Mario Schuster: Sportpsychologisches Training mit Virtual Reality

Mario Schuster
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Was wir in der Vergangenheit bereits aus der Science-Fiction Literatur kannten, ist heute bereits Realität. Und diese Realität ist bereits viel greifbarer als vielen bekannt ist. Innovationen bei Virtual Reality- Technologien sowie Anwendungsmöglichkeiten sind tendenziell nur in Insiderkreisen bekannt. Die breite Masse versteht Virtual Reality ausschließlich als die Spieltechnologie der Zukunft. Dabei bietet Virtual Reality ein noch ungeahntes Potential bei praktischen und psychologischen Anwendungen. Die Entwicklung der VR-Technologie schreitet aktuell rasend voran. Der Sportpsychologe Mario Schuster beschreibt in diesem Artikel zukünftige Chancen und Möglichkeiten, welche sich in der mentalen Entwicklung von HochleistungssportlerInnen bei entsprechenden Entwicklungsbemühungen ergeben könnten.

Klinisches VR in der Praxis

Kennengelernt habe ich die Möglichkeiten von Virtual Reality in der Psychologie im ersten VR-Phobie-Zentrum Österreichs Ende 2017. Das Team rund um “Phobius” hatte mich eigeninitiativ eingeladen um mir das Potential von VR-Anwendungen in der Psychologie zu demonstrieren. Neben einem umfangreichen Briefing incl. klinischen Backgrounds durfte ich das VR-Set auch gleich selbst ausprobieren. Zum Ausprobieren zählte neben dem Erfahren der Qualität heutiger VR-Software auch das Austesten verschiedener Behandlungsprogramme für unterschiedliche Arten von Angststörungen.

Die Hardware ist leicht zugänglich. Die Behandlungssoftware selbst wird dabei in Kooperation mit VR-Softwarespezialisten programmiert und designt. Zielgerichtete Softwareanwendungen für den Sport müssen hierbei jedoch erst generiert werden. Doch dazu zählt, zunächst die richtigen Impulse zu setzen und angewandte sportpsychologische Forschung mit Virtual Reality zu betreiben.

Die Psychologie hinter Virtual Reality: Gummihandillussion

Die psychologische Wirkung virtueller Realitäten können zunächst sehr gut mit der “Rubber Hand Illusion” (Hegedüs et al., 2014) demonstriert werden: In diesem durchaus bekannten Experiment wurden den sitzenden Versuchspersonen der linke Arm (kann auch rechts sein) durch eine künstliche Gummihand ersetzt. Der echte Arm wurde dabei durch eine Trennwand visuell abgeschirmt. Die TestleiterInnen strichen folgend simultan mit einem Pinsel über die sichtbare Gummihand UND über die visuell abgeschirmte echte Hand. Nach einiger Zeit hämmerte der Versuchsleiter plötzlich mit einem Hammer auf die Gummihand. Die Testpersonen erschreckten jeweils und berichteten darüber, auch einen echten Schmerz gespürt zu haben – obwohl die Gummihand nicht wirklich ein Teil des Körpers war. Die Gummihand wurde im Laufe des Experiments als Teil der eigenen körperlichen Realität integriert.

Das VR in der Psychologie keine Spielerei, sondern eine ernstzunehmende Alternative zu herkömmlichen Methoden ist, zeigen ja bereits auch mehrere Studien und Metaanalysen und Reviews (vgl. Scozzari & Gamberini, 2011; Powers & Emmelkamp, 2008) in diesem Bereich.

Die Behandlung von Störungen mittels Virtual Reality

Im Speziellen zeigt eine Meta-Analyse von Powers & Emmelkamp (2008),  dass VR-Therapien eine größere Behandlungswirkung haben, als unter Kontrollbedingungen. Darüber hinaus zeigt sich sogar, dass der Behandlungserfolg mittels VR größer ist, als bei klassischen Therapiesitzungen (z.B. echte Spinnen auf der Hand herumkrabbeln lassen, gemeinsam auf den Berg raufwandern, einen Vortrag live durchführen oder sich in ein echtes Flugzeug setzen, etc.). Darüber hinaus zeigen die Analysen, dass eine Behandlung von Phobien mittels “clinical VR” auch weniger Behandlungseinheiten bedarf, als die klassische Therapie (CBT). Neben Phobien eignet sich clincal VR übrigens auch zur Behandlung von posttraumatischen Behandlungsstörungen (Scozzari & Gamberini, 2011).

