Wie ihr wisst, bin ich Sportpsychologe. Zumindest habe ich mich in meinem ersten Beitrag (Link zum Text) recht selbstbewusst so vorgestellt. Nun möchte ich diese Aussage aber kritisch hinterfragen. Denn die passenden Fächer habe ich zwar studiert. Aber kann ich Sportlern bereits weiterhelfen, ohne bislang viel Erfahrung in der Praxis gesammelt zu haben?
Zum Thema: Mein Weg in die Sportpsychologie (Teil 2)
Ich finde „Ja“, denn immer wieder stelle ich fest: allein das im Studium vermittelte Denken und Wissen bietet einen ungemeinen Mehrwert im Gespräch mit Menschen – insbesondere wenn meinen Gegenüber damit noch eher wenig Kontakt hatten. Und auch Sportler lernen – innerhalb ihrer klassischen Ausbildung – leider immer noch viel zu wenig über psychologische Themen.
Gegen Ende meines Studiums habe ich oft gezweifelt, ob das, was ich vermitteln kann, nicht sowieso schon jeder weiß. Gerade wenn es um absolute Basics geht. Über Psychologie – anders als über Herzchirurgie – hat schließlich fast jeder etwas zu sagen.
Das ist nur verständlich, denn natürlich machen wir alle tagtäglich Erfahrungen mit uns selbst und unserer eigenen Psyche.
Kleine Peinlichkeiten
Es ist mir dann fast peinlich, psychologisches Grundwissen zu verbreiten, weil ich das Gefühl habe, mein Gegenüber damit für dumm zu verkaufen. Allerdings vergesse ich dabei, dass ich zu Beginn des Studiums auch keine Ahnung hatte, was die Yerkes-Dodson-Kurve ist oder was „SMART“e Ziele sind.
Die meisten Menschen haben intuitives Wissen und Vermutungen darüber, wie wir so funktionieren. Vieles davon ist wertvoll und richtig. Wenn es allerdings mal problematisch wird, sollten wir uns nicht auf gefährliches Halbwissen verlassen, sondern besser auf gesichertes Wissen. Und dabei spreche ich erst mal gar nicht zwangsläufig von dem hochtrabenden Nischenwissen, das man im Laufe eines Studiums natürlich anhäuft, sondern von ganz simplen Modellen. Diese sind nützlich, weil sie auf eine Vielzahl von Situationen übertragbar sind. Sie sind leicht zugänglich und es macht sogar Spaß sie zu erlernen. Das finden nicht nur Psychologen, versprochen! Was anfänglich aber häufig schwer fällt, ist diese Theorien auf die Situationen im eigenen Leben zu übertragen.
Trainings-Weltmeister
Bei der Übertragung in reale Situationen kann ich, ebenso wie meine erfahrenen Kollegen, behilflich sein. Denn Modelle und Wirkmechanismen anzuwenden und damit mögliche Erklärungen für Verhaltensweisen zu kreieren, gehört zu den Grundfähigkeiten, die schon im Studium extrem trainiert werden. Oftmals kann das Erkennen und die Bewusstmachung dieser Mechanismen schon eine Änderung bewirken oder zumindest Lösungswege aufzeigen.
Ein Beispiel: Ein Tennisspieler fragt sich „Warum spiele ich im gesamten Turnier auf Knopfdruck mein bestes Tennis; im Finale aber versage ich immer und immer wieder?“. Natürlich weiß der Spieler, dass es etwas mit der Art des Wettkampfes zu tun hat. Was genau aber dahinter steckt, kann er sich nicht erklären. Hier kann die Vermittlung des oben erwähnten Zusammenhangs zwischen Anspannung/Erregung und Leistung (Yerkes-Dodson, 1908) schon so manchem die Augen öffnen.
Erfahrungsdefizit als Chance
Die Aufgabe, dem Sportler aufzuzeigen, welche Interventionsmöglichkeiten es gibt, geeignete Methoden auszuwählen und diese gemeinsam zu trainieren, ist dann der nächste Schritt. Auch darauf fühle ich mich gut vorbereitet. Um bei unserem Tennisspieler zu bleiben: Methoden der Entspannung und der Anspannungsregulation kennen wir Psychologen alle zuhauf und ich habe viele persönliche Erfahrungen damit gesammelt.
Trotzdem bin ich mir natürlich dessen bewusst, dass jede Menge Erfahrung im Feld letztlich einen riesigen Zugewinn für die Arbeit darstellt. Als Anfänger habe ich halt noch nicht alle Probleme und Geschichten schon einmal gehört und noch nicht alle Methoden schon mal ausprobiert. Da hakt es am Anfang sicher einmal. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass etwas komplett in die Hose geht.
Der Sportler entscheidet!
Lösungen, die für andere Sportler funktioniert haben, kann ich also nicht bieten. Ebenso verfüge ich nicht über ein bewährtes – im Zweifel aber auch starres – Methoden-Repertoire, welches schon hundert Mal angewandt wurde. So werde ich mich (zwangsläufig) deutlich individueller und intensiver mit der Situation des Sportlers auseinander setzen. Er wird dabei auch mal als Versuchskaninchen herhalten müssen. Aber genau darin, gemeinsam neue Lösungsansätze zu finden, liegt die große Chance.
Also: Ja, ich bin sicher, dass ich Sportlern trotz wenig praktischer Erfahrung weiterhelfen kann. Ich hoffe sehr, dass es da draußen solche Sportler gibt, die Lust und Mut haben, mit einem Greenhorn wie mir zusammenarbeiten zu wollen. Risiko und Chance halten sich dabei meines Erachtens die Waage. Am Ende muss jeder Sportler selbst entscheiden was er sucht und ob er sich auf dieses Experiment einlassen möchte.
Ich mache mich dann mal auf die Suche nach mutigen Klienten…
Johannes (direkt zum Profil)
Literatur
Litaratur:Yerkes, R.M. & Dodson, J.D.: The relation of strength of stimulus to rapidity of habit-formation. Journal of Comparative Neurology and Psychology, 18 (1908) 459-482
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