Ein Gastartikel von Martin Fladerer (mehr zur Person) und Mazlan Maskor (mehr zur Person)
Am 18. Dezember 2018 wurde Jose Mourinho nach 17. Spieltagen und dem schlechtesten Saisonstart der Vereinsgeschichte als Teammanager von Manchester United freigestellt. Seine knapp dreijährige Amtszeit wurde begleitet von öffentlichen Kontroversen und schwachen Mannschaftsleistungen. Als Interimstrainer benannte Manchester den ehemaligen Spieler Ole Gunnar Solskjaer.
Zur Überraschung aller gelang Solskjaer zum Einstieg eine Serie von 11 ungeschlagenen Spielen mit der Mannschaft. In der Premier League hat Manchester wieder Anschluss an die Champions League Plätze gewonnen, steht im Viertelfinale des FA Cups und hat noch eine Chance auf das Weiterkommen in der Champions League.
Was versteckt sich hinter dem Misserfolg von Mourinho und dem Erfolg von Solskjaer? Was können andere Trainer daraus über Führung lernen? Eine sozialpsychologische Analyse des Führungsverhaltens der beiden Trainer kann uns helfen, Licht ins Dunkel zu bringen.
Zum Thema: Führungsforschung im Fußball
Führung ist ein Prozess sozialer Einflussnahme, welcher nach Ansicht eines sozialpsychologischen Verständnisses, auf einem geteilten Verständnis von „wir“ und „uns“, also einer gemeinsamen sozialen Identität, basiert (Haslam, 2004). Um erfolgreich zu sein, müssen Führungskräfte zu Identitätsmanagern werden (Haslam, Reicher, & Platow, 2011). Ihre Aufgabe ist die Identität der Gruppe zu verkörpern, voranzubringen, zu gestalten und umzusetzen (Steffens et al., 2014).
Wie schneiden Mourinho und Solskjaer im direkten Vergleich auf diesen Dimensionen ab?
Verkörpern: Mourinho ist der Beste, aber Solskjaer ist einer von uns
In seiner Karriere hat Jose Mourinho mit Mannschaften in Portugal, England, Spanien und Italien fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Auf dem Papier sah Mourinho nach dem perfekten Kandidaten für den Trainerposten bei Manchester United aus. Und unbestritten Jose Mourinho ist einer der erfolgreichsten Trainer der Geschichte und damit augenscheinlich genau der Richtige, um eine neue „Goldene Ära“ bei Manchester United zu prägen.
Während seiner Amtszeit ist es Mourinho jedoch nicht gelungen, sich als Mancunian zu präsentieren. Er fremdelte mit der Stadt und dem Verein. Auch haftete ihm kein Stallgeruch an: Er hatte keine Historie als Spieler oder Trainer bei United. Stattdessen wird Mourinho stark mit einem der Erzrivalen, Chelsea London, und seinen dortigen Erfolgen in Verbindung gebracht. Aus der Sicht vieler Red Devils war Jose Mourinho nie „einer von uns“, sondern blieb „einer von denen“.
Ganz anders Ole Gunnar Solskjaer: Er ist eine Vereinslegende. Der „Bayern-Schreck“ erzielte 1999 im Finale der Champions League in der Nachspielzeit das Siegtor. Die Fans tauften ihn in seiner Spielerkarriere liebevoll als „Super-Sub“ (engl. Substitution; dt. Einwechselspieler) –ein loyaler und bescheidener Spieler, der sich voll in den Dienst der Mannschaft und des Clubs stellte. Aus Sicht des Vereins und seiner Anhänger mag Mourinho der Beste sein, aber Solskjaer ist einer von ihnen. Dadurch schenken ihm Angestellte, Spieler und Fans ihr Vertrauen und sind bereit, für ihn auf und neben dem Platz an ihre Grenzen zu gehen.
Voranbringen: Mourinho gewinnt Titel, aber Solskjaer gewinnt im United Stil
Für Mourinho zählen ausschließlich Titel. Diesem Ziel ordnet er alles andere unter. Er ist sogar dazu bereit, unattraktiven, destruktiven Fußball spielen zu lassen, wenn es aus seiner Sicht hilft den Gegner zu schlagen. In seiner Zeit bei Chelsea London und Inter Mailand wurde dies als taktische Meisterleistung gepriesen. Doch Manchester United wie auch sein vorheriger Verein Real Madrid, ticken anders. Im Selbstverständnis dieser Vereine spielt die Mannschaft kraftvoll, offensiv und immer selbstbewusst.
Nicht nur diesen Aspekt der Identität Uniteds (und auch Madrids) ignorierte Mourinho. Auch übte er Druck auf die Vereinsführung aus, Geld in neue, teure Spieler wie Paul Pogba und Romelu Lukaku zu investieren. Mourinho sortierte Spieler rigoros aus, wenn er sie für unwichtig für sein System erachtete. Ein Schicksal, das auch Sebastian Schweinsteiger wiederfuhr.
Er machte öffentlich keinen Hehl aus seiner (geringen) Meinung über einzelne Spieler. Insgesamt vermittelte er den Eindruck, dass Spieler entbehrliche Figuren in seinem System statt geschätzter Ressourcen des Vereins sind. Ein weiterer Bruch mit den Werten Manchester Uniteds, das in der Regel langfristige und fördernde Beziehungen zu seinen Spielern pflegt.
