Welche Rolle spielt nach einem langen und in allen Belangen anstrengendem Turnier die Regeneration? Und welche Kräfte stecken in der Euphoriewelle, auf der schon lange nicht mehr nur die beiden Teams reiten? Wir haben die Fußballexperten Dr. René Paasch und Thorsten Loch vor dem WM-Finale zwischen Frankreich und Kroatien befragt.
Zum Thema: Regeneration und Euphorie – Triebfedern für den sportlichen Erfolg
Was hatten die Kroaten für ein straffes Programm? Auf dem Weg zum Finale in Moskau mussten die Spieler von Zlatko Dalic in allen drei KO-Spielen in die Verlängerung, zweimal sogar ins Elfmeterschießen. Und jedesmal, nicht zuletzt in der Halbfinalpartie gegen England, machten sie auch mental einen hervorragenden, ja unheimlich fokussierten Eindruck. Thorsten Loch fragt sich also, welche Rolle die Regeneration bei den Kroaten in diesen WM-Wochen spielt und ganz generell bei Teams in kräftezehrenden Phasen spielen kann:
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Interessant ist, was wissenschaftlich in diesem Zusammenhang in den vergangenen Jahren erarbeitet werden konnte. Denn längst ist das bloße Ziel Regeneration Geschichte. Die wissenschaftliche Forschung hat sich in den jüngeren Vergangenheit vermehrt mit der Thematik Erholung beschäftigt. Dabei ist Erholung weitaus mehr als das reine Wiederauffüllen von psychophysiologischer Leistungsressourcen. Erholung integriert die verschiedenen physiologischen subjektiven sowie proaktiven handlungsorientierten Komponenten (Beckmann/Elbe, 2008). Anders formuliert: Findet kein Ausgleich der Trainings- und Wettkampfbeanspruchung statt, kann eine längerfristige unzureichende Erholung beim Sportler zu Leistungseinbußen oder Übertraining und auch Burnout führen. Wird Erholung also als ein unmittelbares Element der Wettkampfvorbereitung verstanden, kann die Sportpsychologie neben den bekannten und gängigen Regenerationsmaßnahmen konkrete Abhilfe schaffen.
Individuelle Erholungsstrategien
Entscheidend ist, dass Erholung personenspezifisch und von individuellen Bewertungen abhängt. Was dem einen hilft, muss nicht zwangsläufig dem anderen gefallen. So ist beispielsweise der gemeinsame vom Trainer angeordnete Saunagang für den einen optimal und für den nächsten eine Belastung. Hieraus wird deutlich, dass Sportler verschiedene Erholungsstrategien und –bedürfnisse haben können. Für die praktische Arbeit bedeutet dies, dass keine allgemeinen Erholungsaktivitäten angeordnet werden sollten, sondern diese müssen individuell abgestimmt werden. Hier wird deutlich, dass Erholung individuelle Freiräume braucht. Im Rahmen einer sportpsychologischen Betreuung ist es daher wichtig, mit dem Sportler gemeinsam die persönlich optimalen Erholungsstrategien zu erarbeiten. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass jeder Sportler über mehrere Alternativen verfügen sollte, denn manchmal ist die bevorzugte Erholungsstrategie nicht einsetzbar oder aufgrund externer oder interner Umstände nicht effektiv umsetzbar.
Thorsten Lochs Fazit: Die Thematik Erholung hat in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Lange Zeit wurde die Regeneration stiefmütterliche behandelt oder gar ganz bei Seite gelegt. Welche Möglichkeiten jedoch eine optimale abgestimmt Erholungs-Belastungs-Bilanz mit sich bringt zeigt am Beispiel Kroatien hervorragend. Es hat den Anschein, dass Trainer Dalic seinen Spielern die nötigen Freiräume gibt, sich individuell zu erholen. Zwingende Voraussetzung ist jedoch, dass die Spieler wissen, was sie benötigen, um sich optimal erholen zu können. Wie bereits angedeutet, kann ein Sportpsychologe helfen, individuelle Erholungsstrategien und „Gegenwelten“ zu entwickeln.
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Die Rolle der Euphorie
Bleiben wir, jetzt, wo sich Dr. René Paasch um die Euphorie kümmert, konsequenterweise bei den Kroaten. Denn die herrscht nach dem “Einmarsch” ins WM-Finale in diesem kleinen Land bei seinen besten Fußballern und natürlich den vier Millionen Einwohnern sowie den weiteren vier Millionen Kroaten, die außerhalb der Landesgrenze leben. Daran ändern auch die kleinen Skandale um NS-Rhetorik, rechtsausladene Musik in der Kabine oder der verfrühte Abgang von Nikola Kalinic nicht, der seine Einwechslung im Vorrundenmatch gegen Nigeria verweigerte und nach Hause geschickt worden ist, rein gar nichts. Auch der große Prozess um Fußballfunktionäre, der in diesem Jahr schon einige Haftstrafen forderte und in den auch Stars wie Luka Modric verwickelt sind – alles egal. Es herrscht Euphorie. Was steckt dahinter, Dr. René Paasch?
