Im Stadionheft der TSG 1899 Hoffenheim war kürzlich ein Interview von Julian Nagelsmann zu lesen, in welchem er moniert, dass viele junge Kicker schon in den älteren Jahrgängen mitspielen. Aus sportpsychologischer Sicht ist dies eine hoch spannende Diskussion. Wir haben uns an dieser Stelle genauer angeschaut, welche Vor- aber auch welche Nachteile dieser „Trend“ mit sich bringt?
Zum Thema: Was passiert mit der Entwicklung eines jungen Sportlers, wenn er seiner Altersgruppe entrissen und bei Älteren mitspielen soll?
Nehmen wir ein Beispiel: Wir haben einen jungen, sehr talentierten Fußballer aus der U16. Er ist körperlich schon gut ausgereift und sehr spielstark. Aufgrund seines Talentes wird er in die U19 Mannschaft hochgezogen. Er ist also auf dem schnellen Weg zum Erfolg. Die Profi-Karriere scheint zum Greifen nah. Doch was verändert sich mit dem wechselnden Umfeld, dem Altersunterschied zu seinen Mannschaftskollegen? Und was ist mit seiner Entwicklung, muss diese auch die zwei Stufen überspringen? Was erhofft man sich eigentlich davon, dass der „Kleine“ bei den „Großen“ mitspielt?
Bekannt ist, dass im Fußball der Jüngste immer eine besondere Rolle inne hat. Ballsäcke schleppen hier, für Getränke sorgen da, Leibchen aufhängen dort. Allein darin lauert eine erste Gefahr. Es ist ja nicht Ziel der „Beförderung“, dass der junge Spieler zum Lakaien der anderen wird. Er soll sich weiterentwickeln, sich unter den älteren und sicherlich spielstärkeren Akteuren, die ihm und seinem Potential näher sind als seine gleichaltrigen Mitspieler, beweisen. Es ist aber zu befürchten, dass er dort nur einer von vielen ist. Er ist nicht derjenige, der alle mitziehen kann, der voran marschiert und den Ton angibt. Er ist einer von vielen, die spielen wollen.
Verantwortung und Führungsspielerqualitäten
Gehen wir weiter ins Detail: Was ist mit seiner Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen und seine Qualität als Führungsspieler auszuprägen? Alles Dinge, die sich ein jeder Trainer heutzutage wünscht! Beim Überspringen von Altersklassen rückt eine Ausprägung solcher Fähigkeiten allerdings in den Hintergrund. Denn ein 15-Jähriger bekommt unter 18-Jährigen im Regelfall nicht die Chance, eine Führungsrolle einzunehmen.
Und was macht dieser Wechsel mit seinem Selbstwert? Der stärkste seines Teams, der beste Kicker in seinem Alter, wechselt in den höheren Bereich, wo dann Spieler dabei sind, die ihn übertreffen, ihm körperlich überlegen sind und ausspielen. Nicht jeder hochgezogene Nachwuchskicker wird diesen Transfer auch im Kopf schaffen. Die eigentlich einfache Erkenntnis, dass es nun einmal auch ältere Spieler sind, spielt in der individuellen Betrachtung oft keine große Rolle.
Vom Jungen zum Mann
Neben dem Selbstwert sind die Bereiche der eigenen Identität und des Körpererlebens in dem Altersbereichen der Nachwuchsleistungszentren (NLZ) maßgeblich. Eine Junge wird zum Mann und das nicht nur körperlich, sondern auch im Kopf. Wenn dann noch der Leistungssport dazu kommt, ist das für viele schon eine Hürde. Die Entwicklung unter Gleichaltrigen und der Austausch mit diesen ist eine hilfreiche Stütze. Zu wissen, wer ich bin, meine Stärken und Schwächen zu erkennen und bestimmen zu können, ist ein wichtiger Entwicklungsschritt, der nicht unterschätzt werden darf. Ebenso sind die Themen soziale Integration und Abgrenzung entwicklungspsychologisch Bereiche, die im Sport zum tragen kommen. Unter Gleichaltrigen ist es für die meisten leichter, sich zu positionieren. Es ist ungleich schwerer, wenn sie allein vom Alter her ein Unikat in der Gruppe darstellen.
Eher Fortbildung als Dauerzustand
Doch ist es sicherlich nicht nur von Nachteil, einen jungen Fußballer in eine höhere Altersklasse zu setzen. Allerdings betone ich folgende Einschränkung: Vielleicht ist es sinnvoll, die Berufung für eine höhere Altersklasse nicht dauerhaft durchzuführen, sondern nur punktuell einzusetzen.
So kann der Spieler sich einfach mal anschauen, wo die Reise hingehen soll. Welche Eigenschaften bei den Älteren wichtig sind, einfach auch als Anreiz und Motivation, um weiter an den Stellschrauben zu drehen und an sich zu arbeiten. Es soll eher eine Belohnung, eine Fortbildung sein, als ein Dauerzustand, bei dem die eigentliche Entwicklung Sprünge machen müsste, bei denen vielleicht die ein oder andere wichtige Fähigkeit auf der Strecke bleibt.
Hinweise für Trainer
Was ist also zu tun, wenn man als Trainer in der Position ist, einen Spieler in die höhere Altersklasse zu nehmen? Es gibt leider keine Standardparameter, die einem die Entscheidung erleichtern könnten. Es gilt dabei immer, individuell auf die Entwicklung des Sportlers zu schauen.
Sollte die sportliche Entscheidung, einen Jungen frühzeitig oben mitspielen zu lassen, wirken, so sollte aber auch parallel dafür gesorgt werden, beispielsweise in der Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen oder Pädagogen, dass der Sportler sich weiter altersgemäß entwickeln kann. Die enge Zusammenarbeit von Trainerteam und Sportpsychologen ist dabei ein wichtiger Faktor. Der Unterschied zwischen einem Kind und einem jungen Erwachsenen ist manchmal größer als man glaubt, auch wenn die “Jungs” auf dem Platz alle Profis sein wollen.
Hinweise für Nachwuchsspieler
Und als Spieler selbst, was kannst du für dich tun, wenn du schon oben mitspielen darfst? Ganz wichtig, bleib erst einmal du selbst! Es ist immer noch Fußball, es sind immer noch 11 gegen 11 und es wird immer noch auf ein Tor geschossen. Und da ist es erst mal egal, ob diejenigen um dich herum 15 oder 18 Jahre alt sind.
Und es ist vollkommen in Ordnung, wenn die neuen Mannschaftskollegen andere Interessen verfolgen. Drei Jahre können viel ausmachen! Wenn du dich vergleichen möchtest, dann setz deine Maßstäbe nicht nur in der neuen Mannschaft an. Als Sportpsychologin kann ich dich dabei unterstützen, deine eigenen Fähigkeiten herauszuarbeiten und einen intraindividuellen Vergleich anzustreben, d.h. wir vergleichen also dich in der „alten“ Mannschaft und dich in der „neuen“ Mannschaft – unabhängig von deinen Mannschaftskollegen. Deine Ressourcen und Fähigkeiten sollten im Vordergrund stehen. Nur so kannst du erkennen, was du vielleicht noch nicht so gut beherrschst und worauf du aufbauen kannst, weil du es schon sehr gut umsetzt.
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