Nein – mein verletztes Außenband, über welches ich im August fast folgenschwer gestolpert bin, war nicht das Ende des Streaks (Link zum Juli-Beitrag). Ich bin weiter gelaufen. Und dennoch hat mich dieses Ereignis auch im August noch – aus verschiedenen Gründen – nachhaltig beschäftigt. Zum einen natürlich rein orthopädisch, funktional, medizinisch. Zum anderen aber eben auch mental, psychologisch und …..philosophisch.
Zum Thema: Streakrunning-Serie, Teil 9
Kommen wir – wie gewohnt – zu den Fakten: Der August schlägt mit 255,80 km zu Buche (siehe Abbildung 1). Ich laufe nun seit 243 Tagen mindestens eine Meile, wobei ich aber bis jetzt noch nie diesen Joker „ziehen musste“. Im Schnitt sind es ca. 8 Kilometer am Tag – also so gesehen: Keine unmenschliche Leistung. Aber: Mehr als im Juli, aber auch weniger als im März, April und Mai. Und bedenkt man, dass ich das mit einem verletzten Außenband im rechten Sprunggelenk gelaufen bin, dann staune ich schon auch selbst am heutigen Tag.
Wie ging das nun also weiter? Der Außenbandriss – vielleicht war es auch nur ein Anriss (wie schon gesagt, ich habe mir das nicht durch eine gehaltene Röntgenaufnahme letztendlich beweisen lassen) – ist nun ca. fünf Wochen her. Ich habe so gut wie keine Beschwerden mehr. Das Gelenk schwillt nur noch dann mal etwas an, wenn ich vor lauter Euphorie, mal wieder Trail laufen zu können, doch wieder umknicke (aber das vergeht dann auch wieder über Nacht). Und ansonsten fühlt es sich da unten rechts natürlich nicht unbedingt immer super stabil an, aber eben auch nicht so, als das ich irgendwie groß rumheulen müsste. Ich habe mir natürlich darüber Gedanken gemacht, wie das nun weitergehen soll und habe mich im Internet informiert, wie das andere gemacht haben und was dafür und dagegen spricht (Gegen das Weiterlaufen findet man mehr Argumente als für das Weiterlaufen). Aber im Endeffekt habe ich diesbezüglich eine mutige, vielleicht nicht unbedingt vernünftige Entscheidung getroffen. Aber anstatt mich den im Internet immer wieder zu findenden „Horrorszenarien“ zu widmen, wenn man in diesem Falle weiterläuft, dachte ich an den Titel eines Buches, das meine Frau gerade liest: „Am Arsch vorbei, geht auch ein Weg“ und genau diesen habe ich für mich beschritten. Ich habe mich also einfach meinen Instinkten hingegeben. Und so, bin ich dann, entgegen vieler gut gemeinter Ratschläge, einfach weitergelaufen. Und dabei habe ich wieder einmal etwas über das „Wunderwerk Mensch und seine (Selbst-)Heilungskräfte“ gelernt.
Laufende Inspiration
Zum anderen habe ich mich – neben Arbeit, Familie und Laufen – auch mit einem anderen, sehr spannenden Menschen beschäftigt (und das hat natürlich auch mit der vorher beschriebenen Thematik zu tun). Bernd Heinrich, ein emeritierter Professor für Biologie hatte eine Professur an der Universität in Vermont und neben einer unglaublichen “Läufer-Karriere” auch ein Buch geschrieben, dass meiner Meinung nach, jeder Sportstudent und/oder Läufer mal gelesen haben sollte (siehe Literaturhinweis am Ende des Blog-Beitrags). Bernd Heinrichs Familie stammt aus Westpreußen. Sein Vater war der Zoologe Gerd Heinrich. Die Familie musste 1945 aus Polen fliehen und lebte nach dem Zweiten Weltkrieg fünf Jahre in einer kleinen Hütte im Wald Hahnheide bei Trittau in der Nähe von Hamburg, bis sie 1950 nach Maine (USA) auswanderte. Bernd Heinrich hat in Zoologie promoviert und erhielt zwei Ehrendoktortitel. Er ist Autor mehrerer Sachbücher und unter anderem Preisträger der John-Burroughs-Medaille. 2004 wurde er zum Mitglied der American Academy of Arts and Sciences gewählt. Er lebt heute in Hinesburg, Vermont, in einer Blockhütte in einem Wald in Maine.
„Sei ein gutes Tier und bleib deinen tierischen Instinkten treu“
(Bernd Heinrich)
Neben der Biologie ist Bernd`s Leidenschaft das Laufen. 40-jährig!!! lief er einen Marathon in 2:25. Ein Jahr später, bei seiner ersten Teilnahme an einem 100-km-Lauf siegte er 1981 in Chicago in einer Zeit von 6:38:21, was damals eine Weltbestzeit auf der Straße und einen US-Rekord bedeutete, der 14 Jahre hielt. 1983 stellte er mit 156 Meilen und 1388 Yards (252,327 km) einen neuen US-Rekord über 24 Stunden auf. Und am 19. Mai 1984 sicherte er sich mit 12:27:01 einen weiteren US-Bestwert über 100 Meilen, der bis heute nicht unterboten wurde. Heute läuft er täglich, zumindest klingt das in seinem Buch so an („Heute verbinde ich mit meinem täglichen Lauf….“ S. 11, Buch: Laufen“, siehe Literaturhinweis). Darin schildert er seine eigenen Erfahrungen mit dem Laufen und zieht Vergleiche zwischen menschlicher und tierischer Ausdauerleistungen.
