“IF YOUR DREAMS DON´T SCARE YOU, THEY ARE NOT BIG ENOUGH.”
Neulich ging es in meiner Arbeit mit Niels Schroedter von den Berlin Rebels, einem Top Spieler aus einem der besten Football Vereine Deutschlands, genau um dieses Thema. Er hatte sich schwer verletzt und stand kurz vor seiner Operation. In den Tagen davor unterhielten wir uns viel darüber, dass er sich eigentlich eine Deadline gesetzt hatte. Diese Deadline besagte, dass er bei der nächsten Verletzung mit der Ausübung dieses Sportes aufhören würde.
Zum Thema: Zielsetzung im Verletzungsfall
Aber so aufhören? Diese Fragen stellte sich auch Niels Schroedter: „Würde ich diesen so geliebten Sport ohne Ring an meiner Hand, ohne den letzten „Kampf“ mit meinen Brüdern einfach an den Nagel hängen? Könnte ich dieses Kapitel meines Lebens jemals ohne Reue abschließen und beiseite legen?“
Schon im Aufwachraum des Krankenhauses war offenbar plötzlich alles klar und ich bekam von Niels Schroedter zum ersten Mal diese eine Nachricht… “ICH WILL MEHR!”
Von einem, der mehr will
Mit diesem klaren Gedanken, dieser Richtung im Kopf, (zunächst war ich vorsichtig und schob die Aussage auf die noch rückständigen Betäubungsmittel in seinem Körper) war plötzlich der Weg ganz klar. Plötzlich ging es darum, dass er „im September wieder auf dem Platz stehen“ wolle. Dieser Wunsch wurde in den folgenden Tagen dem Realitätsabgleich unterzogen, jeden Tag aufs Neue wurden Ärzte und Rehafachkräfte dazu von jeden Tag aufs Neue von Niels Schroedter befragt.
Da war dieser nicht zu brechende Wille! Ein neues, noch schnelleres Ziel wurde gesteckt: „Miriam du weißt ich will mehr!“ – war auf meinem Handy zu lesen. „Ich will eventuell schon nach der Sommerpause wieder an der Seite meiner Brüder spielen.”
Wie Ziele aussehen sollten
In diesem Moment sah ich meine Aufgabe als sportpsychologischer Coach darin, dem Sportler zu spiegeln, dass realistische, überprüfbare Ziele unser Streben sein sollten. Dass ich Sorge davor habe, dass er im Nachhinein ein Gefühl der Enttäuschung erleiden würde, würde er es nun nicht schaffen, dieses eigentlich unrealistische Ziel zu erfüllen. Dass er dabei vergessen würde, wie seine Gedanken noch vor ein paar Tagen und Wochen waren. In den Stunden, in denen er aufhören wollte zu spielen. Dass er dankbar sein sollte, wenn er sein realistisches Ziel nach so einer kurzen Reha Zeit überhaupt erreichen würde.
Und ja, er versicherte mir all meine Bedenken zu verstehen – aber da war dieser Gedanke in seinem Kopf, der nicht mehr zu stoppen war: ICH WILL MEHR!
Der theoretische Hintergrund
Zu diesem Zeitpunkt ging ich mit einer Masterstudentin unseres Netzwerkes Die Sportpsychologen in den Austausch und wir erarbeiten folgenden theoretischen Hintergrund:
Nach einer Verletzung zurückzukommen, ist immer ein schwerer Weg. Zur Unterstützung ist das Erstellen eines Come-Back-Planers hilfreich. In diesem, werden verschiedene Bausteine eingefügt, die dem Sportler helfen sollen, eine positive Denkweise nicht zu verlieren und Mut für den Weg zurück zu schöpfen. Inhalte können sein, dass Bezug auf andere Sportler genommen wird, die bereits diese Verletzung überstanden haben oder Personen, die den Rehabilitationsverlauf begleitend unterstützen. Es können auch eigene Erfolge in den Fokus gerückt werden, um die Selbstwirksamkeitserwartung auf einem guten Level zu halten bzw. wieder zurückzubringen. Es lässt sich auch versuchen, einen „positive“ Nutzen aus der Verletzung zu ziehen, oder eine Rückschlagprophylaxe einzubauen. Aber vor allem geht es darum, über die kleinschrittige Zielsetzung die Motivation für die Reha und die Zeit danach aufzubringen.
Betrachten wir doch noch mal genauer den Bereich der Zielsetzung:
Grundsätzlich ist der Anspruch an ein Zieles oder mehrere Ziele, dass sie einerseits herausfordernd aber auch realistisch sind. Engbert hat 2011 hierzu die SMART Regel erstellt, die uns dabei helfen soll, dass unsere Ziele bestmöglich aufgestellt sind. Was bedeutet dieses SMART im Detail?
Das S steht für Spezifisch. Das Ziel soll so genau und detailliert wie möglich beschrieben werden.
