Viele Mannschaftssportler haben kaum Körperkontakt auf und neben dem Platz. Dabei zeigt die Wissenschaft, dass körperliche Nähe sich auch auf sportliche Leistung auswirken kann. Berührungen können eine Menge bewirken, insbesondere bezüglich des Wohlbefindens und im Ergebnis eben auch hinsichtlich der Leistungsfähigkeit von Teams. Ein Plädoyer für mehr Körperkontakt.
Zum Thema: Können Berührungen fundamentale Auswirkungen auf den Einzelnen und Teams haben?
„Man kann in Fußballer nichts hineinprügeln, aber mit Berührungen großartiges bewirken und herausstreicheln“
Dr. René Paasch
Wenn wir von Berührungen sprechen, dann müssen wir eine kurze Exkursion zur Haptonomie vollziehen. Die Haptonomie, also “die Lehre von der Berührung”, wurde von Frans Veldman (1921-2010) entwickelt. Durch die Berührung wird eine Verbindung zu einer kranken oder gesunden Person aufgebaut, um sie zu bestärken und ihr Wohlbefinden zu verbessern. Das Wort Nomos „Gesetz” hingegen, ist die gefühlsbetonte Antwort der Berührten. Veldman hat die Erscheinungen der menschlichen Fähigkeiten, die bei jedem seit Urzeiten existieren, studiert und beschrieben. Diese Fähigkeiten wurden in den verschiedenen Zeiten erforscht, beobachtet und mit der fortschreitenden Industrialisierung leider aus den Augen verloren.
Dennoch ist sie für mich der Grundstein nachhaltiger Berührungen. Alle unsere Sinne erleichtern uns das Verständnis von Umweltereignissen und -eigenschaften, sozialen Austausch sowie die Anpassung an unsere Gegebenheiten. Überspitzt gesagt: Das Tastsinnessystem sichert unser Überleben! Jede Berührung unseres Körpers wird biologisch und psychologisch verwertet, aber oftmals ist unser Tastsinn für uns so selbstverständlich, dass wir ihn kaum würdigen oder gezielt einsetzen. Dabei feuern jede Sekunde Millionen von Sensoren in Muskeln, Sehnen, Gelenken, Haaren und Haut ununterbrochen Signalströme an das Gehirn, um eine präzise Vorstellung der taktilen, haptischen und propriozeptiven Erfahrungen zu erhalten (Grunwald,2017). Unsere Haut ist überzogen von Millionen kleiner Haarfollikel, die kleinste Veränderungen wahrnehmen können. An Fingerspitzen und im Mundraum liegt die höchste Dichte an tastsensiblen Rezeptoren vor. Schmerz, Temperatur- oder Geschwindigkeitsveränderungen – alles wird registriert und bei der Verarbeitung von Tastsinnesreizen sind fast alle Nervenzellen des Gehirns beteiligt. Gleichzeitig begleiten emotionale Prozesse unsere taktile und haptische Wahrnehmung. Eine Meisterleistung, die einen tieferen Blick wert ist.
Von Kindesbeinen an bedeutsam
Ein Heranwachsender ertastet die Welt, um sie zu begreifen. Er erforscht sie, indem er die Dinge einer haptischen Analyse unterzieht: Gegenstände und Nahestehende werden auf Textur, Form, Gesetze der Schwerkraft sowie auf eigene Wirksamkeitsmöglichkeiten überprüft. Eine solche stimulierende Umwelt fördert hierbei nicht nur das Erkundungsverhalten und die Reifungsprozesse im Gehirn, sie sind auch für die Sprachentwicklung Voraussetzung.
Doch auch als Erwachsener lässt dieser Prozess nicht nach. Wir lieben angenehme Erfahrungen, egal ob es um das „kollegiale Drücken“ bei guter Leistung oder eine fürsorgliche Behandlung des Physiotherapeuten geht. Berührungen und Selbstberührungen spielen im Sport und in zwischenmenschlichen Interaktionen eine sehr wichtige Rolle. Dabei dienen diese nicht nur unserem subjektiven und emotionalen Wohlbefinden, sondern auch der neurobiologischen Aktivität unseres Gehirns.
