Dr. René Paasch: Sportler im Kampf gegen die Sucht – Das Beispiel Jan Ullrich

Dr. René Paasch

Deutschlands Radsport-Held Jan Ullrich befindet sich in einer schweren Krise. Seine Geschichte macht mich tatsächlich sehr betroffen. Aufgrund dessen möchte ich diesen schweren Weg der Suchtentwöhnung kurz beschreiben, sensibilisieren und die verschiedenen Möglichkeiten der Prävention im Leistungssport aufzeigen. Denn leider ist Jan Ullrich auch kein Einzelfall.

Zum Thema: Präventionsmöglichkeiten und Früherkennung von psychischen Erkrankungen bei Leistungssportlern

Der Radsport-Profi Jan Ullrich lieferte sich in seinem Leistungssportlerleben große Duelle mit den Legenden seiner Sportart (Marco Pantani, Bjarne Riis oder Richard Virenque). Sie alle mussten mit ansehen, wie Ullrich ihnen davon fuhr und 1997 als erster Deutscher überhaupt die Tour de France gewann. Im Alter von 23 Jahren war der Rostocker auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn. Doch es folgten immer wieder Rückschläge. So gilt Ullrich als der wohl prominenteste Dopingsünder Deutschlands. Immer wieder berichteten Boulevardmedien dann nach seiner Karriere über Eskapaden des einstigen Topstars des Team Telekom. Nach seinem jüngsten öffentlichen Absturz lässt sich der Ex-Radprofi nun in einer Entzugsklinik behandeln. Was dort genau passiert, möchte ich Ihnen nun näher erläutern:

Zunächst einmal müssen fürsorgliche und motivierende Gespräche geführt werden, damit ein Betroffener überhaupt den Weg in die Suchtklinik findet (Teamcoach, Familie, Freunde, Teamkollegen). Der Entzug in der Klinik dauert dabei oft nur wenige Wochen, abhängig vom Suchtstoff. Es gibt Drogen, die kann man sofort absetzen, weil der Entzug zwar unangenehm, aber nicht gefährlich ist. Dazu gehören zum Beispiel Opiate und Heroin. Das Absetzen ist zwar extrem unangenehm, aber medizinisch nicht bedenklich. Des Weiteren gibt es aber auch diejenigen Suchtstoffe, die man aus medizinischen Gründen langsam ausschleichen lassen muss, da diese sehr gefährliche Nebenwirkung aufweisen. Das gilt zum Beispiel für Beruhigungsmittel, sogenannte Tranquilizer.

Spezielle Herausforderung für Ullrich

In der jetzigen Verfassung des Ex-Radsportprofis Jan Ullrich veranlasst man für einen Alkoholentzug und Amphetamine jeweils zwei bis drei Wochen. In der Klinik wird der körperliche Entzug durchgeführt, bis die Entzugssymptome abgeklungen und der Suchtstoff vollkommen aus dem Körper abgebaut ist. Diese Zeit wird bereits intensiv für eine Suchttherapie mit therapeutischen Plangesprächen genutzt. Hier wird erläutert, was die Mechanismen sind, was Sucht bedeutet, wie sie entsteht, welche die Rückfallgefahren sind und wie man ein suchtfreies Leben gestalten kann. Dies geschieht sowohl in Einzelgesprächen als auch in Gruppensitzungen. Gerade die Gruppentherapie ist bei der Sucht sehr hilfreich, weil sich die Betroffenen untereinander austauschen können. Es ist viel authentischer und glaubwürdiger, wenn beispielsweise von anderen Betroffenen Warnungen oder Überzeugungen genannt werden. Wichtig: Bereits in der Entzugsklinik muss erarbeitet werden, wie es anschließend weitergeht. Denn die Vorstellung, ich mache jetzt drei Wochen Therapie und dann bin ich das Problem los, funktioniert leider nicht.

