Ein physisch wieder genesener Athlet ist nicht unbedingt gleichzeitig auch bereit, wieder ins Wettkampfgeschehen einzutreten. Es kommt immer wieder vor, dass Sportler nach einer Verletzung zu früh in den Wettkampfalltag zurückkehren. Die medizinische Abteilung gibt ihr Okay, weil sie sowohl strukturell als auch funktionell alle Ansprüche erfüllen. Nur leider wird die psychologische Wettkampfvorbereitung zu oft gar nicht beachtet.
In meinem Übersichtsartikel Sportpsychologie und Sportverletzungen (Link zum Leitartikel) habe ich bereits geschildert, warum gerade in dieser Phase die „Kopfarbeit“ besonders wichtig ist und welche Herausforderungen beim Wiedereinstieg in den kompetitiven Sport auf den Athleten warten. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit den Zielen und Interventionsmöglichkeiten der Sportpsychologie.
Zum Thema: Psychologische Aspekte von Verletzungen in der Wettkampfvorbereitung
Damit der Sportler wieder erfolgreich und ohne erhöhtes Risiko einen Wettkampf bestreiten kann, muss er auch wettkampftauglich sein. Dies beinhaltet, dass strukturell, funktionell und physiologisch die bevorstehende Belastung ohne erhöhtes Risiko bewältigt werden kann. Das allerdings reicht nicht aus, wenn der Kopf des Athleten nicht mitspielt. Auch mental muss der Athlet wieder wettkampftauglich sein. Andernfalls steigert sich das Verletzungsrisiko deutlich und auch seine Leistung wird er nicht wie gewünscht abrufen können.
Die Ziele der sportpsychologischen Arbeit liegen darin, den Sportler psychisch wettkampffähig zu machen, seine Ängste zu überwinden, sein Selbstvertrauen zu stärken und seine Leistungsfähigkeit zu verbessern. Häufig eingesetzte Werkzeuge sind das Vorstellungstraining (Visualisierung), die Selbstgesprächsregulation und die Arbeit an Zielsetzungen. Es kommen aber auch weitere Methoden dazu, beispielsweise die Wettkampf- und Kontrollmethode sowie das Prognosetraining.
Sensible Phase vor dem Verletzungs-Comeback
Steht der Sportler kurz vor seinem Verletzungs-Comeback, so mehren sich neben der Vorfreude häufig auch Ängste und Zweifel des Athleten. „Hält meine geheilte Struktur die sportliche Belastung aus?“ oder „Kann ich an meine früheren Leistungen anknüpfen?“, sind häufig Gedanken, welche den ansonsten einsatzfähigen Sportler aus der Ruhe bringen. Sie lenken ihn auch gleichzeitig ab, richten seinen Fokus auf seine Probleme und machen ihn sensibel für negative Empfindungen.
Um das Selbstvertrauen des Sportlers zu stärken, seine Ängste und Zweifel zu minimieren und ihn zu motivieren, kann erneut das Rehabilitationsprofil herangezogen werden (dieses habe ich im Beitrag Psychologische Aspekte von Verletzungen in der Akutphase ja bereits vorgestellt, Link zum Text). Damit hat er seinen positiven Rehabilitationsverlauf immer wieder vor Augen und sieht, dass er alle Aspekte erfüllt hat und Zweifel unberechtigt sind.
Beispiel Visualisierungsmethode
Die Visualisierungsmethode kommt auch in der Wettkampfvorbereitung zum Einsatz. Der Athlet durchlebt gedanklich und emotional, dass er die Situationen besteht, in denen er sich verletzt hat. Ein Beispiel zu solch einer geskripteten Vorstellung macht dies deutlich. Zunächst einmal muss das Verletzungsgeschehen klar sein:
Der Fußballer Jan erlitt eine Verletzung der Hamstringmuskulatur, als er einen Konter für seine Mannschaft gelaufen ist. Es ist eine aussichtsreiche Torgelegenheit und er will den Steilpass seines Mitspielers erreichen um anschließend allein auf das gegnerische Tor zulaufen. Der Antritt über die ersten 20 Meter läuft nach Plan, doch kurz vor Erreichen des Balls zieht ihm ein stechender Schmerz in den hinteren Oberschenkel und er stürzt zu Boden.