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Das Wort Euphorie steht für ein Persönlichkeitsmerkmal, eine Eigenschaft, wie große Freude, Begeisterung und Hochstimmung. Individuell gesehen ist Fußball die größte Sache der Welt. Fesselnde Leidenschaft auf und neben dem Platz und auf den Rängen. Fußball fesselt. Er entfacht Emotionen und Leidenschaft. Vielen Millionen Menschen fiebern vor dem Fernseher und beim Public Viewing mit. Nüchtern betrachtet hat es für die Zuschauer keine persönlichen Konsequenzen, ob ihre Lieblingsmannschaft verliert oder gewinnt. Gerade das ermöglicht den Fans sich den Emotionen beim Zuschauen voll hinzugeben und aus ihrer Haut zu gehen. Wer sich in ein Fußballspiel hineinsteigert kann extreme Freude und Leidenschaft erleben ohne individuelle Konsequenzen zu bekommen. Natürlich frustriert es, wenn die eigene Mannschaft verliert. Nach zwei Nächten gilt aber meist das bekannte Motto: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ und die Ruhe und Zuversicht kehrt zurück. Der Fußball bildet eine Gegenwelt zum durchorganisierten Leben. Was ihn darüber hinaus ausmacht und ihn von vielen anderen Sportarten abhebt, ist seine Verständlichkeit. Es gibt 22 Spieler, einen Ball und dieser muss einmal mehr ins gegnerische Tor. Auch Einwurf, Elfmeter und Abstoß sind schnell erklärt. Dadurch bekommt man schnell einen Zugang zum Spiel und kann sich eine Meinung zum Spielgeschehen bilden. Die Menschen suchen im Fußball in erster Linie Unterhaltung und Spaß. Hinzukommt auch die Identifikation und die Zugehörigkeit. Sie zeigt sich an den Trikots und Fanschals. Dies manifestiert sich dann in Stadiongesängen. Fußball ist für viele Fans und Zuschauer leidenschaftsgeladen, spannend, gesellig und verbindet die Menschen miteinander. Überdurchschnittlich viele Zuschauer glauben, dass sie mitbeteiligt sind am Erfolg des Teams. Fragt man Fans aber inwieweit sie an der Niederlage ihrer Mannschaft beteiligt waren, sinkt das dramatisch ab. Schuld ist die Mannschaft dann selbst (Frankfurter Allgemeine, Prof. Dr. Strauß, Juni 2012).
Näheres zum Thema Sportzuschauer: https://www.die-sportpsychologen.de/2018/05/04/dr-rene-paasch-zum-teufel-mit-dem-12-mann/
Der Schalter der Kroaten
Sportlich betrachtet bedeutet dies aus meiner Sicht, dass die Spieler spüren, wie sehr sie ihren Fans verbunden sind. Hier steckt eine Menge Potential. Niko Kovac, der neue Trainer des FC Bayern München und frühere kroatische Nationalspieler hat vor wenigen Tagen in einer Kolumne für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) erklärt, dass beim Tragen des Trikots mit dem Schachbrettmuster ein Schalter angehe: “Dann kann man noch mehr rennen, obwohl es eigentlich nicht mehr geht.”
Die erzeugte Welle der Begeisterung kann also auf kroatischer Seite eine Menge in Bewegung setzen. Sicherlich werden die Teamverantwortlichen damit auch spielen. Zumal die Euphorie bei den Kroaten nicht fremdgesteuert, sondern subjektiv und herzgesteuert ist.
Vor dem Finale…
Euphorie herrscht natürlich auch in Frankreich. Hier verlaufen die Konfliktlinien in der Gesellschaft und der Politik anders, dennoch ist auch dieses Land wegen der Erfolge der Kicker ebenso euphorisiert. Die von Sportpolitikern allzu oft beschriebene Kraft des Sports zu vereinen und zusammen zu bringen, kann hier wohl wahrhaftig beobachtet werden. Auch das macht das WM-Finale spannend. Und sicher steht auch die Frage im Raum, ab wann Euphorie hinderlich wird – dazu aber gern einem anderen Mal mehr.
Aus sportpsychologischer Sicht geht mit der Partie Frankreich gegen Kroatien eine Weltmeisterschaft zu Ende, die sicher nicht schlecht war für das Fachgebiet. Gern haben unsere Profilinhaber in den vergangenen vier Wochen in diesem Zusammenhang das Motto bemüht, dass beim Turnier in Russland Mentalität Qualität schlägt. Und ja, auch Mentalität lässt sich trainieren. Insofern freuen sich alle Profilinhaber von Die Sportpsychologen auf das WM-Finale und die arbeitsreiche Zeit danach.
Literatur
https://www.die-sportpsychologen.de/2018/05/04/dr-rene-paasch-zum-teufel-mit-dem-12-mann/.
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/sportpsychologie-ein-gefuehl-der-enge-11772541.html
Wir dürfen gespannt sein, ob es den Kroaten gelungen ist, sich entsprechend regulieren zu können, um der Équipe Tricolore einen spannendes Duell über mindestens 90 Minuten, wenn nicht auch noch mehr zu liefern☺.
Um mit den Worten von Per Merteacker zu schließen (was im Übrigen für mich, überhaupt keine Alternative darstellen würde)
https://www.youtube.com/watch?v=m64Y6-ZpFt0
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