Paul Schlütter: Ein Argument für holistische Sportpsychologie in eSports

Sportpsychologie ist in der eSports-Welt nicht fremd. Viele verschiedene Organisationen in mehreren Spielen setzen bereits auf Experten, um ihre Spieler dabei zu unterstützen, ihre Leistung zu verbessern. Dennoch bleibt es ein recht neues Arbeitsfeld für Sportpsychologen. Dementsprechend ist es notwendig, die individuellen Aspekte der Branche zu identifizieren, um das Potential unserer Zusammenarbeit mit Spielern zu verbessern. Einer dieser Aspekte ist der Weg eines Amateurspielers zu einem Profispieler: Wie können wir sie dabei unterstützen und wie wirkt sich das auf unsere Rolle als Sportpsychologe aus?

You can find the English version of the text below.

Zum Thema: Sportpsychologie als unterstützendes Element der Professionalisierung von Spielern im eSports

Es gibt verschiedenen Theorien über die Entwicklung von Expertise im Sport. Eine dieser Theorien beschreibt Spielerentwicklung im jungen Alter in drei Phasen (Cote, Baker & Abernethy, 2003):

Die Probejahre

In den Probejahren nehmen die Kinder an verschiedenen Sportarten teil und versuchen herauszufinden, was ihnen Spaß macht. Eltern haben eine aktive Rolle darin, ihren Kindern diese Möglichkeit einzuräumen und es gibt wenig formelles Training. Spaß und Aufregung stehen in dieser Phase im Hauptfokus.

Die spezialisierenden Jahre

In dieser Phase fokussieren sich die Kinder auf ein bis zwei Sportarten. Eine Entscheidung wird üblicherweise anhand von Faktoren wie Interaktionen mit Trainern, positiven Erlebnissen und Erfolg gefällt. Fertigkeitsentwicklung in den Sportarten ist nun wichtiger, jedoch bleiben Spaß und Aufregung im Mittelpunkt.

Die Investitionsjahre

Nun zeigen die Kinder eine Hingabe dazu, Hochleistungssportler in einer Sportart zu werden. Der wichtigste Faktor während dieser Phase ist strategische Fertigkeitsverbesserung, demnach bewegen sich die Interaktionen mit den Trainern in den Mittelpunkt. Mittlerweile hat die Rolle der Eltern stark nachgelassen.

Expertiseentwicklung im eSports

Die systematische Entwicklung von Expertise im eSports wurde bisher nicht erkundet. Aufgrund dieser Lücke in der Forschung setze ich mich seit geraumer Zeit mit dem Thema auseinander und schöpfe Informationen aus Interviews, Live Events, Dokumentarfilmen, Vlogs und Twitch Streams. Daraus habe ich eine handvoll Ideen darüber entwickelt, wie ein Amateurspieler zu einem Profispieler wird. Diese sind unter Vorbehalt zu sehen, da die verfügbaren Informationen extrem limitiert sind.

Üblicherweise lernen die Spieler Videospiele im jungen Alter kennen, gefolgt von frühem Erfolg in mehreren Spielen, bevor sie sich auf eines spezialisieren.

Abrupter Übergang

Der darauf folgende Übergang vom Amateur zum Profi ist oft sehr abrupt. Jedes Spiel hat sein eigenes Rangsystem (oft nah orientiert an dem Elo-System, wie es aus dem Schach bekannt ist), worin sie gegen und mit Profispielern in sogenannten Ranglistenspielen spielen. Hier können sie positiv auffallen und werden von Organisationen, Mannschaften, Trainern oder Profispielern wahrgenommen. Hieraus resultiert im Normalfall ein Testspiel oder eine Probephase, gefolgt von einem Vertragsangebot. Einige Organisationen haben zweite Mannschaften, die sie für Talentförderung und Vorbereitung auf die erste Mannschaft nutzen.

Die Rolle der Eltern ist tendenziell ein negativer Faktor, da die meisten Spieler anfänglich mit viel negativem Feedback aus ihrer Familie umgehen müssen. Ein weiterer Unterschied ist der Einfluss von Trainern, da die Spieler in den meisten Fällen noch nie einen Trainer hatten, bevor sie Profi wurden.

Die Rolle von Sportpsychologen im eSports

Ein weiterer Punkt, der weder vergessen noch zu stark betont werden darf: Die Annahme, dass Expertiseentwicklung in eSports nicht dieselbe Aneignung von sozialen und allgemeinen Lebensfähigkeiten erlaubt wie in traditionelle Sportarten, muss in Erwägung gezogen werden. Ich möchte betonen, dass dies keinesfalls für alle Spieler zutrifft. Dennoch sind die Themen der Kommunikations-, Konflikt- und allgemeinen Lebensfähigkeiten im eSports zentral – und somit sind sie auch für die Rolle eines Sportpsychologen absolut relevant.

Dieser Annahme folgend bedeutet dies, dass die Rolle eines Sportpsychologen in eSports-Organisationen wahrscheinlich über die in traditionellen Organisationsstrukturen hinausgehen wird. Die meisten Spieler waren nie professionelle Athleten, finden sich jedoch plötzlich in genau dieser Situation wieder. Unterstützung bei der Aneignung von professionellen und persönlichen Fähigkeiten werden dadurch zu einer der zentralen Aufgaben eines Sportpsychologen, um den Übergang für den Athleten nicht nur zu erleichtern, sondern daraus Gewinne ziehen zu können.

