Bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokyo gehen erstmals über 80 männliche und weibliche Skateboarder an den Start. Die Szene sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefühlen entgegen. Die einen sagen, dem Sport wird etwas genommen, wohingegen die anderen auch eine Chance darin sehen. Ich persönlich freue mich sehr auf diese spannende Entwicklung. Denn quasi über Nacht entstehen Spitzensportstrukturen mit Regionalstützpunkten, mit einer sportartübergreifenden Basisausbildung (mit 40 Lerneinheiten á 45min), welche die Grundlage für die Lizenz Trainer C (insgesamt 120 Lerneinheiten) darstellt. Besonders freue ich mich, dass die Bereiche Motivation und Psychologie fest in den Lehrplan integriert sind. Denn schließlich führen auch beim Skateboarding so manche Wege über die Sportpsychologie.
Zum Thema: Sportpsychologisches Know-How im Skateboarding
Eines vorweg: Analytische Überlegungen vor und nach einer sportlichen Betätigung sind immer von Vorteil. Und ich kenne nur sehr wenige Athleten, ganz egal in welcher Sportart, die dies anders sehen. Jedoch kreuzen immer dann Schwierigkeiten unseren Weg, wenn man während der Performance beginnt, seine Leistungen zu analysieren. Sicher kann jeder, der schon einmal ambitionierter auf einem Board stand, eine solche Situation nachvollziehen.
Einfache Regel: Wenn es darauf ankommt, gilt es, von seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten überzeugt zu sein und loszulassen. Diese Erkenntnis stützt sich nicht nur auf Erfahrung aus der Zusammenarbeit mit Spitzensportlern, sondern erhält Unterstützung aus dem neurowissenschaftlichen Bereich zur Funktionsweise des Gehirns (Mayer, 2018). Kahneman unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen „schnellem Denken“, das unterbewusst abläuft, und „langsamen Denken“, das bewusst gesteuert wird (2016).
Das schnelle und das langsame Denken
Kennzeichnend für das schnelle, unterbewusste Denken ist, dass dieses
- automatisch,
- intuitiv, weitgehend mühelos und
- ohne willentliche Steuerung arbeitet.
Wenn wir also schnell, effizient und ohne nachzudenken handeln, ist das schnelle Denken verantwortlich. Eine Lücke in der gegnerischen Abwehrkette erkennen und den tödlichen Pass intuitiv in den freien Raum spielen, wäre ein Beispiel aus dem Spielsport. Wenn hingegen das langsame Denken aktiv ist, geht das oftmals mit dem subjektiven Erleben von Kontrolle, Entscheidungsfreiheit und Konzentration einher. Das langsame, bewusste Denken arbeitet
- rational,
- mühsam,
- bezieht Logik mit ein und
- beansprucht viel Energie.
Unser Verstand steht für das langsame Denken. Ihn setzen wir aktiv ein, wenn es uns wichtig erscheint. Dies wäre der Fall, wenn etwas Unerwartetes passiert und wir überlegen müssen, was als nächstes folgt. Ein praktisches Beispiel hierfür wäre, wenn wir einen Trick bspw. wie einen „Kickflip“ landen wollen und dieser misslingt. Wir überlegen also, was zu tun ist, damit der nächste Versuch von Erfolg gekrönt ist.
Denkaufgabe
Das schnelle Denken steuert allerdings nicht nur unser (motorisches) Verhalten. Das folgende Beispiel verdeutlicht, dass uns das schnelle Denken auch einfache Lösungen für auftretende Probleme liefert und wir diese schnellen, einfachen Lösungen nur zu gerne übernehmen.
Kleines Rechenspiel (aus Mayer, 2018):
Ein Schläger und Ball kosten 1,10 Euro; der Schläger kostet einen Euro mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball?
Und? Wem hat das schnelle Denken ein Schnäppchen geschlagen? Die Lösung muss natürlich 5 Cent lauten (der Schläger kostet 1,05 und der Ball 0,05 Cent). Dennoch haben viele Menschen zunächst als Lösung 10 Cent im Kopf. 10 Cent erscheinen auch auf den ersten Blick logisch und nachvollziehbar – und einmal ehrlich, über das Problem nachzudenken ist anstrengend. Man gibt sich mit der schnellen Lösung zufrieden. Es scheint (nicht erforderlich oder man ist zu faul), das langsame, bewusste Denken hinzuzuschalten.