Anschließend wird die Situation mit einem positiven Ausgang versehen:
Jan stellt sich vor, wie er im Stadion auf dem Rasen steht. Es riecht nach dem nassen Gras des Fußballplatzes und ein leichter Wind weht. Sein Team ist im Ballbesitz und er sieht, dass eine Konterchance besteht. Jan’s Mitspieler schaltet schnell und spielt einen steilen Pass durch die weit vorgerückte Abwehrreihe des Gegners. Jan spürt den Abdruck seiner Stollensohle im Gras. Noch richtig frisch startet er durch und überholt seinen Gegenspieler. Nur noch ca. zehn Meter und er hat den Ball. Jetzt spürt er den Ball am Fuß und richtet seinen Blick zum Torwart, der schon herausgelaufen ist. Jan umspielt ihn mit einer Finte und schiebt den Ball dann locker rein. Das Publikum und seine Mitspieler jubeln. Ein tolles Gefühl!
Solche lebhaften Vorstellungen können den Sportler emotional packen. Rational weiß er, dass er seinem medizinischen Team vertrauen kann, aber es fehlt ihm genau an dieser emotionalen Stellschraube.
Die Selbstgesprächsregulation
Die Selbstgesprächsregulation ist sehr hilfreich, um den Fokus des Athleten weg von negativen Emotionen und hin zu positiven Gedanken zu lenken. Der Sportler entwickelt zusammen mit dem Sportpsychologen hilfreiche Sätze, die ihm dabei helfen, einen unterstützenden Fokus einzunehmen.
Erinnern wir uns an die beiden obigen Sätze, die von negativen Erwartungen geprägt waren. Sobald sich der Sportler beim Aufkommen solcher Gedanken erwischt, unterbricht er diese bewusst und ersetzt sie durch seinen umstrukturierten Satz.
Eine weitere sportpsychologische Methode, die angewendet werden kann, um den Athleten in seiner Wettkampftauglichkeit zu fördern ist das Prognosetraining und die Wettkampfsimulation.
Wettkampfsimulation und Prognosetraining
In der Wettkampfsimulation wird ein tatsächlicher Wettkampf durchgeführt. So könnte dies für einen Leichtathleten beispielsweise ein 100m Sprint sein. Der Sportler bekommt einen festgesetzten Wettkampftermin und durchläuft eine ganz normale Wettkampfvorbereitung, so wie bei einem „echten“ Wettkampf. Es unterscheidet sich jedoch die Situation dahingehend, dass der Wettkampf in einer bekannten Umgebung stattfindet und äußere Faktoren gezielt kontrolliert werden können. Selbst Publikum oder Wettkampfgegner können festgelegt werden. So entwickelt der Sportler wieder Wettkampfspannung in einem vertrauten und für ihn sicheren Rahmen. Außer dem Wettkampf findet sonst kein Training statt. Der 100m Sprint ist also auch an diesem Tag nicht wiederholbar.
Das Prognosetraining kann eingesetzt werden, um weiter Spannung beim Sportler aufzubauen. Der Sportler entwickelt zusammen mit dem Trainer und Sportpsychologen ein Ziel, welches erreicht werden soll (z.B. die 100m in 10,8 Sekunden). Dieses Ziel muss realistisch sein, jedoch so schwer, dass der Athlet eine sehr gute Leistung bringen muss. Die Erfolgswahrscheinlichkeit liegt hierbei meist bei 50:50 oder 60:40 für das Erreichen dieses Ziels. Verknüpft wird diese Wettkampfsituation durch eine Konsequenz, die aus dem Ergebnis resultiert. Erreicht er das Ziel nicht, wartet auf ihn eine vorher festgelegte „unangenehme“ Konsequenz (z.B. die Umkleidekabine putzen). Besteht er allerdings diesen Test, so kann er dafür eine Belohnung erhalten (z.B. der Trainer muss ihn zum Essen einladen). Die Belohnung muss nicht zwingend erforderlich sein, denn meist ist das Bestehen der Situation für den Sportler schon Belohnung genug.
Return to Sport
Die Wettkampfvorbereitung ist die abschließende Phase des sportpsychologischen Return to Sport. Der Sportler sammelt in dieser Phase vor allem Selbstvertrauen, um wieder mit einer positiven Emotion ins Wettkampfgeschehen eingreifen zu können.
Ich hoffe, dass ich durch die Vorstellung dieses Return to Sport Prozesses einige Anregungen geben und Möglichkeiten aufzeigen konnte, die den Athleten nach einer Verletzung auf dem Weg zurück in den Sport begleiten und unterstützen können. Meine Kollegen (zu den Profilen) und ich (zum Profil von Andreas Meyer) können Sportlern und Trainern individuell und sachgerecht helfen.
https://www.die-sportpsychologen.de/2019/02/26/andreas-meyer-sportpsychologie-und-sportverletzungen/
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