Wahrnehmungsfördernde Berührungen
Heranwachsende sind ohne diese nicht überlebensfähig. Selbst wenn sie ausreichend mit Nahrung versorgt werden, würden ihnen ohne Berührungen zuverlässige Bindungen fehlen, die für die Entwicklung fundamental sind. Aber auch als Erwachsene verlieren wir ohne Berührungen nachhaltig das Gespür für uns selbst und vereinsamen. Es droht die Gefahr eines inneren „Absterbens“. Berührungen kommen zwar von außen, wirken aber nach innen. Nicht berührt zu werden, kann auch zu einem Gefühl des sozialen Ausschlusses führen. So konnten Untersuchungen zeigen, dass soziale Ausgrenzung körperliche Folgen hat, wie z.B. den Anstieg diverser Entzündungswerte. Die entsprechenden Botenstoffe sorgen dafür, dass Schmerzreize noch stärker wahrgenommen werden. Soziale Nähe und Bindungen hingegen lindern körperlichen Schmerz und verstärken die Zugehörigkeit. Grunwald (2012) konnte nachweisen, dass die Wahrnehmung von Nähe oder Distanz, Zugehörigkeitsgefühl oder Ausgrenzung auch einen physischen und sogar einen sinnlichen Aspekt hat und direkte Zusammenhänge zwischen sozialem und physiologischem Empfinden bestehen. Unser soziales Erleben kann also auch unser körperliches Befinden beeinflussen (z.B. Körpertemperatur sinkt nachweislich). Umgekehrt können unsere haptischen Erfahrungen unser Wohlbefinden steigern (z.B. Wärme wirkt beruhigend auf die Stimmung und stärkt das Selbstvertrauen)
Letzteres liegt daran, dass für neurologische Verschaltungen des Empfindens bei physischer bzw. sozialer Wärme dieselben Nervenbahnen des Gehirns aktiv sind. Körperliche Berührungen von Teamkollegen stimulieren emotionale und hormonellen Reaktionen. Auch die Selbstberührung dient also zur Regulierung des neurophysiologischen Zustands (wie z.B. der Herzfrequenz), zur emotionalen und physiologischen Beruhigung. Daher ist zu beobachten, dass auch bei stressbelasteten Spielern vermehrte Selbstberührungen beruhigen können. Auch das Bindungshormon „Oxytocin“ (Magon, Kalra, 2011) wirkt stabilisierend und macht uns widerstandsfähiger gegen Belastungen.
Zünder für Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit
Die Gefühle, die wir bei Berührungen empfinden und weitergeben, spiegeln sich auch in unserer Sprache wieder: Wir sind “berührt”, wenn uns etwas sehr nahe geht. Erlebnisse, die Spuren in unserem Leben hinterlassen, “gehen uns unter die Haut.” Und der Ausdruck “begreifen” zeigt, dass die Bedeutung des Körperkontakts weit über eine bloße verbale Kommunikation mit unseren Mitmenschen hinausgeht.
Wie stark Berührungen auf uns wirken und uns mit Energie erfüllen können, ist allgegenwärtig erkennbar. So bedeutet das Wort “berühren” im Altgriechischen zugleich auch „anzünden“. Seien Sie daher der Zünder für Wohlbefinden und nachhaltige Leistungsfähigkeit.
Praktische Empfehlungen für den sportlichen Alltag:
Wie die Sprache gehören auch Berührungen zu unserer alltäglichen Kommunikation und besitzen folgende Vorteile:
- Das Händeschütteln ist im deutschen Fußball ein gängiges Begrüßungsritual. Dieses ist versehen mit nur einem kurzen Händedruck und Anblick. Schütteln Sie stattdessen länger und intensiver die Hände und lassen Sie dabei eine gesunde Nähe zu.