Nicht zu vernachlässigen ist dabei auch das reduzierte Risiko der VR-Variante von möglichen Retraumatisierungen (z.B. Spinne oder der Hund beißt in der Realität ganz unerwartet, etc.) oder tatsächliche Verletzungen (z.B. Knöchelverletzung infolge eines Felssturzes im Rahmen einer therapeutischen Bergwanderung wg. Höhenangst, etc.).

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Ein ausführlichen Bericht zur Behandlung von Phobien mittels VR hatte ich bereits auf der Plattform Mental Blog veröffentlicht.

Neue Technologien bieten neue Trainingswelten

Neben Virtual Reality sind auch Technologien wie AR (Augmented Reality) und MR (Mixed Reality) im Blickfeld der Technologiekonzerne. Doch in diesem Beitrag geht es schon speziell um VR. Die Frage, welche sich mir hier als Sportpsychologe stellt ist, mit welchen weiteren Technologien sich die VR-Sportpsychologie kombinieren lässt, um eine sportspezifischere “Trainingswelt” zu generieren?

Letztlich geht es darum, Trainingswelten zu konzipieren, zu designen und zu programmieren. Diese Welten sollen auch jene mentale Anforderungen stellen, durch welche auch eine Trainingsbenefit auf mentaler Ebene erzielt werden kann. Außerordentlich wichtig finde ich es dabei, das Feld nicht ausschließlich Programmierern zu überlassen, sondern auch Sportpsychologen signifikant einzubinden. Nicht nur aus Qualitätsgründen, sondern auch um die ethische und gesundheitliche Perspektive im Auge zu behalten.

Technologische Möglichkeiten

  • VR Brillen + Smartversion (VR Brillen mit Smartphonehalterung)
  • VR Sticks oder andere Geräte für die Hände
  • VR Handschuhe
  • Rückenkamera (hinter dem VR-User befindet sich eine Kamera welche ein visuelles LIVE-Feedback der eigenen Körperposition im virtuellen Raum gibt)
  • VR Anzüge (VR Suit | z.B. Teslasuit: https://teslasuit.io; geben dem Körper einen minimalen Strom- oder Druckreiz, aber auch thermisches Feedback)
  • VR Biofeedback

Ich könnte diese Liste nun sogar noch stärker erweitern oder auch die Möglichkeiten der einzelnen Technologien für sportpsychologische VR-Trainingsanwendungen erörtern. Doch dies würde den Rahmen und das Ziel dieses Artikels sprengen.

Virtual Reality Brillen sind mittlerweile massentauglich und auch preislich erschwinglich. Wem die integrierte VR-Brille zu teuer ist, kann sich auch eine sehr günstige VR-Hülle kaufen und das eigene Smartphone als Bildschirmfläche benutzen. Wobei hier davon auszugehen ist, dass die Kopplung von integrierten VR-Brillen mit einem Hochleistungsrechner für entsprechend realistischere VR-Erlebnisse sorgen wird.

Die virtuelle Welt wirkt echt und wirkt auch nach

Wer sich schon mal in die Welt von Virtual Reality begeben hat, dem ist sicher auch bewusst, wie rasch die virtuelle Realität die echte Realität ersetzt. Auch wenn der/die NutzerIn weiß, dass es ja “nur” eine virtuelle Realität ist, erlebt das Gehirn die virtuelle Realität intuitiv als REAL an und reagiert auch entsprechend auf Reize und Impulse in dieser Realität.

Verschärft wird dieses Erleben mit der Macht, die virtuelle Realität zu manipulieren. So könnte z.B. ein Fußballer üben, Freistöße zu halten. Dabei erhält er jedoch auch einen speziellen Handschuh, welcher auch die Reize von virtuellen Schüssen simuliert. Oder auch durch einen VR Suit, welcher dem Verteidiger einen Druckreiz gibt, wenn der Schuss auf seinen Oberschenkel prallt.

Die Wirkmacht von Virtual Reality zeigt sich auch eindrucksvoll in Bezug auf die Wahrnehmung der echten Welt, nach dem Ausstieg aus der virtuellen Welt. Bei einem veränderten Körperkonzept (durch Manipulation des Körperbildes) kann es sogar passieren, dass du dir ein Glas Wasser über den Kopf schüttest, da es dir im ersten Moment nicht gelingt, das Wasser einfach zu trinken.

Beispiele für potentielle Anwendungsgebiete

So viel zur Theorie, zu möglichen konzeptuellen Strategien und auch Auszügen technologischer Handlungsoptionen. Um Virtual Reality im Spitzensport-Training auch sinnvoll anwenden zu können bedarf es nun auch konkreter Konzepte, welche der VR-Technologie auch einen Vorteil im Trainingsprozess liefern können.

