben lang gleich bleiben und in bestimmten Situationen die Motivation zum Handeln entstehen lassen. Motive erklären also, warum wir handeln, wie wir handeln. McClelland beschreibt die drei Grundmotive der Menschen als Leistungsmotiv, Machtmotiv und Zugehörigkeitsmotiv (Alfermann & Stoll, 2016). Wenn ein Sportler ein Leistungsmotiv hat, dann strebt er entweder nach Erfolg oder er versucht, einen Misserfolg zu vermeiden (Heckhausen, 1989). Er handelt dementsprechend: er geht zum Training und nimmt an Wettkämpfen teil, weil er die Leistungsmotivation dafür aufgebaut hat. Wenn sich gute Ergebnisse und Erfolgserlebnisse einstellen, dann empfindet er positive Gefühle. Solche Gefühle (z.B. Stolz, Freude, Erleichterung) lassen neue Motivation entstehen, stärken das Leistungsmotiv und führen dazu, dass man weiter trainiert. Stellen sich Niederlagen und Rückschläge ein, kann es zu Trauer, Wut oder Hilflosigkeit führen. Dann kann es passieren, dass die Leistungsmotivation sinkt, das Motiv keine Handlungen mehr anregt und man dem Sport den Rücken kehrt.

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Natürlich ist es so, dass sich sportliche Erfolge nicht gleich nach dem ersten Training einstellen. Manche Sportler brauchen Monate, Jahre, Jahrzehnte, um einmal auf ein Podium steigen oder eine Medaille in der Hand halten zu dürfen. Eine sportliche Karriere kann geprägt sein von Verpflichtungen, harten Trainingstagen, Krankheiten, Dopingkontrollen, Presseauftritten, viel Kritik und Druck von außen und von einem selbst. Alle haben unterschiedliche Erwartungen an einen, man muss seine Vorbildfunktion erfüllen und steht in der Öffentlichkeit. Möglicherweise verleitete Harting das zu dieser Aussage gegenüber der Sportbild, die viele weitere Medien aufgenommen haben: „Ich empfehle jedem 13-, 14-, 15-Jährigen, niemals Leistungssport zu machen. Du verzichtest auf deine Jugend.“

Leistungssport bedeutet Belohnungsaufschub! Dass heißt, nicht jeder Trainingstag endet mit einem Fortschritt. Nicht jeder Wettkampf bringt eine Verbesserung. Nicht jede Bewegung bringt Glücksgefühle hervor. Aber wenn man dann erst einmal Kreismeister oder Olympiasieger geworden ist, sind die Strapazen der vergangenen Jahre meist vergessen. Deshalb hoffe ich, dass Herr Harting wenigstens ganz oben auf dem Treppchen von Rio de Janeiro Freude empfunden hat…

Was ist, wenn ich keine Begeisterung mehr für den Leistungssport habe?

Jeder Mensch verdient es, Freude an dem zu haben, was er tut. Wenn es bei dir der Leistungssport ist, dann habe Spaß mit deinen Teamkollegen, sauge die Atmosphäre bei Wettkämpfen auf, genieße die Natur und die Bewegung darin, akzeptiere und lerne aus deinen Fehlern! Selbst wenn du es nicht auf die große internationale Bühne schaffst, man lernt dabei immer für´s Leben!

Wenn du keinen Spaß hast, quäle dich nicht länger. Sprich darüber mit deinen Eltern, dem Trainer, deinen Freunden oder einem von uns (zu den Profilen von Die Sportpsychologen, zum Profil von Lisa König). Manchmal kann es helfen, dir vor Augen zu führen, warum du damals mit dem Sport begonnen hast, was dich fasziniert hat und wofür du gebrannt hast. Auch in der Arbeitswelt gibt es Leute, die einen Beruf ausüben, der ihnen keine Freude mehr bereitet und der sie ausbrennt. Das kann sie krank und gestresst machen, sie zeigen weniger Leistung. Manchmal sind die Parallelen zwischen Arbeit und Sport näher als man denkt und hier ist Vorsicht geboten…

Dass Christoph Harting heute ein erfolgreicher Diskuswerfer ist, kann eine Ausnahme sein. Möglicherweise treibt ihn nicht die Freude an seinem Sport, sondern etwas anderes an… Anerkennung? Ruhm? Unendlicher Ehrgeiz? Die Lust, einen Teller durch die Luft zu schleudern? Nur er allein weiß das. Aber eine Frage stellt sich mir: Wie weit würde er werfen, wenn er in den letzten 15 Jahren Spaß gehabt hätte?

Mehr zum Thema:

https://www.die-sportpsychologen.de/2018/10/22/lisa-koenig-wenn-sportler-ihre-trainer-hassen/

https://www.die-sportpsychologen.de/2019/05/07/dr-rita-regoes-wie-wir-die-sportpsychologen-den-sportlern-ihre-individuellen-staerken-wegoptimieren/

https://www.die-sportpsychologen.de/2018/04/09/mila-hanke-zielsetzung-vor-und-nach-grossen-erfolgen/

Literatur:

https://www.welt.de/sport/article192691573/Christoph-Harting-Mein-Rat-an-Jugendliche-niemals-Leistungssport-machen.html

Heckhausen, H. (1989). Leistungsmotivation. In Motivation und Handeln (pp. 231-278). Springer, Berlin, Heidelberg.

Alfermann, D., & Stoll, O. (2016). Sportpsychologie: Ein Lehrbuch in 12 Lektionen (Vol. 4). Meyer & Meyer Verlag.

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Lisa König
Lisa König

Sportarten: Wintersport, Basketball, Volleyball, American Football, Golf, Fußball, etc.

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