Ein einfacher Läufer
Da dachte ich mir jedenfalls – das ist wohl ein Mann, der sich auskennt und zum Thema Laufen sicher etwas zu sagen hat. Ich will jetzt hier keine Rezension seines Buches schreiben. Dafür bräuchte ich deutlich mehr Platz. Und, nun gut – Bernd ist Biologe. Und damit hat er eine vielleicht „etwas enge Sicht“ – nämlich eine im Wesentlichen eine biologische – auf das Thema „Laufen und Bewegung“ (und vielleicht weniger eine eher psychologische, wobei ich das eigentlich auch gleich wieder relativieren muss). Aber zum Thema „Laufen und Verletzung“ fand ich folgendes Zitat in seinem Buch hoch spannend:
„Einfach zu laufen, um Geschwindigkeit und Ausdauer zu trainieren, berücksichtigt alle wichtigen Aspekte – all die unzähligen Glieder in der sehr langen und sehr komplexen Kette. Das heißt, die notwendige Komplexität und Effizienz des Laufens lässt sich ganz einfach erreichen – durch Laufen. Ich muss keine Gewichte heben. Nachdem ich mir die schwere Verletzung zugezogen hatte (Bernd Heinrich hatte sich in jungen Jahren bei Gewichtstraining einen Bandscheibenvorfalls zugezogen, Anm.: Oliver Stoll), habe ich nie wieder ein Gewicht angefasst. Und ich habe nie den Hauch eines leistungssteigernden Wirkstoffes zu mir genommen. Um ein Läufer zu werden, bin ich einfach gelaufen“ (Heinrich, 2013, S.95).
Eine besondere Einstellung zur Natur
Ausgleichstraining? Stabitraining? Gewichtstraining? Medikamente („Doping“) ? Alles Fehlanzeige! Was vom Laufen kommt, geht durch Laufen auch wieder weg. Gut, das ist natürlich eine einzelne Meinung und das lässt sich sicher auch nicht verallgemeinern. Aber mir hat dieses Zitat (mit meiner selbstverständlich sehr selektiven Sichtweise gerade) sehr gut gefallen. Bernd Heinrich hat natürlich noch sehr viel mehr zum Thema „Laufen“ zu sagen. Ich bin beeindruckt von seiner grundsätzlichen Einstellung zur Natur und zu sich selbst sowie von seinem Respekt, jedem Lebewesen gegenüber. Aber macht Euch einfach selbst ein Bild. Dazu empfehle ich das sehr inspirierende Portrait-Video:
Traumhafte Augusttage
Aber zurück in mein Läuferleben: Der August war ein sehr schöner Monat. Es war vielleicht ab und zu mal etwas zu warm, aber gerade die letzten Augusttage waren ein Traum. Wahrscheinlich auch deshalb, weil Frauke und ich beschlossen haben, dass wieder häufiger zu machen, was wir in den ersten Jahren unserer Beziehung fast jedes Wochenende gemacht haben, nämlich einfach raus aus Leipzig (oder damals Donauwörth), irgendwo ins Mittelgebirge und sich dort bewegen. Der Alltag und die Sorgen und Gedanken, die wir auf unserer Arbeit über genau diese haben, zerstören eben nicht nur das eigene, tägliche Wohlbefinden, sondern eben auch Beziehungen. Miteinander zu leben, ist eine tägliche Aufgabe, die sich nicht voll allein erledigt. Sich austauschen, zuhören, miteinander reden, Ziele und Visionen für die Zukunft entwickeln, sind starke Beziehungsmotoren. Und wenn man dann auch noch gemeinsam ein Hobby teilt, dann ist das eben der Oberhammer! Ich kann schon auch ganz gut alleine so vor mich hinlaufen und mich dabei pudelwohl fühlen. Wenn man aber z.B. solche schönen Lauftouren, wie z.B. rund um Blankenburg im Harz (nördlich der Teufelsmauer zum „Hamburger Wappen“ und dann südlich der Teufelsmauer hoch auf den Kammweg mit kleinen Klettereinlagen zurück nach Blankenburg) gemeinsam erleben kann, dann sind das einfach nicht zu schlagende Erinnerungen, die das gemeinsame, verbindende Band emotional noch einmal sehr viel stärker werden lässt.
Nun schauen wir mal, was der Monat September so bringen wird. Auf alle Fälle haben wir dort mal wieder zwei Läufe „mit Start-Nummer“. Zum einen den Südthüringentrail am kommenden Wochenende, bei dem Frauke und ich am Freitagabend sogar öffentlich unser Buch: „Einmal war ich in Biel“ vorstellen werden. Und zum anderen, eine Woche später, heißt es wieder: „Laufen in meinem Wohnzimmer“. Für mich steht zum elften Mal der Berlin-Marathon an. Und ich weiß, ich werde es lieben. Ich wette jedoch trotzdem, dass mich dieses Thema – also laufen mit Start-Nummer“ – wieder einmal beschäftigen werden wird.
Zwei “Messages”
Mein Fazit zum Monat August beinhaltet, psychologisch betrachtet, zwei „Messages“: Auch wenn es nicht immer gut läuft oder ihr verletzt seid, hört in Euch hinein, seid mutig, lasst Euch nicht zu sehr von der Meinung anderer beeinflussen. Sei ein gutes Tier und bleib deinen tierischen Instinkten treu! Denkt nicht immer zu lange nach, Durchbrich die Grübel-Spirale und „Just do it“.
Und zum Zweiten: Kümmert Euch um die Menschen, die ihr liebt, und mit denen ihr solche grandiosen Erlebnisse teilen könnt. Das ist besser als jede Psychotherapie! Soziale Unterstützung ist der beste Stresspuffer, den es gibt!
Literatur
Heinrich, B. (2015). Laufen – Geschichte einer Leidenschaft, 5. Auflage. Berlin: Ullstein.
Die komplette Serie:
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