Teammanager versus Sportpsychologe

Ich würde zustimmen, dass diese Aufgabenbereiche eher zu der Rolle eines Teammanagers o.ä. passen, trotzdem bin ich der Überzeugung, dass sie sich mit den Fertigkeiten von Sportpsychologen decken. Es kann durchaus zu Rollenkonflikten kommen, in denen ganz klar sein muss, welche Arbeitsbereiche sportpsychologisch sind und welche sich eher auf die professionelle und persönliche Entwicklung beziehen. Dennoch glaube ich, dass genau dadurch eine Vielzahl von Möglichkeiten bestehen, Beziehungen zu Spielern aufzubauen, worin eine besondere Chance steckt. Im Ergebnis würde mehr Vertrauen in unsere Arbeit entstehen. Eine holistische Herangehensweise an unsere Arbeit mit eSport-Athleten ist, meiner Meinung nach, extrem wichtig.

Am Ende läuft es in der Praxis anders als in der Theorie. Trotzdem hoffe ich, dass dieser Artikel helfen kann, zukünftige Kooperationen hinsichtlich einer problemlosen Integration der Sportpsychologen in eSports-Organisationen anzubahnen.

Zum Profil von Paul Schlütter: 

https://www.die-sportpsychologen.de/paul-schluetter/

Literatur:

Cote, J., Baker, J., & Abernethy, B. (2003). From Play to Practice – A Developmental Framework for the Acquisition of Expertise in Team Sports

 

Paul Schlütter: The case for the holistic sports psychologist in eSports

Sport psychology is not a new topic in the era of eSports. Many different organisations in several different games have made use of the input such experts can provide in order to help their players improve performance. Yet it remains a fairly novel field of work for sports psychologists, which means identifying aspects that are unique to it are necessary in order to advance our potential effects on players. One such aspect is the way players become professionals, what we may need to do in order to help them, and how it might affect the role of a sports psychologist.

Topic: the professionalisation of players in eSports

There are several theories of development of expert athletes in sports. One of these describes player development from an early age in three phases (Cote, Baker & Abernethy, 2003).

The Sampling Years
During the sampling years, athletes engage in a variety of sports, trying to find one they enjoy and want to participate in. Parents play an active part in providing their children with the opportunity to do so, and there is little formal coaching involved. Fun and excitement are the main focus of this phase.

The Specializing Years
While in this phase, the athletes narrows its sports down to one or two different ones. This decision is often made based on factors such as interactions with coaches, positive experiences, and success. Skill development in the sport becomes important, but fun and excitement remain as central aspects.

The Investment Years
In the investment years the children exhibit commitment to becoming elite level athletes in one single sport. The most important factor during this phase is strategic skill development, which means interactions with coaches become a central part of this phase. By now, the role of the parents has been limited significantly.

Development of expertise in eSports

The systematic development of expert skill in eSports has not yet been explored. Due to this severe research gap, I began exploration of the eSports world through interviews, twitch streams, documentaries, vlogs, and live-coverages. Thus I have deduced the following ideas about how casual gamers become professionals. Do take them with a grain of salt, as there has not been any research into this topic thus far.

Usually there is an introduction to video games at a young age, followed by some early success in a variety of games, before specialising in a single game.

The following transition from a “casual gamer” to a professional player is often sudden. Each game has a ranking system where players can rise to the top (similar to the Elo ranking system in chess for those of you familiar with it), which causes them to play on the same level as pro players during what is called ranked play. It is here that organisations, teams, coaches, or other professional players start noticing their skill, which will usually result in a try-out, followed by an offer of contract. Some organisations have second teams in some games, which they use to foster talent and prepare players for their main team.

The role of the parents has a tendency towards being negative, as most professional players have encountered significant pushback from their family when they decided to go down this path. There is also a big difference in the role of coaches. Many players had never had a coach for their game previous to joining a professional team.

Another aspect that should not be forgotten, although not overstated either: there is some merit to the idea that development of expertise in video games does not lend itself to the same acquisition of social and life skills that other sports may do. While I will stress again that this is in no way the case for all players, patterns of communication, conflict mediation and other general life skills are central to eSports and, thus, the sports psychologist’s role.

What does this mean for the sports psychologists?

It means that the demands for the role of a sport psychologist in an eSports organisations will likely stretch beyond those in traditional sports. Most players have never been professional athletes in their lives, yet suddenly find themselves in that exact position. Facilitation of both professional and personal skills in order to not only deal with that transition, but use all resources available to them, becomes one of the most central tasks of a sports psychologist.

While I do agree that these tasks should ideally be reserved for a different position, such as a team manager, I also believe that the necessary skillset coincides with that of a sports psychologist. Yes, it may cause some role conflicts where players will need to realise which parts of our work are related to sports psychology itself and which parts relate to their general personal and professional development. Nonetheless, I believe herein lie many opportunities to build relationships with players that go beyond the usually attainable level, which in turn creates more trust in the work we do. An holistic approach to our work with eSports athletes is, in my opinion, extremely important.

In the end, the way it works out in practice is always different from how we imagined it, but I hope that this article may help prepare expectations for future cooperations to allow for a smoother integration of sports psychologists into eSports organisations.

References:

Cote, J., Baker, J., & Abernethy, B. (2003). From Play to Practice – A Developmental Framework for the Acquisition of Expertise in Team Sports

 

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https://www.die-sportpsychologen.de/2017/11/28/dr-hanspeter-gubelmann-e-sport-mit-guten-skills-zum-sieg/

https://www.die-sportpsychologen.de/2017/04/26/thorsten-loch-esport-und-die-sportpsychologie/

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de