Solskjaer hat bisher noch nicht gezeigt, dass er auf der großen Bühne bestehen kann—ganz anders als Mourinho—aber er versteht, was Manchester United ausmacht. Er denkt langfristig an die Entwicklung der Spieler und des Vereins. Unter ihm bekommen die Talente aus der hauseigenen Fußballakademie, zum Beispiel Jesse Lingard und Marcus Rashford, die volle Unterstützung und sie zahlen dies mit Leistung zurück.
Auch neben dem Platz zeigt Solskjaer regelmäßig seine Wertschätzung und seinen Respekt für seine Spieler und andere MitarbeiterInnen des Vereins, wodurch er weitere Unterstützung gewinnt. Solskjaer hat verstanden, dass es nicht nur ums Gewinnen geht, sondern ums Gewinnen im Stil Uniteds.
Gestalten: Mourinho denkt „Ich“, und Solskjaer denkt „Wir“
Effektive Führungskräfte stärken den Zusammenhalt in ihrer Gruppe. Mourinho hingegen spaltete die um ihn. Er zögerte nicht, seine Spieler öffentlich zu kritisieren. Er lag im Streit mit der Vereinsführung. Auch mit der Presse stand er auf Kriegsfuß während seiner Amtszeit. Bei einer berüchtigten Pressekonferenz stürmte er erzürnt aus dem Saal und verlangte mehr Respekt für all die Titel, die er in seiner Karriere gewonnen hat. Mourinhos Fokus konzentrierte sich auf das „Ich“ und nicht das „Wir“.
Für Solskjaer steht das „Wir“ über dem „Ich“. Er demonstriert öffentlich, besonders gegenüber der Presse, seine positive und kooperative Haltung. Es geht um „uns“ und nicht um Einzelpersonen und schon gar nicht ihn. Als er im Januar die Auszeichnung „Barclay Manager of the Month“ bekam, zögerte er nicht, diesen Erfolg dem Trainerstab und den Spielern zu zuschreiben. Nach der ersten Niederlage unter seiner Führung im Hinspiel des Champions Leagues Achtelfinals gegen PSG nannte er dies eine „Lernerfahrung“ und weigerte sich einzelne Spieler zu kritisieren. Er fokussierte darauf, was „wir“, also der Verein, tun kann, um seine Ziele zu erreichen. Auf die Niederlage folgte ein Sieg gegen Chelsea London im FA Cup.
Umsetzen: Mourinho macht sein Ding, aber Solskjaer lässt uns unser Ding machen
Mourinho versprach, Titel zu gewinnen. Hierfür ließ er defensiven, unattraktiven Fußball spielen. Seine Aufstellungen waren für die Mannschaft unberechenbar, die resultierende Verunsicherung wirkte demoralisierend auf die Spieler. Er setzte auf ein starres taktisches Korsett, dass sich an den Stärken des Gegners ausrichtete und unterminierte die Stärken seiner Mannschaft.
Unter Solskjaer wiederum hat die Mannschaft viele Freiheiten. Bereits im ersten Spiel unter seiner Leitung, einem 5-1- Sieg gegen Cardiff City, zeigte die Mannschaft ein anderes Gesicht: Sie spielte zügig, direkt und angriffsorientiert. Aktuell ist die Mannschaft in 16 von 17 Spielen ungeschlagen. Solskjaer hat Uniteds wahres Gesicht in ihrem Spiel wieder zum Vorschein gebracht.
Für Trainer und die, die Trainer auswählen
Was können TrainerInnen und Vereine vom Erfolg Solskjaers und dem Misserfolgs Mourinhos bei Manchester United lernen? Zunächst einmal, dass Führung eine kontextabhängiger Gruppenprozess ist: Was eines Ortes funktioniert, kann anderenorts hinderlich sein.
TrainerInnen sollten reflektieren, was ihr (zukünftiges) Team und den Verein ausmacht und wofür sie stehen. Basierend auf dieser Reflektion können sie aktiv werden und die gemeinsame Identität fördern und entwickeln (Haslam et al., 2017).
Für Vereine bedeutet dies, dass der passende Trainer nicht unbedingt der, mit den meisten Erfolgen im Lebenslauf ist. Der passende Trainer oder die passende Trainerin ist in der Lage, die Werte, Ziele und Ideale des Teams zu verkörpern und kultivieren.
Der Austausch des falschen Trainers oder der falschen Trainerin könnte den Verein teuer zu stehen kommen—im Fall von United gute 22 Million Euro Abfindung für Jose Mourinho. Die sozialpsychologische Analyse des „Solskjaer Effekts“ zeigt, dass dieser kein bloßer Zufall ist, sondern auf gruppendynamischen Prinzipien beruht.
Quellen
Haslam, S. A. (2004). Psychology in Organizations: The Social Identity Approach. London: Sage.
Haslam, S. A., Reicher, S. D., & Platow, M. J. (2011). The New Psychology of Leadership: Identity, Influence and Power. Hove: Psychology Press.
Steffens, N. K., Haslam, S. A., Reicher, S. D., Platow, M. J., Fransen, K., Yang, J.,. . . Boen, F. (2014). Leadership as social identity management: Introducing the Identity Leadership Inventory (ILI) to assess and validate a four-dimensional model. The Leadership Quarterly, 25, 1001–1024. doi:10.1016/j.leaqua.2014.05.002
Haslam, S. A., Steffens, N. K., Peters, K., Boyce, R. A., Mallett, C. J., & Fransen, K. (2017). A social identity approach to leadership development. Journal of Personnel Psychology, 16, 113–124. doi:10.1027/1866-5888/a000176
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