Prof. Dr. Oliver Stoll bei Welt TV

Auch Prof. Dr. Oliver Stoll von Die Sportpsychologen beschäftigt das Thema Jan Ullrich. Er war kürzlich u.a. Talkgast beim Nachrichtensender Welt TV.  Hier geht es zu seinem Interview: https://www.welt.de/sport/video181095920/Der-Fall-Jan-Ullrich-Das-Problem-der-Spitzensportler-mit-dem-Karriereende.html

Nun ist zu hoffen, dass Jan Ullrich seine Situation annimmt und die spezielle Herausforderung meistert. Das heißt, die Überzeugung muss in diesen wenigen Wochen in der Klinik bereits erreicht werden, um am Ende das hoch gesteckte Ziel zu erreichen. Zumal sich mit der Entwöhnung direkt die zwei Phase anschließt. Diese kann durchaus auch in einer Spezialklinik stattfinden. Dort verbleiben Betroffene noch einmal für etwa sechs bis acht Wochen. Es gibt aber auch ambulante oder teilstationäre Möglichkeiten der Entwöhnung. Hierzu zählt beispielsweise der zweimalige Besuch pro Woche einer Suchtberatungsstelle und einer Selbsthilfegruppe. Für Menschen, die so berühmt wie Jan Ullrich, ist diese Phase zusätzlich herausfordernd. Besonders in einer Selbsthilfegruppe.

Prävention und Hilfe

Schauen wir uns aber nun die Möglichkeiten der Prävention und Hilfsmöglichkeiten, insbesondere mit Blick auf den Leistungssport, an: Wird psychisches Leiden von im Leistungssport tätigen Personen berichtet, so können damit verschiedene Probleme einhergehen. Zum einen scheint es aufgrund der öffentlichen Präsenz schwer zu sein, adäquate Hilfsangebote zu finden, zum anderen kann das Bekanntwerden einer psychischen Erkrankung das Karriereende des Betroffenen bedeuten.

Nach dem Suizid von Robert Enke wurden das Referat Sportpsychiatrie und -psychotherapie der DGPPN und die Koordinationsstelle MentalGestärkt an der Deutschen Sporthochschule Köln gegründet, die sich mit dem Thema „Gesundheit/Krankheit im Leistungssport“ beschäftigen. Daraus lässt sich schließen, dass Athleten im Leistungssport ein Netzwerk aus multiprofessionellen Fachkräften benötigen (ASP, BISP-Datenbank, Die Sportpsychologen, MentalGestärkt).  Zu deren Aufgaben gehört die Vernetzung von Experten und Institutionen, so dass Leistungssportler in puncto Gesundheitserhaltung und Krankheitsbehandlung optimal informiert und versorgt werden können. Aufgrund der Komplexität ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten hinsichtlich der Vorbeugung und Behandlung von psychischen Erkrankungen bei Leistungssportlern und Trainern, welche ich hier stichpunktartig aufführe:

  • Strategien für Präventionsmaßnahmen (näheres dazu: https://www.die-sportpsychologen.de/2018/05/09/dr-rene-paasch-praevention-statt-burnout-im-leistungsfussball/)
  • Krankheitssymptome bei Leistungssportlern und Trainern im multiprofessionellen Team (Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Sportpsychologe) erkennen und frühzeitig intervenieren (Hoyer, Kleinert, 2010).
  • Psychiatrische Behandlung erkrankter Leistungssportler und Trainer (ambulant, stationär, teilstationär)
  • Regelmäßige Vorträge/Workshops zur Psychoedukation von u.a. Stress/Druck, depressiven Erkrankungen sowie Beziehung und seelische Gesundheit (Sulprizio, 2011).

Fazit

Jan Ullrich tut mir sehr leid. Ich kenne ihn und seine persönlichen Hintergründe nicht, aber er hat es aktuell viel schwerer als andere Suchtkranke. Denn zusätzlich wird Ullrichs Schicksal öffentlich, dies sogar international, verfolgt. Die daraus resultierende extrem hohe Erwartungshaltung ist eine zusätzliche psychische Last. Ich wünsche Herrn Ullrich von ganzem Herzen eine gute Besserung! Mögen meine und viele andere Genesungswünsche ihm Kraft für seinen Heilungsprozess schenken.

Literatur

Hoyer, J. & Kleinert, J. (2010). Leistungssport und psychische Störungen. Psychotherapeutenjournal, 3, 252 – 360.

Sulprizio, M. (2011). MentalGestärkt. Psychische Gesundheit im Leistungssport. Medicalsports network, 6, 14 – 17.

Internet

Dr. René Paasch: Prävention statt Burnout im Leistungsfußball

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