- Wenn ein Team sich an den Händen hält oder im Kreis in den Armen liegt, ist das meistens ein anerkannter Beweis von Zuneigung, Verbundenheit und Sicherheit. Nutzen Sie dies so oft es möglich ist, denn das verändert und verstärkt das „WIR“.
- Berühren Sie jemanden an der Schulter, bedeutet diese Geste oft: „Ich halte zu dir“ und „Du kannst mir vertrauen“. Ein sanftes Schulterklopfen kann Lob sowie Anerkennung ausdrücken, aber auch Sicherheit vermitteln und Mut machen.
- Eine Umarmung ist im Sport eine besonders innige Form der Berührung – sie drückt Teamzugehörigkeit aus und kann das Selbstvertrauen des Einzelnen stärken. Aber aufgepasst: Jegliche Berührung kann einen Eingriff in die Intimsphäre bedeuten und vom Gegenüber als unangenehm empfunden werden. Fragen Sie daher, ob diese erwünscht ist.
- Schließlich gibt es bei Berührungen Unterschiede zwischen Männern und Frauen: Frauen lassen sich eher berühren als Männer. Zugleich werden sie durch Berührungen stärker beeinflusst – unabhängig davon, ob die berührende Person männlich oder weiblich ist.
- Und selbst die physiotherapeutische Nähe – die Massage – kann nachweislich Stress lindern, die Stimmung aufhellen und das Immunsystem stärken.
- Berührung ist “Urkommunikation”, bevor das erste Wort fällt. So könnte ein Trainer, wenn er die Kraft der Berührung gezielt einsetzt “das Wohlbefinden und Selbstvertrauen seiner Spieler verbessern“ bevor er ihn überhaupt einer Bewertung unterzieht.
- Forscher haben nachgezählt, wie oft sich die Fußballer bei der Weltmeisterschaft 1998 während des Turniers einander berührten. Das Ergebnis: Die französische Nationalmannschaft hatte überdurchschnittlich oft Körperkontakt – und wurde, wie wir wissen, Weltmeister. Vielleicht ein Fürsprecher für regelmäßige Berührungen und Leistungsfähigkeiten in Sportmannschaften!?
Die unterschiedlichen Kulturen im deutschen Fußball prägen ganz besonders persönliche Begegnungen im Sport: Menschen in berührungsfreundlichen Kulturen empfinden Angehörige berührungsarmer Kulturen eher als kühl und distanziert. Wiederum stufen berührungsfreudige Kulturen wie Südländer oft als temperamentvoll und distanzlos ein. Finden Sie Ihre eigene „Berührungswohlfühlzone“ und seien Sie experimentierfreudig, denn Grenzen entstehen nur in Ihren Köpfen.
Fazit
Der aktive und passive Vermittler des physischen Kontaktvermögens ist das Tastsinnessystem des menschlichen Körpers. Dieses ist nicht nur ein probates Mittel im Umgang mit den Teamkollegen und der Welt außerhalb unseres Körpers, sondern es stellt gleichzeitig Mittel zur Verfügung, damit das Körpersystem in schwierigen Zeiten (sozial/sportlich) adäquat handlungsfähig bleibt. Gewünschte und ehrliche Berührungen in Sportmannschaften können unseren Organismus wesentlich verändern und somit im Ergebnis auch die Leistungsfähigkeit verbessern.
Literatur
Grunwald, M. (2017). Homo hapticus: Warum wir ohne Tastsinn nicht leben können. Verlag: Droemer eBook.
Grunwald, M. (2012): Haptik: Der handgreiflich körperliche Zugang des Menschen zur Welt und zu sich selbst. In: Werkzeug-Denkzeug (Hrsg.). Thomas H. Schmitz. Transcript Verlag.
Internet:
Magon, N; Kalra, S. (2011): The orgasmic history of oxytocin: Love, lust, and labor https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3183515/
Unterstell, R. (2014). The fuel of intimacy. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/germ.201490012
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