Das M steht für Messbar. Die Nutzung von qualitativen bzw. quantitativen Formen wie z.B. das Erreichen einer bestimmten Zei.t
Das A steht für Attraktiv. Hierbei soll das Ziel unbedingt positiv formuliert sein und „von Innen heraus“ kommen.
Das R steht für Realistisch. Eine gesunde Selbsteinschätzung und Reflektion inwieweit das Ziel wirklich umsetzbar ist.
Das T steht für Terminiert. Und zu guter letzt muss das Ziel klar festgelegt sein, wann dies erreicht werden soll.
Dabei ist es sinnvoll, jeweils über ein kurzfristiges Ziel nachzudenken, welches etwa in einem Zeitumfang von vier Wochen liegt, einem Mittelfristigen welchen etwa zwei bis sechs Monate umfasst und einem langfristigem, welches zwischen mehreren Monaten und Jahren liegen kann.
Drei Arten von Zielen
Ebenso lassen Sich nach Engbert drei verschiedene Zielarten unterscheiden. Zum einen das Ergebnisziel, mit dem Inhalt von Titelgewinnen, Platzierungen, Siegen usw., das Prozessziel in dem es darum geht, eine bestimmte Art und Weise im Verlauf umzusetzen, wie z.B. offensiver oder aggressiver zu spielen und das Leistungsziel, in dem klar formuliert, eine bestimmte Veränderung angestrebt wird, wie z.B. eine Trefferquote um 10% zu steigern.
Und wenn wir uns nun fragen, warum das alles, so zeigt sich relativ schnell, welche Wirkung Ziele auf uns haben können? Ziele lenken zunächst einmal unsere Aufmerksamkeit und damit das Handeln für die Aufgabe. Durch das konkrete Ziel kann aber auch Energie und Anstrengungsbereitschaft mobilisiert und das Durchhaltevermögen erhöht werden.
Wichtige Einschränkung: Auf dem Weg zum Ziel sollten immer mögliche Hindernisse einkalkuliert werden oder im Bedarfsfall eine Überarbeitung des angestrebten Zieles stattfinden, um weiterhin die Wirkungen voll ausschöpfen zu können und kontraproduktiven Misserfolgen aus dem Weg zu gehen.
Theorie trifft Praxis
Zurück zu Niels Schroedter konkreter Situation: Und hier spürte ich, dass es genau diese so unheimlich hoch gesteckten Ziele waren, die in ihm eine unbeschreibliche Energie freisetzten. Eine Energie, die wohl auch seinen Heilungsprozess enorm verbesserte.
Was also ist in diesem Moment der „richtige“ Weg? War es nicht verrückt, würden wir diese enorme Energie nicht nutzen, nur weil wir auf realistische Ziele bestehen würden?
Sportliche Inspiration
Sebastian Thieme von den Potsdam Royals sagte mir zu diesem Thema, dass das Problem mit realistischen Zielen darin bestehe, dass man sich den Weg, der vor einem liegt, dann eben nur bis zu diesem realistischen Punkt vorstellt. Man muss den Weg aber weiter denken, damit überhaupt die Möglichkeit besteht, ihn über alle Grenzen hinaus gehen zu können.
Wie Recht er doch hat! Oder? (lasst uns gern bei Facebook dazu diskutieren, mich interessieren auch eure eigenen Erfahrungen)
Achtung, wichtige Dankesworte
Danke Niels, dass du mir jeden Tag aufs Neue zeigst, wie stark und ungebrochen du doch bist! Wie sehr ich mich darauf freue, dich bei deinem ersten Spiel nach dieser harten Zeit begleiten zu können.
Danke Basti für deine inspirierenden Gedanken und dafür, dass ich mir diesen Weg nun auch mit euch vorstellen werde.
All ihr fantastischen gerade verletzten Spieler, alle die, die ihr comeback gerade planen …
Greift ruhig nach den Sternen und lasst euch von niemanden sagen, ihr könnt etwas nicht! Überwindet diese Grenzen – es sind ihre, nicht eure!
Ihr selbst bestimmt, ob ihr mehr wollt!!!
An dieser Stelle möchte ich die Chance nutzen, euch die Kollegin vorzustellen, die mit mir in den theoretischen Austausch für dieses Thema gegangen ist und, die nun auch zum Ende ihres Master Studienganges in unserem Netzwerk aktiv wird:
Zum Profil: Kathrin Seufert
Vielen Dank Kate, dass ich im Rahmen des Mentorings deinen Weg besonders in den vergangenen Wochen und Monaten so eng begleiten darf. Es ist mir eine große Freude, eine so ambitionierte junge Frau auf ihren ersten Stationen in diese so wahnsinnig tolle Fachrichtung begleiten zu dürfen. In dir erkenne ich so viel von mir selbst wieder!
Literatur:
Alfermann, D. & Stoll, O. (2007). Ein Lehrbuch in 12 Lektionen. Sportwissenschaft studieren. Aachen: Meyer & Meyer.
Engbert, K. (2011). Mentales Training im Leistungssport. Ein Übungsbuch für den Schüler- und Jugendbereich. Stuttgart: Neuer Sportverlag.
Views: 3495