Wir sehen, dass eine Menge Arbeit verrichtet werden muss, damit die unterschiedlichen und teilweise konkurrierenden Bereiche des Gehirns optimal aufeinander abgestimmt sind und funktionieren. Daraus leitet sich ab, dass es eine übergeordnete Instanz geben muss, die Teile miteinander diskutieren lässt, Ressourcen verteilt und Kontrolle zuweist. Diese Aufgabe wird dem langsamen Denken zugeschrieben. Dazu kommt, dass das langsame Denken immer zu spät dran ist. Das bewusste Denken erfordert Zeit und hinkt immer einer paar Zehntelsekunden der Wirklichkeit hinterher. Wenn man beispielsweise mit dem Finger auf die Tischplatte klopft, hat man subjektiv den Eindruck, dass die Berührung zur selben Zeit stattfindet, wie der Finger die Platte berührt. Es wurde jedoch festgestellt, dass im direkten Gegensatz zu unserem Erleben das Gehirn eine relativ lange Dauer zur Verarbeitung benötigt (bis zu einer halben Sekunde), um ein Bewusstsein des Ereignisses auszulösen (Libet, 2004). Wir haben zwar häufig den Eindruck, dass wir bewusst gehandelt haben, doch trickst unser Gehirn aus, indem es eine subjektive Rückdatierung vornimmt. Noch dazu werden optische und akustische Signale unterschiedlich schnell verarbeitet – und trotzdem hat man den Eindruck, dass zum Beispiel ein Fingerschnipsen gleichzeitig zu hören und zu sehen ist. Die Zeitwahrnehmung ist also lediglich ein Konstrukt des Gehirns (Mayer, 2018).
Funktionieren wie per Autopilot
Wir fassen zusammen: Das schnelle, unterbewusste Denken läuft automatisch ab und steuert wie in einem Autopilot. Das langsame Denken hingegen befindet sich normalerweise in einem Modus, in dem nur ein Teil seiner Kapazität in Anspruch genommen wird, und es hinkt in Wirklichkeit hinterher. Unserem Verstand (langsames Denken) werden ständig Interpretationen der aktuellen Situation vom Unterbewussten (schnelles Denken) angeboten, die er in der Regel akzeptiert und wahrgenommen werden. Die Arbeitsteilung zwischen schnellem und langsamem Denken ist supereffizient, weil das schnelle Denken normalerweise höchst zuverlässig arbeitet (Mayer, 2018).
Das Programm, das passende Verhalten und die wirksame Handlung werden fest angelegt. Damit erreicht das Gehirn zwei wesentliche Ziele. Das erste ist Geschwindigkeit. Erst wenn das langsame Denken in den Hintergrund tritt, kann das schnelle Denken die Arbeit erledigen. Das zweite Ziel ist die Energieeffizienz. Das menschliche Gehirn arbeitet mit beispielloser Effizienz. Die Automatisierung ist ein grundlegender Mechanismus unseres Gehirns. Es passt neuronale Funktionen der Aufgabe an. So können Tätigkeiten, die man zunächst ungeschickt erledigt, immer rascher und effizienter erledigen. Man erinnere sich an seine ersten Versuche in der Kindheit, auf Rollschuhen zu fahren. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kann man sich auf seine Intuition verlassen – den Schlüssel, um zu funktionieren, wenn es darauf ankommt.
Wichtig für “schnelle” Sportarten
Wie bereits angemerkt, finden relevante Aspekte der sportlichen Höchstleistung eigentlich ohne die Einflussnahme von langsamen Denken statt. Man denke beispielsweise an den Semiflip von Mullen.
In diesem Zusammenhang wird in Sportarten, in denen Schnelligkeit eine besondere Rolle spielt, ersichtlich, dass bestimmte Aufgaben mit bewusstem Denken eigentlich gar nicht bewältigt werden können. Zum Beispiel beim Tennis – ein Aufschlag wird dort mit bis zu 263 Stundenkilometern geschlagen. Gute Spieler können einen Aufschlag mit einem Return beantworten, bevor ihnen bewusst wird, dass Ball unterwegs ist. Durch jahrelange Übung sind die wichtigsten Abfolgen dieser komplexen Bewegung in automatisierte Programm (schnelles Denken) verwandelt worden. Das schnelle Denken kann (durch Interpretation der Bewegung der Aufschlagenden) den Weg des Balles recht genau vorhersagen.