Dazu habe ich ein paar Beispiele ausgearbeitet und gewählt:

  • Eine Mountainbikestrecke (evtl. Olympiastrecke) visuell abgeschirmt und mit Kopfhörern mehrfach durchgehen und somit mental zu trainieren.
  • Komplexe Spielsituationen im Fußball trainieren, um die exekutiven Funktionen (Vestberg et al., 2012) zu stärken.
  • Ein thermischer VR-Suit bereitet Spieler auf komplexe Spielsituationen unter Hitzebedingungen auf die Fußball WM in Katar 2022 vor
  • Gefahrensituationen im Rennsport simulieren, um passende Situationsmuster zu trainieren.
  • Einfach einen Fußball-“Hexenkessel” (Stadion mit zehntausenden Menschen, welche unerwünschte Parolen singen) um physiologische und mentale Reaktionen zu messen; der Athlet wird dabei an Biofeedbacksensoren angeschlossen. Das erlebte wird dabei entweder simultan oder im Anschluss mit einer Fachkraft reflektiert.
  • Konfliktsituationen mit Eltern, Sponsoren, TeamkollegInnen oder TrainerInnen durch Konfrontation trainieren.
  • TV-Interviews und Antworten auf unangenehme Fragen trainieren.
  • Wechselzone im Triathlon. Auch die Reihenfolge der richtigen Handgriffe gehört trainiert.

Dazu möchte ich auch betonen, dass ich diese Anwendungen auch nicht als Spielerei, sondern als eine wirksame Trainingsergänzung betrachte. Umso wichtiger ist es auch, Sportpsychologen sowohl in die Entwicklung als auch in die Instruktion für die Trainierenden miteinzubeziehen. Vor allem  Anwendungen mit klinischen Thematiken sollten folglich auch unter Begleitung von Fachpersonal vonstattengehen.

Mangelnder Forschungsstand in VR Sportpsychology

Die Forschung im Bereich Virtual Reality aus psychologischer Perspektive ist hochaktiv. Geforscht wird hierzu nicht nur an der Universität Wien.

Aber: Meine Recherchen zum Kenntnisstand von angewandter Virtual Reality in der Sportpsychologie fiel eher mager aus. Weshalb ich hier auch an eine verstärkte Förderung der Wirksamkeitsforschung von VR-Anwendungen im Sport im Vergleich zu alternativen Trainingsmethoden appelliere. Das Potential ist groß, die gelebte Praxis stark zurückhaltend. Womöglich auch aus Mangel konkreter Erfahrung mit gut entwickelten Softwareanwendungen.

Doch jemand muss den Anfang machen. Wenn schon nicht der Spitzensport, dann vielleicht innovative Softwareunternehmen, welche das Potential von Virtual Reality schon längst erkannt haben. Im Blickpunkt der Forschung sollten dabei jedoch nicht nur das leistungsförderliche Potential, sondern auch kurz- und langfristige Effekte auf die gesundheitliche Situation sein um Virtual Reality in der Sportpsychologie von Beginn seriös aufzubauen. Denn eines ist gewiss: Die VR-Technik hat sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt – und in diesem Tempo wird es auch weitergehen!

Weitere Literatur

  • Hegedüs, G., Darnai, G., Szolcsányi, T., Feldmann, Á., Janszky, J., & Kállai, J. (2014). The rubber hand illusion increases heat pain threshold. European Journal Of Pain, 18(8), 1173-1181. http://dx.doi.org/10.1002/j.1532-2149.2014.00466.x
  • Morina, N., Ijntema, H., Meyerbröker, K., & Emmelkamp, P. (2015). Can virtual reality exposure therapy gains be generalized to real-life? A meta-analysis of studies applying behavioral assessments. Behaviour Research And Therapy, 74, 18-24. http://dx.doi.org/10.1016/j.brat.2015.08.010
  • Powers, M., & Emmelkamp, P. (2008). Virtual reality exposure therapy for anxiety disorders: A meta-analysis. Journal Of Anxiety Disorders, 22(3), 561-569. http://dx.doi.org/10.1016/j.janxdis.2007.04.006
  • Scozzari S., Gamberini L. (2011) Virtual Reality as a Tool for Cognitive Behavioral Therapy: A Review. In: Brahnam S., Jain L.C. (eds) Advanced Computational Intelligence Paradigms in Healthcare 6. Virtual Reality in Psychotherapy, Rehabilitation, and Assessment. Studies in Computational Intelligence, vol 337. Springer, Berlin, Heidelberg
  • Vestberg, T., Gustafson, R., Maurex, L., Ingvar, M., & Petrovic, P. (2012). Executive functions predict the success of top-soccer players. PloS one; 7(4)

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