Jürgen Walter: Vorsichtige Dortmunder, forsche Bayern – welcher Weg führt zum Ziel?

Selbst als Borussia Dortmund Anfang Februar sieben Punkte Vorsprung auf Bayern München hatte, wollte Trainer Lucien Favre sich nicht auf das Saisonziel „Meisterschaft“ einlassen. Er betonte, „man denke von Spiel zu Spiel“. Die Konkurrenz aus München ging in dieser Phase anders mit der Herausforderung Meisterschaft um. Trainer Niko Kovac formulierte nach dem Aus seiner Mannschaft gegen Liverpool: „Zwei Titel holen wir noch!“ Welche Strategie ist erfolgversprechender?

Zum Thema: Sportliche Zielsetzung mit Hilfe der Sportpsychologie

Mehr Infos zu Jürgen Walter: https://www.die-sportpsychologen.de/juergen-walter/

Sportliches Understatement bei Borussia Dortmund und pures Selbstvertrauen beim FC Bayern München. Sicher haben beide Strategien ihre Vor- und Nachteile. Fahren Mannschaften die Strategie, „kleine Brötchen“ zu backen, kann dies dafür sorgen, nicht enttäuscht zu werden und sich möglicherweise nicht zu blamieren. Diejenigen, die offen die Meisterschaft als Ziel verkündigen, setzen damit hingegen einen Maßstab. Dieser kann Gegner abschrecken und ein Siegerbild kreieren, aber auch zusätzlich Druck auf Spieler und Trainer ausüben. Letztlich stehen Spieler im Profi-Fußball nahezu permanent unter Druck und sollten hoffentlich, auch mithilfe eines Sportpsychologen oder einer Sportpsychologin bzw. guten Mentaltrainern, Werkzeuge an der Hand haben, mit dem Druck und vor allem dem Gedankenkarussell umgehen zu können. Besonders bewährt hat sich hier das R-E-T-Modell von Albert Ellis, der erkannt hat, dass nicht das Ereignis das Problem ist, sondern wie man ein Ereignis bewertet.

Wie, nicht das Ereignis ist das Problem? Wagen wir erklärend einen sportlichen Ausflug in meine Leidenschaftsdisziplin: Ein Tischtennisspieler der 2. Bundesliga beklagt, dass er im 5. Satz nach einer 10:2-Führung und einer 10:12-Niederlage beim Stand von 10:6 nicht mehr Tischtennis spielen könne und sogar gegen seine Oma verlöre. Da macht der Spieler folgenden Denkfehler: Nicht die stetige Reduktion des einst komfortablen Vorsprungs ist das Problem, sondern wie diese Situation bewertet wird. Selbstverständlich kann der Spieler bei 10:6 noch Tischtennis spielen und seine Oma hätte er auch geschlagen. Denn nach Ellis ist nicht das Ereignis (A=Activity) – in diesem Fall Verlust der Führung – das Problem, sondern wie diese Situation bewertet wird. Das Problem sind also die Gedanken (B=Beliefs), die zu einer Konsequenz (C= Consequence) führen. Der Spieler kann den Gegner stark reden oder sich selber. Selbst bei einem Spielstand von 10:9 hat er ein “Luxusproblem”, er führt ja schließlich. In Erkenntnis der alten Kölner Regel “Was fott is, is fott!” (Für Nicht-Kölner: Was weg ist, ist weg!”) lohnt es sich nicht über verlorene Punkte nachzudenken. Hier hilft ein “Gedankenstopp” nach folgenden Fragen:

1. Ist das, was ich gerade denke, eine Tatsache oder eine Vermutung?

2. Hilft mir mein Gedanke, mein Ziel zu erreichen?

R-E-T-Modell und Smarte Ziele

Nach dem 27. Spieltag ist Borussia Dortmund wieder Tabellenführer. Die Schwarz-Gelben haben vor dem direkten Duell gegen den Verfolger FC Bayern München zwei Punkte Vorsprung. Sicher wird es im Bundesliga-Spitzenspiel einige Situationen geben, in denen das Wissen um das R-E-T-Modell einigen Spielern helfen würde, um kritische Wettkampfsituationen zu meistern.

Aber zurück zu der Ausgangsfrage: Wie sollten Trainer nun mit der Zielstellung umgehen? All in oder mit aller Vorsicht? Aus sportpsychologischer Sicht würde ich Mannschaften ermutigen, Ziele offen zu vertreten. Wichtiger Hinweis: Diese sollten nach psychologischen Kriterien (SMART-Goals) entwickelt werden, denn dann können sie Kraft und Energie freisetzen, da ein konkretes und realistisches Ziel vor Augen schwebt. Und falls das Ziel wider erwartend nicht erreicht werden sollte, bietet die offene Formulierung bereits einen Ansatz, um nach einem Spiel oder einer Saison reflektieren zu können, was bereits gut lief und was noch verbessert werden könnte. Zielformulierung bedeutet daher auch die Möglichkeit, sich zu entwickeln – und das ist in jedem Lebensbereich essenziell.

Die gute alte Nebelkerze – Den Gegner in Sicherheit wiegen

Noch ein Ausflug: 2014 gab es ein Relegationsspiel zur 2. Bundesliga zwischen Darmstadt 98 und Arminia Bielefeld. Das Hinspiel gewann Bielefeld auswärts mit 3:1. Vor dem Rückspiel gab Darmstadt bekannt, dass aufgrund der „Chancenlosigkeit“ auf das Trainingsangebot im Stadion am Abend vorher verzichtet werde. Das Rückspiel endete nach regulärer Spielzeit 1:3 und nach Verlängerung 2:4, Darmstadt war in die 2. Liga aufgestiegen. Für den Hessen und ihren Trainer Dirk Schuster war dies eine Zwischenstation auf dem Weg in die erste Bundesliga. Denn bereits im Folgejahr stieg die Mannschaft erneut auf und konnte im ersten Jahr als absoluter Außenseiter sensationell den Klassenerhalt feiern. Trainer Schuster machte sich in dieser Phase nicht zuletzt bezüglich des Einsatzes kleiner sportpsychologischer Methoden einen Namen, von denen er in einem TV-Beitrag von Mathias Liebing, Redaktionsleiter von Die Sportpsychologen, für die Deutsche Welle sprach:

Dirk Schuster im Interview mit Mathias Liebing (Quelle: DW)

Link zum Video-Beitrag: https://www.dw.com/de/mentalität-schlägt-qualität/a-18719986

Fazit

Der Einsatz der Sportpsychologie ist unendlich vielseitig. Meine Kollegen (zu den Profilen) und ich (zum Profil von Jürgen Walter) können Ihnen beim Formulieren, Kommunizieren, Setzen und Nachhalten von Zielen helfen. Und dies ist nur ein Puzzle-Stück, welches wir zum Gesamtbild eines erfolgreichen Vereins beisteuern können. Leider höre ich immer noch viel zu oft, dass die Sportpsychologie nur der braucht, der Probleme hat.

Views: 640

Jürgen Walter
Jürgen Walterhttp://www.die-sportpsychologen.de/juergen-walter/

Sportarten: Badminton, Basketball, Billard, Boxen, Dressurreiten, Eishockey, Eiskunstlauf, Fechten, Fußball, Golf, Handball, Klettern, Kunstturnen, Leichtathletik, Moderner Fünfkampf, Radfahren uvm.

Düsseldorf, Deutschland

+49 (0)211 698 96 99

E-Mail-Anfrage an j.walter@die-sportpsychologen.de