Exkurs: Aufschlag beim Tennis
Schauen wir uns nun die zeitlichen Abläufe im Gehirn beim Return an und vergegenwärtigen uns, dass ein erfolgreicher Return nur mit dem schnellen Denken gelingen kann (Abbildung):
- 0 ms: Die Aufmerksamkeit wird auf den Gegner gerichtet, eventuell wird mit früheren Erfahrungen verglichen.
- 70 ms: Der Ball ist unterwegs (ca. 3 Meter geflogen). Der Spieler nimmt den Ball noch nicht bewusst wahr, unterbewusst aber plant sein Gehirn bereits die Aktionen, die für den Return nötig sind. In diesem Stadium nutzt der Spieler vor allem Informationen über Bewegungen des Gegners, um eigene Bewegungen zu planen.
- 250 ms: Der Ball hat das Netz fast überquert. Das Gehirn des Spielers kombiniert bislang gesammelten Informationen, um eine Reaktion auf den schnell herannahenden Ball zu entwerfen. In diesen Plan fließen Informationen über Körpersprache des Aufschlägers ein, das (noch unterbewusste) Wissen über Geschwindigkeit und Flugbahn des Balles sowie aktivierten Erinnerungen.
- 285 ms: Bewusstes Denken setzte ein. Unterbewusst ist die Echtzeitposition des Balles bereist kalkuliert. Der Spieler denkt, er sähe den Ball dort, wo er tatsächlich ist.
- 355 ms: Der Ball kommt in der eigenen Spielhälfte auf. Die motorischen Areale im Gehirn feuern und Arm und Schläger werden so in Position gebracht, dass der Spieler den Ball treffen kann.
- 500 ms: Der Ball befindet sich unmittelbar vor dem Spieler. Weicht die bewusste Wahrnehmung der Flugbahn des Balles deutlich von der früheren unterbewussten Vorhersage ab, kann er die ältere Planung verwerfen und eine Alternative erwägen. Dafür benötigt der Spieler aber wiederum 200 bis 300 ms – den Ball wird er dann nicht mehr treffen können.
Fazit: Durch „Loslassen“ gelingt Performance
Wenn`s drauf ankommt, geht es darum, zu wissen, wann das langsame Denken aktiviert werden muss und wann man auf den Automatismus des schnellen Denkens vertrauen kann. Gerade im Spitzensport ist das wechselseitige Zusammenspiel zwischen schnellen und langsamen Denkverfahren ein elementarer Bestandteil von Spitzenleistung. Das „Loslassen“ lässt sich auch auf neurophysiologischer Ebene beobachten. In verschiedenen Sportarten konnte anhand von Studien belegt werden, dass eine Deaktivierung der verbal-analytischen Teile im Hirn (vgl. Abb. 1) im Moment der Erbringung der Spitzenleistung vorhanden ist.
Wir können festhalten, dass wenn es darauf ankommt, die Hirnwellen des Sportlers nicht durch unnützes Geplapper des bewussten Denkens gestört werden. Vielmehr sollten die Sportler dazu in die Lage versetzt werden „los zu lassen“ und auf ihre Fähig- und Fertigkeiten zu vertrauen. Und hier kann die angewandte Sportpsychologie dem Athleten die nötige Unterstützung zukommen lassen. Wir dürfen also auch vor diesem Hintergrund gespannt sein, wie es der Sportart Skateboarding gelingt, sich zu etablieren.
Ähnliches gilt ebenfalls für die Sportpsychologie. Weshalb also nicht Synergien bilden und gemeinsam los…Wir von Die Sportpsychologen sind bereit ☺
Literatur:
Kahnemann, D. (2016): Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler Verlag.
Libet, B. (2004): Mind Time. Wie das Gehirn Bewusstsein produziert. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Mayer, J. (2018): Wenn`s drauf ankommt. Schnell denken – maximale Leistung abrufen – Stresssituationen meistern. München: Ariston Verlag.
Syer, J./Connolly, C. (1987): Psychotraining für Sportler. Hamburg: Rowohlt Verlag.
https://driv.de/wp-content/uploads/2015/07/lehrplan_skateboarding.pdf
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