Die Diskussion über Doping führt zum Hinterfragen, einerseits sportlicher Leistungen, andererseits des Systems Leistungssport und mündet zwangsläufig in großen Themen, wie Moral und Fairness auf gesellschaftlicher Ebene. Ob diese große Bühne immer gerechtfertigt ist? Eine wertneutrale Perspektive neben einer kritischen Selbstreflektion, sei es auf persönlicher oder auf gesellschaftlicher Ebene, erwiese letztendlich dem Athleten in seiner Integrität als Mensch, genau die Behandlung, die jeder einzelne von uns für sich selbst mit aller Selbstverständnis und Vehemenz beansprucht – nicht in dem wir Doping befürworten, vielmehr in dem wir Paradoxien des Gesamtsystems reflektieren.
Zum Thema: Doping im Leistungssport
Ein System agiert wertfrei, es fokussiert auf Selbsterhaltung – Einzelteile des Systems sind austauschbar. Ob ein Einzelner im System, sich dem System beugt, es ablehnt, sich dagegen auflehnt, spielt für das System keine Rolle – schon gar keine moralische.
Das Wertesystem einer Gesellschaft schreit hingegen nach Schuld und Unschuld, nach Vollstreckung der Moral, nach Fairness. Landet letztendlich beim einzelnen Individuum – der wiederum schmerzlich realisiert, dass das System nicht in Frage gestellt werden kann, es ist fokussiert auf Systemerhaltung, es handelt wertfrei, der Sportler ist nur ein Teil und eben austauschbar.
Moralische Aspekte
Das klingt hart, ist es auch – ein Grund über die Moral zu reflektieren das Urteilen zu hinterfragen, in dem man sich selbst fragt: Gibt es Systeme, die ich ablehne jedoch mitmache? Wenn ja, warum? Weil ich sonst ausgetauscht werde und mir Schaden entsteht – weil in der Regel der Einzelne das Nachsehen hat, nicht das System.
Athleten sind Helden der Moderne, sie kämpfen, siegen oder scheitern und wecken in uns längst verstummte Gefühle, zumindest verkümmert in der Intensität, in der wir uns über ihren Sieg freuen oder über die Niederlage enttäuscht sind. In unserem Alltag ist dies nicht selten unmöglich, daher leben wir diese Emotionen gern beim Mitfiebern aus. Wir projizieren in unsere Helden Hoffnung, Güte, Schönheit, Gerechtigkeit: „er hat es verdient“ und auch in das System, in dem sie agieren – „möge der bessere gewinnen“. Entsprechend ernüchternd nehmen wir Schlagzeilen über Unfairness, Doping und Betrug wahr. In erster Instanz, sind wir sofort bestrebt, unsere Weltordnung wiederherzustellen. Wir wollen wissen, ist das System falsch oder der Athlet kein Held, wir wollen von außen Stellung beziehen, um so, auch unsere eigene Moralvorstellung zu festigen, gegebenenfalls uns zu distanzieren. Wir hinterfragen das System und das Individuum. Eins bleibt jedoch in diesem Prozess der moralischen Selbstfindung unreflektiert, wir selbst: Grenzüberschreitungen „rational“ erklären, sich einem System beugen, für etwas alles geben oder manches bewusst ignorieren – sind nicht Leistungssport spezifische Themen.
Unreflektierte Heldengeschichten
Es bleibt ebenfalls unreflektiert, wie intensiv wir uns mit unseren Helden identifizieren, in ihr Handeln uns wieder finden wollen, zulassen, wie sie uns in manch unserer Vorstellungen bestärken und wir uns an sie orientieren, in guten Zeiten oder auch in schlechten?
Aber vor allem ein Gedanke sollte jede Diskussion über Doping inkludieren und reflektiert werden: Die Paradoxie der Fairness.
Stille Helden?
Athleten treten an, um zu gewinnen – in manchen Fällen entscheiden sie selbst, in manchen Fällen wird ihnen die Entscheidung abgenommen oder sie rutschen automatisch in ein System.
Andererseits gibt es sehr viele Sportler, die sich bewusst gegen Doping entscheiden, manchmal auch im Bewusstsein, den schwierigeren Weg zu wählen aber auch im Bewusstsein, fair bleiben zu wollen. Auch diese Athleten gewinnen oder aber sie stehen nie auf dem Podest und werden somit nie wahrgenommen. Sie wissen vielleicht, dass sie chancenlos sind und wählen trotzdem den fairen Weg.
Von Siegern und Gewinnern
Das Ziel ist in jedem Fall klar definiert: Sieg. Der Sportler möchte gewinnen, das System ebenfalls und wir, wir wollen auch Sieger sehen. Gewinner werden gefeiert und zu unseren Helden – keinesfalls wegen der Entscheidung, fair zu bleiben, nicht wegen eines eventuell härteren Weges. Und eine Platzierung im Mittelfeld ist auch keine Schlagzeile wert – einzig wegen Edelmetall – wohl ein unfairer Paradoxon.
Diese Geschichte löst Diskussionen aus. Der österreichische Langläufer Johannes Dürr äußert sich in der ARD-Dokumentation “Gier nach Gold” (zur ARD-Doku) offen wie noch kein zweiter Wintersportler zu seinem Dopingvergehen und seinen Erfahrungen im internationalen Skilanglaufzircus.
Für die Hintergrundberichterstattung zur Doku “Gier nach Gold” wurde der Sportpsychologe Prof. Dr. Oliver Stoll mit den Aussagen des Langläufers Dürr konfrontiert. In einem Interview trifft er unmissverständliche Aussagen:
Sportschau-Interview mit Prof. Dr. Oliver Stoll
Zum Interview mit Prof. Dr. Oliver Stoll: “Simmen Dürrs Aussagen hat der Leistungssport ein Problem” (Link)
Mathias Liebing, Redaktionsleiter von Die Sportpsychologen, war im Auftrag der ARD-Dopingredaktion darüber hinaus damit betraut, aus sportpsychologischer Sicht die Frage zu beantworten, warum Sportler dopen? Entstanden ist ein knapp vierminütiger Beitrag:
Warum Sportler dopen
Zum Beitrag: https://www.sportschau.de/doping/video-warum-sportler-dopen–100.html
Geheimsache Doping: Die Gier nach Gold
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